· Fachbeitrag · Kindergeld
Differenzkindergeld für deutschen Grenzgänger
von RA Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg
In einem aktuellen Urteil hat der BFH zum Kindergeldanspruch für Grenzgänger wie folgt entschieden: Unterliegt ein Steuerpflichtiger, der mit seinen Kindern in Deutschland wohnt, wegen einer in den Niederlanden als Grenzgänger ausgeübten abhängigen Beschäftigung gemäß Art. 13 ff. der VO (EWG) Nr. 1408/71 nicht den deutschen, sondern den niederländischen Rechtsvorschriften, dann wird dadurch der nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG bestehende Kindergeldanspruch nicht ausgeschlossen (BFH 18.7.13, III R 51/09, StBW 13, 1002, Abruf-Nr. 133318). |
Sachverhalt
Die in Deutschland lebende alleinerziehende Mutter von zwei Kindern bezog für diese laufend Kindergeld. Im April 2003 nahm sie eine Tätigkeit in den Niederlanden auf. Daraufhin hob die Familienkasse rückwirkend die Kindergeldfestsetzung für eines der Kinder ab Juli 2003 auf und forderte das ausgezahlte Kindergeld zurück. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hatte die Klage vor dem FG teilweise Erfolg. Auf die Revisionen der Mutter und der Finanzkasse hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück, soweit das Kindergeld für ein Kind versagt und zurückgefordert worden war.
Anmerkungen
Nach nationalem Recht enthält § 62 Abs. 1 EStG die Anspruchsvoraussetzungen für Kindergeld. Kindergeld wird nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG allerdings nicht gezahlt, wenn für das Kind im Ausland Leistungen gewährt werden, die dem (deutschen) Kindergeld vergleichbar sind.
In der VO (EWG) Nr. 1408/71 ist unter Titel II in Art. 13 geregelt, dass Personen grundsätzlich nur dem System zur sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedsstaats unterliegen. Sinn dieser Regelung ist, dass es nicht wegen der parallelen Anwendung mehrerer nationaler Rechtsvorschriften zur gänzlichen Versagung sozialen Schutzes oder zur ungerechtfertigten Kumulierung von Ansprüchen kommt.
Wichtig | Unlängst hat der BFH klargestellt, dass diese Vorschriften Kollisionsregeln darstellen und deshalb keinen eigenständigen Anspruch auf Kindergeld begründen (BFH 20.3.13, XI R 37/11, BFH/NV 13, 1170, Abruf-Nr. 131771; s. auch Jahn, PIStB 13, 202).
Für den Kindergeldanspruch einer in den Niederlanden berufstätigen deutschen Grenzgängerin hat der BFH jetzt festgestellt:
- Ist der persönliche Geltungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408/71 eröffnet und unterliegt der Steuerpflichtige, der mit seinen Kindern in Deutschland wohnt, wegen einer in den Niederlanden als Grenzgänger ausgeübten abhängigen Beschäftigung gemäß Art. 13 ff. VO (EWG) Nr. 1408/71 nicht den deutschen, sondern den niederländischen Rechtsvorschriften, dann wird dadurch der gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG bestehende Kindergeldanspruch nicht ausgeschlossen. Damit bekräftigt der BFH seine bisherige Rechtsprechung, dass sich aus der VO Nr. 1408/71 keine Sperrwirkung hinsichtlich der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften ergibt. Die Anspruchsvoraussetzungen ergeben sich also in diesem Fall allein aus den Bestimmungen des deutschen Rechts.
- Die sich in diesem Fall ergebende Konkurrenz zwischen dem niederländischen und dem deutschen Kindergeldanspruch wird nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a) VO (EWG) Nr. 574/72 aufgelöst. Danach darf der im Wohnmitgliedstaat des betreffenden Kindes bestehende Kindergeldanspruch nicht teilweise ausgesetzt werden, wenn zwar faktisch ein Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsmitgliedstaat besteht, die Familienleistung dort aber tatsächlich nicht bezogen wird, weil kein entsprechender Antrag gestellt wurde (EuGH 14.10.10, C-16/09). Das bedeutet: Das Ruhen des deutschen Kindergeldanspruchs kommt nur in Betracht, wenn alle im Beschäftigungsmitgliedstaat bestehenden Voraussetzungen für den Leistungsbezug einschließlich einer vorherigen Antragstellung erfüllt sind.
- Ist der persönliche Geltungsbereich der VO (EWG) Nr. 1408/71 nicht eröffnet, dann ist eine etwaige Anspruchskonkurrenz gemäß § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG aufzulösen.