· Fachbeitrag · DBA-Recht
Abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalt auf ausländische Betriebsstätteneinkünfte
von Prof. Dr. Stephan Peters, Haltern am See
| Sieht eine abkommensrechtliche Switch-over-Klausel vor, dass die Anwendung der Freistellungsmethode bei Betriebsstätteneinkünften unter einem Aktivitätsvorbehalt steht, und verweist auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AStG, erstreckt sich der Verweis nicht nur auf die aktive Grundtätigkeit, sondern es gelten zudem sämtliche in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG aufgestellten Tatbestandseinschränkungen. Die Rückausnahme aus § 20 Abs. 2 S. 2 AStG findet keine Anwendung, wenn der Wechsel zur Anrechnungsmethode aus einer abkommensrechtlichen Switch-over-Klausel folgt und nicht aus § 20 Abs. 2 S. 1 AStG ( BFH 3.7.24, I R 4/21 ). |
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob unter Berücksichtigung abkommensrechtlicher Aktivitätsvorbehalte für Einkünfte aus ausländischen Betriebsstätten (Russland/Rumänien) die Freistellungs- oder Anrechnungsmethode anzuwenden ist und welche Bedeutung § 20 Abs. 2 S. 2 AStG zukommt. Die X-GmbH hatte im Jahr 2004 ihren Sitz und den Ort der Geschäftsleitung im Inland und war unstreitig unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Zu Beginn des Jahres 2004 waren an ihr A zu 70 % und B zu 30 % beteiligt. Aufgrund von Consultingverträgen war die X-GmbH u. a. in Russland und Rumänien tätig.
Der X-GmbH wurden Geschäftsräume zur Verfügung gestellt oder von ihr auf eigene Rechnung angemietet, in denen eigenes Personal (darunter auch Gesellschafter A) beratend tätig wurde. Die X-GmbH erklärte Einkünfte aus ausländischen Betriebsstätten, die sie im Inland unter Anwendung der Freistellungsmethode steuerfrei behandelte.
Das Finanzamt vertrat im Nachgang zu einer Außenprüfung die Ansicht, dass im vorliegenden Fall nicht die Freistellungs-, sondern die Anrechnungsmethode anzuwenden sei. Die hiergegen gerichtete Klage X-KG (als Rechtsnachfolgerin der X-GmbH) blieb vor dem FG Sachsen (15.12.20, 1 K 1469/16) und dem BFH erfolglos.
Entscheidungsgründe
Entgegen der Ansicht der X-KG wird die Doppelbesteuerung im vorliegenden Fall nicht durch Anwendung der Freistellungsmethode, sondern aufgrund der abkommensrechtlichen Switch-over-Klausel durch die Anrechnungsmethode vermieden.
Übersicht / |
DBA-Russland Die Doppelbesteuerung wird gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a) DBA-Russland grundsätzlich durch Freistellung vermieden. Eine Ausnahme normiert Art. 23 Abs. 2 Buchst. c) DBA-Russland für Einkünfte aus Art. 7 (Gewinn aus gewerblicher Tätigkeit) und Art. 10 (Dividenden). Im vorliegenden Fall war Art. 7 DBA-Russland für die in Russland belegene Betriebsstätte anzuwenden. Gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. c) DBA-Russland kommt die Freistellungsmethode nur dann zur Anwendung, wenn die Bruttoerträge der Betriebsstätte ausschließlich oder fast ausschließlich aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG fallende Tätigkeiten erzielt.
DBA-Rumänien Ähnliche Regelungen mit Verweis auf § 8 AStG enthält auch Art. 23 DBA-Rumänien.
Sonstige DBA Außerhalb der streitgegenständlichen DBA-Regelungen enthalten folgende DBA ebenfalls Aktivitätsklauseln:
Die Ausgestaltung der DBA-Regelungen ist dabei unterschiedlich. In „neueren“ DBA (z. B. DBA-Niederlande) wird pauschal auf § 8 Abs. 1 AStG verwiesen, während in anderen DBA noch auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AStG Bezug genommen wird (so auch DBA-China). In einzelnen DBA werden aktive Tätigkeiten ausdrücklich ohne Verweis benannt (vgl. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) DBA-Schweiz). |
Gemäß Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 23 Abs. 2 DBA-Russland und DBA-Rumänien sind Unternehmensgewinne grundsätzlich in Deutschland freizustellen, wenn sie durch eine russische/rumänische Betriebsstätte erwirtschaftet werden. Vorliegend kommt jedoch aufgrund der Switch-over-Klausel im jeweiligen DBA abweichend die Anrechnungsmethode zur Anwendung, weil die X-KG nicht nachweisen konnte, dass die Bruttoerträge in den Betriebsstätten ausschließlich oder fast ausschließlich aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AStG fallenden Tätigkeiten bezogen wurden.
