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  • · Fachbeitrag · ATADUmsG

    Erste Erfahrungen mit der neuen Wegzugsteuer und das Verhältnis zu § 2 AStG (Teil 1)

    von StB Dr. Peter Happe, FB IStR/C.P.A., Köln, und WP StB Lothar Boelsen, Frankfurt/Main

    | Durch das ATADUmsG wurde § 6 AStG drastisch verschärft. Die sog. Besteuerung des Vermögenszuwachses von Kapitalgesellschaftsanteilen ist wieder eine echtes Wegzugshemmnis geworden, weshalb nicht zum ersten Mal die EU-Rechtswidrigkeit reklamiert wird. Dies ergibt sich nicht nur aus dem § 6 AStG selbst, sondern auch aus dem Zusammenspiel der Norm mit § 2 AStG und dem ErbStG, aber auch aus der Besteuerung im Ausland, was zusammen zu einer verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung ohne Anrechnungen oder Freistellungen führt. Diese Konsequenzen sind so frappierend, dass Unternehmer den Zuzug aus dem Ausland scheuen werden. |

    1. Die Änderungen des § 6 AStG im Einzelnen

    Mit dem ATADUmsG (BGBl I 21, 35) wurde der § 6 AStG entscheidend geändert. § 6 AStG ergänzt den § 17 EStG und soll eine Besteuerung sicherstellen, bevor Deutschland das Besteuerungsrecht verliert. § 6 AStG greift immer dann, wenn ein Auswanderer, unabhängig von der Staatsangehörigkeit,

    • insgesamt sieben Jahre der letzten zwölf Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war und
    • in das Ausland umzieht und
    • Kapitalbeteiligungen i. H. v. 1 % oder mehr an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften im Privatvermögen hält.

     

    Die Wegzugsteuer wird auf den Wertzuwachs der Anteile an Kapitalgesellschaften erhoben, ohne dass die Kapitalgesellschaft selbst Sitz oder Geschäftsleitung verlegen muss. Die Wegzugsbesteuerung dient dazu, die Besteuerung von stillen Reserven in Anteilen an Kapitalgesellschaften quasi in der letzten Sekunde vor dem Wegzug sicherzustellen, bevor Deutschland nach Art. 13 Abs. 5 OECD-MA das Besteuerungsrecht an den künftigen Ansässigkeitsstaat verliert. In dem Fall werden die stillen Reserven in den Anteilen an den Kapitalgesellschaften besteuert, als wären die Anteile zum gemeinen Wert verkauft worden (fiktive Veräußerung). Das gilt immer dann, wenn die Beteiligung in den letzten fünf Jahren vor dem Wegzug 1 % oder mehr des Kapitals der Kapitalgesellschaften ausgemacht hat (§ 6 Abs. 1 AStG i. V. m § 17 Abs. 1 S. 1 EStG). Die Besitzzeit des Rechtsvorgängers (Schenkers oder Erblassers) wird dem Auswanderer zugerechnet (§ 6 Abs. 2 AStG). International wird diese Steuer auch als „Exit-Tax“ bezeichnet.

     

    Ab dem 1.1.22 findet nun eine verschärfte Wegzugsbesteuerung Anwendung. Dazu änderte der Gesetzgeber Ende Juni 2021 mit dem ATADUmsG gleich mehrere Vorschriften. Insbesondere § 6 AStG ist davon betroffen.

     

    • § 6 AStG in der Fassung des ATADUmsG

    Abs. 1

    Grundtatbestände und Rechtsfolge:

    • 1. Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts
    • 2. Unentgeltliche Übertragung auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person
    • 3. Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands
    • → Stehen der Veräußerung nach § 17 Abs. 1 S. 1 EStG zum gemeinen Wert gleich

    Abs. 2

    Personen i. S. d. Abs. 1: natürliche Personen, die mindestens sieben der letzten zwölf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig waren. Zurechnung des Zeitraums der unbeschränkten Steuerpflicht der Rechtsvorgänge bei unentgeltlichem Erwerb.

