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  • · Fachbeitrag · Mutter-Tochter-Richtlinie

    Kapitalertragsteuererstattung in grenzüberschreitenden Liquidationsfällen

    von StB Marc Oppermann, Düsseldorf

    | Eine vollständige Erstattung der Kapitalertragsteuer aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie ist auch bei Gewinnausschüttungen während der Liquidationsphase einer Tochtergesellschaft geboten, wenn die Gewinne aus der Zeit vor der Auflösung stammen und es sich nicht um abschließend gezahlte Abwicklungs- und Liquidationserlöse handelt (FG Köln 26.10.22, 2 K 2446/19, NZB unter VIII B 145/22). |

     

    Sachverhalt

    Eine luxemburgische S. A. war Alleingesellschafterin einer deutschen GmbH, welche im Jahr 2010 aufgelöst wurde und sich anschließend in Liquidation befand. Während der Liquidationsphase nahm die GmbH eine Gewinnausschüttung an die S. A. vor, welche auch eine Abschlusszahlung zum Zwecke der Beendigung der Liquidation umfasste. Die Gewinnausschüttung betraf unzweifelhaft vollständig nur Gewinne, die zeitlich vor dem Beschluss über die Auflösung der GmbH erwirtschaftet wurden.

     

    Das FA gewährte lediglich eine Kapitalertragsteuererstattung auf 10 % nach Art. 13 Abs. 4 DBA-Luxemburg. Eine darüber hinausgehende Erstattung aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR; § 43b EStG) war nach Ansicht des Finanzamtes nicht geboten: § 43b EStG setze Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG voraus, während vorliegend von solchen nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG auszugehen sei. Selbst wenn § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG bejaht werden könnte, folge aus § 43b Abs. 1 S. 4 EStG die Nichtanwendbarkeit von § 43b Abs. 1 S. 1 EStG. Denn nach Ansicht des FA handele es sich zweifellos um Ausschüttungen anlässlich der Liquidation der Tochtergesellschaft, für die S. 4 die Anwendbarkeit von S. 1 ausschließe.

     

    Anmerkungen

    Das FG Köln kam entgegen der Auffassung des FA zu der Entscheidung, dass eine vollständige Erstattung der Kapitalertragsteuer aufgrund der Anwendung der MTR (mit Ausnahme der auf die Abschlusszahlung entfallenden Kapitalertragsteuer) gemäß § 43b Abs. 1 S. 1 EStG geboten ist:

     

    • Ein Kapitalertragsteuererstattungsanspruch des Gläubigers der Kapitalerträge erfordert, dass die Einkünfte nach einem DBA oder der MTR nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden. Die MTR erfordert zum einen, dass Kapitalerträge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vorliegen (vgl. § 43b Abs. 1 S. 1 EStG). Zum anderen ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 43 Abs. 1 S. 4 EStG erforderlich, dass die Kapitalerträge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht anlässlich der Liquidation oder Umwandlung einer Tochtergesellschaft zufließen.

     

    • Die streitgegenständlichen Ausschüttungen qualifizieren unstreitig als Kapitalerträge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. „Denn von § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG werden Zahlungen, die nach dem Zeitpunkt der Auflösung an Gesellschafter geleistet werden, erfasst, soweit sie sich nicht auf Zeiträume vor Auflösung der Gesellschaft beziehen. Ausschüttungen von Gewinnen aus der Zeit vor der Auflösung der Gesellschaft, die erst nach dem Auflösungsstichtag beschlossen und geleistet werden, fallen vielmehr unter § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG“ (vgl. Rn. 51 sowie BFH 22.10.98, I R 15/98, BFH/NV 99, 829; BMF 26.8.03, IV A 2 - S 2760 - 4/03, BStBl I 03, 434, Tz. 10). Eine andere Qualifikation ist auch nicht mit Blick auf die ausdrückliche Bezeichnung im Gesellschafterbeschluss als „Gewinnausschüttung“ und nicht etwa als Liquidations- oder Abschlusszahlung geboten (vgl. Rn. 52).

     

    • Nach den Feststellungen des FG liegen auch die Voraussetzungen von § 43b Abs. 1 S. 4 EStG nicht vor, sodass § 43b Abs. 1 S. 1 EStG nicht ausgeschlossen wird (vgl. Rn 54). Die Kapitalerträge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind nicht gemäß § 43b Abs. 1 S. 4 EStG anlässlich der Liquidation der Tochtergesellschaft zugeflossen. Die Ausschüttung sei zwar während bzw. in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Liquidation erfolgt. Der Begriff „anlässlich“ ist jedoch enger auszulegen und jedenfalls nicht auf Gewinnausschüttungen auszudehnen, die in Abgrenzung zu Bezügen nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG wie z. B. Abwicklungs- bzw. Liquidationserlöse (vgl. Möllenbeck, in: Littmann/Bitz/Pust, § 20 EStG, Rz. 452) durch ihren Bezug zu einem Zeitraum vor der Auflösung der Gesellschaft unter § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG subsumiert werden.

     

    • Mit Blick auf die geleistete Abschlusszahlung zwecks Beendigung der Liquidation seien die Voraussetzungen für eine vollständige Erstattung auf der Grundlage von § 50d Abs. 1 S. 2 EStG i. V. m. § 43b Abs. 1 EStG hingegen nicht erfüllt. Denn insoweit seien bereits keine Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gegeben. Im Übrigen bestünden auch keine Zweifel, dass das Tatbestandsmerkmal „anlässlich der Liquidation“ gemäß § 43b Abs. 1 S. 4 EStG erfüllt wäre, sodass § 43b Abs. 1 S. 1 EStG nicht zur Anwendung käme. „Der Betrag […] wird im Gesellschafterbeschluss zwar auch als Gewinnausschüttung bezeichnet. Zudem stammt er aus vor dem Beginn der Liquidation erwirtschafteten Gewinnen. Allerdings wird nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Beschlusses „zur Beendigung der Liquidation ein Restbetrag in Höhe von … EUR ausgeschüttet.“ Insoweit ist mithin von einer Abschlusszahlung i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG auszugehen, sodass eine Erstattung gemäß § 43b EStG ausscheidet (vgl. Rn. 66).

     

    PRAXISTIPP | Das FG-Urteil ist eine begrüßenswerte und lange erwartete Klarstellung zur Erstattung von Kapitalertragsteuer in grenzüberschreitenden Liquidationsfällen (s. zu der Problematik bereits Gaßmann in: PIStB 17, 334). Soweit eine Ausschüttung Gewinne aus der Zeit vor Einleitung des förmlichen Liquidationsverfahrens betrifft, sollte sich durch einen sorgfältig erstellten Gesellschafterbeschluss ‒ der keine Qualifikation als Abschlusszahlung nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG zulässt ‒ eine definitive KapESt-Belastung vermeiden lassen. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass in Zweifelsfällen, in Fällen hoher erwirtschafteter Gewinne nach Einleitung des Liquidationsverfahrens oder aber zur Verfahrensbeschleunigung ein grenzüberschreitender Upstream Merger vorzugswürdig ist (vgl. hierzu Oppermann/Sezer, PIStB 23, 217).

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2023 | Seite 240 | ID 49523133