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  • · Fachbeitrag · Interview zum Stakeholder-Management

    „Nachhaltigkeit nicht zu einem buchhalterischen Problem verkommen lassen“

    von Alexandra Buba (www.medientext.com) im Interview mit Aditi Agrawal

    | Das Stakeholder-Management ist für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie von entscheidender Bedeutung ‒ und nicht gerade die simpelste Aufgabe von Nachhaltigkeitsmanagern. Wie erreicht man Commitment? Wer sollte überhaupt in welcher Weise berücksichtigt und angesprochen werden? Die Modewirtschaftsexpertin Aditi Agrawal lebt in Boston/USA. Sie forscht zu diesem Thema und arbeitet außerdem praktisch zu Life Cycle Analysis, B Corp Certification und Carbon Accounting. Als ehemalige Stakeholder-Managerin in Indien hat sie einen „viel-perspektivischen“ Blick auf die Thematik. |

     

    Frage: Aditi, Sie haben für ein Bekleidungsexportunternehmen in Indien gearbeitet, wo Sie die Produktion und Produktentwicklung u. a. für die Marken des schwedischen Herstellers H&M übernommen haben. Wie hat das Ihren Blick auf die Thematik beeinflusst?

     

    Antwort: Zu meinen Aufgaben gehörte das Management der gesamten Lieferkette, von der Beschaffung der Rohstoffe bis zur endgültigen Auslieferung der Ware. Projektmanagement und Stakeholder-Management waren wichtige Bestandteile meiner Tätigkeit. Dabei ist mir sehr deutlich geworden, dass das Thema Nachhaltigkeit im Wesentlichen von zwei Sphären aus angegangen werden kann: die Produzenten im östlichen Teil der Welt und die Händler im westlichen.

     

    Wenn Sie das als Ganzes auf die Stakeholder beziehen, dann bedeutet das, dass vor allem auch diejenigen Städte und Dörfer die zentralen Stakeholder sind, auf deren Gemeindegebiet produziert wird oder wo die Rohstoffe wachsen und das Ökosystem, in dem die Produkte am Ende ihres Lebenszyklus entsorgt werden. Denn sie sind von den Umwelt- und sozialen Folgen am meisten betroffen.

     

    Frage: Welche Stakeholder finden Sie darüber hinaus noch wichtig?

     

    Antwort: Es gibt für mich noch zwei Stakeholder-Gruppen zusätzlich zu den Gemeinden der Produktions- und Rohstoffregionen: Zum einen sind das die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ihr Bewusstsein und ihr Konsumverhalten sind die wichtigsten Triebfedern für nachhaltige Praktiken. Wenn sie sich von übermäßigem Konsum abwenden, Fast Fashion ablehnen und bereit sind, einen Aufpreis für nachhaltigere Produkte zu zahlen, kann dies die Branche verändern.

     

    Die dritte Gruppe an Stakeholdern sind dann die Anteilseigner des Handelsunternehmens. Für sie ist Nachhaltigkeit häufig gleichbedeutend mit steigenden Herstellungskosten für die Produkte. Wenn sie den Wert dieser Mehrkosten erkennen können, sind sie eher bereit, in ein nachhaltigeres Produkt zu investieren.

     

    Frage: Sehen Sie dieses Verständnis und Ihre Erfahrungen in der Breite abgebildet, wenn es um Sustainability im Allgemeinen und Stakeholder-Management im Speziellen geht?

     

    Antwort: Zum Teil, ja. Bewusstes Konsumverhalten ist auf dem Vormarsch, und mit der steigenden Nachfrage bewegen sich Designer und Hersteller in Richtung Slow Fashion und nachhaltig produzierte Produkte. Der Prozentsatz ist jedoch gering. Für die meisten Unternehmen beschränkt sich die Nachhaltigkeit auf Marketing, Berichterstattung und CO 2 -Zertifikate, wobei wenig Transparenz darüber besteht, wie die Ergebnisse erreicht werden sollen.

     

    Frage: Stellt die Stakeholder-Gruppe der Anteilseigner also in der Praxis die größte Herausforderung für Nachhaltigkeitsverantwortliche dar?

     

    Antwort: Ja, das stimmt. Die am schwersten zu überzeugenden Personen sind die Entscheidungsträger, die auch für das Endergebnis verantwortlich sind. Wenn man also über Stakeholder-Management mit dieser Gruppe nachdenkt, kann es sehr hilfreich sein, Nachhaltigkeit aus einer Rentabilitätsperspektive zu rechtfertigen.