    Abs. 3

    Vorübergehende Abwesenheit: entfallen des Steueranspruchs bei Rückkehrabsicht innerhalb von sieben Jahren; verlängerbar um weitere fünf Jahre. Voraussetzung ist, dass es sich quasi um Anteile gleicher Art und Güte handelt, die bei der Rückkehr steuerverstrickt werden, und der ursprüngliche Steuerstatus bei Wegzug wiedererlangt wird.

    Abs. 4

    Allgemeine Stundungsregelung: Unverzinsliche Verteilung auf sieben Jahre im Regelfall gegen Sicherheitsleistung. Restbetrag sofort fällig, wenn ein Verzugsereignis wie Insolvenz, Verkauf, Nichtzahlung etc. eintritt.

    Abs. 5

    Mitwirkungspflichten bei Stundungen nach Abs. 4.

     

    Als die wichtigsten Änderungen des § 6 AStG sind hervorzuheben:

     

    • a) Der Betrachtungszeitraum wird auf sieben Jahre der letzten zwölf Jahre beschränkt und umfasst nicht mehr die letzten zehn Jahre eines lebenslangen Zeitraums des Auswanderers. Das stellt sicherlich eine Vereinfachung insbesondere bei Personen dar, die international mobil sind und zwischen Deutschland und dem Ausland hin und her wechseln. Die Änderung macht das Gesetz für Personen administrierbarer, die z. B. ihre Kindheit in Deutschland verbracht haben und Jahrzehnte später in Deutschland als Expatriates arbeiten. Diese wären nach altem Recht u. U. schon bei einer unbeschränkten Steuerpflicht nach einem Jahr von der Steuer erfasst worden, wenn sie als Kinder mehr als zehn Jahre in Deutschland gelebt haben. Für eine Besteuerung solcher Personen fehlte schon bisher jede Rechtfertigung.
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    • Beachten Sie | Personen mit Wegzugsabsicht müssen sich allerdings nun schon drei Jahre früher zum steuerfreien Wegzug entscheiden. Nach unseren Erfahrungen verlassen Investoren Deutschland daher häufig schneller, weil sie nicht in die Falle der Exit-Tax tappen möchten.
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    • b) Die Wegzugstatbestände werden auf drei Tatbestände gestrafft. Das soll nach der Gesetzesbegründung materiell-rechtlich nichts ändern. Allerdings soll nun explizit der Wegfall des Besteuerungsrechts an Kapitalgesellschaftsanteilen durch ein neues DBA, z. B. bei Immobiliengesellschaften wie bei dem DBA-Spanien 2013, nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG als sog. passive Entstrickung zur Besteuerung führen. Das war zwar schon in der Vergangenheit so entschieden (FG Köln 28.3.19, 15 K 2159/19, nrkr, Rev. I R 30/19; BMF 26.10.18, IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl I 18, 1104), ist aber nun vorsichtshalber Gesetz geworden. Bei Inkrafttreten neuer DBA, wie demnächst wohl mit Italien, ist daher höchste Vorsicht geboten.
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    • c) Die unverzinsliche, unbegrenzte Stundung der Steuer bei Wegzug von EU-/EWR-Bürgern in das EU-/EWR-Ausland wird abgeschafft, und es wird für jeden Wegzug, gleich in welches Land, die Wegzugsteuer festgesetzt. Das stellt einen erheblichen EU-rechtswidrigen Eingriff dar, wie weiter unten dargelegt wird. Dafür wird eine Verteilung der Steuer auf den Wegzug über sieben Jahre in sieben gleichen Raten gewährt, die bei Gefährdung des Steueraufkommens jederzeit widerrufen werden kann. Das dürfte nach dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung allerdings nicht passieren, weil eine Sicherheitsleistung für diese Stundung der Regelfall sein soll.
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    • Beachten Sie | Durch die Sicherheitsleistung wird allerdings die Stundung nicht wirklich eine Entlastung, denn wie der EuGH schon in der Rechtssache DMC festgestellt hat, führt die Gestellung einer Sicherheit in seinen wirtschaftlichen Wirkungen dazu, dass die Steuer ebenso gut gleich erhoben werden könnte (EuGH 23.1.14, C-164/12, DStR 14, 193). Der Wegzug verlangt im Regelfall entsprechende vorbeugende Gegenmaßnahmen, die eine Besteuerung in Deutschland sichern (vgl. dazu Happe/Stingl, PIStB 20, 312).
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    • d) Dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 AStG nach sollen laufende Stundungen aus Altfällen mit Inkrafttreten des ATAD-UmsG nicht widerrufen werden. Gleichzeitig wird aber die Möglichkeit, Wertminderungen bei Verkauf geltend machen zu können, auch in Altfällen für die Zukunft abgeschafft. Auch das ist ein möglicherweise verfassungswidriger Eingriff.
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    • e) Die Steuer „entfällt“ bei Rückkehrabsicht, wobei nach der Gesetzesbegründung auf eine Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht oder auf berufliche Gründe für die Abwesenheit nicht mehr ankommt (BT-Drs. 19/28652, 49). Die bloße Absicht zur Rückkehr und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit genügen nach der Gesetzesbegründung. Durch die Stundung der Steuer sollen laut Gesetzesbegründung die finanziellen Wirkungen der Wegzugsbesteuerung gemindert und die Mobilität erhöht werden (BT-Drs. 19/28652, 47).
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    • PRAXISTIPP | In den ersten Praxisfällen wird dieses Ziel von der Verwaltung allerdings konterkariert, weil die Steuer nicht zum Zeitpunkt des Wegzugs entfallen soll, wie das Wort „Stundung“ impliziert, sondern erst bei Rückkehr. Die Finanzverwaltung neigt dazu, das bereits akzeptierte rückwirkende Entfallen des Steueranspruchs nach § 6 Abs. 5 AStG a. F. nun auch für den § 6 Abs. 3 AStG n. F. anzuwenden (vgl. Häck in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6, Rz. 446, 95. Ergänzungslieferung April 2020, zur alten Fassung). Somit wäre die in der Gesetzesbegründung postulierte Flexibilität und Mobilität ad absurdum geführt. Klarheit soll ein BMF-Schreiben bringen, welches dem Vernehmen nach in Vorbereitung ist. Man muss wohl jedem Auswanderer raten, eine Anfrage an das Finanzamt zu stellen, wann die Steuer entfällt, und gleichzeitig den Antrag auf Entfallen der Steuer beim Finanzamt in jedem Fall vorsorglich zu stellen.

