· Fachbeitrag · Internationales Erbrecht
Handlungsbedarf aufgrund der neuen EU-Erbrechtsverordnung in der Praxis
von RA FA StR Dr. Marc Jülicher, Bonn
| Für Sterbefälle ab dem 17.8.15 tritt eine neue europäische Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO) in Kraft. Mithilfe der ErbVO soll in erster Linie bestimmt werden, welche Regeln bei grenzüberschreitenden Erbfällen gelten sollen. Das in den Mitgliedstaaten jeweils geltende nationale Erbrecht wird hingegen von der ErbVO direkt nicht beeinflusst. In der Praxis ergeben sich etliche, Konstellationen, bei denen man positive oder negative Folgen des künftig anwendbaren Erbrechts aufgrund der EU-ErbVO erkennen und - wenn möglich - nutzen oder umgekehrt vermeiden sollte. |
1. EU-ErbVO: Einheitliches europäisches Internationales Erbrecht
Durch die Verordnung der Europäischen Union vom 4.7.12 (EU-ErbVO Nr. 650/2012, AB 2012 27.7.12, L 201/107, EU-ErbVO) wird in der Zukunft in der EU das Internationale Erbrecht vereinheitlicht werden. Betroffen sind die internationale Zuständigkeit (Kapitel II, Art. 4 bis 19), das anzuwendende Erbrecht bzw. Erbstatut (Kapitel III, Art. 20 bis 38), die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen (Kapitel IV, Art. 39 bis 58), das europäische Nachlasszeugnis (Kapitel VI, Art. 62 bis 73) und weitere Bereiche.
Örtlich gilt die Neuregelung in allen Mitgliedsstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark, Irland und Großbritannien. Bestehende bilaterale Abkommen der Mitgliedsstaaten mit Drittstaaten bleiben unberührt (Art. 75 EU-ErbVO). Die EU-ErbVO ist seit dem 16.8.12 in Kraft und gilt für alle Todesfälle ab dem 17.8.15 (Art. 83, 84 Abs. 1 EU-ErbVO). Die Verordnung ist aber bereits heute bei der Nachlassplanung zu berücksichtigen.
1.1 Grundregeln
Die Verordnung gilt für die „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 EU-ErbVO). Damit sind alle zivilrechtlichen Aspekte des „Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten“ im Todesfall gemeint und zwar unabhängig davon, ob sich dieser Übergang durch Verfügung von Todes wegen oder im Wege gesetzlicher Erbfolge vollzieht (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) EU-ErbVO). Nicht dazu gehören aber z.B. das materielle Erbrecht, das Erbschaftsteuerrecht, das Güterrecht, das Gesellschaftsrecht und das Recht der Zuwendungen unter Lebenden (Negativkatalog in Art. 1 Abs. 2 EU-ErbVO).
Anstelle der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers (so jetzt noch z.B. in Deutschland, Art. 25 Abs. 1 EGBGB) kommt es künftig nur auf den letzten „gewöhnlichen Aufenthalt“ des Erblassers (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO) an, außer der Erblasser hätte „eine offensichtlich engere Bindung zu einem anderen Staat als dem Aufenthaltsstaat“ (Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO).
Beachten Sie | Daneben kann der Erblasser immer das Recht des Staates wählen, dem er im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Todeszeitpunkt angehört (Art. 22 EU-ErbVO), wenn dieses vom Aufenthaltsrecht abweicht. Die Rechtswahl ist bereits jetzt möglich, also schon vor dem 17.8.15, und wird sogar fingiert, wenn eine letztwillige Verfügung nach dem Heimatrecht errichtet wird (Art. 83 Abs. 4 EU-ErbVO, sog. 2„konkludente Rechtswahl“).