     

    Frage: Echte Nachhaltigkeit geht also nur über den Profit, glauben Sie? Europa und die Europäische Union setzen hier auf Gesetzgebung und Reglementierung …

     

    Antwort: Gesetzgebung und Regulierung sind entscheidende Triebkräfte der Nachhaltigkeit. Hinzu kommt, dass Unternehmen wie bspw. Patagonia durch ihr Wertesystem einen Einfluss haben. Ich arbeite mit Designern auf dem indischen Markt zusammen und habe zahlreiche Unternehmer getroffen, für die Nachhaltigkeit die einzige Möglichkeit ist, Geschäfte zu machen ‒ ungeachtet der zusätzlichen Kosten, die dabei entstehen.

     

    Allerdings darf man das Endergebnis nicht außer Acht lassen, und ein Unternehmen muss finanziell nachhaltig sein, bevor es einen positiven Einfluss auf Gesellschaft und Umwelt ausüben kann. Wenn wir also Nachhaltigkeit unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität rechtfertigen können, kann dies viel dazu beitragen, Organisationen davon zu überzeugen, Best Practices anzuwenden.

     

    Frage: Lassen Sie uns nochmals auf das Stakeholder-Management im Bereich des Boards, der Anteilseigner, zurückkommen. Wie funktioniert die Integration einer finanziellen Perspektive genau?

     

    Antwort: Eine Vielzahl von Best Practices kann in die gesamte Lieferkette integriert werden. Einige sind vielleicht leichter zugänglich als andere, leichter umzusetzen und können auch zu Kosteneinsparungen für das Unternehmen beitragen. So ist bspw. der Wechsel von Luft- zu See- beziehungsweise Bodenfracht nicht nur billiger, sondern hat auch einen geringeren ökologischen Fußabdruck. Solche Praktiken können der Ausgangspunkt für einen sinnvollen Wandel sein.

     

    Frage: Was glauben Sie, sind im Hinblick auf das Stakeholder-Management aber auch auf die Fokussierung des Themas allgemein wichtige Schritte?

     

    Antwort: Zertifizierungen sind zwar hilfreich, können aber teuer und für die meisten Organisationen, insbesondere im KMU-Sektor, unerreichbar sein. Man sollte darauf achten, dass Nachhaltigkeit nicht zu einem buchhalterischen Problem verkommt und der Schwerpunkt weiterhin auf positiven ökologischen und sozialen Auswirkungen liegt.

     

    Die Schaffung eines Bewusstseins ist nach wie vor von zentraler Bedeutung, vor allem bei der Gruppe der Verbraucherinteressenten. Die Mehrheit ist weiterhin preissensibel und schert sich nicht um den ökologischen Fußabdruck. Für Führungskräfte in der Wirtschaft kann mehr Wissen über die Umstrukturierung ihrer Organisationen unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit von großem Nutzen sein.

     

    Frage: Wie lässt sich hier mehr Know-how schaffen, um schlussendlich nachhaltigere Produkte zu bekommen?

     

    Antwort: In Indien, wo ich herkomme, ist die Nachhaltigkeit in die natürliche Ordnung der Dinge eingewoben. Sie ist eine kulturelle Norm. Ein auf einem Handwebstuhl hergestellter Sari, das Hauptkleidungsstück der indischen Kultur, gibt Handwerkern Arbeit, wird ethisch produziert und verursacht beim Zuschneiden keine Stoffabfälle, da es sich um ein rechteckiges Stück Stoff handelt, das um den Körper drapiert wird. Es kann auf vielfältige Weise geknüpft werden, wodurch verschiedene Designs entstehen, und kann von Generation zu Generation weitergegeben werden. Es ist der Inbegriff der langsamen und nachhaltigen Mode.

     

    Ich bin überzeugt, dass es auf der ganzen Welt unzählige weitere Beispiele für Kulturen gibt, die Nachhaltigkeit praktizieren. In den verschiedenen kulturellen Paradigmen ist eine große Menge an Informationen über nachhaltige Prozesse und Verfahren verborgen.

     

    Zu Aditi Agrawal | Aditi Agrawal, die in Boston/USA lebt, promoviert derzeit im Bereich nachhaltiges Lieferkettenmanagement und arbeitet als Senior Vice President of Business Development bei Hyde, einem Technologieunternehmen für Kreislaufmode, das Einzelhändlern hilft, das Problem überschüssiger Lagerbestände zu lösen. In ihrer Forschung untersucht sie die Auswirkungen der Integration von Nachhaltigkeitspraktiken über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts auf die Rentabilität des Unternehmens und seine sozialen und ökologischen Auswirkungen. Agrawal hat einen Master-Abschluss in Fashion Business vom London College of Fashion. Zuvor war sie im indischen Bekleidungsexportsektor tätig und leitete das Projekt- und Stakeholder-Management für globale Marken. Außerdem hat sie an der Amity University in Indien Marketing, Branding, Merchandising, Lieferkettenmanagement und Projektmanagement unterrichtet.

    Quelle: ID 50311363