· Fachbeitrag · BEPS-Umsetzungsgesetz
Die Besteuerung von Abfindungszahlungen nach den DBA seit dem 1.1.17
von StB Matthias Schmitt, PwC GmbH, München und StB Erik Muscheites PwC GmbH, Frankfurt am Main
| Durch das „Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen“ (BEPS-Umsetzungsgesetz) wurde § 50d Abs. 12 EStG in das EStG eingefügt. Die neue Vorschrift befasst sich mit der Zuordnung des Besteuerungsrechts für Abfindungszahlungen, die anlässlich einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses an Arbeitnehmer zum Ausgleich von Nachteilen gezahlt werden. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Motivation des Gesetzgebers diese Regelung einzuführen, die Änderungen ab dem 1.1.17 sowie die maßgeblichen Auswirkungen auf die Praxis. |
1. Ausgangslage
Nach Art. 15 Abs. 1 S. 1 OECD-MA können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbstständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat (Ansässigkeitsstaat) besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen gemäß Satz 2 im anderen Staat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nicht im Tätigkeitsstaat, sondern ausschließlich im Ansässigkeitsstaat zu besteuern (BFH 24.2.88, I R 143/84, BStBl II 88, 819). Nach Auffassung des BFH handelt es sich bei Abfindungen unbeschadet dessen, dass sie nach dem insoweit maßgebenden innerstaatlichen Recht Arbeitslohn (§ 19 EStG) sind, nicht um ein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit i. S. d Art. 15 Abs. 1 S. 2 OECD-MA. Sie werden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut („dafür“) nicht.
Die Finanzverwaltung hat sich dieser Rechtsauffassung prinzipiell angeschlossen (BMF 12.11.14, IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl I 14, 1467).
Während nach bisherigem deutschem Verständnis eine Abfindungszahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes demnach ausschließlich im Ansässigkeitsstaat im Zeitpunkt der Auszahlung besteuert wird, soll nach der Überarbeitung des OECD-MK 2014 als Aufteilungsmaßstab für die Zuweisung des Besteuerungsrechts ein vergangenheitsbezogener 12-Monats-Zeitraum zugrunde gelegt werden (Nr. 2.7 OECD-MK zu Art. 15). Der OECD-MK geht dementsprechend davon aus, dass die Regelungen des Art. 15 Abs. 1 S. 2 OECD-MA ausreichend sind, eine vom Grundsatz des Art. 15 Abs. 1 S. 1 OECD-MA abweichende Zuordnung der Abfindung vorzunehmen. Diese Divergenz zwischen dem deutschen (Besteuerung im Ansässigkeitsstaat) und dem international üblichen Verständnis (Besteuerung im (vormaligen) Tätigkeitsstaat) über die Zuweisung des Besteuerungsrechts für Abfindungszahlungen führt dazu, dass Konstellationen entstanden sind, in denen Abfindungszahlungen faktisch einer Keinmal-Besteuerung unterlegen haben und weiße Einkünfte generiert wurden.
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Herr Z (53 Jahre) ist abkommensrechtlich in Deutschland ansässig und hat bisher ausschließlich für seinen deutschen Arbeitgeber in Deutschland gearbeitet. Aufgrund einer Restrukturierung entfällt der Arbeitsplatz zum 30.6.01 und der Arbeitgeber bietet Z die Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zum 31.8.01. Herr Z beschließt die Jahre bis zur Rente im Ausland zu verbringen. Die Aufgabe des deutschen Wohnsitzes soll zum 30.11.01 erfolgen. |
Sofern die Zahlung der Abfindung vor der Aufgabe des deutschen Wohnsitzes erfolgt, unterliegt diese unstreitig der deutschen Besteuerung (§ 2 Abs. 1 S. 1 EStG). Herr Z und sein Arbeitgeber haben jedoch die Möglichkeit, den Zufluss der Abfindungszahlung steuerwirksam zu gestalten (BFH 11.11.09, IX R 1/09, BStBl II 10, 746) und vereinbaren daher, dass die Auszahlung erst zum 31.12.01 erfolgen soll.
Im Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindung ist Herr Z in Deutschland lediglich beschränkt steuerpflichtig mit seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, die als Entschädigung i. S. d. § 24 Nr. 1 EStG für die Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, da die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben (§ 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d) EStG).
