· Fachbeitrag · Krankenversicherung
BGH stellt klar: Lasik-Operation kann medizinisch notwendig sein
| Versicherte können aufatmen: Der BGH hat klargestellt, dass eine Fehlsichtigkeit eine Krankheit im Sinne der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung sein kann. Ob eine Lasik-Operation dann medizinisch notwendig ist, muss im Einzelfall geklärt werden. Der VR kann die Kostenübernahme also nicht mit dem alleinigen Hinweis auf eine Brille oder Kontaktlinsen ablehnen. |
Sachverhalt
Die VN litt unter beidseitiger Kurzsichtigkeit mit Astigmatismus. Daher unterzog sie sich einer Femto-Lasik-Operation an den Augen. Sie verlangt nun die Operationskosten in Höhe von 3.490 EUR vom VR erstattet.
Die Parteien streiten darüber, ob die bei der VN vor der Operation vorhandene Fehlsichtigkeit (von -3 und -2,75 Dioptrien) eine bedingungsgemäße Krankheit darstellt, und ob die zu deren Beseitigung durchgeführte Operation medizinisch notwendig gewesen ist.
Das Amtsgericht hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Klage dann abgewiesen. Die Berufung der VN ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision vor dem BGH hat sie Erfolg.
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Entscheidungsgründe
Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass unter Krankheit im Sinne der Bedingungen nach dem maßgebenden Verständnis eines durchschnittlichen VN ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anormaler, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand zu verstehen ist. Dabei ergibt sich die Einstufung als „anormal“ aus einem Vergleich mit der normalen biologischen Beschaffenheit des Menschen, die Einstufung als „regelwidrig“ aus der ergänzenden medizinischen Bewertung eines anormalen Zustands.
Dabei darf allerdings nicht - wie es die Vorinstanzen getan haben - auf die Ausführungen eines Sachverständigen abgestellt werden. Abzustellen ist vielmehr auf das Verständnis des VN. Dieser wird zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen.
- Dabei ist für ihn der Sprachgebrauch des täglichen Lebens maßgebend und nicht etwa eine Terminologie, wie sie in bestimmten Fachkreisen üblich ist.
- Der VN geht vielmehr davon aus, zum Normalzustand der Sehfähigkeit gehöre ein beschwerdefreies Lesen und eine gefahrenfreie Teilnahme am Straßenverkehr. Er wird das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit annehmen, wenn bei ihm eine nicht nur ganz geringfügige Beeinträchtigung dieser körperlichen Normalfunktion vorliegt, die ohne Korrektur ein beschwerdefreies Sehen nicht ermöglicht. Dies folgt schon daraus, dass eine Krankheit nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb notwendig behandelt werden muss.
- Dieses Verständnis wird durch das weitere Klauselwerk bestätigt. Der VN wird das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit im Falle einer behandlungsbedürftigen Fehlsichtigkeit auch deshalb annehmen, weil ihm gerade für diesen Fall Leistungen vom VR versprochen werden. Die vereinbarten AVB (hier Tarif Classic) sehen ausdrücklich vor, dass Sehhilfen bis 200 EUR Rechnungsbetrag erstattungsfähig sind. Diese Regelung spricht daher ungeachtet der betragsmäßigen Begrenzung entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht gegen, sondern gerade für ein Verständnis der Fehlsichtigkeit als Krankheit, die einen Versicherungsfall auslösen kann.
Nach alledem hätte das Berufungsgericht das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit nicht verneinen dürfen. Die Korrekturbedürftigkeit eines Zustands, der ohne seine Beseitigung oder die Anwendung von Hilfsmitteln wie Brille oder Kontaktlinsen die genannten Einschränkungen im täglichen Leben mit sich bringt, steht aus medizinischer Sicht außer Frage.
