· Fachbeitrag · Grenzüberschreitende Arbeitnehmertätigkeit
Arbeitnehmer im ausländischen Homeoffice: sozialversicherungsrechtliche Folgen
von RA Maximilian Paff, VBR in Aachen
| Was vor der Coronapandemie eher die Ausnahme war, ist inzwischen vielfach zur Regel geworden: Homeoffice, Remote Working oder Workation werden immer beliebter. Wird der Arbeitnehmer dabei aus dem Ausland tätig, kann das eine Vielzahl steuerrechtlicher Risiken mit sich bringen (vgl. Klumpp/Esteves da Cunha/Richter, PIStB 23, 72 und 100 sowie Mirbach, PIStB 23, 254 ). Auch zu den sozialversicherungsrechtlichen Folgen sind zahlreiche Punkte zu beachten. Dieser Beitrag zeigt u. a., wie in der Praxis ein Wechsel in ein ausländisches (europäisches) Sozialversicherungssystem vermieden werden kann. |
1. Kein Anspruch auf Tätigkeit im Homeoffice
Obwohl das Arbeiten im Homeoffice mittlerweile weit verbreitet ist, hat der Arbeitnehmer ‒ trotz wiederholter Forderungen seitens der Politik ‒ keinen gesetzlichen Anspruch auf ein Tätigwerden im (deutschen oder ausländischen) Homeoffice. Bereits die Tätigkeit im deutschen Homeoffice ist mit zahlreichen rechtlichen Problemen verbunden, wie z. B. der Wahrung von Geheimhaltungs- und Datenschutz oder Arbeits- und Gesundheitsschutz. Daher empfiehlt es sich für Arbeitgeber, entsprechende Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern zu treffen, um sich abzusichern, insbesondere wenn sie Einzelnen oder Teams erlauben, auch im Ausland im Homeoffice zu arbeiten.
Beachten Sie | Bei im Ausland belegenem Homeoffice besteht die Gefahr, dass auch Rechtsvorschriften des jeweiligen Aufenthaltsstaates zu berücksichtigen sind, deren Einhaltung ‒ neben den deutschen Rechtsvorschriften ‒ schwierig bzw. nicht gewährleistet werden kann, sodass dann sogar eine Untersagung der Homeoffice-Tätigkeit im Ausland oder eine Beschränkung auf bestimmte Länder angezeigt sein könnte.
2. Das Tätigkeitsortprinzip als Ausgangspunkt
Ausgangspunkt der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von Arbeitnehmern im europäischen Kontext ist für Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Verordnung (EG) über soziale Sicherheit Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) Nr. 883/2004). Die Verordnung wird durch die Durchführungsverordnung EG (VO) Nr. 987/2009 ergänzt. Die Verordnungen finden auch auf schweizerische Staatsangehörige und für Staatsangehörige der EWR-Staaten (Island, Liechtenstein und Norwegen) Anwendung. Vereinbarungen mit Drittstaaten werden in diesem Beitrag nicht beleuchtet bzw. untersucht.
Ausweislich des Erwägungsgrundes 15 der VO (EG) Nr. 883/2004 ist es erforderlich, Personen, die sich innerhalb der Gemeinschaft bewegen, dem System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats zu unterwerfen. Damit soll vermieden werden, dass sich nationale Rechtsvorschriften kumulieren und sich daraus möglicherweise Komplikationen ergeben. Dabei setzt die VO (EG) Nr. 883/2004 auf das sog. Tätigkeitsortprinzip. Hiernach unterliegen Personen, die in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004 fallen, grundsätzlich nur den Rechtsvorschriften eines Staates (vgl. Art. 11 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004). Die in Art. 11 bis 16 VO (EG) Nr. 883/2004 geregelten Kollisionsnormen stellen die rechtliche Grundlage dafür dar, festzustellen, welches System der sozialen Sicherung in grenzüberschreitenden Sachverhalten Anwendung findet.
3. Ausnahmen vom Grundsatz des Tätigkeitsortprinzips
Ausweislich Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) VO (EG) Nr. 883/2004 gilt, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, auch den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt. Im Ergebnis bedeutet dies grundsätzlich, dass dasjenige Sozialversicherungsrecht des Staates Anwendung findet, in dem der Arbeitnehmer gerade tätig ist.
Da Arbeitnehmer und Arbeitgeber jedoch ein Interesse daran haben, nur einem System der sozialen Sicherheit unterworfen zu sein, begrenzt dieser Grundsatz die europäischen Grundfreiheiten der Dienstleistungs- und Personenverkehrsfreiheit, da Arbeitnehmer von einer Tätigkeit im Ausland abgehalten werden könnten. Die Verordnung sieht daher zwei Ausnahmen vom Grundsatz des Tätigkeitsorts vor: Entsendungen und eine regelmäßige Tätigkeit in zwei oder mehr Mitgliedstaaten.