       
    • f) Überraschend ist der Wegfall des § 6 Abs. 1 S. 5 AStG a. F. Danach konnte im Fall der Veräußerung der Anteile der nach den Vorschriften des § 6 AStG versteuerte Wertzuwachs angerechnet werden. Diese Anrechnung entfällt nun (s. Abschnitt 2.3).

    2. Verhältnis von § 2 AStG zu § 6 AStG

    2.1 Voraussetzungen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht (§ 2 AStG)

    Der § 2 AStG regelt die (nachlaufende) Besteuerung von Deutschen, die in fünf von zehn Jahren vor dem Wegzug unbeschränkt steuerpflichtig waren und in ausländische niedrigbesteuerte Gebiete umziehen. Wenn diese Personen nach dem Wegzug noch wesentliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland behalten und inländische, sog. nicht ausländische Einkünfte erzielen, so unterliegen diese Einkünfte der sog. erweiterten beschränkten Steuerpflicht. Diese gilt für längstens zehn Jahre nach dem Ende des Jahres, in dem der Deutsche weggezogen ist. Bei Wegzug zum 1.1.22 könnten die nicht ausländischen Einkünfte noch bis zum 31.12.32 in Deutschland besteuert werden. Anders als der § 6 AStG gilt der § 2 AStG nur bei deutschen Staatsbürgern.

