· Fachbeitrag · Liquidation
Exit Taxation durch Verlegung des Orts der Geschäftsleitung ins Ausland?
von StB Dr. Thomas Loose, International Tax Partner bei der PwC GmbH WPG in Düsseldorf
| Im Fall der Verlegung des Orts der Geschäftsleitung in einen Drittstaat kann § 12 Abs. 3 KStG eine Exit Taxation in Deutschland auslösen. Im Zuge von geplanten gesellschaftsrechtlichen Vorgängen, etwa einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung, werden die entsprechenden steuerlichen Konsequenzen regelmäßig intensiv vorab geprüft. Bei rein faktischen Vorgängen, insbesondere der Verlegung des Orts der Geschäftsleitung ins Ausland, besteht jedoch die Gefahr, dass die steuerlichen Folgen erst im Nachhinein überhaupt entdeckt werden. Anhand von ausgewählten Praxisbeispielen wird der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 KStG nachfolgend erläutert. |
1. Hintergrund
Nicht erst seit den Zeiten (drohender) knapper Kassen infolge der Covid-19-Pandemie, sondern bereits seit vielen Jahren sind der deutsche Fiskus ebenso wie Betriebsprüfer sehr darauf bedacht, bei einer Beschränkung oder gar dem Ausschluss eines inländischen Besteuerungsrechts eine Exit Taxation vorzunehmen. In Deutschland generierte stille Reserven sollen auch in Deutschland besteuert werden. Für diese Zwecke wurden im Laufe der Jahre verschiedene steuerliche Vorschriften geschaffen, allseits bekannte und in der Praxis regelmäßig auch aufmerksam beachtete Beispiele sind insbesondere die verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG) sowie die Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 S. 9 AStG).
Ein weiteres Beispiel für eine deutsche Exit-Taxation-Norm stellt § 12 Abs. 3 KStG dar. Dieser ordnet für verschiedene Konstellationen (§ 12 Abs. 3 S. 1 vs. S. 2 KStG) rechtsfolgenseitig die entsprechende Anwendung von § 11 KStG an, mithin eine Liquidationsbesteuerung.
2. Ort der Geschäftsleitung
Der Ort der Geschäftsleitung ist gemäß § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Dieser befindet sich nach ständiger BFH-Rechtsprechung dort, wo sich nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, abhängig von Struktur und Eigenart des Unternehmens, in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht die wichtigste Stelle befindet, an der dauernd die für die laufende Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden. Die laufende Geschäftsführung umfasst die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen des gewöhnlichen Betriebs des Handelsgeschäfts sowie die zur gewöhnlichen Verwaltung gehörenden Maßnahmen (Tagesgeschäfte), die für Rechnung der Person getroffen werden, deren Ort der Geschäftsleitung zu bestimmen ist. Wo sich der Ort der Geschäftsleitung im Einzelfall befindet, ist mithin eine Tatfrage, die nur durch eine genaue Analyse des jeweiligen Einzelfalls abschließend zu klären ist.
Bei einer Körperschaft ist das regelmäßig dort, wo die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführertätigkeit entfalten. Bei einer Aufteilung in eine kaufmännische und eine technische Leitung kommt es nicht auf die oberste technische Betriebsleitung an, sondern darauf, wo sich das kaufmännische Büro, notfalls auch der Wohnsitz des leitenden Geschäftsführers befindet. Im Einzelfall kann der maßgebende Wille auch von anderen Personen als den gesetzlich Berufenen gebildet werden. Greifen etwa ein Gesellschafter unter Überschreitung seiner Befugnisse oder ein Bevollmächtigter dauernd in den laufenden Geschäftsbetrieb ein, so sind diese als faktische Geschäftsführer anzusehen mit der Folge, dass es für die geschäftliche Oberleitung auf ihre Willensbildung ankommt.
