· Fachbeitrag · Sozialrecht
Aktuelles Urteil besiegelt das faktische Ende des „freien Mitarbeiters“ in der Heilmittelpraxis
von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeits- und Medizinrecht, Dr. Tilman Clausen, Hannover, www.armedis.de
| In einer Physiotherapiepraxis, die Kassen- und Privatpatienten behandelt, kann es grundsätzlich keine Physiotherapeuten als freie Mitarbeiter geben. Dies hat das Bayerische Landessozialgericht in einer aktuellen Entscheidung vom 13. Februar 2014 festgestellt (Az. L 5 R 1180/13 B ER). |
Sachverhalt
In der inhabergeführten Physiotherapiepraxis mit weniger als zehn Mitarbeitern waren auch zwei Mitarbeiter beschäftigt, die dort als „freie Mitarbeiter“ geführt wurden:
- Beiden Honorarkräften wurde keine arbeitnehmertypische Vergütung gezahlt, sondern eine pauschale Vergütungsbeteiligung in Höhe von 35 bzw. 30 Prozent, wenn sie Patienten der Praxis mitbehandelten sowie 65 bzw. 70 Prozent für eigene Patienten.
- Beide waren nicht verpflichtet, Kunden der Einrichtung zu behandeln, behandelten auch eigene Patienten und waren für andere Einrichtungen tätig.
- Beide verfügten über eigene Berufshaftpflichtversicherungen und hatten anders als die angestellten Physiotherapeuten keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und auf bezahlten Urlaub.
- Gegenüber den Patienten der Einrichtung haben sie sich als freiberuflich tätige Honorarkräfte ausgewiesen.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28 p SGB IV durch die Deutsche Rentenversicherung wurden beide Honorarkräfte als abhängig beschäftigte Mitarbeiter eingestuft und die Einrichtung verpflichtet, Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt 46.383,50 Euro für diese Mitarbeiter nachzuzahlen. Rechtsmittel gegen eine derartige Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung im Rahmen einer Betriebsprüfung haben keine aufschiebende Wirkung, weshalb die Einrichtung vor dem Sozialgericht München beantragt hat, im Verfahren nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen, um nicht sofort zahlen zu müssen. Das Sozialgericht München hat den Antrag mit Beschluss vom 18. Oktober 2013 zurückgewiesen (Az. S 6 R 1907/13 ER), das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat diese Entscheidung im Beschwerdeverfahren bestätigt.
Die Gerichtsentscheidung
Zur Begründung hat das Bayerische LSG ausgeführt, dass alle oben genannten Merkmale zwar grundsätzlich für eine freiberufliche Tätigkeit beider Honorarkräfte sprechen, diese Merkmale aber gegenüber drei wesentlichen Gesichtspunkten zurücktreten:
- Zunächst sei zu berücksichtigen, dass die Inhaber der Einrichtung gegenüber den Patienten als Heilmittelerbringende der jeweiligen Krankenkasse auftreten, sie rechnen gegenüber der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse ab und treten nach außen hin als verantwortliche Praxisbetreiber auf. Die Tatsache, dass die Honorarkräfte im Internetauftritt der Einrichtung als „freie Mitarbeiter“ bezeichnet werden, sei demgegenüber nicht entscheidend.
- Des Weiteren seien für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung der Honorarkräfte zudem die Vorgaben des Leistungserbringerrechts des SGB V ausschlaggebend. Im SGB V ist für die Abgrenzung zwischen freiberuflicher Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung relevant, dass der freiberufliche Leistungserbringer
- über die erforderliche Qualifikation,
- die nötige Erlaubnis sowie
- die Ausstattung für eine zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten verfügen müsse.
- Physiotherapeuten, die insbesondere nicht über die Ausstattung für eine zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten verfügten, könnten deshalb schon per Definition nicht als selbstständige Honorarkräfte behandelt werden.
- Beide Honorarkräfte seien zudem in das Betriebssystem der Einrichtung eingebunden gewesen, das heißt, sie hätten über die Einrichtung nicht frei verfügen können. Auch dies spreche für eine abhängige Beschäftigung.
Konsequenz für die Praxis
Nach der Entscheidung des Bayerischen LSG ist Heilmittelpraxen grundsätzlich zu raten, ihre Mitarbeiter fest anzustellen. Heilmittelpraxen, die derzeit „freie Mitarbeiter“ beschäftigen, sollten diese Verträge von einem Anwalt überprüfen lassen. Betriebsprüfungen nach § 28 p SGB IV durch die Deutsche Rentenversicherung werden grundsätzlich alle vier Jahre durchgeführt. Für diesen Zeitraum kann auch die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verlangt werden. Eine Änderung von Verträgen über freie Mitarbeit kann für die Vergangenheit nichts mehr bewirken, für die Zukunft aber den Schaden für die Einrichtung begrenzen.
PRAXISHINWEIS | Wenn ein neuer (!) Mitarbeiter unbedingt freiberuflich tätig werden will, besteht die Möglichkeit, den Vertrag nach § 7 a SGB IV der Deutschen Rentenversicherung zur Prüfung vorzulegen. Dies muss sofort nach Vertragsunterschrift geschehen. Wenn die Deutsche Rentenversicherung dann aufgrund der besonderen Konstellation des Einzelfalls gegebenenfalls den Mitarbeiter als „selbstständig“ einstufen sollte, hat die Einrichtung Rechtssicherheit. Wird der Mitarbeiter dagegen als „abhängig beschäftigt“ eingestuft, kann die Einrichtung entweder von der Durchführung des Vertrags absehen oder Rechtsmittel einlegen, die dann aufschiebende Wirkung haben mit der Folge, dass nicht sofort gezahlt werden muss. |