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  • · Fachbeitrag · Arbeits- und Sozialrecht

    Freie Mitarbeiter in Gefahr? - Der geplante neue § 611a BGB unter der Lupe

    von Rechtsanwalt Ralph Jürgen Bährle, Bährle & Partner, Nothweiler

    | Den Sozialversicherungsträgern, insbesondere der Rentenversicherung, sind freie Mitarbeiter schon seit vielen Jahren ein Dorn im Auge. Die Versicherungsträger begründen ihre Abneigung vordergründig damit, dass mit freien Mitarbeiterverträgen sozialer Schutz umgangen werden könnte, hintergründig geht es aber wohl eher darum, Sozialversicherungsbeiträge abschöpfen zu können. Jetzt hat das Bundesarbeitsministerium einen Referentenentwurf vorgelegt, der zur Bedrohung für freie Mitarbeiterverhältnisse - auch in der physiotherapeutischen Praxis - werden könnte. |

    Was ist geplant?

    Der Referentenentwurf mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“ sieht die Einführung eines neuen § 611a BGB vor, der vertragstypische Pflichten beim Arbeitsvertrag beschreiben soll.

     

    • Der geplante § 611a BGB im Wortlaut

    1. Handelt es sich bei den aufgrund eines Vertrags zugesagten Leistungen um Arbeitsleistungen, liegt ein Arbeitsvertrag vor. Arbeitsleistungen erbringt, wer Dienste erbringt und dabei in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt. Wenn der Vertrag und seine tatsächliche Durchführung einander widersprechen, ist für die rechtliche Einordnung des Vertrags die tatsächliche Durchführung maßgebend.

    2. Für die Feststellung, ob jemand in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand

    • a. nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder seinen Arbeitsort zu bestimmen,
    • b. die geschuldete Leistung überwiegend in den Räumen eines anderen erbringt,
    • c. zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
    • d. die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
    • e. ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
    • f. keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu erbringen,
    • g. Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimmten Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolgs gerichtet sind,
    • h. für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.

    3. Das Bestehen eines Arbeitsvertrags wird widerleglich vermutet, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch insoweit das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat.

     

     

    Ob, in welcher Form und in welchem Umfang dieser Text noch verändert, ergänzt oder Passagen gestrichen werden, werden die nächsten Monate zeigen. Das Inkrafttreten ist erst zum 1. Januar 2017 geplant.

    Was bedeutet der Textentwurf für die Praxis?

    Für diese Einschätzung müssen Sie zwischen der arbeitsrechtlichen und der sozialversicherungsrechtlichen Sichtweise trennen.

     

    Arbeitsrechtliche Sichtweise

    Hält diese oder eine vergleichbare Regelung tatsächlich Einzug in das BGB, hat dies zunächst einmal „nur“ arbeitsrechtliche Auswirkungen, die dann ihrerseits aber sozialrechtliche Folgen nach sich ziehen - nämlich die Sozialversicherungspflicht des Arbeitsverhältnisses. Das Bundesarbeitsministerium begründet die angestrebte Regelung unter anderem damit, dass die vorgeschlagenen Kriterien durch höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) gefestigt seien.

     

    Leider wird nicht darüber aufgeklärt, dass das BAG natürlich nur in den Fällen entscheidet, in denen sich Auftraggeber und Auftragnehmer tatsächlich über die Rechtsnatur ihres Vertrags streiten. Meist streiten Auftragnehmer/freier Mitarbeiter und Auftraggeber/Praxisinhaber aber über die Abrechnung und die Höhe des auszuzahlenden Honorars. Falls man sich nicht außergerichtlich einigt, wird ein derartiger Rechtsstreit dann vor einem Zivilgericht und gerade nicht vor einem Arbeitsgericht geführt.

     

    Für freie Mitarbeiter und Praxisinhaber würde sich der geplante § 611a BGB also nur dann in der Praxis auswirken, wenn der freie Mitarbeiter „plötzlich“ der Ansicht ist, er sei nicht mehr selbstständiger Unternehmer, sondern Arbeitnehmer. In diesem Fall hat er es dann leichter, unter Berufung auf die gesetzlich geregelten Kriterien seinen Standpunkt zu begründen.