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Geschäftsführer der in München gegründeten B-GmbH sind die in Hamburg wohnende natürliche Person A sowie die in Kalifornien residierende natürliche Person B. Ihre Tätigkeiten beschränken sich auf die Teilnahme an halbjährlich stattfindenden Geschäftsführerversammlungen. Vor Ort in München wird das laufende Tagesgeschäft der B-GmbH durch die Prokuristen, die natürlichen Personen C und D, eigenständig geführt. |
Insbesondere im Falle einer nicht physischen Präsenz von B in Deutschland könnte sich die Frage stellen, ob sich der Ort der Geschäftsleitung der B-GmbH noch im Inland befindet oder in die USA verlagert wurde. Maßgeblich sind vorliegend jedoch nicht die formalen Geschäftsführer A und B, sondern die faktischen Geschäftsführer C und D: Die für das Tagesgeschäft der B-GmbH notwendigen Entscheidungen werden durch diese in München vorbereitet und getroffen, mithin befindet sich der Ort der Geschäftsleitung (weiterhin) in Deutschland.
Abzugrenzen vom Ort der Geschäftsleitung (regelmäßig deckungsgleich mit dem gesellschaftsrechtlichen „Verwaltungssitz“) ist der in § 11 AO geregelte Sitz (gesellschaftsrechtlich: „Satzungssitz“). Diesen hat eine Körperschaft an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung bestimmt ist. Folglich handelt es sich um einen rechtlich eindeutig bestimmbaren Ort, wohingegen die Lage des Orts der Geschäftsleitung aufgrund seiner tatsächlichen Natur im Einzelfall höchst umstritten sein kann.
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Die weltweit operierende Internetbank-AG hat vier Vorstände: Einer der Vorstände ist in Deutschland ansässig und die anderen Vorstände in London, New York und Hongkong. Sie treffen die für das Tagesgeschäft relevanten Entscheidungen, inklusive deren Vorbereitung, im Wege der Videotelefonie gemeinsam von ihren jeweiligen Ansässigkeitsstaaten aus. In welchem Staat befindet sich der Ort der Geschäftsleitung? |
Es ist auf den ersten Blick nicht direkt ersichtlich, in welchem Staat sich der Ort der Geschäftsleitung befindet. Daher ist eine sorgfältige Analyse vorzunehmen, insbesondere unter Berücksichtigung der genauen Aufgaben, welche die einzelnen Vorstände wahrnehmen.
3. Rechtliche Liquidation?
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Der Sitz und Ort der Geschäftsleitung der C-GmbH sind in Aachen belegen. Nunmehr planen die Geschäftsführer jedoch, nach Maastricht zu verziehen und künftig von dort aus das Tagesgeschäft der C-GmbH zu leiten. |
Während der (rechtliche) Sitz der C-GmbH weiterhin in Aachen und mithin im Inland verbleibt, bewirkt der Wegzug des Managements mit anschließender Abwicklung des laufenden Tagesgeschäfts von Maastricht aus, dass der Ort der Geschäftsleitung der C-GmbH in die Niederlande transferiert wird mit der Folge einer doppelt ansässigen Gesellschaft.
Bei einer Verlegung des Orts der Geschäftsleitung ins Ausland ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob aus zivilrechtlicher Sicht eine (tatsächliche) Liquidation der Gesellschaft resultiert. Rechtsfolgenseitig käme es in diesem Fall zu einer Liquidationsbesteuerung i. S. v. § 11 KStG:
- Exit-Besteuerung auf Ebene der C-GmbH unter Berücksichtigung eines Besteuerungszeitraums von bis zu drei Jahren in Form einer Aufdeckung sämtlicher stiller Reserven und einer Versteuerung mit Körperschaftsteuer zuzüglich des Solidaritätszuschlags und der Gewerbesteuer (d. h., insgesamt ca. 30%ige Besteuerung der stillen Reserven).
