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  • · Fachbeitrag · Personal

    Ältere Therapeuten oder Trainer ‒ ein Glücksfall für jede Einrichtung

    von Christian Kunert, Dipl.-Sportwissenschaftler, Geschäftsführer KunertGesundheit, Dortmund, kunertgesundheit.de

    | Die Bundesbevölkerung wird immer älter. Das betrifft neben den Patienten und Kunden physiotherapeutischer Einrichtungen ( PP 11/2022, Seite 10  ff.) auch die Behandelnden und Betreuenden: Gemäß der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) hat sich die Zahl der über 60-jährigen Physiotherapeuten zwischen den Jahren 2012 und 2020 mehr als verdoppelt. Diese Entwicklung ist für jede physiotherapeutische Einrichtung ein Glücksfall: Dank eines gewandelten Gesundheitsbewusstseins wächst der Bedarf an erfahrenen therapeutischen Fachkräften. Es gilt daher, diese Mitarbeitenden effizient in die Praxis einzubinden. |

    In der Physiotherapie sind 12.000 Stellen unbesetzt

    Laut Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) konnten im Jahresdurchschnitt 2023/24 insgesamt rund 47.500 Stellen im Gesundheitswesen nicht besetzt werden. Der größte Mangel wurde dabei mit knapp 12.000 unbesetzten Stellen in der Physiotherapie ermittelt. Im Fitnessbereich geht man sogar von einem noch gravierenderen Fachkräftemangel aus, weil Einrichtungen während der Corona-Lockdowns schließen mussten und nicht alle Betreiber ihre Trainer und Kursleiter halten konnten oder wollten. Viele von ihnen, die sich daraufhin berufliche umorientieren mussten, sind nicht wieder zurückgekehrt.

    Auch die Therapeuten werden immer älter

    Der Fachkräftemangel wird durch den demografischen Wandel noch verstärkt: Nach der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) zu den Beschäftigungsverhältnissen im Gesundheitswesen stieg die Zahl der Physiotherapeuten von insgesamt 215.000 im Jahr 2012, auf 241.000 im Jahr 2020, allerdings wuchs dabei auch die Zahl der über 60-jährigen Physiotherapeuten von 12.000 auf 26.000. Die Zahl derjenigen Therapeuten, die bald das Rentenalter erreichen, stieg also um mehr als das Doppelte, während die Zahl, der unter 30-Jährigen im gleichen Zeitraum von 46.000 auf 38.000 sank. Blickt man also auf die Personalstrukturen in vielen Gesundheitseinrichtungen wird deutlich, dass es immer mehr ältere Mitarbeitende in den operativen Bereichen der Trainingsfläche, des Kursbetriebs oder der Therapie gibt.

    Bevölkerung entwickelt neues Gesundheitsbewusstsein

    Doch was in der ersten quantitativen Wahrnehmung negativ bewertet werden könnte, stellt sich unter qualitativen Gesichtspunkten möglicherweise als Glücksfall für die Einrichtungen heraus. Denn neben den negativen wirtschaftlichen Folgen des Corona-Lockdowns für die Gesundheitseinrichtungen hat sich auf der anderen Seite ein neues Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung etabliert. Um diese Entwicklung besser zu verstehen, ist ein genauerer Blick auf die Zielgruppe notwendig. So achten im Jahr 2023 laut statista in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre rund 20 Mio. Menschen sehr auf ihre Gesundheit (Gesundheitsbewusste). Zur gleichen Zeit sind 25 Mio. Menschen sehr an Gesundheitsthemen interessiert. Dabei liegt die absolute Altersstruktur bei gesundheitsbewussten Personen zu 70 Prozent zwischen 23 und 59 Jahren, wobei die Altersstruktur in der konkreten Nutzung von Präventionsangeboten zu 75 Prozent zwischen 40 und 69 Jahren im Präventionsbericht des GKV-Spitzenverbands dokumentiert wird.

     

    MERKE | Dies verdeutlicht, dass sich größtenteils Menschen ab 40 Jahren für Gesundheitsthemen interessieren und diese auch in der Praxis umsetzen. Daraus ergibt sich wiederum ein altersspezifischer Anspruch an die Betreuungsleistungen sowie die entsprechende Kundenansprache.

     

    Corona hat die Qualifikation des Nachwuchses beeinträchtigt

    Gesundheitsangebote in Therapie und Prävention können in ganz unterschiedlichen Formaten gestaltet werden. Von der klassischen Sporttherapie, über Rehasport bis hin zu Präventionskursen oder gesundheitsorientiertem Personal Training haben dabei die unterschiedlichen Formate eines gemeinsam: den Anspruch an Professionalität und Fachkompetenz an den Trainer bzw. Therapeuten durch den Kunden oder Patienten.