Im konkreten Fall lag ein schädlicher Mitwirkungstatbestand in Gestalt des sog. Bedienungstatbestands gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a) AStG vor, da sich die Betriebsstätten zur Erbringung der Dienstleistung des Gesellschafters A bedienten. Die Vorschrift ist im Hinblick auf die abkommensrechtliche Bedeutung dergestalt auszulegen, dass als „ausländische Gesellschaft“ auch die ausländischen Betriebsstätten einer inländischen Kapitalgesellschaft anzusehen sind. Der Verweis auf die Aktivitätsvorbehalte (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG) erfasst auch die etwaigen Einschränkungen (wie vorliegend § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a) AStG).
Beachten Sie | Die rechtliche Betrachtung von Aktivitätsklauseln in DBA erfordert eine differenzierte Analyse, da diese Klauseln je nach Abkommen unterschiedlich ausgestaltet sind. Ihnen gemein ist, dass die Freistellungsmethode nur bei aktiven Tätigkeiten im Ausland greift, um deutsche Unternehmen vor Wettbewerbsnachteilen zu schützen (vgl. Wassermeyer in: Wassermeyer, Art. 23A OECD-MA Rz. 156).
Wenn ein Aktivitätskatalog direkt im DBA geregelt ist, gilt das DBA-Recht vorrangig. Bezieht sich das DBA hingegen über eine Verweisklausel auf das nationale Recht, umfasst diese Verweisung nicht nur die Art der Tätigkeit, sondern auch etwaige Einschränkungen. Dies gilt insbesondere, wenn ‒ wie hier ‒ auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG verwiesen wird und die Einschränkungen aus dieser Vorschrift hervorgehen.
- a) Verweis auf bestimmte Fassung: Erfolgt im Rahmen des DBA der Verweis in Form einer Bezugnahme auf eine konkrete Fassung, so gilt diese konkrete Fassung. Ein solcher Verweis ist statisch zu verstehen, d. h., spätere Einschränkungen, Erweiterungen oder die Aufhebung der nationalen Vorschrift sind unbeachtlich.
- b) Verweis auf § 8 Abs. 1 AStG: Verweist ein DBA zur Bestimmung der Aktivität auf § 8 Abs. 1 AStG, so handelt es sich um einen „beweglichen“ (Nürnberg in: Haase, AStG/DBA, Art. 23 OECD-MA, Rn. 91) bzw. dynamischen Verweis, d. h., die Vorschrift kommt immer in der jeweils geltenden Fassung zur Anwendung (Nürnberg in: Haase, AStG/DBA, Art. 23 OECD-MA, Rn. 91). Eine Erweiterung wäre hier unproblematisch möglich. Für den Fall der Beschränkung des Aktivitätskatalogs oder der Aufhebung der Norm durch den nationalen Gesetzgeber kann nichts anderes gelten (Nürnberg in: Haase, AStG/DBA, Art. 23 OECD-MA, Rn. 91; a. A. Schönfeld/Häck in: Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Auflage 2019, 1349). Für diese Auslegung spricht, dass die Vertragsstaaten durch eine dynamische Verweisnorm verdeutlichen, dass die Aktivitätskriterien dem nationalen Recht eines Vertragspartners folgen sollen. Hätten die Staaten eine feste Regelung gewollt, wären originäre Aktivitätskriterien oder eine spezifische Fassung des nationalen Rechts festgeschrieben worden. Wird das nationale Recht nach Abschluss des DBA eingeschränkt, wirkt sich diese Einschränkung daher auch auf die DBA-Ebene aus, es sei denn, die Vertragsparteien wollten eine bestimmte Rechtslage als Mindestinhalt festlegen (a. A. Schönfeld/Häck in: Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl. 2019, 1349). Die dadurch entstehende Planungsunsicherheit ist eine unvermeidliche Folge der dynamischen Verweisung und kann nur durch Festschreibung eines bestimmten Rechtszustandes verhindert werden (so auch Kaminski, StuW 07, 275, 279).
- c) Verweis auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AStG und § 8 Abs. 2 a. F. AStG: Fraglich ist, wo die Grenzen für eine dynamische Betrachtung sind und ob insbesondere der Wortlaut der DBA-Regelung eine äußere Grenze bildet (so Schönfeld/Häck in: Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Auflage 2019, 1349). Wird im Rahmen eines DBA auf eine Vorschrift verwiesen (§ 8 Abs. 2 a. F. AStG) und wird diese Regelung später durch eine andere Norm substituiert (§ 8 Abs. 1 Nr. 8 und Nr. 9 AStG), ist die Verweisregelung dynamisch dahin gehend zu verstehen, dass nunmehr § 8 Abs. 1 Nr. 8 und Nr. 9 AStG gilt (Kaminski, StuW 07, 275, 279; a. A. Schönfeld/Häck in: Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Auflage 2019, 1349). Diese Interpretation geht zwar über den Wortlaut der DBA-Regelung hinaus, steht aber weiterhin in Einklang mit den Vereinbarungen der DBA-Staaten. Werden im Rahmen von § 8 Abs. 1 Nr. 8 und Nr. 9 AStG nunmehr neue Regelungen normiert, schlagen auch diese Änderungen auf das DBA-Recht durch, da die Vertragsparteien die Ausgestaltung der Aktivitätsklausel durch die Aufnahme der Verweisregelung und die bewusste Entscheidung gegen originäre Aktivitätskriterien gerade dem nationalen Gesetzgeber in dem jeweiligen Vertragsstaat überlassen wollten. Eine solche Überlassung birgt auch für den jeweils anderen Vertragsstaat nur geringe und daher vertraglich tolerierte Risiken. Für dieses Ergebnis spricht zudem, dass bei einer Überführung von § 8 Abs. 2 a. F. AStG in den Katalog von § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AStG, beispielsweise in Gestalt der Nr. 2a und 2b, die Anwendung im Hinblick auf den Wortlaut unproblematisch möglich wäre.
