· Fachbeitrag · Patientenführung
Der Patient 2.0 ‒ neue Herausforderungen für die Physiopraxis
von Christian Kunert, Dipl.-Sportwissenschaftler, Geschäftsführer KunertGesundheit, Dortmund, kunertgesundheit.de
| Auch in der Physiotherapie lag früher die Deutungshoheit eindeutig aufseiten des Leistungserbringers: Der Patient bekam vom Arzt seine Heilmitteltherapie verordnet und hinterfragte deren Umsetzung in der Physiopraxis nicht. Im Zeitalter der Onlinerecherche und des Austausches in sozialen Netzwerken oder Bewertungsportalen hat sich dieser Prozess und damit auch das Verhältnis zwischen Patienten und Therapeuten grundlegend verändert. Der mündige Patient hat sich emanzipiert und der Besuch im Gesundheitszentrum dient nur noch dazu, laienhafte Selbstdiagnosen vom Therapeuten bestätigen zu lassen. |
@Home als neues Gesundheitszentrum
Die Digitalisierung und ein neues Selbstverständnis des Patienten machen die eigenen vier Wände zum neuen Gesundheitszentrum. Dort findet nach Onlinerecherche und Selbstdiagnose idealerweise auch die Eigentherapie statt. Dies hat zur Folge, dass sich insbesondere eine vermeintliche Kommunikation auf Augenhöhe zwischen dem Therapeuten und seinem Patienten entwickelt hat. Zudem nimmt der Patient den medizinischen Leistungserbringer zunehmend als Dienstleister wahr, und bewertet ihn ‒ je nach Zufriedenheit mit der Bedürfnisbefriedigung ‒ auf einschlägigen Onlineportalen.
MERKE | Ausdruck des neuen „souveränen“ Selbstverständnisses des Patienten ist u. a. die zunehmende Nutzung von Wearables: Die Nutzung der Werkzeuge zur permanenten Selbstvermessung hat sich in den Jahren von 2015 bis 2020 in Deutschland mehr als verdreifacht, im gleichen Zeitraum weltweit sogar mehr als verzehnfacht (PP 09/2021, Seite 13). |
Vor- und Nachteile im neuen Patientenstatus
Dass dieser veränderte Patientenstatus nicht ohne Konsequenzen für den Praxisalltag bleibt, liegt auf der Hand. Das klassische Top-down Verhältnis zwischen Therapeuten und Patienten hat sich so zu einer Partnerschaft entwickelt, die allerdings neben vielen Vorteilen, auch einige Nachteile mit sich bringt (siehe Tabelle am Ende dieses Abschnitts).
Vor allem im Umgang mit vom Patienten selbst gewonnenen Informationen kommt dem Therapeuten eine neue wichtige Rolle zu. Denn bei aller Onlinerecherche und Ansammlung von Wissen, geht es im zweiten Schritt um die fachkompetente Interpretation von Daten und die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen für Therapie oder Prävention. Anhand der Werte für den Kalorienverbrauch oder die durchschnittlich gemachten Schritte kann der Therapeut z. B. empfehlen, weniger zu essen oder sich mehr zu bewegen.
Dass hierfür meist längere Gespräche mit den Patienten notwendig sind, ist eine logische Konsequenz, die auch die zukünftige Performance aufseiten der Therapeuten beeinflusst.
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Vorteile | Nachteile |
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Quelle: Kunert 2021
Patientenprofile und Patientenansprache
Darüber hinaus ist auch das Persönlichkeitsprofil der Patienten in der Ansprache entscheidend. Dabei lassen sich grundlegend vier unterschiedliche Typen identifizieren: zielfokussiert, prozessfixiert, variationsorientiert und emotionszentriert (siehe Grafik).
Je nach Patient sind diese Persönlichkeitstypen mit einer oder zwei dominanten Ausprägungen vorhanden. Der Therapeut muss seine Patienten typgerecht triggern, damit eine therapeutische Behandlung oder ein präventives Training erfolgreich umgesetzt werden kann. Im Patientengespräch geht es für Therapeuten darum, die folgenden Fragen klar beantworten zu können (siehe folgende Grafik).
Folgen für die Positionierung Ihrer Physiopraxis
Die o. g. Entwicklungen bilden die neue Ausgangsbasis für die Positionierung einer physiotherapeutischen Einrichtung. Die Vernetzung von erstem und zweitem Gesundheitsmarkt muss dabei das strategische Ziel sein.
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Zum Autor | Christian Kunert ist Dozent für Gesundheitsmanagement und Prävention, an der IST Hochschule, Gesellschafter und Geschäftsführer der Akademie für Prävention & Fitness GmbH (akapraefit.de) und Inhaber von KunertGesundheit (kunertgesundheit.de).