Ferner wird die Nachlassspaltung (derzeit noch anerkannt in Art. 3a Abs. 2 EGBGB) aufgegeben: Dies betrifft zunächst Regelungen etwa von Belgien und Frankreich (nicht von Großbritannien oder Irland, weil hier außenstehend, s.o.), weil diese Staaten für auf eigenem Hoheitsgebiet belegenem Grundbesitz (unbewegliches Vermögen) stets das Lagerecht anwenden. Betroffen ist aber auch die derzeit noch in Art. 25 Abs. 2 EGBGB vorgesehene Rechtswahlmöglichkeit eines Erblassers mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland, nur beschränkt auf deutschen Grundbesitz deutsches Recht zu wählen.
Alle Gesamtverweisungen auch auf das ausländische Kollisionsrecht und ggf. der Rückverweis von dort auf die eigene Rechtsordnung entfallen innerhalb der EU (vgl. derzeit noch Art. 4 Abs. 1 S. 1, 2 EGBGB). Bei Drittstaaten ist die Situation schwieriger. Zunächst soll zwar jeder Staat der EU, sofern Abkommensstaat, die angesprochene ausländische Rechtsordnung hierauf auch anwenden, auch wenn sie die eines Drittstaates ist (Art. 20 EU-ErbVO). Allerdings sollen Rück- und Weiterverweisung durch das IPR eines Drittstaates dann beachtlich sein, wenn sie auf das Recht eines Mitgliedsstaates zurückverweisen (Art. 34 Abs. 1 Buchst. a) EU-ErbVO) oder ein Weiterverweis auf das Recht eines Drittstaates dort angenommen wird (Buchst. b)). Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift dürfte allerdings begrenzt sein (Dörner, ZEV 12, 505, 511), weil bei einem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in einem Drittstaat, der nur so durch Verweisung angesprochen werden kann, es wohl vielfach an der internationalen Zuständigkeit eines Mitgliedsstaatengerichts fehlt (Art. 4 EU-ErbVO).
1.2 Besonderheit: Bindende Verfügungen
Für gemeinschaftliche Testamente, die in einigen Staaten unzulässig sind (MünchKomm/Birk, Art. 26 EGBGB Rz. 97 ff.), wird durch die EU-ErbVO die Anerkennung fingiert (Art. 2 EU-ErbVO). Wenn mehrere Personen als Verfügende betroffen sind, muss das gemeinsame Testament allerdings fiktiv nach jedem der Rechte zulässig sein, die anzuwenden wären, wenn der Tod zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages eingetreten wäre. Das bedeutet, dass in einer deutsch-italienischen Ehe bei Verfügung nur des deutschen Ehepartners Zulässigkeit erreicht wird, nicht aber bei Verfügung beider, weil die bindende Verfügung des italienischen Ehepartners unzulässig wäre.
Achtung | Die Handhabung ist hier im Einzelnen sehr kompliziert: Definitiv überspielt werden kann durch die EU-ErbVO nur ein reines Formverbot eines gemeinsamen Testamentes (dazu Art. 24 EU-ErbVO), z.B. in Frankreich. Hier sollen Unsicherheiten vermieden werden, wer vielleicht in einem handschriftlichen Testament was geschrieben hat und ob beide alles, auch spätere Änderungen etc., gewollt und ggf. unterschrieben haben.
Handelt es sich dagegen um ein materielles Verbot zum Schutz der Testierfreiheit des Testierenden (= Verbot der Bindung), bleibt es endgültig bei dem ggf. zur Nichtigkeit der Verfügung führenden Verbot der hier über Art. 24 EU-ErbVO zu ermittelnden, relevanten Rechtsordnung. Durch einen Statutenwechsel nach Errichtung (Umzug, ggf. Nationalitätswechsel) können sich beim gemeinsamen Testament spätere Änderungen hinsichtlich der Zulässigkeit ergeben.
