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· Fachbeitrag · Wohnungseigentum

Barrierefreiheit in WEG-Anlagen: Bauliche Veränderungen sind zustimmungspflichtig

von RA Dr. Hans Reinold Horst, Hannover/Solingen

| Auch die behinderten- und altengerechte Herstellung des Außen- und Hausflurbereichs in WEG-Anlagen zur Ermöglichung eines barrierearmen Wohnungszugangs stellt eine zustimmungspflichtige bauliche Veränderung i. S. v. § 22 Abs. 1, § 14 Nr. 1 WEG dar, so jetzt der BGH. |

 

Sachverhalt

Wohnungseigentümer W wohnt im 5. Stock. Dort pflegt er seine zu 100 Prozent schwerbehinderte Enkeltochter. Um ihr den Wohnungszugang zu erleichtern, möchte er im Treppenhaus einen Personenaufzug einbauen. Die Eigentümergemeinschaft sperrt sich. W klagt auf Duldung. Der BGH weist die Klage ab (BGH 13.1.17, V ZR 96/16, Abruf-Nr. 192332).

 

Entscheidungsgründe

Es fehle an der erforderlichen Zustimmung aller von der Baumaßnahme Betroffenen. Denn der begehrte Einbau des Aufzugs sei als bauliche Veränderung mit einem Nachteil für die Gemeinschaft verbunden, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehe (§§ 22 Abs. 1, 14 Nr. 1 WEG): Es komme sowohl beim Einbau als auch bei einem Rückbau zu erheblichen Eingriffen in die Bausubstanz.

 

Die Gemeinschaft trage aus ihrer Verkehrssicherungspflicht auch das Haftungsrisiko für die insgesamte bauliche Situation nach dem Einbau sowie für den Aufzug selbst. Die Bodenfläche, die für den Aufzug in Anspruch genommen werden müsse, könne nicht mehr zum Abstellen von Fahrrädern und Kinderwagen sowie als „Rangierfläche“ beim Transport sperriger Gegenstände genutzt werden.

 

An ihr entstehe faktisch ein „Sondernutzungsrecht“ nur zugunsten des Aufzugsbetreibers. Ein solches Sondernutzungsrecht könne aber nur auf der Grundlage einer - hier fehlenden - Vereinbarung aller entstehen.

 

Relevanz für die Praxis

Der BGH hebt hervor, dass die Klage abzuweisen war, obwohl dem Kläger mit einem milderen baulichen Eingriff als Alternative wie z. B. dem Einbau eines Treppenlifts bis in den 5. Stock nicht ohne Weiteres zu helfen gewesen wäre. Selbst aus dem grundrechtlich garantierten Behindertenschutz in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG sei nichts anderes abzuleiten. Durch den Erwerb der im Obergeschoss gelegenen Wohnung sei der Kläger das Risiko eines behinderten- oder altersbedingt erschwerten Zugangs selbst eingegangen.

 

Für den Rechtsanwalt des Barrierefreiheit, besser Barrierearmut, begehrenden Eigentümers bedeutet das:

 

  • Ein Duldungsanspruch kann auf § 22 Abs. 1 S. 2 WEG gestützt werden, wenn die damit verbundenen Nachteile für die übrige Gemeinschaft nicht das in § 14 Nr. 1 WEG definierte Maß übersteigen. Das ist bei geringeren baulichen Eingriffen zur Herstellung von Barrierearmut sicherlich der Fall und muss durch eine entsprechende Argumentationsführung sorgfältig unterlegt werden. Denn dann ist eine Zustimmung nach § 22 Abs. 1 S. 2 WEG entbehrlich.

 

  • Auch der BGH konzediert in der besprochenen Entscheidung, dass grundsätzlich in der Wohnungseigentümergemeinschaft ein Anspruch auf die barrierearme Herrichtung des Gemeinschaftseigentums bestehen kann.

 

  • Lässt sich aufgrund der notwendigen Eingriffsintensität in die Bausubstanz eine solche Argumentation nicht führen, muss sorgfältig begründet werden, warum die dann notwendige Abwägung zwischen den Interessen der Gemeinschaft und denen des behinderten oder altersgebrechlichen Wohnungseigentümers im Ergebnis zugunsten des Letzteren vorzunehmen ist.

 

  • Kombiniert werden kann dies auch mit einem Anspruch auf Gewährleistung ordnungsgemäßer Verwaltung aus § 21 Abs. 4 WEG. Dies liegt in dem Fall nahe, in dem nur die begehrte Maßnahme am Zustand des Gemeinschaftseigentums dazu führen kann, dass der Eigentümer oder sein Mieter die Wohnung überhaupt noch zumutbar erreichen und verlassen kann. Der vom BGH vorgenommenen Wertung zur Risikosphäre ist dabei Rechnung zu tragen.

 

  • Schließlich kann die „Kostenhürde“ umgangen werden, indem sich die übrigen Eigentümer im Beschluss über die Durchführung der Maßnahme der Stimme enthalten, nur der begehrende Eigentümer mit „ja“ stimmt, und sich der Beschlusswortlaut zur Vermeidung von Problemen mit der Beschlusskompetenz ausdrücklich auf die ursprünglichen Errichtungskosten reduziert.
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  • Für weitere Betriebs-, Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten in der Zukunft kann dann eine Vereinbarung zu deren „gerechter“ Verteilung getroffen werden, wenn nur einzelne Eigentümer den Aufzug nutzen möchten.

 

Weiterführende Hinweise

  • Barrierefreiheit: Kosten für Umbau einer Dusche absetzbar, SR 15, 94
  • Seniorengerechtes Wohnen: Anforderungen und Umsetzung, SR 14, 218
  • Seniorengerechtes Wohnen: Altersgerechter Umbau im Wohnungseigentum, SR 14, 221
  • Barrierefreiheit: Technologien und Eingabehilfen für eingeschränkte Mandanten, SR 14, 202
  • Barrierefreiheit: Mandanten bei Umbaumaßnahmen richtig beraten, SR 14, 166
  • Smart-Home-Technologie: Technische Assistenzsysteme als Pflegehilfsmittel, SR 14, 118
Quelle: Ausgabe 03 / 2017 | Seite 46 | ID 44551336