3.1 Entsendungen (Art. 12 VO (EG) 883/2004)
Wird ein in Deutschland tätiger Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber vorübergehend in einen anderen Mitgliedstaat entsandt, bleibt der eigentlich in Deutschland tätige Arbeitnehmer bei Vorliegen aller Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 in allen Zweigen der deutschen Sozialversicherung versichert.
Beachten Sie | Kern der Entsendung ist ausweislich der Verordnung, dass der Arbeitnehmer auf Weisung seines Arbeitgebers ‒ und nicht auf eigenen Wunsch hin ‒ vorübergehend (grundsätzlich nicht länger als 24 Monate) in einem anderen Mitgliedsstaat seiner vertraglichen Beschäftigung nachkommt.
3.2 Regelmäßige Tätigkeit im Ausland (Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004)
Arbeitet ein Arbeitnehmer regelmäßig von Deutschland aus für einen Arbeitgeber mit Sitz in einem Mitgliedstaat, auf den die VO (EG) Nr. 883/2004 Anwendung findet, und ansonsten bei dem Arbeitgeber im Ausland vor Ort, gilt er gemäß der Verordnung als Person, welche für gewöhnlich ihre Beschäftigung in zwei Mitgliedstaaten ausübt.
Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 regelt in diesem Fall, welchem sozialen Sicherungssystem die Arbeitnehmer zuzuordnen sind. Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, unterliegt
- 1. den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt oder wenn sie bei mehreren Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben, oder
- 2. den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen oder der Arbeitgeber, das bzw. der sie beschäftigt, seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeiten in dem Wohnmitgliedstaat ausübt.
Kennzeichnende Tatbestandsmerkmale des Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 sind damit primär
- eine regelmäßige Tätigkeit in zwei Mitgliedstaaten,
- der Wohnsitz des Arbeitnehmers in einem Mitgliedstaat (es gilt der unionsrechtliche Wohnsitzbegriff ‒ Art. 1 Buchst. j) VO (EG) Nr. 883/2004) und
- die Erbringung eines wesentlichen Teils der Tätigkeit im Wohnsitzstaat bzw. im Sitz des Staats des Arbeitgebers.
Von einer regelmäßigen Tätigkeit in zwei Mitgliedstaaten wird gesprochen, wenn der Arbeitnehmer absehbar und regelmäßig in mindestens zwei Mitgliedstaaten tätig wird. Dies ist anhand einer wertenden Gesamtbewertung aller maßgebenden Faktoren festzustellen (vgl. Art. 14 Abs. 7 S. 2 VO (EG) Nr. 987/2009. Entscheidend ist hierbei, dass die Tätigkeit dauerhaft und nicht nur vorübergehend oder einmalig erfolgt (vgl. Art. 14 Abs. 7 S. 1 VO (EG) 987/2009).
Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitnehmer einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit im Wohnsitzstaat erbringt, ist festzustellen, an welchem Ort der quantitativ erhebliche Teil der Tätigkeit erfolgt (vgl. Art. 14 Abs. 8 S. 1 VO (EG) Nr. 987/2009). Dazu wird unter Berücksichtigung von Arbeitszeit und/oder Arbeitsentgelt insgesamt bewertet, ob die Tätigkeit zu mehr oder weniger als 25 % im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers oder im Sitzstaat des Arbeitgebers ausgeübt wird (vgl. Art. 14 Abs. 8 S. 2, 3 VO (EG) 987/2009).
Beachten Sie | Da sich hier zum Teil schwierige Abgrenzungsfragen ergeben, ist stets eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.
4. Fallgestaltungen und Beispiele
Nachfolgend werden typische Fälle exemplarisch betrachtet, um einen besseren Überblick über die zum Teil komplexe Einzelfallbetrachtung zu bieten.
4.1 Regelmäßige Tätigkeit im Ausland
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Herr A wohnt in Deutschland und wird regelmäßig (mehr als 75 %) in Belgien für die Chocolat SRL (Sitz in Belgien) tätig. |
Nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) VO (EG) Nr. 883/2004 unterliegt Herr A damit dem Sozialversicherungssystem des Landes Belgien, da kein wesentlicher Teil der Tätigkeit im Wohnsitzstaat ausgeübt wird und sich das Sozialversicherungssystem nach dem Sitz des Arbeitgebers bestimmt. Hätte die Chocolat SRL jedoch ihren Sitz in Deutschland, würde deutsches Sozialversicherungsrecht angewendet werden ‒ auch wenn Herr A weiterhin zu mehr als 75 % in Belgien tätig werden würde.
