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· Fachbeitrag · Pflegezeitgesetz

Förderung der häuslichen Laienpflege: Ansprüche auf Pflegezeit richtig nutzen

von Alexander Schrehardt, Betriebswirt bAV (FH), Geschäftsführer Consilium Beratungsgesellschaft für betriebliche Altersversorgung mbH

| Die pflegerische Betreuung von Angehörigen führt viele Arbeitnehmer oft an ihre physischen und psychischen Leistungsgrenzen. Der folgende Beitrag zeigt, welche Entlastungsmöglichkeiten nach dem Pflegezeitgesetz bestehen und was bei der Antragsstellung zu beachten ist. |

1. Ausgangsproblematik

Der Erhalt eines würdevollen und selbstbestimmten Lebens, des sozialen Umfelds und der eigenen Wohnung oder des Eigenheims wird von pflegebedürftigen Personen regelmäßig als ein vorrangiges Ziel benannt. Dafür sprechen auch die Pflegefallzahlen. In der letzten, für 2011 veröffentlichten Pflegestatistik des Statistischen Bundesamts wird die Zahl der durch Laienpfleger im häuslichen Umfeld betreuten Versicherten mit ca. 1,18 Mio. beziffert - dies entspricht einem Anteil von 48 Prozent aller Pflegefälle. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass in dieser Statistik bislang nur die Pflegefälle der Stufen 1 bis 3 erfasst werden. Nachdem jedoch vor allem bei der Betreuung Demenzkranker in den meisten Fällen Familienangehörige die Verantwortung übernehmen, wird die Frage nach der möglichen Vereinbarung von Beruf und persönlichem Pflegeengagement mit Blick auf die demografische Parallelverschiebung sowie die kontinuierlich steigenden Pflege- und Betreuungsfallzahlen in den nächsten Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen.

2. Arbeitsrechtliche Flankierung der häuslichen Laienpflege

Pflegende Familienangehörige zählen zu den vorrangigen Burn-Out-Risikogruppen. Die Vereinbarkeit von Beruf, der Versorgung der eigenen Familie und der pflegerischen Betreuung eines Angehörigen ist eine große Herausforderung. Mit dem zum 1.7.08 in Kraft getretenen Pflegezeitgesetz (PflegeZG) hat der Gesetzgeber Arbeitnehmern einen Rechtsanspruch auf eine Freistellung zur Übernahme von pflegerischer Verantwortung gegenüber einem nahen Angehörigen verschafft. Der Begriff des nahen Angehörigen wird sehr weit ausgelegt und umfasst neben Ehegatten und Kindern auch Lebensgefährten, Geschwister, Eltern, Groß- und Schwiegereltern, sowie Adoptiv-, Pflege-, Enkel- und Schwiegerkinder. Auch fallen darunter die Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder eines neuen Ehegatten oder Lebenspartners in „Patchworkfamilien“ (§ 7 Abs. 3 PflegeZG). Das PflegeZG unterscheidet zwischen

  • kurzzeitiger Arbeitsverhinderung aufgrund einer akut aufgetretenen 
Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen mit einer maximalen Freistellung des Arbeitnehmers von zehn Arbeitstagen (§ 2 Abs. 1 PflegeZG) und

 

  • einerPflegezeit3 Abs. 1 PflegeZG) mit einer maximalen Freistellung von sechs Monaten (§ 4 Abs. 1 S. 1 PflegeZG).

 

Im Gegensatz zum Anspruch auf Freistellung aufgrund einer kurzfristigen Arbeitsverhinderung, die der Gesetzgeber an keine Betriebsgröße geknüpft hat, kann ein Anspruch auf Pflegezeit nur geltend gemacht werden, wenn das Unternehmen durchschnittlich mindestens 16 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt (§ 3 Abs. 1 S. 2 PflegeZG). Die Bemessung der personellen Betriebsgröße erfolgt dabei auf der Grundlage der Kopfzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, d.h. auch in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer werden voll und nicht anteilig berücksichtigt.

3. Abweichende Regelung für Beamte

Die Vorschriften des Pflegezeitgesetzes finden auf Beamte keine Anwendung (Kossens, Pflegezeitgesetz und Familienpflegezeitgesetz, 2. Aufl., § 3 Rn. 2). Vielmehr regelt das Bundesbeamtengesetz (BBG) die Möglichkeit eines Dienstverhältnisses in Teilzeit oder einer Beurlaubung des Beamten zur Übernahme von Pflegeverantwortung gegenüber einem pflegebedürftigen Angehörigen. Im Gegensatz zum PflegeZG räumt das BBG für Beamte eine Teilzeitbeschäftigung oder Beurlaubung vorbehaltlich zwingender dienstlicher Belange für eine Dauer von bis zu 15 Jahren ein (§ 92 Abs. 1 BBG).