- Auf Ebene des Gesellschafters kommt es, soweit eine die Anschaffungskosten übersteigende Kapitalrückzahlung vorliegt, zu einem Veräußerungsvorgang. Im Übrigen ist eine Gewinnausschüttung anzunehmen, die bei den Anteilseignern zu einem Zufluss von Kapitalerträgen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG führt.
PRAXISTIPP | Zwar führt die bloße Verlegung des Orts der Geschäftsleitung bzw. des Verwaltungssitzes einer deutschen Kapitalgesellschaft ins Ausland aus deutscher Sicht grundsätzlich nicht zu einer zwingenden Liquidation der Kapitalgesellschaft (§ 4a GmbHG und § 5 AktG fordern seit dem MoMiG nicht länger einen inländischen Verwaltungssitz). |
Nichtsdestotrotz ist dem Steuerpflichtigen bzw. dessen Berater dringend zu empfehlen, für den jeweiligen Einzelfall eine entsprechende Bestätigung des zuständigen Rechtsberaters einzuholen, um unliebsame (auch steuerliche) Überraschungen zu vermeiden. Denn ausnahmsweise kann es durch die Verlegung des Orts der Geschäftsleitung doch zu einer Auflösung und damit zu einer nachteiligen Besteuerung kommen und zwar, wenn sich durch den Wegzug das anwendbare Gesellschaftsstatut ändert. Welches Gesellschaftsstatut konkret Anwendung findet, richtet sich danach, ob Deutschland und der Zuzugsstaat der Sitz- oder der Gründungstheorie folgen. |
Die Sitz- und Gründungstheorie als Ansätze zum deutschen internationalen Gesellschaftsrecht befassen sich mit der Frage, welches Recht zur Anwendung kommen soll, wenn ein gesellschaftsrechtlicher Vorgang die nationalen Rechtsordnungen verschiedener Staaten betrifft:
- Der Sitztheorie zufolge beurteilt sich die Frage nach dem Recht des Staates, in dem sich der Verwaltungssitz der Gesellschaft befindet ‒ ungeachtet dessen, ob die Gesellschaft in einem anderen Staat wirksam gegründet wurde und dort ihren Satzungssitz hat.
- Die Gründungstheorie geht hingegen davon aus, dass die Rechtsordnung desjenigen Staates maßgeblich ist und auch bleibt, wo die Gesellschaft gegründet wurde.
Deutschland folgt für die Frage, welches Gesellschaftsstatut auf Gesellschaften Anwendung findet, grundsätzlich der Sitztheorie. Wenn der Zuzugsstaat die Gründungstheorie anwendet, wird aus deutscher Sicht zunächst auf das Recht des ausländischen Staates verwiesen. Aus Sicht des Zuzugsstaates erfolgt gemäß der Gründungstheorie hingegen ein Rückverweis auf das deutsche Gesellschaftsrecht. Im Ergebnis bleibt das deutsche Gesellschaftsrecht anwendbar, sodass keine rechtliche Zwangsliquidation eintritt. Falls der Zuzugsstaat hingegen der Sitztheorie folgt, ist sowohl aus deutscher als auch aus ausländischer Perspektive das ausländische Recht maßgeblich. Da die Gesellschaft im Zuzugsstaat regelmäßig rechtlich nicht anerkannt wird, besteht ein signifikantes Risiko einer Auflösung der Gesellschaft.
Beachten Sie | Auf Basis der Rechtsprechung des EuGH ist im Verhältnis zu EU-/EWR-Staaten die Gründungstheorie anzuwenden. Im Beispielsfall 3 (Niederlande als Zuzugsstaat) bleibt es somit auch aus deutscher Sicht bei der Anwendbarkeit des deutschen Gesellschaftsrechts, sodass eine Zwangsliquidation vermieden werden kann.