4.2 Regelmäßige Tätigkeit ausschließlich aus dem Homeoffice
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Herr A wohnt in Deutschland und ist für die Chocolat SRL mit Sitz in Belgien tätig. Allerdings erbringt er diesmal seine Tätigkeit ausschließlich aus seinem Homeoffice in Deutschland. |
In diesem Fall unterliegt Herr A ausschließlich dem Sozialversicherungssystem seines Wohnsitzstaates, also Deutschland (vgl. Art. 13 Abs. 1 Buchst. a) VO (EG) Nr. 883/2004). Schließlich erbringt Herr A den wesentlichen Teil (mehr als 75 %) seiner Tätigkeit an seinem Wohnsitz.
4.3 Regelmäßige Tätigkeit in Deutschland und im Ausland
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Diesmal wird der in Deutschland wohnende Herr A für die belgische Chocolat SRL regelmäßig sowohl in Belgien (mehr als 25 %) als auch im deutschen Homeoffice tätig. Grundlage des Beschäftigungsverhältnisses von Herrn A ist eine Fünf-Tage-Woche. |
Um festzustellen, welches Sozialversicherungsrecht anzuwenden ist, ist gemäß Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 und Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009 im Rahmen einer Gesamtbewertung festzustellen, wo der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil seiner Tätigkeit erbringt:
- Wird Herr A demnach an zwei Tagen in der Woche im deutschen Homeoffice und die restlichen drei Tage vor Ort in Belgien tätig, erfolgt die Tätigkeit zu 40 % am Wohnsitz und zu 60 % in Belgien. Damit würde der Arbeitnehmer dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegen, da er einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit im Wohnsitzstaat ausübt.
- Arbeitet Herr A jedoch lediglich einen Tag in der Woche im deutschen Homeoffice und die restlichen vier Tage vor Ort in Belgien, wird er zu 20 % am Wohnsitz und zu 80 % im Ausland tätig. Damit würde er dem Sozialversicherungsrecht in Belgien unterfallen, wo der Arbeitgeber seinen Sitz hat, da der Arbeitnehmer lediglich einen unwesentlichen Teil (weniger als 25 %) seiner Tätigkeit in seinem Wohnsitzstaat erbringt.
MERKE | Herr A bleibt in der deutschen Sozialversicherung versichert, wenn er regelmäßig im deutschen Homeoffice und im Ausland tätig wird, er seinen Wohnsitz in Deutschland hat und dort mindestens 25 % seiner Tätigkeit erbringt oder weniger als 25 % seiner Tätigkeit an seinem Wohnsitz in Deutschland erbringt, aber der Sitz des Arbeitgebers in Deutschland liegt. |
4.4 Sonderfall: Kurzfristige und lediglich vorübergehende Tätigkeit im Ausland auf Wunsch des Arbeitnehmers (Workation)
Bei zahlreichen Arbeitnehmern besteht der Wunsch, spontan für wenige Tage/Wochen in einer Ferienwohnung, zu Hause bei den Eltern oder im Anschluss an den Sommerurlaub im Ausland zu arbeiten (Workation). Allerdings wurde dieses Phänomen vom europäischen Gesetzgeber seinerzeit nicht berücksichtigt. Denn Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 findet auf den Fall der Workation keine Anwendung, da der Arbeitnehmer auf eigenen Wunsch hin im Ausland tätig werden möchte und nicht durch den Arbeitgeber dazu veranlasst wird. Bei der Prüfung des Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004 dürfte es in den meisten Fällen an der Regelmäßigkeit fehlen, da der Arbeitnehmer lediglich vorübergehend bzw. möglicherweise sogar nur einmalig im Ausland tätig wird.
Hieraus würde folgen, dass die Anwendbarkeit des Sozialversicherungsrechts in diesen Fällen nach Art. 11 VO (EG) Nr. 883/2004 zu bestimmen wäre. Demzufolge ist dasjenige Sozialversicherungsrecht des Staates anzuwenden, von dem aus der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausübt (vgl. Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) VO (EG) Nr. 883/2004). Dies würde aber wiederum im Ergebnis bedeuten, dass der in Workation tätige Arbeitnehmer zwei Sozialversicherungssystemen unterliegt (so auch Hidalgo/Ceelen, NZA 21, 19 [22,23]).