     

    Flankiert wird der § 2 AStG von § 4 AStG, nach dem die den nicht ausländischen Erträgen zugrunde liegenden Vermögenswerte einer erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegen, wenn Deutsche die den Einkünften zugrunde liegenden Vermögenswerte verschenken oder vererben. Mithin gilt auch hier eine Zehnjahresfrist nach dem Wegzugsjahr.

     

    MERKE | Voraussetzung für die Anwendung sowohl der erweiterten beschränkten Steuerpflicht für die Einkommensteuer als auch für die Erbschaftsteuer ist indessen, dass die Einkünfte und Vermögenswerte nicht einer ausländischen Steuer unterliegen, die mindestens 30 % der deutschen Einkommen- oder Erbschaftsteuer bei Anwendung auf die Einkünfte oder Vermögenswerte entspricht.

     

    Grundsätzlich könnte auch ein Wegzug in ausländische niedrigbesteuerte Gebiete von DBA-Staaten den Tatbestand der erweiterten beschränkten Steuerpflicht erfüllen. Im Gegensatz zu anderen Vorschriften des AStG besteht nach § 20 AStG in § 2 AStG allerdings kein sog. Treaty Override, sodass im Regelfall nur die Einkünfte der deutschen Besteuerung unterliegen, die nach einem DBA in Deutschland besteuert werden können. Dennoch muss bei einem Wegzug in ein DBA-Land stets geprüft werden, ob ein DBA die Anwendung des § 2 AStG verwehrt oder sogar eine Öffnungsklausel für die Anwendung enthält. Eine Öffnungsklausel zur Anwendung des § 2 AStG findet sich z. B. in Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz für fünf Jahre. Bei Wegzug in Nicht-DBA-Staaten wie Paraguay, Chile oder Panama oder für die sog. „Digitalen Nomaden“, die in keinem ausländischen Gebiet ansässig werden, greift der § 2 AStG ebenfalls.

     

    Wesentliche wirtschaftliche Interessen in Deutschland bestehen, wenn zu Beginn des Veranlagungszeitraums eine der folgenden Voraussetzungen vorliegt (Nexus):

     

    • Einzelunternehmen in Deutschland

     

    • Beteiligung an Personengesellschaft in Deutschland (als Kommanditist mindestens eine 25%ige Gewinnbeteiligung)

     

    • Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft i. S. d. § 17 EStG, d. h., der Steuerpflichtige oder sein Rechtsvorgänger war innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt.

     

    • Die nicht ausländischen Einkünfte i. S. d. § 34d EStG (wie nachfolgend definiert) betragen mehr als 30 % der Gesamteinkünfte oder mehr als 62.000 EUR im Wegzugsjahr.

     

    • Das Vermögen, dessen Erträge nicht ausländische Einkünfte i. S. d. § 34d EStG wären, beträgt mehr als 30 % ihres Gesamtvermögens oder mehr als 154.000 EUR.

     

    Nach heutigen Wertverhältnissen führt regelmäßig bereits ein vermietetes Studentenapartment zu wesentlichen wirtschaftlichen Interessen in Deutschland. Durch Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft kann der Auswanderer weder die vorgenannten Voraussetzungen noch die Zurechnung nicht ausländischer Einkünfte in Deutschland vermeiden, da durch die sog. zwischengeschaltete Gesellschaft durchgeschaut wird (§ 2 Abs. 4 AStG i. V. m. § 5 AStG).

