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  • · Fachbeitrag · Abkommensrechtliches Diskriminierungsverbot

    Kein Veranlagungswahlrecht für US-Amerikaner mit Wohnsitz in der EU

    von StB Dr. Oliver Schmidt, Hamburg

    | Einem in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen US-amerikanischen Staatsangehörigen steht das Veranlagungswahlrecht gemäß § 50 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b) i. V. m. § 50 Abs. 2 S. 7 EStG auch dann nicht zu, wenn er in einem EU-Staat einen Wohnsitz hat (BFH 3.9.20, I R 80/16, DStR 20, 2853). |

     

    Sachverhalt

    Ein angestellter Opernsänger mit amerikanischer Staatsangehörigkeit ist in den Niederlanden ansässig und übt seine Tätigkeit in Deutschland aus. Einen Wohnsitz hatte der Opernsänger in Deutschland jedoch nicht. Der deutsche Arbeitgeber führte für die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte Lohnsteuer ab. Der Opernsänger beantragte anschließend durch Abgabe einer Steuererklärung eine Veranlagung zur Einkommensteuer. In dieser sog. Antragsveranlagung machte er Werbungskosten im Zusammenhang mit seinen inländischen Einkünften geltend. Das Finanzamt lehnte die Durchführung einer Veranlagung ab.

     

    Anmerkungen

    Der BFH stellte zunächst klar, dass die Voraussetzungen einer Antragsveranlagung nach dem Wortlaut des § 50 Abs. 2 S. 7 EStG nicht erfüllt sind. Der Steuerpflichtige ist kein Staatsbürger eines EU-/EWR-Landes.

     

    • Gesetzlicher Hintergrund

    Veranlagungswahlrecht beschränkt Steuerpflichtiger

    Grundsätzlich gilt die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug an der Quelle (wie z. B. dem Lohnsteuerabzug) als abgegolten (§ 50 Abs. 2 S. 1 EStG). Die abgeltende Wirkung entfällt bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern, wenn der Arbeitnehmer eine Veranlagung beantragt (§ 50 Abs. 2 Nr. 4b EStG). Dieses Veranlagungswahlrecht wird allerdings nur Personen gewährt, die die Staatsangehörigkeit eines EU-/EWR-Staates haben und in einem EU-/EWR Land wohnen (§ 50 Abs. 2. S. 7 EStG). Bei Ausübung des Veranlagungswahlrechts sind die ausländischen, nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte bei der Steuerfestsetzung im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen (§ 32b Abs. 1 Nr. 5 EStG).

     

    Abkommensrechtliches Diskriminierungsverbot

    Gemäß Art. 24 Abs. 1 DBA-USA dürfen Staatsangehörige eines Vertragsstaats im anderen Vertragsstaat keiner Besteuerung unterworfen werden, die belastender ist als die Besteuerung, der Staatsangehörige des anderen Staates unter gleichen Verhältnissen unterworfen sind. Dieses Diskriminierungsverbot gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige ‒ wie im Sachverhalt ‒ in keinem der Vertragsstaaten ansässig, aber deutscher oder US-amerikanischer Staatsbürger ist.

     

    Die spannende Frage war, ob die fehlende Berechtigung zur Inanspruchnahme des Veranlagungswahlrechts einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 24 DBA-USA darstellt und der Opernsänger also nach dieser Vorschrift die Durchführung einer Veranlagung fordern kann.

     

    Zwar wird der Opernsänger einer „belastenderen“ Besteuerung i. S. d. Art. 24 DBA-USA unterworfen. Er wird nämlich wegen seiner amerikanischen Staatsangehörigkeit im Vergleich zu einem beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer mit deutscher Staatsangehörigkeit ungleich (belastender) behandelt. Allerdings muss sich für die Anwendung des Diskriminierungsverbots des Art. 24 DBA-USA der Angehörige des anderen Vertragsstaates in „gleichen Verhältnissen“ befinden wie die hypothetische Vergleichsperson. Daran fehlt es nach Auffassung des BFH im Streitfall, weil das Veranlagungswahlrecht beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer auf die europarechtlich gebotene Arbeitnehmerfreizügigkeit zurückzuführen ist. Und die gilt nicht für US-amerikanische Staatsangehörige.

     

    Der BFH widersprach der Vorinstanz (FG Baden-Württemberg 7.6.16, 6 K 1213/14, EFG 16, 1980), dass dem § 50 Abs. 2 S. 7 EStG keine abkommensbrechende Wirkung zukomme. Dazu müsse der Wille zur Abkommensüberschreibung im Wortlaut der Vorschrift eindeutig zum Ausdruck kommen (z. B. „ungeachtet des Abkommens“) oder durch Auslegung zweifelsfrei zu ermitteln sein.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung zur Reichweite des Diskriminierungsverbots des Art. 24 DBA-USA hat über den speziellen Sachverhalt der Besprechungsentscheidung in der Praxis weitreichende Bedeutung. Das Diskriminierungsverbot entspricht nämlich dem OECD-Musterabkommen (Art. 24 OECD-MA). Dieselbe Regelung wie im DBA-USA ist deshalb in nahezu sämtlichen deutschen DBA vereinbart. Die Entscheidung ist also auch für potenzielle Diskriminierungen anderer Staatsangehöriger von Interesse.

     

    Im deutschen Steuerrecht finden sich weitere Regelungen, die die Gewährung steuerlicher Vorteile nur für Staatsangehörige eines EU-/EWR-Staats vorsehen. Dies gilt z. B. für die Möglichkeit eines unbeschränkt Steuerpflichtigen mit seinem nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Ehepartner zusammen veranlagt zu werden. Die Zusammenveranlagung wird nur gewährt, wenn der unbeschränkt steuerpflichtige Ehepartner Staatsangehöriger eines EU-/EWR-Staats ist (§ 1a EStG). Auch die Stundungsregelungen zur sog. Vermögenszuwachsbesteuerung des AStG knüpfen an eine EU-/EWR-Staatsangehörigkeit an (§ 6 Abs. 5 AStG). Da beide Regelungen ‒ wie § 50 Abs. 2 S. 7 EStG ‒ auf die Gewährleistung europarechtlicher Grundfreiheiten zurückgehen, dürfte die aktuelle Entscheidung auch für das Verhältnis dieser Vorschriften zu den abkommensrechtlichen Diskriminierungsverboten von Bedeutung sein.

     

    PRAXISTIPP | Dem amerikanischen Opernsänger hätte auf einfache Weise der (erfolglose) Weg durch die deutsche Finanzgerichtsbarkeit erspart werden können. Für die Werbungskosten, die er mittels einer Antragsveranlagung geltend machen wollte, hätte er einen Freibetrag als Lohnsteuerabzugsmerkmal beantragen können (§ 39a Abs. 4 Nr. 1 EStG). Er wäre dann verpflichtet gewesen, eine Einkommensteuererklärung abzugeben (§ 50 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a) EStG). Seine ausländischen Einkünfte wären im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt worden (§ 32b Abs. 1 Nr. 5 EStG).

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2021 | Seite 96 | ID 47126598