     

    MERKE | In den meisten Fällen wird allerdings ein derartiger Rechtsstreit dazu führen, dass der Auftraggeber alles tun wird, um das Vertragverhältnis für die Zukunft zu beenden, wenn er die mit dem Vertragsverhältnis für ihn einhergehenden Kosten im bisherigen Rahmen halten will oder muss.

     

    Sozialrechtliche Sichtweise

    Die Sozialversicherungsträger, allen voran die Deutsche Rentenversicherung (DRV), haben grundsätzlich immer ein Interesse daran, jede Beschäftigung in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis umzuwandeln, sofern der Betroffene - in der Regel der freie Mitarbeiter - nicht sowieso aufgrund spezieller gesetzlicher Regelungen schon (renten-)versicherungspflichtig ist.

     

    Allerdings muss die DRV auf der Grundlage der Sozialgesetze - und nicht auf der Grundlage von Regelungen im BGB - die Sach- und Rechtslage beurteilen, auch dann, wenn - wie vorgesehen - einige der im neuen § 611a BGB vorgesehenen Kriterien sich in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts finden. Bei einer Prüfung durch die DRV könnte diese sich bei der Entscheidung, ob eine (Renten-)Versicherungspflicht besteht, gerade nicht auf den neuen § 611a BGB stützen, sondern müsste - wie bisher - ihre Entscheidung mit sozialgesetzlichen Regelungen und ggf. Entscheidungen des Bundessozialgerichts in ähnlichen Fällen begründen.

     

    MERKE | Nur wenn ein Arbeitsgericht bereits festgestellt hätte, dass ein Arbeitsverhältnis im Sinne des geplanten § 611 a BGB vorliegt, wird die Sozialversicherungspflicht zum Selbstläufer - dies war aber auch schon bisher der Fall.

     

    Welche Unterscheidungskriterien sind vorgesehen?

    Die geplanten Abgrenzungskriterien sind zum größten Teil unbestimmte und damit auslegungsfähige Rechtsbegriffe, die - wenn nicht auf den ersten, dann aber auf den zweiten Blick - nur begrenzt geeignet sind, eine selbstständige Tätigkeit von der abhängigen Tätigkeit eines Arbeitnehmers abzugrenzen.

     

    • Beispiel

    Stellen Sie sich einen selbstständigen Handwerker vor, der von einer großen Firma einen befristeten Wartungsauftrag für ein Jahr mit Verlängerungsoption hat. Der Handwerker beschäftigt zwar noch einen weiteren Mitarbeiter, diesen setzt er aber nicht ein, sondern erledigt die Arbeiten lieber selbst. Damit die Wartungsarbeiten reibungslos laufen, passt sich der Handwerker der Arbeitsorganisation des Auftraggebers an, arbeitet mit dessen Mitarbeitern eng zusammen und nutzt auch Materialien des Auftraggebers. Arbeitsort ist natürlich die Firma des Auftraggebers.

     

    Wendet man die Kriterien des geplanten § 611a BGB an, könnte man (leicht) zum Ergebnis kommen, dass hier ein Arbeitsverhältnis vorliegt - obwohl beide Seiten dieses sicherlich nicht wollen.

     

    Selbstverständlich lassen die unbestimmten Rechtsbegriffe Spielraum für Interpretationen und die genannten Kriterien sind auch nicht abschließend (siehe Entwurf, Abs. 2. „insbesondere“), sodass auch andere nicht genannte Kriterien zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses herangezogen werden können, wenn Auftraggeber und Auftragnehmer sich vor Gericht um die Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses streiten sollten.

     

    FAZIT | Für Sie als Praxisinhaber droht - sollte der geplante § 611a BGB wie oben zitiert zum 1. Januar 2017 kommen - nach wie vor das größere Ungemach für freie Mitarbeiterverhältnisse vonseiten der DRV. Denn die DRV wird dann Beschäftigungsverhältnisse mit Sicherheit auch unter dem Blickwinkel der neuen gesetzlichen Vorschrift prüfen und in vielen Fällen zum Ergebnis kommen, dass einige der genannten Kriterien erfüllt sind. Dies hat zur Folge, dass ein (sozialversicherungspflichtiges) Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Ob aus dem Gesetzesentwurf überhaupt ein Gesetz wird, steht indes noch aus.

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2016 | Seite 3 | ID 43797983