· Fachbeitrag · Arbeitsunfähigkeit
AU während Kündigungsfrist: Krankmeldung vor Erhalt der Kündigung erschüttert Beweiswert nicht
von Dr. Guido Mareck, stellvertr. Direktor Arbeitsgericht Dortmund
| Meldet sich ein Arbeitnehmer krank und wird erst nach der Krankmeldung vom Arbeitgeber gekündigt, behält die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) ihren Beweiswert. Denn für eine Erschütterung des Beweiswerts fehlt es an dem notwendigen Kausalzusammenhang (Landesarbeitsgericht [LAG] Niedersachsen, Urteil vom 08.03.2023, Az. 8 Sa 859/22, Abruf-Nr. 234927 ; Revision beim Bundesarbeitsgericht [BAG] anhängig, Az. 5 AZR 137/23). |
Sachverhalt
Ein Arbeitnehmer war vom 16.03.2021 bis 31.05.2022 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Er meldete sich am 02.05.2022 krank und legte mehrere AUBs seines Arztes für den Zeitraum ab dem 02.05.2022 bis zum 31.05.2022 mit unterschiedlichen Diagnosen vor. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.05.2022 (dem Arbeitnehmer zugegangen am 03.05.2022) ordentlich zum 31.05.2022. Wegen des Zusammenfallens von Krankschreibung und Kündigung verweigerte der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung. Der Arbeitnehmer erhob daraufhin Klage Wie auch die Erstinstanz (Arbeitsgericht Hildesheim, Urteil vom 26.10.2022, Az. 2 Ca 190/22) sah das LAG Niedersachsen die AUB als beweiskräftig an.
Entscheidungsgründe
Der Beweiswert einer AUB könne zwar erschüttert werden, indem der Arbeitnehmer sich unmittelbar nach Erhalt einer arbeitgeberseitigen Kündigung ‒ „postwendend“ ‒ krankmelde bzw. eine AUB einreiche. Dies gelte insbesondere, wenn lückenlos der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist ‒ auch durch mehrere AUBs ‒ abgedeckt werde (BAG, Urteil vom 08.09.2021, Az. 5 AZR 149/21, Abruf-Nr. 224708). Melde sich zunächst der ArbN krank und erhalte er erst dann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehle der für die Erschütterung des Beweiswerts der AUB notwendige Kausalzusammenhang. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben sei, am unmittelbar darauffolgenden Tag gesunde und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginne, erschüttere i. d. R. ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Beweiswert von AUBs nicht.
Das LAG Schleswig-Holstein urteilte in einem ähnlichen Fall anders
Zu einem ähnlichen Fall urteilte wenig später das LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 02.05.2023, Az. 2 Sa 203/22, Fallbesprechung in PP 08/2023, Seite 19): Wer in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Kündigung während der gesamten Kündigungsfrist der Arbeit aufgrund eingereichter AUBs fernbleibt, muss damit rechnen, dass er u. U. keine Entgeltfortzahlung beanspruchen kann. Das LAG erachtete den Beweiswert der vorgelegten AUBs nach Gesamtbetrachtung aller Indizien als erschüttert. Das Gericht stellte entscheidend darauf ab, dass nach seiner Überzeugung die Klägerin ihrem Arzt Beschwerden vorgetragen habe, die tatsächlich nicht bestanden hätten.