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· Fachbeitrag · Krankenversicherung

Was bedeutet die Auffangpflichtversicherung nach längerem Auslandsaufenthalt?

Von RA Norbert Nolting, Lohra-Kirchvers

| Vor dem BSG (B 12 KR 14/14 R) ist derzeit ein Verfahren anhängig, welches Auswirkungen für Deutsche haben dürfte, die nach längerem Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurückkehren wollen. Es ist zu hoffen, dass sich mit einer Entscheidung des BSG die bestehenden Unsicherheiten in der Rechtslage beseitigen lassen. Die betroffenen Personen brauchen hier dringend Rechtssicherheit. |

1. Ausgangsfall

Es geht um die Frage, ob für diese Rückkehrer eine Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V besteht, wenn sie zuvor bei einer Wohnsitznahme im EU-Ausland (hier Spanien) ihre freiwillige Mitgliedschaft in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung gekündigt und sich im EU-Ausland privat krankenversichert haben.

 

Im Ausgangsfall schoben sich die private und die gesetzliche Krankenversicherung den „schwarzen Peter” zu, sodass der zurückgekehrte Rentner verzweifelte (über den Fall wurde am 14.4.16 im SWR Fernsehen berichtet). Obwohl spätestens seit der 2009 beschlossenen Gesundheitsreform klar sein sollte, dass

  • entweder die gesetzliche oder
  • die private Krankenversicherung in der Pflicht sind,

 

liegt das Problem - wie so oft - im Detail.

 

Die Frage lautet: Ist beim Begriff „zuletzt krankenversichert” nur auf das Versicherungsverhältnis in Deutschland abzustellen, oder zählt auch das ausländische?

2. Ansicht des LSG Saarbrücken

Das LSG Saarland (16.7.14, L 2 KR 50/11) ist der Auffassung, dass der deutsche Gesetzgeber einen Krankenversicherungstatbestand im Rahmen des SGB V und damit des im Sozialgesetzbuch geltenden Territorialitätsprinzip (§ 3 SGB IV) gemeint hat.

 

Dieses würde die Anwendung des nationalen Rechts grundsätzlich auf das entsprechende Staatsgebiet beschränken und eine Weitergeltung dieses Rechts nur dann nicht mehr zulassen, wenn kein aktueller Bezug zum jeweiligen Staatsgebiet gegeben ist (BSG 16.6.99, B 1 KR 5/98 R, Rn. 12, 15; so auch BSG 5.7.05, B 1 KR 4/04 R, Rn. 14).

 

a) Letzte deutsche Krankenversicherung

Bei alleiniger Anwendung deutschen Rechts sei somit beim Tatbestandsmerkmal „zuletzt krankenversichert” nur auf das letzte deutsche Versicherungsverhältnis abzustellen. Auch EG-Normen, vorliegend die Sachverhaltsgleichstellungsregelung des Art. 5 lit. b VO (EG) 883/2004, würden daran nichts ändern.

 

b) Widerspruch zur europarechtlichen Gleichstellung?

Diese allgemeine Tatbestandsgleichstellung hat die Vermeidung einer Diskriminierung auf Grund des Wohnsitzes in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedsstaat zum Ziel. Danach sind Sachverhalte, die in anderen Mitgliedsstaaten verwirklicht worden sind, so zu berücksichtigten, als ob sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingetreten wären.

 

Laut dem LSG Saarland könne daraus aber nicht der Schluss gezogen werden, dass bei europarechtlicher Betrachtung das letzte im Ausland bestehende Versicherungsverhältnis ausschlaggebend sei. Das Gericht verweist auf den Erwägungsgrund 12 der VO (EG) 883/2004. Danach soll es bei der Sachverhaltsgleichstellung nicht zu ungerechtfertigten Ergebnissen kommen, was dann der Fall wäre, wenn sie auf rein nationale Sachverhalte angewendet werden würde (Rn. 40 des Urteils mit weiteren Nachweisen).

 

Darum ginge es vorliegend, da die Frage „zuletzt krankenversichert” eine rein nationalstaatliche Frage sei, wodurch weder eine Kollision mit spanischem Recht, noch eine Koordinierungsnotwendigkeit durch europarechtliche Normen erkennbar seien, denn das Recht anderer Mitgliedstaaten werde durch diese Regelung nicht berührt.