PRAXISTIPP | Da dieses Ergebnis der Grundidee der VO (EG) Nr. 883/2004 widerspricht, wird in der Literatur empfohlen, im Vorfeld beim GKV-Spitzenverband (Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung ‒ Ausland (DVKA)) eine Ausnahmeregelung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 zu beantragen (so auch Bonanni/Rindone, ArbRB 21, 307), bevor die Workation eines Arbeitnehmers genehmigt wird. Marginale Tätigkeiten (weniger als 5 % der Gesamtjahrestätigkeit i. S. d. Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004) seien bei der Bestimmung des Tätigkeitsortes grundsätzlich irrelevant (vgl. zu alldem eingehend Hidalgo/Ceelen, NZA 21, 19 [22 f.] sowie auch Grimm/Schwanke, DB 23, 1412 [1416]). |
In einem Leitfaden des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Homeoffice bei Grenzgänger:innen ‒ Änderungen ab 1.7.23; s. www.iww.de/s8557) führt das Ministerium wie folgt aus: „Arbeitet eine Person ausnahmsweise für einen begrenzten Zeitraum ausschließlich von zu Hause oder einem anderen Ort (z. B. Ferienhaus) aus für einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat/EWR-Staat oder der Schweiz ansässigen Arbeitgeber und ansonsten vor Ort bei ihrem Arbeitgeber (z. B. in dessen Büro), gilt bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004. Es liegt also eine sozialversicherungsrechtliche Entsendung der betreffenden Person vor, so dass das Recht der sozialen Sicherheit des gewöhnlichen Beschäftigungsstaates weiter anwendbar bleibt.“ Hierbei verweist das BMAS auch auf die FAQ des GKV-Spitzenverbandes (DVKA). Dort heißt es, dass allein die Tatsache, dass eine Beschäftigung in einem anderen Staat aufgrund eigener Initiative der abhängig beschäftigten Person ausgeübt wird, eine Entsendung im Sinne Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht zwingend ausschließt. Erforderlich ist, dass das Direktionsrecht des Arbeitgebers weiterbesteht. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber mit der vorübergehenden Auslandstätigkeit einverstanden ist, er die von dem Arbeitnehmer erbrachte Leistung entgegennimmt und er die Vergütung fortbezahlt.
PRAXISTIPP | Inwiefern die Position des BMAS haltbar sein dürfte, wird sich zeigen müssen, da sich die Workation dogmatisch nicht unter Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 subsumieren lässt. Da es aber auch in den FAQ der DVKA heißt, dass bei einer Workation eine Entsendung in Betracht kommen „kann“, erscheint es aus Unternehmenssicht weiterhin empfehlenswert, solche Fälle einer verbindlichen Klärung herbeizuführen und eine Ausnahmeregelung gemäß Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 durch den Arbeitgeber oder Arbeitnehmer (Art. 18 VO [EG] 987/2009) zu beantragen. Allerdings dürfte mittelfristig abzuwarten sein, wie sich im Sonderfall der Workation die Verwaltungspraxis entwickelt. |
4.5 Sonderfall: Homeoffice während der Coronapandemie und Anschlussbestimmungen
Aufgrund der coronabedingten Kontakt- und Reisebeschränkungen gab es für grenzüberschreitende Sachverhalte der mobilen Arbeit bis zum Juni 2023 Ausnahmevorschriften. So unterlagen z. B. in Belgien wohnhafte deutsche Grenzpendler nach Deutschland, die bei einem deutschen Arbeitgeber beschäftigt sind, weiterhin der deutschen Sozialversicherung, auch wenn sie während der Pandemie im Homeoffice mehr als 25 % der Tätigkeit an ihrem Wohnsitz verrichteten.
Da sich während der Pandemie die Realitäten und der Umfang der mobilen Arbeit stark ausgeweitet haben, dürften sich hier insbesondere bei Grenzpendlern Probleme ergeben, da diese (mittlerweile) möglicherweise über der 25 %-Schwelle liegen: Demnach wäre belgisches Sozialversicherungsrecht anwendbar (Wohnsitz in Belgien sowie Tätigkeit von mehr als 25 % in Belgien), was viele Grenzpendler in diesem Fall vermeiden möchten. Ausweislich Art. 16 VO (EG) Nr. 883/2004 könnten dann im Interesse von betroffenen Personen Ausnahmen von den vorgenannten Regelungen beim GKV-Spitzenverband (DVKA) vereinbart und dort beantragt werden.