     

    2.2 Nicht ausländische Einkünfte nach § 2 AStG

    Die nicht ausländischen Einkünfte sind eine nicht im Gesetz genannte Kategorie und umfassen neben den abschließend genannten inländischen Einkünften des § 49 EStG auch alle Einkünfte, die nicht eindeutig den ebenfalls abschließend genannten ausländischen Einkünften des § 34d EStG zuzurechnen sind:

     

     

    Im Zusammenhang mit Anteilen an Kapitalgesellschaften fällt auf, dass zu den nicht ausländischen Einkünften bei erweiterter beschränkter Steuerpflicht nicht nur Einkünfte aus Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften ≥ 1 % i. S. d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) EStG, sondern auch Veräußerungsgewinne von Anteilen an nicht ausländischen Kapitalgesellschaften zählen. Das ergibt sich aus § 34d Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. aa) EStG, wonach zu den ausländischen Einkünften Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Ausland zu rechnen sind. Da eine Beteiligungsschwelle in § 34d Nr. 4 Buchst. b) EStG nicht genannt ist, zählen zu den ausländischen Einkünften zunächst einmal alle Anteile an ausländischen Kapitalgesellschaften (Sitz oder Geschäftsleitung im Ausland), gleich, ob sie < 1 % oder ≥ 1 % betragen. Schon nach dem Umkehrschluss zu § 34d Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. aa) EStG wären somit Veräußerungsgewinne aus Streubesitzanteilen an inländischen Kapitalgesellschaften nach § 2 AStG als nicht ausländische Einkünfte steuerpflichtig.

     

    Zum gleichen Ergebnis kommt man auch, wenn man den § 34d Nr. 6 EStG betrachtet: Zu den ausländischen Einkünften zählen Einkünfte i. S. d. § 20 EStG, wenn der Schuldner Sitz oder Geschäftsleitung im Ausland hat. Veräußerungsgewinne aus Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften i. S. d. § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG wären somit ausländische Einkünfte. Veräußerungsgewinne von Anteilen i. S. d. § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG inländischer Kapitalgesellschaften wären nach § 2 AStG als nicht ausländische Einkünfte im Inland steuerpflichtig. Gleiches gilt u. E. für Dividenden nicht ausländischer Anteile (s. nachfolgende Tabelle). Das allein dürfte für die meisten Auswanderer schon überraschend sein.

     

    • Nicht ausländische Einkünfte vs. ausländische Einkünfte
    § 2 AStG: Nicht ausländische Einkünfte
    § 34d EStG: Ausländische Einkünfte aus

    § 49 Abs. 1 EStG: Inländische Einkünfte aus

    Zusätzliche Einkünfte

    aus

    • Nr. 2 Buchst. e) EStG: Veräußerung von Anteilen ≥ 1 % an deutschen Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland
    •  
    • Nr. 5 Buchst. a) EStG: Dividenden etc. i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 ff. EStG, wenn Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat
    • Veräußerung von Anteilen an deutschen Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland (auch Streubesitzanteile ≤ 1 %)
    •  
    • Dividenden, die nicht eindeutig ausländisch sind
    • Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. aa) EStG: Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Ausland
    •  
    • Nr. 6 EStG: Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Ausland hat oder das Kapitalvermögen im Ausland gesichert ist
     

    Eindeutig ist die Abgrenzung zwischen inländischen und ausländischen Kapitalgesellschaften dann, wenn sowohl Sitz und Geschäftsleitung im Inland liegen (dann inländische Einkünfte und zugleich nicht ausländische Einkünfte) oder Sitz und Geschäftsleitung im Ausland liegen (dann eindeutig ausländische Einkünfte). Nicht so eindeutig ist die Abgrenzung aber dann, wenn z. B. der Sitz im Inland und die Geschäftsleitung im Ausland liegen oder umgekehrt; dann zählen die Veräußerungsgewinne zu den nicht ausländischen Einkünften und könnten nach dem Wegzug in niedrigbesteuerte Gebiete in Deutschland besteuert werden.

