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  • · Fachbeitrag · Scheinselbstständigkeit

    Selbstständige Tätigkeit des Physiotherapeuten trotz gemeinsamer Praxisräume

    von RA Michael Röcken, Bonn, www.ra-roecken.de

    | Die Frage, ob ein Physiotherapeut selbstständig tätig ist oder doch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, beschäftigt immer wieder die Sozialgerichte. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit seiner Entscheidung vom 24.03.2016 (Az. B 12 KR 20/14 R) den Rahmen für die Prüfung vorgegeben ( PP 10/2016, Seite 11 ). Dass dieser Rahmen ausgeschöpft werden kann und dann auch noch zu einem erfreulichen Ergebnis, nämlich einer selbstständigen Tätigkeit führen kann, zeigt eine aktuelle Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Landshut ( Urteil vom 09.05.2018, Az. S 1 BA 1/18 ). |

    Sachverhalt

    Der Kläger, ein Physiotherapeut, war in einer Praxis als „Freier Mitarbeiter“ tätig. Sein Vertrag mit dem Praxisinhaber sah u. a. vor, dass der Physiotherapeut die Räume nutzen konnte und der Praxisinhaber für ihn die Abrechnungen mit den Krankenkassen und den Privatpatienten vornahm. Als Gegenleistung erhielt der Praxisinhaber 30 Prozent der erzielten Umsätze. Die Hausbesuchspauschale verblieb beim Physiotherapeuten in voller Höhe. Es bestand weder eine Anwesenheitspflicht noch bestanden Kontrollen durch den Praxisinhaber. Gleichwohl kam die Deutsche Rentenversicherung (DRV) zu dem Ergebnis, dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorlag. Dagegen richtete sich die Klage des freien Mitarbeiters. Das Gericht folgte hier dem Kläger und gab der Klage in vollem Umfang statt.

    Entscheidungsgründe

    Als Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung stützte sich das Gericht auf § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IV. Danach sei eine Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung seien eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Hier sei eine persönliche Abhängigkeit erforderlich. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege, das Zeit, Dauer, Ort und Ausführung der Tätigkeit umfasse.

     

    Eine selbstständige Tätigkeit sei vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig sei, richte sich, ausgehend von den genannten Umständen, nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen.

     

    Im vorliegenden Fall kam das Gericht zu dem Schluss, dass der Kläger und der Praxisinhaber kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründen wollten. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war die besondere Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses.

     

    • Diese Punkte sprachen gegen eine abhängige Beschäftigung
    • Der Kläger behandelte seine eigenen Patienten und nicht die Patienten der Physiotherapiepraxis.

     

    • Der Erstkontakt mit dem (zukünftigen) Patienten erfolgte in aller Regel unmittelbar zwischen dem Patienten und dem Kläger. Der Inhaber der Praxis war daran weitestgehend unbeteiligt. Dass gelegentlich eine Vermittlung der Praxis an den Physiotherapeuten erfolgte, schadete nicht, da die Patientenstämme strikt getrennt waren.

     

    • Der Kläger behandelte seine Patienten nicht nach den Vorgaben des Praxisinhabers, sondern entsprechend den fachlichen Erfordernissen, den ärztlichen Diagnosen sowie den Regeln der Heilmittelverordnung. Für eine Fehlbehandlung hätte er, und nicht der Praxisinhaber persönlich gehaftet. Hier verfügte er auch über eine eigene Betriebshaftpflichtversicherung.

     

    • Der Kläger und die Praxis führten getrennte Terminkalender.

     

    • Es bestanden vertraglich zugesicherte feste Behandlungstage, er war nicht auf freie Kapazitäten des Praxisinhabers angewiesen. Feste Arbeitszeiten waren jedoch nicht vorgegeben.

     

    • Der Physiotherapeut akquirierte neue Patienten selbst und behandelte diese im eigenen Namen als selbstständiger Physiotherapeut. Das war auch nach außen erkennbar.
     

    Bedeutung des Urteils für den Physiotherapeuten

    Die Entscheidung zeigt erneut, dass gerade im Bereich der Statusfeststellung durch die DRV der Vertrag zwar eine Indizwirkung hat, es jedoch maßgeblich auf die gelebte Praxis ankommt. Diese ist mit einem Mosaik vergleichbar: Viele Steine werden zusammengelegt und die Gesamtbetrachtung zeigt dann, ob es tatsächlich eine freie oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist.

     

    PRAXISTIPP | Regeln Sie im Vertrag eine freie Beschäftigung, können Sie sich an den Punkten, die für das Gericht wichtig waren, orientieren. Wichtig ist jedoch, dass Sie den Vertrag dann auch „leben“!

     

    Weiterführende Hinweise

    • „Partner einer Gemeinschaftspraxis ‒ und trotzdem scheinselbstständig!“ (PP 07/2017, Seite 14)
    Quelle: Ausgabe 09 / 2018 | Seite 3 | ID 45430935