Wenn jedoch ein DBA anwendbar ist, geht dieses grundsätzlich den Regelungen des EStG vor (§ 2 Abs. 1 AO; abgesehen von Treaty Overrides). Sofern Herr Z daher nach seinem Wegzug abkommensrechtlich in einem ausländischen DBA-Staat als ansässig gilt, wird aufgrund der bisherigen (bis 31.12.16) deutschen Interpretation des Art. 15 Abs. 1 OECD-MA die bestehende beschränkte Steuerpflicht des Z in Deutschland durch das DBA eingeschränkt. Aus deutscher Sicht steht das Besteuerungsrecht für die Abfindungszahlung ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat im Zeitpunkt der Auszahlung zu. Sofern dieser jedoch einer abweichenden Auslegung des Art. 15 Abs. 1 OECD-MA hinsichtlich der Zuweisung des Besteuerungsrechts für Abfindungszahlungen folgt und/oder die Abfindungszahlung aufgrund nationaler Regelungen nicht besteuert, entstehen weiße Einkünfte.
Beachten Sie | Die Regelungen des § 50d Abs. 8 und Abs. 9 EStG sind vorliegend nicht anwendbar, da die Abfindung nach Wegzug, d. h. zu dem Zeitpunkt gezahlt wurde, als die unbeschränkte Steuerpflicht bereits beendet war.
Um eine solche doppelte Nichtbesteuerung zu verhindern, hatte die deutsche Finanzverwaltung mit mehreren, insbesondere räumlich nahe liegenden Ländern (wie z. B. Belgien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz und UK), Konsultationsvereinbarungen zur Besteuerung von Abfindungszahlungen geschlossen (z. B. BMF 20.5.97, IV C 6 - S 1301 Schz - 26/97, DStR 97, 1247). Demnach sollte der (frühere) Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht haben, sofern es sich bei der Abfindung um Lohn- oder Gehaltsnachzahlungen oder Tantiemen aus dem früheren Arbeitsverhältnis handelt oder die Abfindung allgemein für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst gewährt wird.
Dementgegen hat der BFH entschieden, dass eine solche Konsultationsvereinbarung die Gerichte nicht bindet (BFH 2.9.09, I R 111/08, BStBl II 10, 387). In der Folge hat der Gesetzgeber im Rahmen des JStG 2010 mit § 2 Abs. 2 AO eine Grundlage geschaffen, wonach das BMF ermächtigt wurde, zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung oder doppelten Nichtbesteuerung mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zu erlassen. Jedoch war auch dieser Versuch, das BFH-Verständnis hinsichtlich der Zuweisung des Besteuerungsrechts für Abfindungszahlungen per Rechtsverordnung abzuändern, nicht erfolgreich. Der BFH hat durch Urteil im Jahr 2015 erneut entschieden, dass Konsultationsvereinbarungen nach Maßgabe von Art. 26 OECD-MA die Gerichte nicht binden, „soweit sie dem Abkommenswortlaut widersprechen“ (BFH 10.6.15, I R 79/13, BStBl II 16, 326). Dieser Rechtsauffassung hat sich das BMF grundsätzlich angeschlossen (BMF 31.3.16, IV B 2 - S 1304/09/10004, BStBl I 16, 474). Bis zum 31.12.16 bestand daher auch für Länder mit Konsultationsvereinbarung die alte Rechtslage unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH weitestgehend fort.
2. Änderung durch das BEPS-Umsetzungsgesetz
Mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen“ sollten insbesondere die Empfehlungen des BEPS-Projekts (Base Erosion and Profit Shifting) sowie zugleich Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie umgesetzt werden (Gesetz vom 20.12.16, BGBl I 16, 3000). Zudem sollten weitere steuerliche Regelungen zu grenzüberschreitenden Sachverhalten geändert werden, um deutsche Besteuerungsrechte besser wahrnehmen zu können. Auf Empfehlung des Finanzausschusses (BR Drs. 406/1/16) hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 23.9.16 (BR Drs. 406/16) vorgeschlagen, den Regierungsentwurf in der Hinsicht zu modifizieren, dass nach § 50d Abs. 11 EStG folgender Abs. 12 angefügt wird:
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„Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, gelten für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als für frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt. Dies gilt nicht, soweit das Abkommen in einer gesonderten, ausdrücklich solche Abfindungen betreffenden Vorschrift eine abweichende Regelung trifft. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 sowie Rechtsverordnungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 der AO bleiben unberührt.“ |
Ausweislich der Begründung des federführenden Finanzausschusses, die der Bundesrat in seiner Stellungnahme übernommen hat, reagiert die Legislative damit auf die Rechtsprechung des BFH (BFH 10.6.15, I R 79/13, BStBl II 16, 326) hinsichtlich der Nichtanwendung von Konsultationsvereinbarungen. Bei fortdauernder Anwendung dieser Rechtsprechung hätte Deutschland trotz ausdrücklicher Vereinbarung mit der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaates Abfindungen nicht besteuern können, obwohl ihr als vormaliger Tätigkeitsstaat nach übereinstimmender Auffassung der zuständigen Behörden beider Staaten das Besteuerungsrecht zusteht.