4. Faktische Liquidation
4.1 Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 S. 1 KStG
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„Verlegt eine Körperschaft […] ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz und scheidet sie dadurch aus der unbeschränkten Steuerpflicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat aus, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, gilt sie als aufgelöst, und § 11 ist entsprechend anzuwenden.“ |
Auf der Tatbestandsebene fordert die Norm somit in einem ersten Schritt, dass eine Kapitalgesellschaft ihre Geschäftsleitung und/oder ihren Sitz verlagert. Mithin kann es sich um
- 1. die Verlegung nur des Sitzes,
- 2. die Verlegung nur des Orts der Geschäftsleitung oder
- 3. die Verlegung sowohl des Sitzes als auch des Orts der Geschäftsleitung handeln.
Darüber hinaus muss die Kapitalgesellschaft infolge der jeweiligen Verlegung aus der unbeschränkten Steuerpflicht im EU-/EWR-Raum ausscheiden. Im obigen Beispielsfall 3 wird zwar der Ort der Geschäftsleitung der C-GmbH ins Ausland verlagert, aber infolge des in Aachen verbleibenden Satzungssitzes ist die C-GmbH gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG weiterhin im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, sodass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 3 S. 1 KStG nicht erfüllt werden.
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Die D-GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland vollzieht auf Basis der neueren EuGH-Rechtsprechung einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Luxemburger SARL, mithin werden sowohl der Sitz als auch der Ort der Geschäftsleitung im Zuge der Umwandlung ins Ausland transferiert. |
Dem Wortlaut der Norm des § 12 Abs. 3 S. 1 KStG zufolge reicht es aus, wenn eine Kapitalgesellschaft aus der unbeschränkten Steuerpflicht eines EU-/EWR-Staates ausscheidet. Im Beispiel 4 wäre die Vorschrift demnach tatbestandsseitig erfüllt. Nach zutreffender h. M. im Schrifttum und in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung kann die Vorschrift jedoch nur greifen, wenn die D-GmbH aus der unbeschränkten Steuerpflicht des gesamten EU-/EWR-Raums ausscheiden würde. Das wäre u. a. der Fall, wenn ‒ soweit rechtlich überhaupt möglich ‒ die Gesellschaft in einen Drittstaat statt nach Luxemburg verzieht oder wenn eine in einem Drittstaat gegründete Gesellschaft mit bislang inländischem Ort der Geschäftsleitung diesen in einen Drittstaat verlagert. Die Fälle des Wegzugs bei Fortbestehen einer unbeschränkten Steuerpflicht in einem EU-/EWR-Staat werden bereits dem Grunde nach von der Regelung des § 12 Abs. 1 KStG erfasst ‒ § 12 Abs. 3 S. 1 KStG kann aufgrund der gesetzlichen Regelungsreihenfolge nur eine Spezialregelung zu Abs. 1 darstellen.
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Die US-Corp. mit Sitz in Los Angeles und Ort der Geschäftsleitung in Wien unterhält in Frankfurt eine Betriebsstätte. Durch die Verlegung des Orts der Geschäftsleitung nach Los Angeles scheidet die US-Corp. aus der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich aus. Es sei angenommen, dass Rechtskontinuität besteht und die US-Corp. daher unverändert rechtlich fortbesteht. |
Der Wortlaut des § 12 Abs. 3 S. 1 KStG ist erfüllt, da die US-Corp. aus der unbeschränkten Steuerpflicht in einem EU-Staat (Österreich) ausscheidet. Auch in einem anderen EU-/EWR-Staat besteht keine unbeschränkte Steuerpflicht.
Eine resultierende Aufdeckung und Besteuerung der inländischen stillen Reserven infolge einer durch § 12 Abs. 3 S. 1 KStG fingierten Liquidation ist nach dem Sinn und Zweck der Norm jedoch nicht gerechtfertigt: Denn die US-Corp. ist auch nach der Verlegung des Orts der Geschäftsleitung mit ihren inländischen Betriebsstätteneinkünften unverändert beschränkt körperschaftsteuerpflichtig in Deutschland (§ 2 Nr. 1 KStG i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG und § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Sie unterliegt zudem der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 GewStG), sodass das inländische Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird.
