· Fachbeitrag · Schuldnertaktik
Zwangsversteigerung: Zeitgewinn durch taktisches Handeln
von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz
| Wenn Sie Senioren im Rahmen von Zwangsversteigerungsverfahren beraten, wissen Sie: Es benötigt oft Zeit, um eine gütliche Regelung oder eine Umschuldung herbeizuführen. Die derzeitige Corona-Situation kann dabei aus taktischer Hinsicht einen Vorteil bedeuten. Hierzu folgender Ausgangsfall: |
|
Das Versteigerungsgericht hat einen Zwangsversteigerungstermin auf den 10.6. anberaumt. Schuldner S hat zuvor mehrfach vergeblich versucht, mittels Schutzanträgen das Verfahren in die Länge zu ziehen, um so Zeit für eine Umschuldung zu gewinnen. Was kann S jetzt noch unternehmen, damit der Termin nicht stattfindet, um so den evtl. Verlust seines Eigentums zu vermeiden? |
1. Immobilienboom besteht weiter
Trotz Coronakrise besteht weiter eine große Nachfrage an Immobilien. Das gilt auch für Zwangsversteigerungen. Die Zahl der in Versteigerungsterminen anwesenden Interessenten ist hierfür ein deutliches Zeichen. So kommt es regelmäßig vor, dass sich in einem Sitzungssaal mehr Personen aufhalten, als nach dem Platzangebot möglich ist. Folge: Termine müssen immer wieder kurzfristig in einen anderen Gerichtssaal verlegt werden.
2. Problematik: Gesundheitsgefahr durch Corona
In sämtlichen Bundesländern gibt es unterschiedlich ausgestaltete Corona-Kontakt- bzw. Betriebsbeschränkungsverordnungen. Danach sind beim Aufenthalt im öffentlichen Raum u. a. Gruppen von höchstens zehn Personen zulässig (vgl. z. B. CoronaVKBBeschrV HE). Bei Begegnungen mit anderen Personen ist i. d. R. ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Dieses Verbot gilt meist nicht für Zusammenkünfte von Personen, die aus geschäftlichen, beruflichen, dienstlichen, schulischen oder betreuungsrelevanten Gründen unmittelbar zusammenarbeiten müssen, sowie für Sitzungen und Gerichtsverhandlungen (vgl. AG Fulda 18.6.20, 51 M 1342/20).
So sollen z. B. im Bundesland Hessen Sitzungen und Verhandlungen an Gerichten sowie andere richterliche Amtshandlungen unter Beachtung des Mindestabstands von 1,5 Metern durchgeführt werden (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 CoronaVKBBeschrV HE). In den Fällen, in denen es zur Sicherstellung des Sitzungsbetriebs, der Amtshandlung oder aus verfahrensrechtlichen Gründen erforderlich ist, den Mindestabstand zu unterschreiten, soll dem Risiko einer Infektion durch eine andere geeignete Schutzmaßnahme begegnet werden.
3. Besonderheiten bei Zwangsversteigerungsterminen
Sollte ein Versteigerungstermin stattfinden, ist davon auszugehen, dass dieser der Öffentlichkeit zugänglich bleiben muss (§ 169 GVG). Zwar kann in Ausnahmefällen ein Ausschluss der Öffentlichkeit gerechtfertigt sein, z. B. wenn eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit einer anderen Person zu besorgen ist (§ 172 Nr. 1a GVG). Diese Maßnahme gilt i. d. R. bei Zwangsversteigerungsterminen jedoch nicht. Denn das Wesen eines Zwangsversteigerungstermins liegt ja gerade darin, dass möglichst viele Personen als potenzielle Bieter anwesend sind. Gerade dieses Konkurrenzverhalten treibt nämlich „den Preis in die Höhe“.
Beachten Sie | Ein jeder muss also das Recht haben, Gebote abzugeben. Das Vollstreckungsgericht darf daher grundsätzlich keinem Zuhörer bzw. Interessenten den Zutritt verbieten, um dadurch die Zahl der Anwesenden zu beschränken, andernfalls liegt ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz vor.
4. Handlungsempfehlung für Schuldner
Auf den Ausgangsfall bezogen, ist es aus Sicht des Schuldners für den anstehenden Versteigerungstermin ratsam, so viele Interessenten wie möglich zu rekrutieren. Hierzu sollte er im Bekannten- und Verwandtenkreis nachfragen. Grund: Je mehr Interessenten am Tag der Versteigerung vor der Tür stehen, desto schwieriger wird es für das Vollstreckungsgericht, „notfalls“ einen geeigneten (Ersatz-)Sitzungssaal zu besorgen. Im Zweifel wird daher der Rechtspfleger den Termin aufheben und vertagen müssen, da aus Platzmangel der derzeit verordnete Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann.
Beachten Sie | Sollte das Gericht dennoch Einzelnen den Zutritt wegen „Überfüllung“ versagen, sollten diese Personen bzw. der Schuldner selbst im Fall eines erteilten Zuschlags unverzüglich hiergegen Zuschlagsbeschwerde einlegen. Grund: Es liegt wegen des Verstoßes gegen den bestehenden „Öffentlichkeitsgrundsatz“ ein unheilbarer Zuschlagsversagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG vor, sodass der Zuschlag im Beschwerdeweg aufzuheben ist (§ 100 ZVG).
PRAXISTIPP | Sollte das Gericht den Termin vertagen, sind die hierfür entstandenen Auslagen, z. B. Zustell- und Veröffentlichungsauslagen, nicht zu berechnen. Sie sind also dem Schuldner nicht als notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung in Rechnung zu stellen (vgl. § 21 Abs. 1 S. 1 i. V. m. S. 2 GKG). Hierauf ist unbedingt zu achten, wenn es später doch zu einem Versteigerungstermin und ggf. Zuschlag kommen sollte. Wurde die Regelung missachtet, besteht hier u. U. ein Zuschlagsversagungsgrund wegen falscher Berechnung des geringsten Gebots nach § 83 Nr. 1 ZVG, der durch eine Zuschlagsbeschwerde nach § 100 ZVG geltend gemacht werden kann. |