PRAXISHINWEIS | Beim Erbvertrag ist die Regelung der EU-ErbVO präziser, weshalb er auch dem gemeinsamen Testament bei grenzüberschreitenden Sachverhalten künftig vorzuziehen ist: Nach Art. 25 Abs. 2 1. Unterabs. EU-ErbVO ist das hypothetische Erbstatut des Erblassers entscheidend, bei mehrseitigem Erbvertrag das der engsten Verbindung. Wieder ist eine Rechtswahl denkbar, aber jetzt ist der Zeitpunkt der Errichtung maßgeblich. Hier hilft aber oft, gerade in Ehen mit verschiedenen Nationalitäten beider Eheleute, dass jedes Staatsangehörigkeitsrecht eines der beiden Vertragschließenden bzw. Verfügenden gewählt werden darf - aber nur für die Zulässigkeit der Errichtung eines Erbvertrages mit Bindungswirkung beider (Art. 25 Abs. 3 EU-ErbVO). Ein späterer Statutenwechsel ist diesmal unerheblich. Es bleibt aber dabei, dass ein materielles Verbot zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers eine bindende Verfügung über seinen Nachlass sperrt (Art. 25 Abs. 2 EU-ErbVO), wenn das betreffende Recht nicht durch die Kriterien des Art. 25 EU-ErbVO in seiner internationalen Anwendbarkeit ausgeschaltet werden kann. |
2. Wichtige Beratungssituationen bei künftiger Anwendung der EU-ErbVO
Letztlich können durch die EU-ErbVO verursachte Veränderungen positiv oder negativ für den Steuerpflichtigen sein. Kritisch ist aber insbesondere, dass z.B. auch für deutsche Staatsangehörige, die im Ausland leben, durch die EU-ErbVO immer auch das Aufenthaltsrecht eines ausländischen Staates anwendbar wird, auch dann, wenn dieser ausländische Staat gerade gegenüber dem deutschen Recht strengere erbrechtliche Regelungen kennt. Durch das Entfallen der Nachlassspaltung können künftig auch Verfügungen unwirksam werden, die bei in Deutschland ansässigen deutschen Staatsangehörigen derzeit gerade im Vertrauen auf das ausländische Recht des Spaltnachlasses gemacht werden. In beiden Fällen können sich aufgrund der veränderten zivilrechtlichen Einstufung auch unerwartete Steuerfolgen ergeben.
2.1 Der erstmals unwirksame Erbvertrag
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Ein deutscher Staatsangehöriger lebt ganz überwiegend in Madrid/Spanien. Mit seiner Ehefrau, ebenfalls deutsche Staatsangehörige, möchte er einen Erbvertrag abschließen. Der Erbvertrag ist im spanischen Recht, jedenfalls im Anwendungsbereich des spanischen Zentralrechts („Codigo Civile“) nichtig. Durch künftige Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt wird spanisches Erbrecht anwendbar. Die daraus folgende Nichtigkeit eines Erbvertrages im spanischen Recht konnte bislang auch nicht durch Auslandsbeurkundung vermieden werden, weil es sich bei dem Verbot in Spanien um ein materielles Verbot zum Schutz der uneingeschränkten Testierfreiheit eines jeden Erblassers handelt. |
Durch die EU-ErbVO wird erstmals das Problem geschaffen, dass deutsche Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland dem Ortsrecht am Aufenthaltsort unterworfen werden. Bislang war - ohne Nachlassspaltung oder den seltenen Staatsangehörigkeitswechsel - weiterhin für sie das deutsche Recht ihrer Staatsangehörigkeit maßgeblich, aus deutscher Sicht ohnehin, aus ausländischer Sicht zumeist im kritischen romanischen Rechtskreis. Durch den Wechsel des Kriteriums entsteht somit zunächst die Problematik. Doch durch die allgemeine Rechtswahl nach Art. 22 EU-ErbVO gibt die EU-ErbVO den Beteiligten dann wieder die Möglichkeit, ihr Staatsangehörigkeitsrecht zu wählen und damit auch die Zulässigkeit des Erbvertrages zu sichern.