Ob einem Antrag stattgegeben wird, steht stets im Ermessen der zuständigen Stelle. Allerdings haben zahlreiche Mitgliedstaaten auf die geänderten Realitäten hinsichtlich des mobilen Arbeitens reagiert und sich auf eine Rahmenvereinbarung verständigt (Cross-border telework in the EU, the EEA and Switzerland unter www.iww.de/s8679). Hiernach wird Anträgen auf Ausnahmevereinbarungen für bis unter 50 % Homeoffice im Wohnstaat immer zugestimmt, sofern die Tätigkeit für einen oder mehrere Arbeitgeber mit Sitz in einem Mitgliedstaat als auch von zu Hause aus im Wege der grenzüberschreitenden Telearbeit erfolgt.
MERKE | Damit kann ein in Belgien wohnhafter deutscher Grenzpendler nach Deutschland durch Beantragung einer Vereinbarung weiterhin der deutschen Sozialversicherung zugeordnet werden, selbst wenn er regelmäßig 40 % seiner Tätigkeit im belgischen Homeoffice verrichtet. Details können in den FAQ auf der Website der DVKA eingesehen werden. |
5. Verwaltungstechnische Hinweise
Damit es bei einer grenzüberschreitenden Tätigkeit nicht zu Unstimmigkeiten mit den Sozialversicherungsanstalten kommt, gilt es zur Vermeidung „böser Überraschungen“ auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zudem einige formelle Aspekte zu beachten.
5.1 Anzeigeverfahren bei regelmäßiger Tätigkeit im Ausland bei der DVKA
Art. 16 VO (EG) Nr. 987/2009 bestimmt, dass ein Arbeitnehmer, der in mindestens zwei Mitgliedstaaten eine Tätigkeit ausübt, diese dem zuständigen Sozialversicherungsträger seines Wohnsitzes mitteilt, um feststellen zu lassen, welchem Sozialversicherungssystem er unterliegt. Für in Deutschland wohnende Arbeitnehmer ist das die DVKA. Im Anschluss wird festgestellt, welchem Sozialversicherungssystem der Arbeitnehmer unterliegt.
Beachten Sie | Dies gilt nach der hier vertretenen Auffassung zum jetzigen Zeitpunkt ‒ ungeachtet des Leitfadens des BMAS und der FAQ der DVKA ‒ auch im Falle lediglich kurzfristiger und vorübergehender Tätigkeiten im Ausland im Rahmen einer Workation (so auch Hidalgo/Ceelen, NZA 21, 19 (21)).
5.2 A1-Bescheinigung
Wird ein Arbeitnehmer im Ausland tätig, ohne dessen Sozialversicherungssystem zu unterliegen, ist der jeweilige Arbeitgeber verpflichtet, eine sog. A1-Bescheinigung bei der DVKA für diesen Zeitraum zu beantragen. Dies gilt sowohl in Fällen der Entsendung als auch in Fällen der regelmäßigen Tätigkeit im Ausland. Denn Zweck der A1-Bescheinigung ist es, nachzuweisen, welches System der sozialen Sicherung auf ihn Anwendung findet.
MERKE | Nichts anderes gilt in Fällen der Workation, wozu auch das BMAS in seinem Leitfaden rät. |
6. Zusammenfassung und Hinweise
Nach alldem zeigt sich, dass eine Tätigkeit des Arbeitnehmers im ausländischen Homeoffice ‒ und sei es nur im Rahmen einer Workation ‒ zu komplexen Fragen des nationalen und europäischen Kollisionsrechts bzgl. des anwendbaren Sozialversicherungsrechts führt. Schon die Feststellung, welches Sozialversicherungsrecht Anwendung findet, ist mitunter im Vorfeld nicht rechtssicher zu beantworten. Auch eine nur vorübergehende Tätigkeit im Ausland führt dazu, dass vom Arbeitgeber möglicherweise die im Ausland geltenden (arbeits-)rechtlichen Bestimmungen einzuhalten sind. Die Kontrolle der Einhaltung der relevanten Arbeitsschutzbestimmungen ist bereits im inländischen Homeoffice schwierig, im Ausland aber nahezu unmöglich.
PRAXISTIPP | Insbesondere die Tätigkeit eines Arbeitnehmers im Rahmen einer Workation ist mit einer Vielzahl von Problemen und Abgrenzungsfragen behaftet. Arbeitgeber sollten sich auch vor dem Hintergrund des nicht zu unterschätzenden Verwaltungsaufwandes genau überlegen, ob es Arbeitnehmern gestattet wird, vorübergehend auf eigenen Wunsch hin im europäischen Ausland tätig zu werden. Hierzu empfiehlt es sich, eine Homeoffice-Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer zu schließen, in der auch Regelungen zur Rechtswahl und zum gewöhnlichen Tätigkeitsort aufzunehmen wären. Damit kann auch sichergestellt werden, dass deutsches Arbeitsrecht anwendbar bleibt. |