PRAXISTIPP | Ob die Norm des § 12 Abs. 3 S. 1 KStG im Ergebnis greift, ist nicht abschließend gesichert. Zahlreiche Stimmen in der Literatur plädieren für eine teleologische Reduktion des Wortlauts und/oder führen eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung der Vorschrift an. Im Falle signifikanter stiller Reserven in der inländischen Betriebsstätte ist daher vor Verlegung des Orts der Geschäftsleitung die Einholung einer (kostenpflichtigen) verbindlichen Auskunft ratsam, die auch die Prüfung des § 12 Abs. 3 S. 2 KStG (s. hierzu 4.2) umfassen sollte. |
Als Rechtsfolge des § 12 Abs. 3 S. 1 KStG gilt die Kapitalgesellschaft als aufgelöst. § 11 KStG ist entsprechend anzuwenden. Mithin wird eine (steuerliche) Liquidation der Gesellschaft fingiert, bei der die stillen Reserven aufzudecken und zu versteuern sind (Verlegungsgewinn). Der Verlegungsgewinn ist dabei durch einen Vergleich des gemäß § 12 Abs. 3 S. 3 KStG zum gemeinen Wert angesetzten und um steuerfreie Vermögensmehrungen des Gewinnermittlungszeitraums reduzierten Vermögens im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der unbeschränkten Steuerpflicht (Verlegungs-Endvermögen) mit dem zu steuerlichen Buchwerten bewerten Vermögen zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs (Verlegungs-Anfangsvermögen) zu ermitteln.
Höchst umstritten ist, ob sich die fiktive Liquidationsbesteuerung auf die Ebene der Gesellschaft beschränkt oder in Form eines Zuflusses von quellensteuerpflichtigen Kapitalerträgen auch auf die in- bzw. ausländische Anteilseignerebene auswirkt. Die besseren Gründe sprechen m. A. nach dafür, dass keine Besteuerungsfolgen auf Anteilseignerebene resultieren. Zum einen wird die Anteilseignerebene vom Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst (anders z. B. § 12 Abs. 2 S. 2 KStG zu Drittstaatsverschmelzungen oder die umwandlungsbedingte Besteuerung offener Rücklagen nach § 7 UmwStG). § 12 Abs. 3 S. 1 KStG ordnet nur die Auflösung, nicht aber zugleich die (tatsächliche) Abwicklung der Gesellschaft an. Zum anderen mangelt es insbesondere an einem Zufluss von Kapitalerträgen beim Anteilseigner, weshalb insbesondere keine Einkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG entstehen. Die Anwendbarkeit von Entstrickungsregelungen, etwa von § 17 Abs. 5 EStG, sind jedoch auf Anteilseignerebene zu beachten.
4.2 Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 S. 2 KStG
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„Gleiches gilt, wenn die Körperschaft […] auf Grund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung infolge der Verlegung ihres Sitzes oder ihrer Geschäftsleitung als außerhalb des Hoheitsgebiets der in S. 1 genannten Staaten ansässig anzusehen ist.“ |
Wenn zwischen Deutschland und dem Zuzugsstaat ein DBA vereinbart ist, hat grundsätzlich die Prüfung der Tie-Breaker-Regelung (Pendant des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) zu erfolgen. Im Regelfall bestimmt diese Abkommensnorm, dass sich die steuerliche Ansässigkeit einer doppelt ansässigen Gesellschaft nach dem Ort der Geschäftsleitung richtet.