Beachten Sie | Nur durch die Rechtswahl nach Art. 22 EU-ErbVO können überdies die weiteren Einschränkungen eines romanischen Rechts, z.B. des spanischen Rechts, umgangen werden, die nicht mit der Errichtung der Verfügung zusammenhängen: Allein durch einen Umzug, z.B. nach Spanien, Italien etc. könnte sonst eine Reihe aus dem deutschen Recht vertrauter Regelungen (Vor- und Nacherbschaft, Dauertestamentsvollstreckung) nichtig werden, weil sie in Spanien unzulässig sind.
2.2 Der erstmals wirksame Erbvertrag
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Ein deutscher Staatsangehöriger und seine portugiesische Ehefrau leben beide in Lissabon/Portugal. Ein Erbvertrag war ihnen bislang bei wechselseitigen Verfügungen verwehrt, weil er im portugiesischen Recht wegen Verstoßes gegen die Testierfreiheit materiell verboten ist. Das portugiesische Recht durfte aber, außer ggf. beschränkt (Art. 25 Abs. 2 EGBGB) für deutschen Grundbesitz und ohne Anerkennung in Portugal, nicht abgewählt werden. Da wechselseitige Verfügungen sich bedingen, „kippt“ im Zweifelsfall, wenn einer die Bindung nicht eingehen darf, auch jede bindende Verfügung des Anderen. |
Hier tritt durch die EU-ErbVO in Zukunft eine Verbesserung ein: Für Erbverträge (Art. 25 Abs. 3 EU-ErbVO) wird erstmals möglich sein, unabhängig vom materiell anwendbaren Erbrecht eine solche bindende Verfügung dann anzuerkennen, wenn sie nach dem Errichtungsstatut zulässig ist. Im Beispiel, in dem beide Erblasser verschiedene Staatsangehörigkeiten und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Portugal haben, kann deshalb der Erbvertrag dann anerkannt werden, wenn er nach dem Recht nur eines der beiden Staatsangehörigen rechtswirksam ist. Für den deutschen Staatsangehörigen wäre der Erbvertrag in Deutschland (vgl. §§ 2274 ff. BGB) unproblematisch zulässig.
MERKE | Das „Neue“ an der EU-ErbVO ist, dass erstmals auch der ausländische Staatsangehörige für die Errichtung des Erbvertrages das deutsche Recht wählen darf. Die Zulässigkeit und die Bindungswirkungen sind daher für beide erreichbar. |
2.3 Das plötzlich relevante dingliche Noterbrecht mit Verfügungssperre
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Bei einem gemeinsam in Deutschland lebenden Ehepaar, beide Deutsche, wird ein Partner beruflich auf Dauer nach Rom versetzt. Er verbringt dort übers Jahr gerechnet fast 250 Tage und hält sich neben Urlauben nur ca. 80 Tage am Familienwohnsitz in Deutschland auf. |
Der gewöhnliche Aufenthalt des beruflich nach Rom versetzten Ehepartners dürfte höchstwahrscheinlich in Italien liegen. Italien kennt das sog. dingliche Noterbrecht. Dabei wird nicht wie in Deutschland ein Pflichtteil in Geld unter Bewertung des Nachlasses ausgezahlt (§§ 2303, 2311 BGB), sondern der Noterbberechtigte kann sich durch sog. Herabsetzungsklage in die Erbengemeinschaft zum Miterben einklagen (Art. 457 Abs. 3, 553 CC). Anschließend hat er die Kontrollrechte eines Erben, auch betreffend zurückliegende Verfügungen z.B. eines Bevollmächtigten. Viel wichtiger ist aber, dass er als Mitglied der Erbengemeinschaft Verfügungen über den Nachlass sperren kann.
Hinweis | Das Noterbrecht ist überdies auch bei deutschen Gerichten durchsetzbar, wenn ausländisches Erbrecht mit Noterbrecht im internationalen Verhältnis anwendbar ist. Denn es ist dem deutschen Recht nicht wesensfremd (vgl. MünchKomm./Birk, 5. Aufl., Bd. 10, 2013, Art. 25 Rz. 227).