Die Leistungspflicht des Beklagten hängt deshalb davon ab, ob die durchgeführte Operation eine medizinisch notwendige Heilbehandlung war. Der BGH verweist dazu zunächst auf seine Definition der Heilbehandlung:
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Eine Heilbehandlung ist jegliche ärztliche Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her auf Heilung, Besserung oder Linderung der Krankheit abzielt. Darauf, ob die Durchführung dieser Therapie geeignet war, diese Ziele auch zu erreichen, kommt es für das Vorliegen einer Heilbehandlung im Sinne der Klausel nicht an. Dieser Frage kommt Bedeutung vielmehr erst bei der Prüfung zu, ob die Heilbehandlung als medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 AVB anzusehen ist. Dafür ist ein objektiver Maßstab anzulegen. |
Sodann trifft der BGH eine wichtige Klarstellung zur medizinischen Notwendigkeit der Augenoperation. Diese kann nicht bereits mit Hinweis auf die Üblichkeit des Tragens einer Brille oder von Kontaktlinsen verneint werden.
- Das Tragen einer Sehhilfe ist keine Heilbehandlung. Brillen und Kontaktlinsen sind lediglich Hilfsmittel. Mit ihnen werden körperliche Defekte über einen längeren Zeitraum ausgeglichen. Sie stellen die Funktionsfähigkeit des kranken Organs nicht wieder her.
- Der durchschnittliche VN kann aus den AVB nicht ersehen, dass eine medizinisch notwendige Heilbehandlung grundsätzlich nicht erstattungsfähig sein soll, wenn er (dauerhaft) auf ein Hilfsmittel zurückgreifen kann, das den anormalen Körperzustand ausgleicht oder abschwächt, ohne am eigentlichen Leiden etwas zu ändern. Für eine solche generelle Subsidiarität der Heilbehandlung gegenüber dem Hilfsmittel geben die AVB nichts her. Ihnen ist auch nicht zu entnehmen, dass außer der medizinischen Notwendigkeit andere (finanzielle) Aspekte bei der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit eine Rolle spielen sollen. Sie stellen vielmehr ausdrücklich auf die „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung ab. Dabei bezieht sich „medizinisch“ gerade auf „notwendig“. Dieser sprachliche Zusammenhang macht bei verständiger Lektüre deutlich, dass die Notwendigkeit der Heilbehandlung allein aus (rein) medizinischer Sicht zu beurteilen ist und andere Gesichtspunkte dabei keine Rolle spielen.
- Aus Sicht des VN verliert eine medizinisch anerkannte Heilbehandlung das qualifizierende Merkmal „notwendige“ im Einzelfall nicht deshalb, weil ein Hilfsmittel die Ersatzfunktion für das betroffene Organ übernehmen kann.
- Zudem ist für ihn nicht erkennbar, nach welchen Maßstäben sich die Subsidiarität von Heilbehandlungen gegenüber anderen Maßnahmen beurteilen soll. Übernimmt der VR die Kosten einer „medizinisch notwendigen“ Heilbehandlung ohne erkennbare Einschränkungen, kann er den VN schon nicht auf einen billigeren oder den billigsten Anbieter einer Heilbehandlung verweisen.
Der Begriff „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung knüpft nach Ansicht des BGH nicht an den Vertrag zwischen dem VN und dem behandelnden Arzt und die danach geschuldete medizinische Heilbehandlung an. Um den Versicherungsfall zu bestimmen, wird vielmehr ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt.
Beachten Sie | Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des VN und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Behandlung sein. Darum muss es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar gewesen sein, die Heilbehandlung als notwendig anzusehen.
Der BGH hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses muss nun nach den aufgestellten Maßstäben beurteilen, ob die bei der VN durchgeführte Lasik-Operation medizinisch notwendig oder es zumindest nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen.
Relevanz für die Praxis
Ob dies der Fall ist, kann nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden.
Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung im Sinne der vorstehenden Ausführungen wird daher dann auszugehen sein, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewandt worden ist, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Steht diese Eignung nach medizinischen Erkenntnissen fest, ist grundsätzlich eine Eintrittspflicht des VR gegeben.
Checkliste / Medizinische Notwendigkeit einer Maßnahme |
Muss ein Gericht darüber entscheiden, ob eine Maßnahme medizinisch notwendig ist, muss es Folgendes berücksichtigen:
Der Rechtsanwalt muss den Prozess soweit vorbereiten und entsprechend vortragen und nachweisen, dass diese Punkte vom Sachverständigen und vom Gericht bejaht werden können. |
Weiterführender Hinweis
- Krankheitskostenversicherung: Voraussetzung der Kostenerstattung für Lasik-Operation: Marlow, VK 07, 28