· Fachbeitrag · Fahreignung von Senioren
Anlassbezogene Ermittlungspflicht: In diesen Fällen muss die Fahrerlaubnisbehörde ermitteln
von Regierungsrat Dr. Adolf Rebler, Regierung der Oberpfalz, Regensburg
| Erhält die Fahrerlaubnisbehörde Kenntnis von Tatsachen, die auf den Fortfall der Eignung hindeuten, muss sie tätig werden. Das im Rahmen des § 11 FeV bestehende Entschließungsermessen wird hier meist auf null reduziert sein (VG Augsburg 17.3.17, Au 7 S 17.6), da ‒ wenn konkrete Zweifel an der Fahreignung bestehen ‒ die Behörde angesichts der bedrohten hochwertigen Rechtsgüter zumindest wissen muss, „was überhaupt los ist“. |
1. Auffälliges Fahrverhalten
Den Anstoß für die Fahrerlaubnisbehörde tätig zu werden ‒ i. d. R. weiterer Nachforschungsmaßnahmen einzuleiten ‒ bietet oft eine Mitteilung der Polizei (§ 2 Abs. 12 StVG) über ein auffälliges Verhalten im Straßenverkehr. Alle Vorkommnisse, die auf Wahrnehmungsdefizite bzw. auf eine verlangsamte Informationsverarbeitung hindeuten sind hier von Bedeutung. Beispiele sind:
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Beachten Sie | Allerdings darf die Behörde nicht „ohne Weiteres alles für wahr nehmen, was in einem Polizeibericht steht, etwa dass der Betroffene „senil“ oder „nicht orientiert“ gewirkt habe. Sie muss selbst bewerten, ob und warum sie diesem Bericht Glauben schenkt und das Ergebnis der Prüfung in den Gründen der Entscheidung ‒ [etwa] der Gutachtenanordnung darlegen.“ (VG München 11.2.16, M 6 S 15.4935).
2. Unfallgeschehen
Anlass bietet oft auch ein Unfall. Die Aussage der aufnehmenden Polizeibeamten, ein Betroffener habe nach einem Unfall „aufgelöst“ gewirkt, lässt das VG München aber für weitere Maßnahmen nicht genügen: Es ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung verständlich, wenn ein Verkehrsteilnehmer nach einem Unfall emotional reagiert. Die Reaktionen fallen hierbei unterschiedlich aus. Dass ein Unfallbeteiligter dabei einen „sehr aufgelösten“ Eindruck macht, ist keine Seltenheit.
Die Aussage der Polizei, dass der Antragsteller „aufgrund des Alters und der Schocksituation“ sehr verwirrt gewesen sei, enthält eine Interpretation. Mag sie angesichts fortgeschrittenen Alters eines Betroffenen oft auch als naheliegend erscheinen, ist sie dennoch eine subjektive Bewertung eines sachbearbeitenden Polizisten (VG München 13.9.13, M 6b S 13.2756). Das VG Saarland (16.11.09, 10 L 905/09 - juris) sieht dagegen Polizeibeamte aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit und Erfahrung grundsätzlich als geeignete Zeugen für die Wahrnehmung und Einschätzung von psychischen Auffälligkeiten im Verhalten eines Menschen, insbesondere in Verkehrssituationen, an.
Die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde über die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erfolgt jedenfalls zu Recht, wenn ihr hinreichend konkrete Anhaltspunkte bekannt werden, die auf eine psychische Erkrankung hindeuten, aufgrund derer eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr nicht gewährleistet ist (VG München 9.12.15, M 6b K 15.1909; nachgehend BayVGH 31.3.16, 11 ZB 16.61). Das sind aber Vorfälle wie:
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3. Reaktion nach dem Unfall
Dass ein älterer Mensch nach einem Unfall aufgeregt reagiert, ist als solches jedenfalls noch kein ausreichender Grund, ein Gutachten eines Amtsarzts anzufordern. Auch ein „Mangel an Einsicht“ oder „Sturheit“ gegenüber Polizeibeamten nach einem Unfall lassen berechtigte Eignungszweifel nicht aufkommen (VG des Saarlandes 28.9.11, 10 L 790/11, DAR 11, 722.).
Durch eine ärztliche Untersuchung wird in erheblichem Umfang in die Persönlichkeitsrechte eines Menschen eingegriffen (VG Würzburg 13.2.04, W 6 S 14.62). Eine Gutachtenanordnung, der es an einem hinreichenden Grund fehlt, stellt eine unzulässige Ausforschung dar (VG München 28.5.10, M 1 S 10.2060).
Weiterführende Hinweise
- Teil 1 des Beitrags zu den rechtlichen Voraussetzungen in SR 18, 15
- Der Beitrag wird mit Ausführungen zur Eignungsbeurteilung fortgesetzt