In vielen Fällen besteht deshalb die Möglichkeit, dass ein potenziell Noterbberechtigter, z.B. ein Kind aus einer früheren Ehe oder auch ein nichteheliches Kind, zu dem kein Kontakt besteht, sich auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in einem Staat mit Noterbrecht beruft und anschließend gegen ein Erbzertifikat, z.B. auch einen deutschen Erbschein, Protest einlegt.
PRAXISHINWEIS | Das Erpressungspotenzial des potenziellen Noterbberechtigten ist leicht vorstellbar. In diesen Fällen ist eine Rechtswahl zum Staatsangehörigkeitsrecht dringend empfehlenswert, um eine „noterbrechtslastige“ Rechtsordnung abzuwählen. |
2.4 Neue Freiheiten durch Umzug in einen Staat des anglo-amerikanischen Rechtskreises
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Der deutsche Erblasser mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland möchte ein Kind enterben und am liebsten auch den Pflichtteil vermeiden. |
Bislang war ein Wohnsitzwechsel des Erblassers bei Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit aus deutscher Sicht völlig bedeutungslos. Nunmehr kann der Erblasser allein durch den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts in einen pflichtteilsfreien Staat das Pflichtteilsrecht auch aus deutscher Sicht vermeiden. Grenzfälle werden dann gegeben sein, wenn der Wechsel ausschließlich zur Pflichtteilsvermeidung und ggf. auch kurz vor dem Tod erfolgt („Rechtsmissbrauch“, vgl. MünchKomm./Sonnenberger, 5. Aufl., Band 10, 2010, Art. 4 EGBGB Rz. 746 ff.).
Dabei muss der Wohnsitzwechsel, z.B. nach London, aber vollständig vollzogen werden, höchstwahrscheinlich unter Aufgabe des bisherigen deutschen Wohnsitzes. Denn da etwa Großbritannien mangels Akzeptanz der EU-ErbVO als „Drittstaat“ i.S.d. EU-ErbVO aus deutscher Sicht gilt, gelten weiterhin Gesamtverweis und Rückverweis. Da somit das britische bzw. ggf. englische oder schottische Recht maßgeblich ist, muss der dort generell sehr starke Geburtswohnsitz (domicile of origin) vollständig aufgegeben sein, damit der neu gewählte Wohnsitzes (domicile of choice) relevant wird (ebenso Wälzholz, IWB 2013, 613, 619; zum englischen Domicile-Begriff auch Staudinger/Hausmann, 2013, Art. 4 EGBGB Rz. 24).
MERKE | Da der gewöhnliche Aufenthalt in einem anglo-amerikanischen Staat zu mehr Gestaltungsfreiheit für den Erblasser führt, auch über das dadurch vermeidbare Pflichtteilsrecht hinaus, kann der Umzug - sinnvollerweise dann ohne Rechtswahl - vorteilhaft sein. Das betrifft etwa Trusts, z.B. nach englischem Recht geltende, rechtliche Beschränkungen in Deutschland, daneben bei Testamentsvollstreckung oder Vor- und Nacherbschaft die geltenden 30-Jahres-Höchstfristen (vgl. § 2110 BGB oder § 2109 BGB) u.a. |
2.5 Ende der Pflichtteilsvermeidung allein durch Ausnutzen einer Nachlassspaltung
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Der deutsche Erblasser lebt nur in Köln. Er hat zur Pflichtteilsverminderung gezielt eine wertvolle Immobilie in London gekauft. |
Die Investition eines in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen in Grundbesitz in Großbritannien oder den USA führte bislang zur Pflichtteilsfreiheit in diesem Bereich - auch aus deutscher Sicht. Die pflichtteilsfreien Rechtsordnungen für den Spaltnachlass waren auch aus deutscher Sicht anwendbar (Art. 3a Abs. 2 EGBGB). Mit Entfallen der Nachlassspaltung wird jedenfalls ein deutsches Gericht auch an diesem Vermögen einen Pflichtteil zusprechen und ggf. die Vollstreckung in deutsches Vermögen zulassen, auch wenn im Ausland ein solcher Anspruch an dem dort belegenen Vermögen voraussichtlich nicht vollstreckbar wäre. Aus deutscher Sicht ist dieses Ergebnis allein durch ein verändertes Investitionsverhalten nicht vermeidbar. Es soll eben nach der EU-ErbVO nur noch ein einziges Erbrecht gelten, das sich ausschließlich über persönliche Merkmale wie den gewöhnlichen Aufenthalt oder die Staatsangehörigkeit, nicht aber durch Belegenheit von Vermögen bestimmen kann.