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Sitz und Ort der Geschäftsleitung der E-GmbH befinden sich in Deutschland. Nun wird unter Beibehaltung des Sitzes im Inland eine Verlegung des Orts der Geschäftsleitung nach Brasilien geplant. Es sei angenommen, dass Rechtskontinuität besteht und die E-GmbH daher unverändert rechtlich fortbesteht. |
Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 12 Abs. 3 S. 1 KStG werden nicht erfüllt, da die E-GmbH aufgrund ihres inländischen Satzungssitzes auch nach der Verlegung des Orts der Geschäftsleitung nach Brasilien weiterhin im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. Dieselben Rechtsfolgen, mithin eine steuerlich fingierte Auflösung unter Anwendung des § 11 KStG, ordnet die Vorschrift des § 12 Abs. 3 S. 2 KStG an. Tatbestandlich wird § 12 Abs. 3 S. 2 KStG aber ebenfalls nicht erfüllt, da die E-GmbH zwar ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung verlegt (hier: Verlegung des Orts der Geschäftsleitung nach Brasilien), aber sie hierdurch nicht auf Basis eines DBA als außerhalb des Hoheitsgebiets des EU-/EWR-Raums als ansässig anzusehen ist: Denn zwischen Brasilien und Deutschland besteht aktuell gar kein DBA.
Unter der Annahme, dass ein dem OECD-MA entsprechendes Abkommen zwischen Brasilien und Deutschland bestehen würde, gälte die E-GmbH im Beispiel 6 somit als nur in Brasilien ansässig. Folglich wären die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm des § 12 Abs. 3 S. 2 KStG erfüllt und es würde eine steuerliche Liquidationsbesteuerung auf Ebene der E-GmbH erfolgen.
Beachten Sie | Erneut droht ein überschießender Anwendungsbereich, da die Rechtsfolgen dem reinen Wortlaut nach unabhängig davon greifen, ob die inländischen stillen Reserven auch nach dem Ansässigkeitswechsel im Inland steuerverhaftet bleiben, z. B. im Falle einer inländischen Betriebsstätte.
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Die USA-GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Berlin verlegt den Ort der Geschäftsleitung nach Miami. |
Annahmegemäß besteht die USA-GmbH rechtlich unverändert fort ( Rechtskontinuität), sodass keine echte Liquidation greift. Zwar folgt Deutschland in Bezug auf Drittstaaten grundsätzlich der Sitztheorie, auf Basis des am 29.10.54 abgeschlossenen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags zwischen Deutschland und den USA gilt im Hinblick auf die USA jedoch die Gründungstheorie.
Infolge der weiterhin bestehenden unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht der USA-GmbH in Deutschland kommt § 12 Abs. 3 S. 1 KStG nicht zur Anwendung. Der Blick in die Tie-Breaker-Regelung des DBA-USA zeigt, dass sich die Ansässigkeit nicht automatisch nach dem Ort der Geschäftsleitung richtet, sondern dass die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten sich zu bemühen haben, durch Konsultation den Vertragsstaat zu bestimmen, in dem die Gesellschaft ansässig sein soll. Sofern sich die Behörden nicht einigen können, gilt die Gesellschaft für Zwecke des DBA als in keinem der beiden Vertragsstaaten als ansässig.
§ 12 Abs. 3 S. 2 KStG könnte tatbestandsseitig deshalb nicht erfüllt sein, da die Verlegung des Orts der Geschäftsleitung nicht automatisch bzw. zwingend eine abkommensrechtliche Ansässigkeit außerhalb von Deutschland bzw. der EU/des EWR bewirkt: Nach Art. 4 Abs. 3 DBA-USA bedürfte es zunächst einer Konsultation der deutschen mit den US-Behörden und bei Scheitern einer Einigung wäre die USA-GmbH weder in Deutschland noch in den USA und damit nirgendwo ansässig, mithin auch nicht außerhalb des EU-/EWR-Gebiets.
Beachten Sie | Ähnliche, ein Verständigungsverfahren für Zwecke der Klärung der Ansässigkeit erfordernde Tie-Breaker-Klauseln finden sich z. B. in den DBA mit Mexiko, Kanada oder Japan.