     

    Und genau in diesem Punkt kann durchaus kritisch auf die Performance vieler junger Nachwuchstrainer und -therapeuten geschaut werden. So zeigt sich in den letzten Jahren an vielen Stellen in der Ausbildung bzw. im Studium junger Menschen ein Verlust an eigenen motorischer Kompetenzen und physischen Leistungsvoraussetzungen. Hier haben die Coronajahre mit eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten und Fernunterricht sowie Homeschooling durchaus auch als Katalysator gewirkt. Dadurch sind eigene Kompetenzen verloren gegangen und auch der Wissenstransfer hat extrem gelitten, was zu einem mangelnden Körper- und Bewegungsgefühl und einem reduzierten Verständnis sinnvoller Bewegungsgestaltungen geführt hat (Steinmeyer et al., 2021). Denn Praxis lernt man nur durch Praxis.

    Ältere Therapeuten und Trainer sind jüngeren Kollegen in vielem überlegen

    Und genau hier kommen die älteren Therapeuten und Trainer ins Spiel, die im Umgang mit den gesundheitsbewussten Kunden oder Patienten auf ihre jahrelange Erfahrung zurückgreifen können und dabei sowohl in der Ansprache als auch im fachpraktischen Handling den jüngeren Kollegen oft überlegen sind. Sie mögen vielleicht nicht immer mehr so fit und trainiert sein, wie die jüngeren Kollegen. Doch im Idealfall konnten sie in ihrer beruflichen Laufbahn umfassendes fachpraktisches Wissen sammeln und immer wieder in unterschiedlichen Situationen ausprobieren und anpassen. Zudem haben sie mit sehr vielen verschiedenen Personen zusammengearbeitet und dabei insbesondere in der Ansprache gelernt, ihre Patienten und Kunden abzuholen. Darüber hinaus besteht häufig der Wunsch des gesundheitsorientierten Kunden oder Patienten danach, von jemandem betreut zu werden, bei dem der Altersunterschied nicht allzu groß ist. All das macht ältere Therapeuten oder Trainer zu einem sehr wertvollen Teil des Teams.

    Konsequenzen für die Einrichtung

    Damit eine Einrichtung auch nachhaltig vom Potenzial der älteren Mitarbeiter profitiert, gilt es, deren Position in der Einrichtung zu stärken:

     

    • Dazu gehört es primär, auf die Gesundheit der älteren Mitarbeiter zu achten. Denn mit dem Lebensalter steigt auch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten kleinerer oder größerer Erkrankungen.

     

    • Zudem gilt es, die Mitarbeiter themengerecht einzubinden. Die Durchführung ruhigerer Kursformate (z. B. Rückenkurse, Mobility Trainings oder Entspannungseinheiten) wäre dabei eher angeraten als möglicherweise die Leitung fitnessorientierter Angebote, wie z. B. Tabata oder CrossFit.

     

    • Damit aber das wertvolle Know-how eines älteren Mitarbeiters sinnvoll genutzt werden kann, ist es für jede Einrichtung wichtig, einen generationsübergreifenden Austausch in Form kollegialer Hospitationen einzurichten. Dabei gilt es zu beachten, dass
      • alle Kollegen untereinander immer auf Augenhöhe kommunizieren,
      • die Rollenverteilung klar definiert ist,
      • der Know-how-Transfer als Angebot, nicht als Pflicht verstanden wird,
      • alle Mitarbeiter als gleichwertig angesehen werden und
      • niemand bevorzugt behandelt wird.

     

    FAZIT | Erfahrene Fachkräfte sind ein Aktivposten für jede physiotherapeutische Einrichtung. Es gilt, sie effizient einzusetzen und dauerhaft zu binden. Gelingt dies und fühlt sich ein älterer Mitarbeiter bei seinem Arbeitgeber wohl, dann wird er zum Glücksfall für jede Einrichtung. Denn die erfolgreiche Integration älterer Mitarbeiter bringt viele Vorteile mit sich: eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit, ein gutes Betriebsklima, weniger Krankheitstage und höhere Wertschöpfung sowie eine verbesserte Ansprache und Bindung von Patienten und Kunden.

     

    Zum Autor

    • Christian Kunert ist Dozent für Gesundheitsmanagement und Prävention an der IST Hochschule, Gesellschafter und Geschäftsführer der Akademie für Prävention & Fitness GmbH (akapraefit.de) sowie Inhaber von KunertGesundheit (kunertgesundheit.de) und Coach Kunert (coachkunert.de).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Gestaltungsmodell für Mitarbeiter 60 plus: weiterarbeiten und (Früh-)Rente beziehen (PP 06/2023, Seite 18 ff.)
    • Steinmayr, R., Lazarides, R., Weidinger, A.F. und Christiansen, H. (2021): Teaching and learning during the first COVID-19 school lockdown: Realization and associations with parent-perceived students‘ academic outcomes. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 0 (0), 1‒22. doi.org/10.1024/1010-0652/a000306
    Quelle: Ausgabe 03 / 2025 | Seite 16 | ID 50308634