23.11.2020 · IWW-Abrufnummer 219054
Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 05.10.2020 – 13 TaBVGa 16/20
Tenor:
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 08.09.2020 - 2 BVGa 5/20 - abgeändert.
Der Arbeitgeber wird verpflichtet, an den Betriebsrat einen Vorschuss in Höhe von
a) 2800,00 € netto für die Durchführung einer Teilversammlung im vierten Quartal des Kalenderjahres 2020 in der Schützenhalle , S straße 6, 58xxx M, zu zahlen,
b) weitere 2800,00 € netto für die Durchführung einer zweiten Teilversammlung im vierten Quartal des Kalenderjahres 2020 in der Schützenhalle , S straße 6, 58xxx M, zu zahlen,
c) weitere 2800,00 € netto für die Durchführung einer dritten Teilversammlung im vierten Quartal des Kalenderjahres 2020 in der Schützenhalle , S straße 6, 58xxx M, zu zahlen.
Gründe
A.
Hinsichtlich des Tatbestandes wird verwiesen auf I. der erstinstanzlichen Gründe. Einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§ 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
B.
Die Beschwerde ist mit dem in der mündlichen Anhörung am 05.10.2020 vom Betriebsrat gestellten, sachdienlichen (§ 263 Abs. 1 ZPO) Antrag, gerichtet auf die Gewährung von Kostenvorschüssen für bis zu drei im vierten Quartal 2020 durchzuführende Teilversammlungen, begründet.
I. Der Betriebsrat hat in dem von ihm angestrengten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegenüber dem Arbeitgeber einen Verfügungsanspruch (§ 936 i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) auf Zahlung von bis zu 8.400,00 € für die Abhaltung von bis zu drei Teilversammlungen im Zeitraum bis zum 31.12.2020.
1. Aus § 40 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG ergibt sich die Verpflichtung des Arbeitgebers, auf seine Kosten dem Betriebsrat angemessen ausgestattete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, damit im gesetzlich gebotenen Umfang Betriebsversammlungen abgehalten werden können, und zwar gegebenenfalls außerhalb des Betriebs (so schon LAG Hamm, 02.11.1956 - 5 Sa 244/56 - AP BGB § 618 Nr. 5; GK/Wiese, 11. Aufl., § 42 Rn. 24). Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, steht dem Betriebsrat aus § 40 Abs. 1 BetrVG ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Vorschusses zu, um damit die voraussichtlichen Kosten für die Überlassung geeigneter Räume abdecken zu können (vgl. Fitting, 30 Aufl., § 40 Rn. 148 m.w.N.).
2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
a) Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat verpflichtet, einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen. Kann eine solche Versammlung alle Arbeitnehmer wegen der Eigenart des Betriebs nicht zeitgleich stattfinden, sind nach § 42 Abs. 1 Satz 3 BetrVG Teilversammlungen durchzuführen.
b) Charakteristisch für ein solches Forum der Aussprache zwischen Betriebsrat und Belegschaft (vgl. Fitting, a.a.O., § 42 Rn. 7) ist, dass es als nicht öffentliche (§ 42 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) Präsenzveranstaltung stattfindet, in der alle Teilnahmeberechtigten an einem Ort zusammenkommen und dort miteinander kommunizieren und diskutieren können, und das bei allseitiger Sicht- und Hörbarkeit (vgl. Bachner, Kommentar zu § 129 Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie, Rn. 20; Klumpp/Holler, BB 2020, 1268, 1270).
c) In der aktuellen Pandemie-Lage hat nun der Gesetzgeber durch Art. 5 des Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung vom 20.05.2020 (BGBl. I. 1044) in § 129 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, begrenzt auf den Zeitraum von jetzt noch weniger als drei Monaten bis zum 31.12.2020, die Möglichkeit eröffnet, solche Versammlungen auch mittels audiovisueller Einrichtungen durchführen zu können. Dabei ist zu beachten, dass dem Betriebsrat durch das Wort "können" ein Beurteilungsspielraum eingeräumt worden ist, den er unter Beachtung des "Ausgangsleitbildes" einer Präsenzveranstaltung (Klumpp/Holler, a.a.O.) mit physischer Anwesenheit der Teilnahmeberechtigten vor Ort (vgl. BT-Drucksache 19/18753, S. 28) sachgerecht auszufüllen hat.
