Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Urlaubsrecht

Muss der Arbeitgeber bei Langzeiterkrankung auf drohenden Urlaubsverfall hinweisen?

von Ass. jur. Petra Wronewitz

| Für langzeiterkrankte Mitarbeiter ist das Urteil des ArbG Köln beachtenswert. Dieses besagt, dass die Rechtsprechung des BAG (19.2.19, 9 AZR 541/15, Abruf-Nr. 207302 ), nach der Arbeitgeber Mitarbeiter auf drohenden Urlaubsverfall individuell hinweisen müssen, nicht gilt, wenn diese langzeiterkrankt sind. Erst wenn der Mitarbeiter genesen ist, treffen den Arbeitgeber wieder Mitwirkungspflichten bei der Urlaubsgewährung. |

 

Sachverhalt

Der 1963 geborene Arbeitnehmer war mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehindert. Er war von Sommer 2017 bis zum 28.2.21 ‒ dem Ende des Arbeitsverhältnisses, das er selbst kündigte ‒ durchgängig erkrankt. Der Arbeitgeber zahlte einen Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 11.528,92 EUR für die Kalenderjahre 2019, 2020 und 2021 an ihn aus.

 

Damit war der Arbeitnehmer nicht einverstanden. Er machte insgesamt einen Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 20.556,92 EUR geltend. Im Wesentlichen ging es darum, dass er auch Abgeltungsansprüche für die Jahre 2017 und 2018 beansprucht. Er ist der Ansicht, der Urlaubsanspruch sei nicht verfallen, da der Arbeitgeber die arbeitgeberseitige Mitwirkungs- und Hinweispflicht hinsichtlich des Verfalls des Urlaubsanspruchs nicht erfüllt habe. Der Urlaubsanspruch sei nicht verjährt.

 

Entscheidungsgründe

Das ArbG Köln (30.9.21, 8 Ca 2545/21, Abruf-Nr. 226214) hielt die Klage des Arbeitnehmers für unbegründet. Demnach steht ihm für die Kalenderjahre 2017 bis 2021 keine Abgeltung zu, welche den gezahlten Betrag von 11.528,92 EUR übersteigen würde. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist gem. § 362 BGB erloschen: Für etwaigen nicht genommenen Urlaub für 2017 und 2018 besteht kein Urlaubsabgeltungsanspruch, da dieser Anspruch zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits verfallen war.

 

MERKE | Zwar ist nach § 7 Abs. 4 BUrlG bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch offener Urlaub finanziell abzugelten. Der Urlaubsanspruch ist nach § 1 BUrlG aber auf das Kalenderjahr befristet. Nur ausnahmsweise ist nach § 7 Abs. 3 BUrlG eine Übertragung des restlichen Urlaubsanspruchs über den Ablauf eines Kalenderjahres hinaus bis zum 31.3. des Folgejahres vorgesehen.

 

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 28.2.21 war der anteilige Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr 2021 noch offen sowie nach § 7 Abs. 3 BUrlG der Urlaubsanspruch für 2020. Da dieser aufgrund in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen (dauerhafte Arbeitsunfähigkeit) nicht genommen werden konnte, ist er nicht mit Ablauf des Kalenderjahres 2020 verfallen, sondern war jedenfalls noch bis zum 31.3.21 übertragbar.

 

Weiter hatte der Arbeitnehmer noch einen Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr 2019. Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 3 BUrlG wäre dieser zwar zum 31.3.20 verfallen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH seit der „Schulz-Hoff“-Entscheidung (20.1.09, C-350/06, Abruf-Nr. 090312) verfällt der Urlaubsanspruch aber bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern, die keine Möglichkeit hatten, ihren Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen, nicht bereits mit Ablauf eines dreimonatigen Übertragungszeitraums nach Ablauf des Kalenderjahres, sondern erst nach 15 Monaten am Ende des Kalenderjahres (st. Rspr. seit BAG 9.8.11, 9 AZR 425/10, Abruf-Nr. 112830).

 

MERKE | Die unionsrechtskonforme Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG erfolgt, indem der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzutritt und so erneut der Frist des § 7 Abs. 3 BUrlG unterfällt. Besteht die Arbeitsunfähigkeit am 31.3. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, gebietet auch das Unionsrecht keine weitere Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs (BAG 11.6.13, 9 AZR 855/11, Abruf-Nr. 133128).

 

Der Urlaubsanspruch des Klägers für die Kalenderjahre 2017 und 2018 war nach Ablauf von 15 Monaten nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres bereits verfallen. Der Arbeitgeber habe ihn nicht dazu auffordern müssen, den Urlaub zu nehmen. Daher kam es auf die seitens der Parteien hilfsweise weiter aufgeworfene Frage der etwaigen Verjährung des Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht mehr entscheidungserheblich an.

 

Relevanz für die Praxis

Nach § 7 Abs. 3 BUrlG ist eine Urlaubsübertragung auf das nächste Kalenderjahr nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des Folgejahres gewährt und genommen werden. Von dieser gesetzlichen Regelung haben sich in der Rechtsprechung zwei relevante Abweichungen entwickelt:

 

  • Der Urlaub langzeiterkrankter Arbeitnehmer, die keine Möglichkeit hatten, ihn in Anspruch zu nehmen, verfällt erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist.
  • Arbeitgeber müssen Mitarbeitern die Anzahl ihrer offenen Urlaubstage mitteilen und sie auf den Urlaubsverfall hinweisen. Nimmt der Mitarbeiter daraufhin den Resturlaub nicht, verfällt sein Anspruch.

 

PRAXISTIPP | Höhere Gerichte haben sich noch nicht mit der Frage befasst, ob auch langzeiterkrankte Arbeitnehmer vom Arbeitgeber aufgefordert werden müssen, den Resturlaub zu nehmen. Das ArbG Köln hat also nun entschieden, dass das nicht notwendig ist. Einiges spricht dafür, dass sich diese Rechtsprechung durchsetzen könnte. Es ist unzweifelhaft, dass der langzeitarbeitsunfähige Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht nehmen kann, weil er eben langzeiterkrankt ist und die Arbeitsunfähigkeit bereits im Ansatz jeglicher Inanspruchnahme von Urlaub entgegensteht. Nur einem Arbeitnehmer, der ansonsten zur Arbeitsleistung verpflichtet wäre, kann Urlaub gewährt werden.

 
Quelle: Ausgabe 01 / 2022 | Seite 5 | ID 47887649