Durch die Anfügung von § 50d Abs. 12 EStG soll für Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, eine generelle Besteuerung des früheren Tätigkeitsstaats geregelt werden. Die Neuregelung umfasst damit (entgegen der früheren Konsultationsvereinbarungen) alle Länder, mit denen ein DBA besteht. Sie soll im Einklang mit dem OECD-MK stehen und dazu beitragen, Besteuerungskonflikte zu vermeiden und das Entstehen „weißer Einkünfte“ zu verhindern (BR Drs. 406/16).
3. Auswirkungen für die Praxis
3.1 Zeitliche Anwendung
Die Neuregelung ist zum 1.1.17 in Kraft getreten und ist somit grundsätzlich auf alle ab diesem Zeitpunkt zufließenden Abfindungen anzuwenden, soweit DBA- Fälle betroffen sind. Bereits im Veranlagungszeitraum 2016 zugeflossene Abfindungen sind von der Neuregelung nicht betroffen.
Teile der Literatur (König/Teichert, BB 16, 3105) gehen davon aus, dass eine unzulässige unechte Rückwirkung vorliegen soll, wenn
- Arbeitgeber und der (ehemalige) Arbeitnehmer die Abfindungsvereinbarung ab dem 1.1.16, aber vor der Gegenäußerung der Bundesregierung vom 12.10.16 (BT-Drs. 18/9956), geschlossen haben und
- dem Arbeitnehmer die Abfindung bis zum 31.12.17 zufließt.
Dies wird damit begründet, dass das beim Abschluss der Abfindungsvereinbarung bestehende Vertrauen auf die geltende Rechtslage grundsätzlich schutzbedürftig sei (BVerfG 7.7.10, 2 BvL 1/03).
3.2 Anwendungsbereich
Der Regelungsbereich des § 50d Abs. 12 EStG umfasst „Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden“. Dies bedeutet, dass Zahlungen für Freistellung von der Arbeitsverpflichtung (Garden Leave), Zahlung von erdienten Boni oder Equity (Stock Options, RSU, etc.), die Auszahlung von Überstunden, die Abgeltung von Pensionen, die Entgeltung von Wettbewerbsverboten, etc. gesondert zu betrachten sind.
MERKE | Der Steuerberechtigung des (früheren) Tätigkeitsstaates unterliegen grundsätzlich alle (sonstigen) Bezüge, die als Nachzahlung für die frühere aktive Tätigkeit noch den Auslandseinsatz ganz oder anteilig betreffen. Für die Zuweisung des Besteuerungsrechts kommt es nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Vergütung, sondern allein darauf, dass diese für eine bestimmte Tätigkeit gezahlt wird. |
Die Neuregelung des § 50d Abs. 12 EStG stellt eine gesetzliche Fiktion dar. Nach dem Wortlaut der Norm „gelten“ die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlten Abfindungen „als“ für eine frühere Tätigkeit geleistetes Entgelt. Damit ordnet der Gesetzgeber faktisch die Abfindungszahlungen Art. 15 Abs. 1 S. 2 OECD-MA zu und relativiert die vom BFH vorgenommene Gewichtung des Begriffs „dafür“ (Veranlassungszusammenhang). Aufgrund dieser vom Gesetzeswortlaut her eindeutigen Zuordnung zu Art. 15 Abs. 1 S. 2 OECD-MA ist klargestellt, dass Abfindungszahlungen - entgegen der bisherigen Rechtsprechung - Entgelt für eine frühere Tätigkeit darstellen sollen. Etwaige Abfindungszahlungen werden damit ab Januar 2017 ebenfalls („dafür“) für die vormalige (Auslands-)Tätigkeit gezahlt.
