· Fachbeitrag · Kündigungszustimmung
Gesundheitszustand ist aktuell zu prüfen
| Der Gesundheitszustand schwerbehinderter Arbeitnehmer kann sich stetig ändern. Er ist bei einem Kündigungszustimmungsantrag aufzuklären. Das heißt auch: In früheren Zustimmungsverfahren eingeholte Befundberichte und Gutachten sind oft nicht mehr aussagekräftig. |
Sachverhalt
Der schwerbehinderte Kläger (GdB 60) war bei seinem Arbeitgeber als Kraftfahrer beschäftigt. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich am 26.8.14, da der Kläger seit dem 5.10.11 durchgehend arbeitsunfähig sei und daher als langandauernd arbeitsunfähig gelte. Diagnostiziert waren bei dem Kläger eine Erkrankung des lymphatischen Systems und eine funktionsbeeinträchtigte Wirbelsäule.
Zuvor hatte der Arbeitgeber die Zustimmung zur Kündigung bei der Beklagten (Integrationsamt) eingeholt. Diese hörte den Kläger an und holte ein arbeitsmedizinisches Gutachten ein um festzustellen, inwieweit der Kläger an seinem Arbeitsplatz noch einsatzfähig ist. Mit Bescheid vom 21.8.14 stimmt die Beklagte der Kündigung zu, da dem Arbeitgeber aufgrund zu erwartender Fehlzeiten nicht zugemutet werden könne, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Der Arbeitgeber kündigt daraufhin unter dem 26.8.14.
Der Kläger legte am 1.9.14 Widerspruch gegen die Kündigungszustimmung ein und erhob am 16.9.14 Kündigungsschutzklage. Das ArbG wies die Kündigung mit Urteil vom 18.12.14 als unwirksam zurück, da kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden war (§ 84 Abs. 2 SGB IX). Den Widerspruch gegen die Zustimmung der Kündigung wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.3.15 zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 20.4.15 Klage zum VG Stade. Dies wies die Klage als unzulässig ab.
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Entscheidungsgründe
Die Klage war unzulässig, da die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung nicht (mehr) wirksam war und sich i. S. von § 39 Abs. 2 SGB X noch vor Klageerhebung am 20.4.15 erledigt hatte. Das ArbG hatte festgestellt, dass die Kündigung unwirksam ist. Daher kann der Arbeitgeber aus der Zustimmung keine Rechte mehr herleiten.
Der Kläger hat auch kein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung, dass die Zustimmung rechtswidrig war. Dies wäre nur der Fall, wenn es für weitere gerichtliche Verfahren erheblich wäre, der Rehabilitation dienen soll oder eine Wiederholungsgefahr besteht. Vorliegend kommt allein die Wiederholungsgefahr - also eine erneute Kündigungszustimmung - in Betracht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergeht. Eine hinreichende Gefahr, dass der Arbeitgeber erneut beabsichtigt zu kündigen und eine Zustimmung beantragt, bestehe jedoch nicht.
Aber selbst wenn dies der Fall wäre: Die seit dem ersten Zustimmungsverfahren durchgeführten Untersuchungen sowie die jüngste Operation des Klägers würden es notwendig machen, den Gesundheitszustand erneut aufzuklären. Die Beklagte könne nicht allein auf ältere ärztliche Unterlagen und Gutachten zurückgreifen. Außerdem hatte sich die Beklagte dazu verpflichtet, das maßgebliche arbeitsmedizinische Gutachten nicht mehr zu berücksichtigen, falls der Arbeitgeber erneut einen Zustimmungsantrag stellt.
Relevanz für die Praxis
In einem Kündigungszustimmungsverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X. Es ist der aktuelle Gesundheitszustand des Arbeitnehmers zu ermitteln.
Dies gilt auch, wenn dies bereits im Rahmen früherer Zustimmungsverfahren geschehen ist. Der Gesundheitszustand kann - abhängig von der Art der Erkrankung, Prognosen und medizinischem Verlauf - schwanken, unterschiedlich verlaufen und (wie hier) aufgrund medizinischen Behandlungen, Reha-Maßnahmen oder Operationen sich auch kurzfristig entscheidend ändern. Dadurch wird die Beurteilung beeinflusst, inwieweit der Kläger noch arbeiten kann.
Der Kläger befürchtete, dass das im Zustimmungsverfahren eingeholte ärztliche Gutachten bei einer späteren Kündigung erneut herangezogen wird und einen Zustimmungsantrag stützt, falls der Arbeitgeber ihn erneut kündigen will. Das Gericht betont jedoch, dass in diesen Fällen aktuelle Befundberichte oder Gutachten sowie aktuelle Kenntnisse über die Möglichkeiten, wie der Kläger am Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, nötig sind.
PRAXISHINWEIS | Auch das VG Magdeburg hat betont, dass das Integrationsamt eine Ermessensentscheidung nach individuellen Gesichtspunkten trifft, die sich stetig ändern können. Dies gälte insbesondere für den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers (24.10.13, 4 A 155/13).
Sollte der Arbeitnehmer später erneut gekündigt werden, wird die gesundheitliche Situation voraussichtlich nicht gleich sein. Dies betrifft auch die aktuelle individuelle Situation des Betriebs und ob dort alternative Arbeitsplätze für den Arbeitnehmer bereitstehen. |
Weiterführende Hinweise
- Schwerbehinderte Mandanten richtig vertreten, SR 15, 15
- AGG: Arbeitnehmer muss Benachteiligung wegen Behinderung darlegen und beweisen, SR 15, 185
- Zur altersdiskriminierenden Kündigung im Kleinbetrieb, SR 15, 170
- Zur Vererblichkeit des Urlaubsanspruchs, SR 15, 184