PRAXISHINWEIS | Soll im Beispielsfall keine Änderung im persönlichen Bereich stattfinden, bleiben deshalb nur die innerstaatlichen Möglichkeiten, das Pflichtteilsrecht zu vermeiden, etwa durch vorherige Schenkungen in den Grenzen des § 2325 BGB oder durch nicht als Schenkung qualifizierte, gesellschaftsrechtliche oder ggf. güterrechtliche Gestaltungsmaßnahmen. |
2.6 Erstmalige Unzulässigkeit von Trusts
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Der deutsche Erblasser lebt in Deutschland und hat für eine britische Immobilie vorsorglich einen Nachlasstrust für seinen Todesfall errichtet. |
Hintergrund | Trusts, also Treuhandverhältnisse mit oft dinglicher Eigentumsspaltung zwischen dem Trustee bzw. Verwalter (legal owner) und dem Begünstigten (equitable owner), sind im anglo-amerikanischen Rechtskreis wichtige Gestaltungsmittel. Ihr Sinn liegt auch häufig darin, dass Restriktionen bei der Vermögensverwaltung z.B. bei minderjährigen Erben, dadurch vermieden werden können, dass die Minderjährigen als Begünstigte eines Trusts nicht Volleigentümer werden und der Minderjährigenschutz so nicht eingreift.
Aus deutscher Sicht können Trusts zunächst zivilrechtlich in zwei Bereichen Schwierigkeiten auslösen:
- An deutschem Vermögen ist der Trust regelmäßig sachenrechtlich nicht zulässig, weil die dingliche Eigentumsspaltung dem deutschen Sachenrecht wesensfremd sein soll (BGH 13.6.84, IVa ZR 196/82, RIW 85, 145, 156; vgl. Jülicher, in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Stand 2014, § 2 Tz. 118).
- Auch erbrechtlich ist wegen abschließender Aufzählung der Gestaltungsmöglichkeiten („Numerus Clausus“) ein Trust nicht bei Geltung deutschen Erbrechts anzuerkennen und ggf. in Erbschaftserwerb, Dauertestamentsvollstreckung, Vor- und Nacherbschaft etc. umzudeuten (KG 3.4.12, 1 W 575/11, ZEV 12, 593; dazu von Oertzen/Stein/Reich, ZEV 13, 109).
Durch die EU-ErbVO ändert sich mit Aufgabe der Nachlassspaltung aus EU-Sicht, dass ein Trust bei Anwendbarkeit deutschen Erbrechts zivilrechtlich nicht mehr anzuerkennen ist, auch wenn aus ausländischer Sicht (z.B. in Großbritannien oder den USA) aufgrund dort selbstverständlich fortgeltender Nachlassspaltung das ausländische Recht gilt, der Trust dort erbrechtlich zulässig ist und auch entsprechend abgewickelt wird.