4. Freistellung bei kurzfristiger Arbeitsverhinderung

Arbeitnehmer müssen eine kurzfristige Arbeitsverhinderung und deren voraussichtliche Dauer dem Arbeitgeber unverzüglich anzeigen und auf Verlangen die Pflegebedürftigkeit mittels ärztlicher Bescheinigung nachweisen. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist dabei gleichlautend zu den Voraussetzungen für eine Pflegezeit i.S. von §§ 14 und 15 SGB XI auszulegen. Da aber in § 14 Abs. 1 SGB XI für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit ein Beurteilungszeitraum von sechs Monaten zugrunde gelegt wird, können für einen Anspruch auf Freistellung für maximal zehn Arbeitstage aufgrund kurzeitiger Arbeitsverhinderung nicht dieselben Voraussetzungen gelten. Der Gesetzgeber hat daher geregelt, dass eine Pflegebedürftigkeit i.S. von § 2 PflegeZG auch gegeben ist, wenn der pflegebedürftige Angehörige voraussichtlich die Voraussetzungen einer Pflegebedürftigkeit i.S. von §§ 14 und 15 SGB XI erfüllt (§ 7 Abs. 4 S. 2 PflegeZG).

 

Für die Dauer der Freistellung besteht kein Anspruch auf Arbeitsentgelt. Eine abweichende, auf tarifvertraglicher Bindung oder anderweitiger gesetzlicher Vorschrift basierende Regelung ist dabei möglich (§ 2 Abs. 2 und 3 PflegeZG).

 

PRAXISHINWEIS | Der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) sieht einen Anspruch auf bezahlte Freistellung für den Fall der Versorgungsbedürftigkeit eines schwer erkrankten Angehörigen in häuslicher Gemeinschaft von einem bis vier Arbeitstag vor (§ 29 Abs. 1 S. 1e) aa) bb) TVöD).

 

Macht ein Arbeitnehmer aufgrund der akuten Pflegebedürftigkeit eines Kinds, das sein 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, einen Anspruch auf Freistellung geltend, kann bei Mitgliedern gesetzlicher Krankenversicherungen ein Anspruch auf Krankengeld bestehen (§ 45 SGB V). In Anlehnung an dieses „Kinderkrankengeld“ weist der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom 27.11.13 auch eine Absichtserklärung für die gesetzliche Regelung einer Lohnersatzleistung für eine zehntägige Arbeitsverhinderung wegen der pflegerischen Betreuung eines nahen Angehörigen aus.

5. Freistellung im Rahmen der Pflegezeit

Voraussetzung für eine Freistellung im Rahmen der Pflegezeit ist eine nachweisbare Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen.

 

a) Nachweis der Pflegebedürftigkeit

Als Nachweis kann eine Bescheinigung der Pflegekasse, des MdK, des SdK oder der MedicProof GmbH dienen. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist dabei i.S. von §§ 14 und 15 SGB XI auszulegen (§ 7 Abs. 4 PflegeZG), d.h. der pflegebedürftige Angehörige muss alternativ in die Pflegestufe 1, 2 oder 3 eingestuft worden sein. Vor allem mit Blick auf das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz und der damit verbundenen Aufnahme von Leistungsverbesserungen für Versicherte mit einer eingeschränkten Alltagskompetenz (§ 123 i.V. mit § 45a SGB XI) findet sich im PflegeZG für den Personenkreis der Pflegestufe 0 eine Regelungslücke. Nachdem im Kollationsvertrag vom 27.11.13 auch eine Aufwertung der Versorgungsleistungen für den Personenkreis der Pflegestufe 0 thematisiert wurde, bleibt auch diesen Punkt betreffend eine Reform des PflegeZG und des SGB XI abzuwarten.

 

b) Häusliches Umfeld

Die pflegerische Betreuung des Angehörigen muss dabei im häuslichen Umfeld erfolgen, wobei der Gesetzgeber offen lässt, ob es sich um das häusliche Umfeld der pflegenden, der zu pflegenden oder einer dritten Person handelt. Die Übernahme von Pflegeleistungen in einer stationären Einrichtung wird damit ausgenommen, allerdings ist auch die Pflege eines Angehörigen z.B. in einem Seniorenheim oder in einer Wohngemeinschaft möglich, sofern die Räumlichkeiten eine eigene Haushaltsführung ermöglichen (Sanitäreinrichtung, Kochgelegenheit, persönlicher Wohnbereich, etc.).