- Insoweit erscheint es sachgerecht, dem Willen der Vertragsparteien bei Abschluss des Abkommens den Vorrang vor dem Wortlaut des DBA einzuräumen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass nach der Vorstellung der Vertragsparteien nur die zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung maßgebliche Fassung in Gestalt der Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AStG abschließend Anwendung finden soll.
Es ist auch keine Beschränkung der Anrechnungsmethode auf solche Einkünfte geboten, an denen A mitgewirkt hat, es gilt vielmehr das Alles-oder-nichts-Prinzip. Die abkommensrechtliche Regelung sieht eine Anwendung der Anrechnungsmethode vor, „wenn“ die Voraussetzungen erfüllt sind und nicht „soweit“, wie dies beispielsweise im Rahmen von § 20 Abs. 2 S. 2 n. F. AStG geregelt ist.
Die Rückausnahme aus § 20 Abs. 2 S. 2 AStG findet vorliegend keine Anwendung, da die Voraussetzungen für einen abkommensrechtlichen Aktivitätsvorbehalt erfüllt sind und § 20 Abs. 2 AStG insgesamt nicht zur Anwendung kommt.
Relevanz für die Praxis
Mit seiner Entscheidung hat der BFH eine wesentliche Streitfrage über die Reichweite des Verweises auf die Regelungen des § 8 AStG geklärt. Der abkommensrechtliche Verweis bezieht sich ausdrücklich auf die unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AStG „fallenden Tätigkeiten“. Hier sieht der BFH schon unter Verweis auf den Wortlaut der abkommensrechtlichen Regelungen keinen Spielraum für eine einschränkende Auslegung. Eine teleologische Reduktion lehnt der BFH ab, da es an einer gesetzgeberischen Vereinheitlichung der Voraussetzungen für den Switch over fehlt. Auch ein Rückgriff auf die Rückausnahme in § 20 Abs. 2 S. 2 AStG wurde daher ausgeschlossen.
Russland wird infolge des Ukraine-Krieges seit dem 20.12.23 auf der Liste der nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiete i. S. d. § 2 Abs. 1 StAbwG geführt (BGBl I 23, Nr. 375). Damit finden insoweit die Regelungen des Steueroasen-Abwehrgesetzes Anwendung, insbesondere gilt die verschärfte Hinzurechnungsbesteuerung, da die Ausnahmetatbestände des § 8 Abs. 2 bis 4 und § 9 AStG keine Anwendung finden. Die allgemeinen Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung werden in diesem Fall durch die verschärfte Hinzurechnungsbesteuerung nach § 9 StAbwG als lex specialis verdrängt, wobei die Anwendung von § 9 Abs. 2 StAbwG nicht zu niedrigeren steuerpflichtigen Einkünften führen darf (BMF 22.12.23, IV B 5 - S 1340/23/10001 :001, Rn. 201, BStBl I 23, 2).
Für Betriebsstätten ordnet § 9 S. 3 StAbwG einen verschärften Methodenwechsel an, da § 20 Abs. 2 S. 1 AStG in diesem Fall mit der Maßgabe gilt, dass dieser auf sämtliche Einkünfte der Betriebsstätte anzuwenden ist, unabhängig davon, ob es sich um Einkünfte aus einer aktiven oder passiven Tätigkeit handelt und wie hoch der Steuersatz der Russischen Föderation ist. § 20 Abs. 2 S. 2 AStG ist nicht anzuwenden. Dadurch wird sichergestellt, dass bestimmte passive Einkünfte nicht vom Methodenwechsel ausgeschlossen werden. Dass zwischen Deutschland und Russland ein DBA besteht, ist gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 StAbwG unbeachtlich und steht der Anwendung des StAbwG nicht entgegen (vgl. BMF 14.6.24, IV B 5 - S 1308/22/10008 :004, Rz. 95).
FAZIT | Der BFH hat entschieden, dass es für die Auslegung abkommensrechtlicher Verweise auf den abkommensrechtlichen Kontext des Verweises ankommt. Als „ausländische Gesellschaft“ i. S. d. abkommensrechtlichen Verweises auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 AStG gilt demnach auch die ausländische Betriebsstätte einer inländischen Kapitalgesellschaft, da die abkommensrechtliche Regelung ausdrücklich Einkünfte „aus einer Betriebsstätte“ nennt. Insoweit ist es konsequent, dass § 20 Abs. 2 S. 2 AStG im vorliegenden Fall keine Anwendung findet. |