3.3 Aufteilungsmaßstab
Während nach dem bisherigen Verständnis ausschließlich der Ansässigkeitsstaat im Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindung das Besteuerungsrecht haben sollte, stellt sich nunmehr die Frage, welchem Staat welcher Anteil der Abfindungszahlung zuzuordnen ist.
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Herr Z war vom 1.1.14 bis zum 31.12.14 in Deutschland tätig. Zum 1.1.15 wurde Herr Z bei Fortbestehen seines deutschen Arbeitsvertrages für die Dauer von drei Jahren nach Australien entsendet und das Besteuerungsrecht für die Arbeitseinkünfte in diesem Zeitraum stand Australien zu. Nach der Beendigung der Entsendung zum 31.12.17 ist Z nach Deutschland zurückgekehrt. Weil es innerhalb des Konzerns keine für Z passende Position mehr gibt, wird das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zum 31.12.17 beendet. Die Höhe der Abfindungszahlung wurde ausgehend von vier Jahren Konzernzugehörigkeit berechnet. Die Auszahlung erfolgt zum 31.12.17. |
Der im Inland steuerpflichtige Anteil ermittelt sich auf Basis der in Deutschland steuerpflichtigen Arbeitstage im maßgebenden Beschäftigungszeitraum/Gesamtarbeitstage im maßgebenden Beschäftigungszeitraum.
Sofern im Inland weiterhin eine unbeschränkte Steuerpflicht besteht, sind hinsichtlich des dem DBA-Ausland zugewiesenen Teils der Abfindungszahlung die Regelung der § 50d Abs. 8 EStG und § 50d Abs. 9 EStG zu beachten.
Beachten Sie | § 50d Abs. 12 EStG ist sowohl für Fälle der unbeschränkten als auch für Fälle der beschränkten Steuerpflicht anwendbar.
3.4 Maßgebender Beschäftigungszeitraum für die Aufteilung
3.4.1 Ab dem 15.7.14 geschlossene DBA
Die OECD hat am 15.7.14 der Übernahme einiger zwischen den Jahren 2010 und 2013 erarbeiteten Änderungen des OECD-MK zugestimmt. Die überarbeitete Fassung des OECD-MK zu Art. 15 OECD-MA sieht als Aufteilungsmaßstab für die Zuweisung des Besteuerungsrechts einen vergangenheitsbezogenen 12-Monats-Zeitraum vor (Nr. 2.7 OECD-MK zu Art. 15). Der BFH legt seiner Auslegung von DBA in ständiger Spruchpraxis aus zeitlicher Sicht einen sog. statischen, keinen sog. dynamischen, Auslegungsmodus zugrunde. Eine Verwaltungspraxis, welche sich erst nach Inkrafttreten eines DBA bildet, wirkt auf die Auslegung des Abkommens prinzipiell nicht zurück (BFH 10.6.15, I R 79/13, BStBl II 16, 326). Maßgebend sind die Gegebenheiten und Vorstellungen der Vertragsstaaten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (Anger/Wagemann, IStR 14, 611).
Vorliegend folgt Deutschland durch die Einführung des § 50d Abs. 12 EStG seit dem 1.1.17 einer retrospektiven Betrachtung unter Anwendung des Art. 15 Abs. 1 S. 2 OECD-MA. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 50d Abs. 12 EStG (BT-Drs. 18/9956) steht die Neuregelung „im Einklang mit dem OECD-MK “. Es ist daher vorliegend davon auszugehen, dass als Aufteilungsmaßstab für die Zuweisung des Besteuerungsrechts ein vergangenheitsbezogener 12-Monats-Zeitraum anzuwenden ist, zumindest dann, wenn das anzuwendende DBA nach dem 15.7.14 geschlossen wurde. Dies betrifft z. B. das DBA Australien vom 12.11.15.
