· Fachbeitrag · Heil- und Hilfsmittelreport 2011
Medizinische Versorgung unter ihren Möglichkeiten
von Silke Jäger, ergoscriptum | Texte für Reha und Therapie, Marburg
| Der Heil- und Hilfsmittelreport 2011 der Barmer GEK sieht die medizinische Versorgung in einigen Bereichen unter ihren Möglichkeiten. Das bedeutet mehr Kosten für die Krankenkassen und ist schlecht für die Versorgung der Patienten. |
Es mangelt an Evidenzbasierung
Der Report bemängelt, dass sich das Verordnungsverhalten zu wenig an der evidenzbasierten Medizin ausrichtet. Eine Ursache dafür liegt laut Professor Dr. Gerd Glaeske, Leiter des Zentrums für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen, auch in der Struktur des Heilmittelkatalogs, der viel zu wenig die Evidenz von einzelnen Maßnahmen in den Mittelpunkt stellt und damit dem Ansehen der Heilmittelerbringer schadet. So geraten Therapeuten und ihre Maßnahmen in den Verdacht, nicht wirksame Therapien durchzuführen.
Nicht zuletzt, seitdem die Ausgaben für Heilmittel gewachsen sind, äußern sich Krankenkassen skeptisch über den tatsächlichen Nutzen von Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie. Die Zweifel könnten ausgeräumt werden, hätte man mehr Studien, die die Wirksamkeit von Therapien im Vergleich zu Behandlungen mit Arzneimitteln und Operationen belegen. Doch in Deutschland fehlt den Therapeuten das Geld dazu. Deshalb wird häufig auf Studien aus dem Ausland zurückgegriffen.
Der Evidenzgrad von therapeutischen Maßnahmen lässt sich aber nicht nur durch eine verbesserte Studienlage erhöhen. Auch Meinungen und Erfahrungen von Experten und die Präferenzen von Patienten haben einen Wert und würden, fänden sie im Heilmittelkatalog stärkere Berücksichtigung, diesen aufwerten. Das könnte das Ansehen aller Heilmittelerbringer erhöhen und ihrer Stimme bei gesundheitspolitischen Entscheidungen ein größeres Gewicht verleihen. Glaeske und sein Team halten die Akademisierung von Therapeuten für eine Voraussetzung dafür, dass sie in Forschung, Wissenschaft und Politik ernst genommen werden. Erst damit werde ermöglicht, dass Versorgungsmodelle auf den Prüfstand kommen und Alternativen entwickelt würden.
Patienten sollen stärker profitieren
Das übergeordnete Ziel all dieser wünschenswerten Prozesse ist letztendlich eine bessere medizinische Versorgung der Patienten. Auf lange Sicht kann man es sich nicht leisten, therapeutisches Know-how ungenutzt zu lassen. Das zeigt auch der Vergleich mit anderen Ländern, in denen beispielsweise die physiotherapeutische Behandlung einen höheren Stellenwert hat als in Deutschland. Dort werden Kosten nicht zuletzt deshalb eingespart, weil man den Patienten nicht nur mehr Therapie an sich verordnet, sondern auch mehr Therapie, die erwiesenermaßen einen höheren Effekt hat. In Deutschland setzen Ärzte bei den Verordnungen noch zu oft auf passive Maßnahmen.