d) Wenn sich vor diesem Hintergrund der Betriebsrat im konkreten Fall unter Beachtung der aktuellen gesetzlichen Vorgaben namentlich zum Infektionsschutz bei einer Belegschaftszahl von ca. 360 Arbeitnehmern für die Durchführung von bis zu drei Teilversammlungen außerhalb des Betriebs in einer nur wenige Kilometer entfernten Stadthalle entschieden hat, bewegt er sich damit in dem ihm gesetzlich eröffneten Beurteilungsspielraum, weil es so zum Regelfall von Präsenzversammlungen kommt, die im Übrigen nach der derzeitigen Gesetzeslage ab dem 01.01.2021 wieder alternativlos zu erfolgen haben.
e) Für eine sachgerechte Vorgehensweise des Betriebsrates spricht vor allem auch, dass der Arbeitgeber im Rahmen des Gebots zur vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) und seiner namentlich aus § 40 Abs. 2 BetrVG (analog) resultierenden Pflicht, dem Betriebsrat bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben die dafür erforderlichen Sachmittel sowie Informations- und Kommunikationstechnik einsatzbereit zur Verfügung zu stellen (vgl. GK/Weber, a.a.O., § 42 Rn. 23 f.), hinsichtlich der Überlassung einer funktionsfähigen audiovisuellen Einrichtung in den vergangenen Monaten nicht in dem gebotenen Umfang gerecht geworden ist. Anstatt z. B. in der letzten E-Mail vom 27.08.2020 allgemein darauf zu verweisen, der Betriebsrat könne auf die durch die Systeme Microsoft Teams und Zoom eröffneten technischen Möglichkeiten zurückzugreifen, wäre es erforderlich gewesen, unter Berücksichtigung der konkreten (auch räumlichen) Verhältnisse im Betrieb aufzuzeigen, wie genau eine Betriebsversammlung unter Einsatz welcher nur dem Arbeitgeber zur Verfügung stehender technischer Hilfsmittel in audiovisueller Form hätte vonstatten gehen sollen - und das unter Einhaltung der Verpflichtung, dass nach § 129 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nur Teilnahmeberechtigte von dem Inhalt einer solchen digitalen Versammlung Kenntnis nehmen dürfen (vgl. Mückl/Wittek, DB 2020, 1289, 1291).
f) Der vom Arbeitgeber zu Recht reklamierte gesundheitliche Schutz ist in der derzeitigen Pandemielage dadurch ausreichend gewahrt, dass nach der aktuellen Verordnung zum Schutz von Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 des Landes Nordrhein-Westfalen vom 30.09.2020 (im Folgenden kurz: VO) für Veranstaltungen der geplanten Art bestimmte Vorgaben zu beachten sind. So sind nach § 13 Abs. 1 Satz 1 VO geeignete - gegebenenfalls mit dem zuständigen Gesundheitsamt abzustimmende - Vorkehrungen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts, zur Gewährleistung des Mindestabstands sowie zur Umsetzung einer Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung zu treffen. Bei Einhaltung dieser Vorgaben sind alle teilnahmewilligen Arbeitnehmer in der aktuellen Situation ausreichend geschützt, um namentlich auch den Eintrag von Coronaviren in den Betrieb des Arbeitgebers zu erschweren und dadurch Patienten und das Personal zu schützen (vgl. § 5 Abs. 1 VO). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass gerade die beim Arbeitgeber tätigen Arbeitnehmer aufgrund ihres Umgangs z. B. mit stationär zu versorgenden Patienten überdurchschnittlich gut mit den Vorkehrungen für einen möglichst effektiven Infektionsschutz vertraut sind.
Nach alledem ist es rechtlich gut vertretbar, dass der Betriebsrat zu der Entscheidung gelangt ist, außerhalb des Betriebs in der Stadthalle in M im vierten Quartal 2020 bis zu drei Teilversammlungen durchzuführen. Dafür sind ihm jeweils 2.800,00 € als Vorschuss zu gewähren, ausgehend von der durch den Hallenbetreiber am 17.06.2020 gefertigten Kostenaufstellung für die Miete und technische Ausstattung.
II. Der erforderliche Verfügungsgrund (§ 936 i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) ergibt sich ohne weiteres daraus, dass der Betriebsrat in einem Hauptsacheverfahren bis zum Ablauf des streitbefangenen Zeitraums am 31.12.2020 keine verbindliche Entscheidung hätte herbeiführen könne, so dass ihm ohne die Anordnung einer einstweiligen Verfügung ein endgültiger Rechtsverlust gedroht hätte.