 

c) Hemmung der Freizügigkeit

Im Übrigen wäre die sachliche Anwendung der europarechtlichen Gleichstellung freizügigkeitshemmend (vgl. Art 48 AEUV).

 

  • Beispiel

Im Ausland ist nur eine private Versicherung möglich. Der Heimkehrer hatte vor der Wohnsitznahme im EU-Ausland seine freiwillige Mitgliedschaft in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung gekündigt. Allein wegen des Auslandsaufenthalts wäre er dann von der erneuten Aufnahme in die deutsche gesetzliche Krankenversicherung ausgeschlossen.

 

3. Auffassung des LSG Hessen

Anderer Auffassung ist hingegen das LSG Hessen (19.7.11, L 1 KR 180/11 B ER).Demnach unterliegt auch die Begründung eines Statusverhältnisses (Zugang zur Versicherung) der Tatbestandsgleichstellung (Rn. 31 des Urteils mit weiteren Nachweisen). Im Gegensatz zum LSG Saarland meint das LSG Hessen, dass eine Beschränkung dieser Auslegung lediglich durch den Erwägungsgrund Nr. 11 der VO erfolgen könne.

 

Danach könne die Gleichstellung von Sachverhalten nicht bewirken, dass ein anderer Mitgliedsstaat zuständig oder dessen Rechtsvorschriften anwendbar würden. Beides läge aber nicht vor.

4. Einzelfallprüfung oder klare Rechtslage?

Somit stehen sich hinsichtlich der Anwendung der Sachverhaltsgleichstellungsregelung des Art. 5b VO (EG) 883/2004 beide Gerichte konträr gegenüber, sodass das BSG zu entscheiden hat.

 

Sollte das BSG der Auffassung des LSG Hessen folgen, bedeutet dies allein jedoch nicht, dass „zuletzt krankenversichert” immer an das zeitlich letzte - auch ausländische - Versichertenverhältnis anknüpft. Das LSG Hessen (Rn. 35 ff) hob zusätzlich hervor, dass nach der Variante a) des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V die Versicherungspflicht auch dann gilt, wenn die Absicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung der (fraglichen) Auffangpflichtversicherung nicht unmittelbar voranging, sondern zwischenzeitlich eine anderweitige Absicherung gegen Krankheit erfolgt ist, die aber nicht als private Krankenversicherung beachtlich ist (BSG 12.1.11, B 12 KR 11/09 R).

 

a) Einzelfallprüfung

Bei der Klärung der Frage, welche Qualität einer „bisher“ bestehenden privaten Krankenversicherung der Auffangpflichtversicherung entgegensteht, sei nach den Zwecken des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V einerseits und § 12 Abs. 1b Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) Lückenlosigkeit anzustreben (LSG Hessen a.a.O. Rn. 36). Unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 16/31900, S. 94) führt das LSG Hessen aus, dass die Absicherung jedenfalls eine solche Qualität haben müsse, dass der Versicherte dem „Lager” der Privatversicherten zuzurechnen sei. Die andere Absicherung mit einem privaten Krankenversicherungsvertrag müsse die wesentlichen Merkmale einer Krankheitskostenversicherung im Sinne des § 192 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) erfüllen. Dies wäre im Einzelfall zu prüfen.

 

b) Vorteile einer eindeutigen Rechtslage

Zu hoffen ist, dass sich das BSG im Verfahren B 12 KR 14/14 R der Auffassung des LSG Saarland (L 2 KR 50/11) anschließt. Ansonsten würden sich weiterhin die gesetzliche und die private Krankenversicherung den „schwarzen Peter” zuschieben und die Sozialgerichte wären gefordert, in jedem Einzelfall die Leistungen der im Ausland abgeschlossenen Versicherung nebst deren Vergleichbarkeit mit der Krankheitskostenversicherung i. S. d. § 192 Abs. 1 VVG zu prüfen.

 

Weiterführender Hinweis

  • Zur Krankenversicherung der Rentner: diese Pflichtzeiten gelten, SR 16, 23
Quelle: Ausgabe 06 / 2016 | Seite 105 | ID 44040034