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Das Besteuerungsrecht für die Abfindungszahlung steht ausschließlich dem (vormaligen) Tätigkeitsstaat Australien zu. Maßgebend ist der letzte 12-Monats-Zeitraum vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses. In diesem Zeitraum wurde die Tätigkeit ausschließlich in Australien ausgeübt. |
3.4.2 Vor dem 15.7.14 geschlossene DBA
Ausgehend vom Wortlaut des § 50d Abs. 12 EStG ("„Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden“) ist anzunehmen, dass die deutsche Finanzverwaltung für die Zuweisung des Besteuerungsrechts nach DBA an das vorangegangene Dienstverhältnis anknüpft. Der Begriff des Dienstverhältnisses ist im OECD-MA nicht definiert. Offensichtlich ist jedoch eine Anlehnung an den Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d) EStG, der für die Frage, ob eine beschränkte Steuerpflicht vorliegt, ebenfalls an die Zahlung einer Entschädigung „für die Auflösung eines Dienstverhältnisses“ anknüpft. Fraglich ist, ob hier eine Anknüpfung ausschließlich an das (letzte) zivilrechtliche Dienstverhältnis i. S. d. § 611 ff. BGB erfolgt, bzw. wie insbesondere Fälle zu behandeln sind, in denen Mitarbeiter innerhalb eines Konzerns im Rahmen von verschiedenen Dienstverhältnissen tätig waren.
Die deutsche Finanzverwaltung ging zumindest für die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG a. F. zur Ermittlung der für die steuerfreien Höchstbeträge maßgebenden Beschäftigungszeit wie folgt vor: Wenn bei früheren Umsetzungen innerhalb des Konzerns keine Abfindungen an den Arbeitnehmer gezahlt wurden, weil der Konzern diese Umsetzung als Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses betrachtet hat, konnte für die Ermittlung des steuerfreien Höchstbetrags von einer Gesamtbeschäftigungsdauer für den Konzern ausgegangen werden.
Dies setzte voraus, dass es in dem Arbeitsvertrag hierfür wichtige Anhaltspunkte gab, wie etwa die Fortführung der Dienstzeit für die Berechnung der Pensionsansprüche, des Urlaubsanspruchs oder des Dienstjubiläums des Arbeitnehmers (BMF 13.2.86, IV B 6 - S 2340 - 24/86, FR 86, 122). Eine Bezugnahme auf das jeweils letzte Dienstverhältnis bei Anwendung des § 50d Abs. 12 EStG erscheint den Verfassern in diesen Fällen nicht sachgerecht und widerspricht den Erfahrungen aus der Praxis, wonach regelmäßig bei der Vereinbarung der Abfindungshöhe auf die gesamte Beschäftigungsdauer im Konzern abgestellt wird.
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Sachverhalt wie Beispiel 2, nur wurde Herr Z anstatt nach Australien in die USA entsendet.
Das Besteuerungsrecht für die Abfindungszahlung steht sowohl den USA als auch Deutschland zu. Beide Vertragsstaaten qualifizieren als (vormaliger) Tätigkeitsstaat. Maßgebend ist der komplette Zeitraum des Beschäftigungsverhältnisses. In diesem Zeitraum stand das Besteuerungsrecht für die Tätigkeit zu ¼ Deutschland und zu ¾ den USA zu. |
3.4.3 DBA mit Sonderregelungen und Konsultationsvereinbarungen
Zu § 50d Abs. 12 S. 2 und 3 EStG sind insbesondere Nr. 5 des Protokolls zum DBA Liechtenstein sowie die Konsultationsvereinbarungen mit Belgien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz und UK zu beachten. Bezüglich des DBA Luxemburg vom 23.4.12 ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das DBA selbst die Bezugnahme auf das Kalenderjahr vor Auflösung des Arbeitsvertrages nicht enthält und die entsprechende Konsultationsvereinbarung daher für die Gerichte nicht bindend ist (BFH 10.6.15, I R 79/13, BStBl II 16, 326).
3.5 Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 2 OECD-MA
Nach Art. 15 Abs. 2 OECD-MA können, ungeachtet des Abs. 1, unter bestimmten Voraussetzungen Vergütungen ausschließlich im Ansässigkeitsstaat besteuert werden. Art. 15 Abs. 2 OECD-MA hebelt daher als Rückausnahme das Tätigkeitsortsprinzip nach Art. 15 Abs. 1 S. 2 OECD-MA unter drei kumulativen Voraussetzungen aus.
