Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Sozialrecht

Wird ein teures Hörgerät verlangt, sind Alltagsvorteile darzulegen

| Hersteller von Hörgeräten bringen fortlaufend fortentwickelte, aber auch teure Geräte auf den Markt. Nicht immer will die Krankenkasse diese bezahlen. Das LSG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass kein Anspruch auf ein teureres Gerät besteht, soweit günstigere Modelle funktionell ebenso geeignet sind. Das Gericht orientierte sich an einer geänderten Sicht des BSG, die Anwälte kennen sollten. |

 

Sachverhalt

Der 55-jährige Kläger ist mittelgradig schwerhörig. Er ist mit einem GdB von 60 als schwerbehinderter Mensch anerkannt, u. a. wegen Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen beidseitig. Er beantragte, dass seine Krankenkasse die Kosten für ein Hörgerät „Siemens Pure 7px“ in Höhe von 4.000 EUR und damit die über den Festbetrag (1.594 EUR) liegenden Kosten übernimmt. Die Krankenkasse bewilligte lediglich den Festbetrag.

 

Sein Widerspruch hiergegen blieb erfolglos, obwohl er nun eine ohrenärztliche Verordnung einer Hörhilfe aufgrund „Schallempfindungsschwerhörigkeit mit Hochtonabfall beidseits“ vorlegte. Im anschließenden Klageverfahren wurde beim Hörakustiker eine Messung mit dem gewünschten Siemens-Modell als auch zwei zuzahlungsfreien Geräten vorgenommen.

 

Für alle drei Geräte sei ein Sprachverstehen im Freifeld von 90 Prozent und im Freifeld unter Störschall von 50 Prozent gemessen worden. Das SG Berlin wies die Klage zurück. Auch die Berufung des Klägers zum LSG blieb erfolglos. Kann ein günstigeres Gerät die Hörbehinderung in typischen Alltagssituationen mit anderen Menschen möglichst weitgehend ausgleichen, kann kein teureres Gerät verlangt werden, so das LSG (27.11.20, L 9 KR 90/18, Abruf-Nr. 220809).

 

Entscheidungsgründe

Es geht allein um den Behinderungsausgleich nach § 33 Abs. 1 S. 1, 3. Variante SGB V und inwieweit ein Hilfsmittel erforderlich ist. Das BSG unterscheidet in ständiger Rechtsprechung zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Behinderungsausgleich.

 

  • Beim unmittelbaren Behinderungsausgleich dient das Hilfsmittel unmittelbar dazu, ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktionen auszugleichen, sodass mit einem nicht behinderten Menschen „gleichgezogen“ wird. Dies kann dann auch teurere Hilfsmittel rechtfertigen, da stets der neueste medizinische Standard herangezogen werden kann.

 

  • Der mittelbare Behinderungsausgleich hingegen gleicht direkte und indirekte Behinderungsfolgen aus, wenn eine vollständige Wiederherstellung nicht möglich ist. Bei einem Hörgerät muss die gesetzliche Krankenversicherung dann nur für den Basisausgleich einstehen.

 

MERKE | Beim mittelbaren Ausgleich ist nicht das vollständige „Gleichziehen“ zugrunde zu legen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation. Das bedeutet, Gesundheit und Organfunktionen möglichst weitgehend wiederherzustellen und den Behandlungserfolg für ein selbstständiges Leben und einen funktionierenden Alltag sicherzustellen.

 

Eine weitergehende berufliche oder soziale Rehabilitation sei hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Dabei ging das LSG auch auf die noch junge Haltung des BSG ein, was zu erstattende Hilfsmittel betrifft.

 

 

Relevanz für die Praxis

Wollen Sie für den Mandanten ein teureres Hörgerätesystem erstattet bekommen, müssen Sie auch einen entsprechenden Gebrauchsvorteil nennen, der dies rechtfertigt. Ergeben die Messungen bei Hörakustikern, dass moderne zuzahlungsfreie Geräte in typischen Alltagssituationen dasselbe verbesserte Hörverständnis sicherstellen, genügen diese günstigeren Modelle.

 

Besondere Annehmlichkeiten oder Komfort bei der Handhabung gehen über das „allgemeine Grundbedürfnis“ hinaus, dann muss die Kasse auch nicht zahlen. Anders kann der Fall z. B. liegen, wenn der Mandant durch weitere Erkrankungen körperlich so eingeschränkt ist, dass ein bestimmtes Hörgerät für ihn besser zu greifen, zu platzieren und zu bedienen ist. Ein solcher Gebrauchsvorteil wäre dann aber dem Gericht entsprechend zu erläutern.

 

Weiterführende Hinweise

  • Hörgerät: Kasse muss auch bei gering verbessertem Hören zahlen, SR 20, 39
  • Bei Anruf Licht: Hörbehinderte haben Anspruch auf Telefonklingelsender, SR 18, 130
Quelle: Ausgabe 03 / 2021 | Seite 40 | ID 47068096