     

    2.3 Wegfall der Anrechnung nach § 6 Abs. 1 S. 5 AStG a. F.

    Der § 2 AStG hat eine weitere Überraschung parat, die vermutlich verfassungs- und EU-rechtswidrig ist: Veräußern Auswanderer Anteile von mindestens 1 % an nicht ausländischen Kapitalgesellschaften, so werden diese Veräußerungsgewinne in Deutschland steuerpflichtig sein. Dies gilt auch dann, wenn diese Anteile bereits bei Wegzug nach § 6 AStG besteuert wurden. In § 6 Abs. 1 S. 5 AStG a. F. fand sich noch folgender Satz (s. auch R 49.1 Abs. 4 EStR 2021):

     

    •  § 6 Abs. 1 S. 5 AStG

    „Die §§ 17 und 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) des Einkommensteuergesetzes bleiben mit der Maßgabe unberührt, dass der nach diesen Vorschriften anzusetzende Gewinn aus der Veräußerung dieser Anteile um den nach vorstehenden Vorschriften besteuerten Vermögenszuwachs zu kürzen ist.“

     

    Dieser Satz ist mit dem ATADUmsG ‒ soweit ersichtlich ‒ begründungslos weggefallen. Somit kann der Wertzuwachs von nicht ausländischen Kapitalgesellschaftsanteilen von Auswanderern in niedrigbesteuerte Gebiete doppelt besteuert werden: zum einem beim Wegzug, zum anderen beim späteren Verkauf.

     

    • Beispiel

    Der deutsche Steuerpflichtige A zieht unter Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht im Jahre 2022 von Stuttgart nach Panama. Er hält Aktien an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften in einem Schweizer Depot. Der Wertzuwachs von Anteilen i. H. v. 5 % an einer Familien-Kapitalgesellschaft auf der Schwäbischen Alb wird bei Wegzug besteuert (Wertzuwachsbesteuerung nach § 6 AStG mit rund 28,5 %).

     

    Im Jahre 2025 entscheidet sich A, noch immer in Panama lebend, zum Verkauf aller Anteile an die Geschwister, da er andere Lebenspläne hat. Der Verkauf wird nach § 2 AStG in Deutschland erneut besteuert, weil es sich nicht um Gewinne aus Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften i. S. d. § 34d EStG handelt. Eine Anrechnung der Wegzugsteuer nach § 6 AStG gibt es nicht mehr. Seine Aktienverkäufe und Dividenden inländischer Aktien (Streubesitzaktien) im Schweizer Depot sind mindestens bis zum Ende des Jahres 2032 steuerpflichtig, wenn nach dem Verkauf noch ein weiterer Nexus in Deutschland i. S. d. § 2 Abs. 1 AStG besteht.

     

    Nicht nur, dass es zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung des Wertzuwachses durch die §§ 2 und 6 AStG kommen kann. Die Anwendung des § 2 AStG dürfte aufgrund eines sog. strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig sein. Denn die Finanzverwaltung dürfte nur in seltenen Fällen von nicht ausländischen Einkünften erfahren, vor allem wenn es sich um Einkünfte aus börsennotierten Anteilen an deutschen Kapitalgesellschaften in ausländischen Depots handelt und der Depotinhaber nicht als deutscher Steuerpflichtiger geführt wird. Ein strukturelles Vollzugsdefizit hatte das BVerfG in seinem Beschluss vom 9.3.04 (2 BvL 17/02) in einer ähnlichen Konstellation bei der Besteuerung von Wertpapieren im Inland in den Jahren 1998 und 1999 i. S. d. § 23 Abs. 1 EStG a. F. als verfassungswidrig erkannt, weil steuerehrliche und steuerunehrliche Steuerpflichtige ungleich besteuert wurden.

     

    Weiterführender Hinweis

    • In einem weiterführenden Beitrag in der nächsten Ausgabe wird ein Überblick über die Rechtsfolgen des neuen § 6 AStG gegeben und die EU-Rechtswidrigkeit der verschärften Norm diskutiert.
    Quelle: Ausgabe 06 / 2022 | Seite 176 | ID 48228467