Der Gesetzgeber hat bei der Formulierung des § 50d Abs. 12 EStG explizit an Art. 15 Abs. 1 S. 2 OECD-MA angeknüpft. Dies bedeutet aber, dass die retrospektive Betrachtungsweise für die Zuteilung des Besteuerungsrechts nur dann anzuwenden ist, wenn eine der Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 OECD MA nicht erfüllt ist. Im Umkehrschluss lässt sich nach Auffassung der Verfasser der Standpunkt vertreten, dass unbeachtlich des § 50d Abs. 12 S. 1 EStG Abfindungen weiterhin ausschließlich im Ansässigkeitsstaat besteuert werden können, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 OECD-MA kumulativ erfüllt sind („Ungeachtet des Absatzes 1t“).
Insbesondere in Fällen, in denen sich das Besteuerungsrecht im Gastland für die vormalige aktive Tätigkeit ausschließlich aus Art. 15 Abs. 2 Buchst. b) OECD-MA ergab, ist fraglich, ob dies auch für die Abfindung gilt, zumal wenn die Abfindungskosten alleine vom Arbeitgeber im Ansässigkeitsstaat getragen werden und nicht (anteilig) an die vormalige (zeitweilige) Gastgesellschaft weiterbelastet werden. Dies mag eingeschränkt sogar entsprechend bei Fällen des Art. 15 Abs. 2 Buchst. c) OECD-MA gelten, wenn die Abfindungszahlung nicht auch anteilig wirtschaftlich der Betriebsstätte zuzurechnen ist („trägt oder hätte tragen müssen“).
3.6 Lohnsteuerabzug
Sofern eine Reflexwirkung des § 50d Abs. 12 EStG für Zwecke der Einkunftsabgrenzung unterstellt wird, könnte für Arbeitgeber eine inländische Verpflichtung zum Lohnsteuereinbehalt über § 38 Abs. 1 S. 2 EStG hergeleitet werden. Das gilt insbesondere für Arbeitnehmer, die vormalig aus dem Ausland nach Deutschland entsandt worden waren und deren Arbeitsverhältnis nach Rückkehr in ihr Heimatland zu einem späteren Zeitpunkt gegen Erhalt einer Abfindung aufgelöst wird.
In der Praxis wird bei diesen Inbound-Fällen eine Umsetzung jedoch häufig an der mangelnden Information der inländischen aufnehmenden Gesellschaft scheitern. Sind Arbeitnehmer schon lange in ihr Heimatland zurückgekehrt und scheiden Jahre später aus dem dortigen, ausländischen Unternehmen aus, wird i. d. R. weder das ehemalige deutsche Gastunternehmen (trotz der Vermutungsregelung des § 38 Abs. 1 S. 3 EStG), noch die deutsche Finanzverwaltung faktisch Kenntnis von diesem Vorgang und der Abfindungszahlung erhalten. Es stellt sich daher die Frage, ob die Neuregelung nicht an einem Vollzugsdefizit für Inbound-Fälle leidet und daher gleichheitswidrig ist (Art. 3 GG).
4. Zusammenfassung
Im Verhältnis mit Vertragsstaaten, mit denen das anzuwendende DBA vor dem 15.7.14 geschlossen wurde, ist für die Aufteilung des Besteuerungsrechts gemäß § 50d Abs. 12 EStG auf den Zeitraum des gesamten vorhergehenden Beschäftigungsverhältnisses abzustellen. Bei Konstellationen, in denen das vorhergehende Dienstverhältnis als (weitere) Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses innerhalb eines Konzerns zu betrachten ist, kann auf den Zeitraum der Beschäftigung im Konzern abgestellt werden. Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere aus der Berechnung der Abfindungszahlung (maßgebende Dienstjahre).
Sofern das anzuwendende DBA nach dem 14.7.14 abgeschlossen wurde, ist aufgrund der Änderung des OECD-MK 2014 davon auszugehen, dass für die Zuweisung des Besteuerungsrechts ein vergangenheitsbezogener 12-Monats-Zeitraum zugrunde zu legen ist.
In Fällen des Art. 15 Abs. 2 OECD-MA kann weiterhin argumentiert werden, dass das Besteuerungsrecht ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat im Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindungszahlung zusteht. Unklar ist, ob § 50d Abs. 12 EStG eine Reflexwirkung für Zwecke der Einkunftsabgrenzung beinhaltet. In Bezug auf Inbound-Fälle könnte § 50d Abs. 12 EStG an einem Vollzugsdefizit leiden.
Zu den Autoren | StB Matthias Schmitt ist Partner bei PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, People and Organisation, München; StB Erik Muscheites ist Manager bei PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, People and Organisation, Frankfurt am Main.