Der Anwendungsbereich von § 12 Abs. 3 S. 2 KStG ist im Beispielsfall 7 aber ohnehin nicht eröffnet. Ursächlich hierfür ist, dass die Tie-Breaker-Regelung des Art. 4 Abs. 3 DBA-USA bereits dem Grunde nach gar nicht zu prüfen ist. Denn diese Regelung würde erfordern, dass die USA-GmbH entsprechend Art. 4 Abs. 1 DBA-USA in beiden Vertragsstaaten ansässig wäre. Zwar ist die USA-GmbH in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig und damit abkommensrechtlich im Inland ansässig, nicht aber in den USA. Denn die USA knüpfen die unbeschränkte Steuerpflicht einer Gesellschaft ausschließlich an den Ort der Gründung, ein in den USA belegener Ort der Geschäftsleitung führt folglich nicht zu einer unbeschränkten US-Steuerpflicht. Somit ist die USA-GmbH nicht in den USA ansässig und keine doppelt ansässige Gesellschaft. Sie ist daher gemäß Art. 4 Abs. 1 DBA-USA eine (ausschließlich) in Deutschland ansässige Person.
MERKE | Die Vorschrift des § 12 Abs. 3 S. 2 KStG ist auch bei Verlegungen des Orts der Geschäftsleitung zwischen ausländischen Staaten zu beachten, etwa im obigen Beispielsfall 5: Verlegung des Orts der Geschäftsleitung einer US-Gesellschaft von Österreich in die USA bei fortbestehender beschränkter Steuerpflicht im Inland. Nicht abschließend gesichert ist, auf welches DBA dabei abzustellen ist (gute Gründe sprechen für dasjenige zwischen Deutschland und dem Zuzugsstaat). Erneut würde sich mangels Ausschlusses bzw. Beschränkung des inländischen Besteuerungsrechts eine (verfassungswidrige) überschießende Besteuerung einstellen. |
Beachten Sie |Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass im Zuge des Brexits Großbritannien und Nordirland ab dem 1.1.21 auch für Zwecke des § 12 Abs. 3 KStG als Drittstaaten (außerhalb des EU-/EWR-Raums) anzusehen sind. Dazu enthält § 12 Abs. 3 S. 4 KStG eine Spezialregelung, wonach allein der Brexit kein Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht im EU-/EWR-Raum bewirken können soll. Diese Regelung hat m. E. nur deklaratorischen Charakter, weil sowohl S. 1 als auch S. 2 des § 12 Abs. 3 KStG eine Kausalität zwischen dem Ausscheiden aus der unbeschränkten Steuerpflicht bzw. der abkommensrechtlichen Ansässigkeit außerhalb des EU-/EWR-Raums und der Verlegung des Sitzes und/oder des Orts der Geschäftsleitung erfordern und der (zeitlich nachgelagerte) Brexit somit ohnehin irrelevant sein sollte.
FAZIT | Die Verlegung des Orts der Geschäftsleitung ins Ausland kann zu nachteiligen Steuerfolgen führen. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob eine tatsächliche Liquidation resultiert, weil die Gesellschaft aus rechtlicher Sicht nicht länger fortbesteht. Anschließend ist insbesondere der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 S. 1 und 2 KStG mit der Rechtsfolge einer fiktiven steuerlichen Liquidation zu untersuchen, wodurch sich (ebenfalls) die Aufdeckung und Versteuerung stiller Reserven ergeben kann.
Darüber hinaus sind stets die allgemeinen Entstrickungsnormen zu beachten, insbesondere § 12 Abs. 1 KStG. Um frühzeitig über eine geplante oder faktisch drohende Verlegung des Orts der Geschäftsleitung informiert zu sein und die entsprechenden steuerlichen Analysen durchführen zu können, sind Steuerabteilungen gut beraten, im Rahmen ihrer TCMS-Systeme Strukturen zu implementieren, die eine rechtzeitige Informationsversorgung gewährleisten. |