Wichtig | Das kann auch Steuerfolgen im ErbStG haben: Da der Erblasser oder Schenker derzeit bei Übertragung auf den Trust die deutsche Steuerpflicht auslöst (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 ErbStG), wird ein Trust zumeist aus steuerlichen Gründen nicht gewählt werden, selbst wenn er grundsätzlich anzuerkennen wäre. Denn die ohne Anwendung des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG greifende Steuerklasse III für Nichtverwandte macht diese Gestaltung wirtschaftlich uninteressant.
Bei einem Sterbefall nach dem 16.8.15 wäre der Trust aus deutscher Sicht unwirksam und in deutsche, erbrechtliche Regelungen des BGB umzudeuten. Diese führen regelmäßig zur Anwendbarkeit der „Verwandtensteuerklasse“ I, zumindest gegenüber Ehepartnern und Abkömmlingen in gerader Linie. Die ungünstige Besteuerung des Trusts in Steuerklasse III wird gerade ausgeschaltet. Dennoch bleibt der Trust im Ausland wirksam und an ihn im Ausland ggf. anknüpfende begünstigende Steuerfolgen dort bleiben erhalten.
2.7 Erstmalige Zulässigkeit von Trusts
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Der deutsche Erblasser, seit über 40 Jahren mit ausschließlichem Wohnsitz in Großbritannien, hat einen in Großbritannien anerkannten Trust für eine britische Gesellschaftsbeteiligung errichtet. Begünstigter ist ein in Deutschland lebendes Kind, insbesondere bei Auflösung des Trusts. |
Unabhängig von der Handhabung in Großbritannien galt bislang in Deutschland, wegen Abstellens auf seine deutsche Staatsangehörigkeit, dass der Trust erbrechtlich nichtig ist und ggf. in Dauertestamentsvollstreckung, Vor- und Nacherbschaft etc. umzudeuten ist. In allen Fallkonstellationen wäre es zu einer Sofortbesteuerung des in Deutschland ansässigen Begünstigten als unmittelbarer Erwerber aus dem Nachlass im Todeszeitpunkt gekommen.
Nach der EU-ErbVO gilt bei einem Sterbefall ab dem 17.8.15, das allein aufgrund des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers der Trust nun auch aus deutscher Sicht erbrechtlich zulässig wird. Wenn es nicht aus anderen Gründen in einem Sonderfall zu einer Transparenz kommt, löst der Trust beim Tod des Erblassers trotz des Wohnsitzes des Begünstigten in Deutschland keine Steuern aus. Zieht der Begünstigte bis zur Ausschüttung des Vermögens aus dem Trust ins Ausland (ggf. 5-Jahresfrist des § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 Buchst. b)ErbStG beachten!), kann das Vermögen ihm später ggf. steuerfrei ausgeschüttet werden.
3. Zusammenfassung
Die EU-ErbVO mit ihrem Wechsel vom allein maßgeblichen Recht nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers hin zum Recht nach dem gewöhnlichen Aufenthalt und mit Aufgabe der Nachlassspaltung führt in vielen Fällen zu Änderungen hinsichtlich des anwendbaren Erbrechts. Durch die Unterschiede in den Erbrechten und die Nichtigkeit erbrechtlicher Institute in einem Staat, auf deren Gültigkeit im anderen vertraut wurde, können sich überraschende Ergebnisse zeigen. Im persönlichen Bereich kann durch eine Rechtswahl das Ergebnis oft beeinflusst werden. Die Aufgabe der Nachlassspaltung aus deutscher Sicht ist dagegen nicht durch Gestaltungsmaßnahmen im Vermögensbereich vermeidbar. Hier ist besonders darauf zu achten, dass es nicht zu konträren Ergebnissen in zwei Staaten kommt, die zu Rechtsstreiten geradezu einladen. Auch die deutsche Finanzverwaltung muss in Einzelfällen eine Umqualifikation bei Nichtigkeit einer letztwilligen Verfügung aus deutscher Sicht in ggf. für die konkrete Situation der Beteiligten ungünstigere bzw. umgekehrt günstigere Tatbestände des ErbStG vornehmen.