 

c) Antragsfrist

Sofern ein Arbeitnehmer eine Pflegezeit in Anspruch nehmen möchte, muss diese dem Arbeitgeber mindestens zehn Arbeitstage vor Beginn angezeigt und der Umfang sowie die Dauer der gewünschten Freistellung erklärt werden (§ 3 Abs. 3 PflegeZG). Alternativ kann auch eine teilweise Freistellung des Arbeitnehmers zwischen den Parteien schriftlich vereinbart werden. Hierbei ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet auf die Wünsche des Arbeitnehmers einzugehen, sofern keine wichtigen betrieblichen Gründe einer Teilzeitregelung entgegenstehen (§ 3 Abs. 4 PflegeZG). Höhere Kosten für die Einrichtung eines Teilzeitarbeitsplatzes sind nicht als wichtige betriebliche Gründe zu werten und können damit eine Ablehnung einer teilweisen Freistellung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber nicht rechtfertigen (Kossen, a.a.O.). Der Arbeitgeber hat innerhalb der Ankündigungsfrist von zehn Tagen zu erklären, ob und inwieweit er einer Verringerung und/oder einer Verteilung der Arbeitszeit seines Arbeitnehmers zustimmt. Im Fall eines Fristversäumnisses geht dies zulasten des Arbeitgebers.

 

Musterformulierung /  Antrag auf Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz

Adam Arbeitgeber

Arbeitsstr. 1

12345 Arbeitsstadt

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit beantrage ich Pflegezeit zur Pflege der/des folgenden Angehörigen: ... geb. am ...

 

Die zu pflegende Person ist pflegebedürftig. Es liegt eine Anerkennung der Pflegestufe ... (1, 2 oder 3) vor. Ein Nachweis ist beigefügt. Ich stehe zu der pflegebedürftigen Person in folgendem Verwandtschaftsverhältnis:

 

Die pflegebedürftige Person ist mein(e) ... (Mutter, Vater, Kind usw.). Die Pflege erfolgt

  • im Haushalt der/des zu Pflegenden
  • im Altenwohnheim
  • in der alten Wohnung mit eigener Kochmöglichkeit und eigenem Sanitärbereich.

 

Hiermit beantrage ich für die Zeit vom 15.12.13 bis 15.6.14 Pflegezeit nach den Vorschriften des Pflegezeitgesetzes. Ich versichere, dass die vorgenannten Angaben zutreffend, wahrheitsgemäß und vollständig sind. Änderungen, die für den Anspruch auf Pflegezeit von Bedeutung sein könnten, teile ich Ihnen unverzüglich schriftlich mit. Ich bitte um eine kurzfristige Bestätigung.

 

Musterstadt, 1.12.13 / …………………………….. (Max Mustermann)

 

6. Soziale Leistungen für private Pflegepersonen

Sofern eine Privatperson die nicht erwerbsmäßige, pflegerische Betreuung einer in der sozialen oder privaten Pflegepflichtversicherung versicherter pflegebedürftiger Personen für mindestens 14 Stunden/Woche im häuslichen Umfeld übernimmt, hat sie Anspruch auf Leistungen zur sozialen Sicherung (§ 19 i.V. mit 44 SGB XI). Das Pflegegeld (§§ 37 und 123 SGB XI) ist für die pflegende Person kein Erwerbseinkommen und daher steuerfrei. Sofern private Laienpfleger die Voraussetzungen von § 19 SGB XI erfüllen, unterliegen sie der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht (§ 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI) und haben damit auch einen Anspruch auf Zulagenförderung zu einer Rentenversicherung oder einem Sparvertrag nach § 10a EStG (BMF 24.7.13, Rn. 78). Neben dem Ansammeln von Entgeltpunkten haben im Rahmen einer Pflegezeit vollständig freigestellte Arbeitnehmer auch einen Anspruch auf einen Beitragszuschuss zu ihrer Kranken- und Pflegepflichtversicherung (§ 44a Abs. 1 SGB XI). Für die Dauer der Pflegezeit besteht eine Arbeitslosen- (§ 44a Abs. 2 SGB XI) und eine gesetzlichen Unfallversicherung (§ 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII).

7. Familienpflegezeitgesetz findet nur geringe Akzeptanz

Mit dem zum 1.1.12 in Kraft getretenen Familienpflegezeitgesetz hatte der Gesetzgeber weitere Anreize für eine Übernahme von pflegerischer Verantwortung durch Privatpersonen angestrebt, die bislang nur eine sehr geringe Akzeptanz gefunden haben. Der im Rahmen des Koalitionsvertrags in Aussicht gestellte Verbesserung der Vereinbarung von Beruf und Pflegeengagement im Familienkreis darf daher mit Interesse entgegen gesehen werden.

Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 46 | ID 42433977