· Fachbeitrag · Agenturvertrag
Kündigung durch Versicherer ‒ das müssen Versicherungsvertreter wissen und beachten
von Rechtsanwalt Bernd Schleicher, Dr. Heinicke, Eggebrecht & Partner mbB, München, www.heinicke-eggebrecht.com
| Kündigt der Versicherer den Agenturvertrag, sollte der Versicherungsvertreter nicht in Schockstarre verfallen, sondern einige Prüfungen vornehmen und evtl. auch selbst aktiv reagieren. VVP erläutert nachfolgend, was Versicherungsvertreter wissen und beachten müssen. |
Wahrt die Kündigung die Form?
Erhalten Sie eine Kündigung, prüfen Sie zuerst, ob die Kündigung formal in Ordnung ist. Achten Sie auf drei Punkte:
1. Befugter Vertragspartner?
Prüfen Sie als erstes: Handelt es sich bei dem, der die Kündigung ausgesprochen hat, tatsächlich um Ihren Vertragspartner? Oder hat ein anderes Unternehmen des Konzerns gekündigt, mit dem Sie gar keine direkten Vertragsbeziehungen haben? Hat gar jemand unterzeichnet, der laut Handelsregister nicht vertretungsberechtigt ist? Ist das der Fall, ist die Kündigung unwirksam. Das eröffnet verschiedene Möglichkeiten, die Sie mit Ihrem Rechtsbeistand abklären müssen.
2. Ordentliche Vertretung?
Prüfen Sie anschließend: Spricht ein Vertreter Ihres Vertragspartners, z. B. ein Rechtsanwalt, die Kündigung für den Versicherer aus? Dann muss er dies unter Vorlage einer Originalvollmacht tun (§ 174 BGB). Tut er das nicht, weisen Sie die Kündigung unter Hinweis auf das Fehlen der Vollmacht durch Brief an den die Kündigung aussprechenden Vertreter zurück.
Wichtig | Tun Sie das sofort; denn die Zurückweisung muss unverzüglich erfolgen.
3. Richtiger Adressat?
Hat der Versicherer die Kündigung gegenüber dem richtigen Vertragspartner ausgesprochen? Ist dies nicht der Fall, entfaltet die Kündigung überhaupt keine Wirkung. Maßgeblich dafür ist, was im Agenturvertrag steht.
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Besteht der Agenturvertrag mit einer GbR, OHG oder GmbH, muss der Versicherer ausdrücklich der GbR, OHG oder GmbH kündigen. Es reicht nicht, wenn der Versicherer die Kündigung gegenüber einem Versicherungsvertreter persönlich erklärt. Ausnahme: Entsprechende Vereinbarung im Agenturvertrag oder in Zusatzverträgen. |
Ordentliche Kündigung - ist die Kündigungsfrist gewahrt?
Hat der Versicherer eine ordentliche Kündigung ausgesprochen, prüfen Sie, ob er die Kündigungsfristen eingehalten hat. § 89 Abs. 1 HGB sieht vor, dass
- der Vertrag im ersten Jahr der Vertragsdauer mit einer Frist von einem Monat,
- im zweiten Jahr mit einer Frist von zwei Monaten,
- im dritten bis fünften Jahr mit einer Frist von drei Monaten und
- danach mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden darf.
Die Kündigung ist nur zum Ende eines Kalendermonats zulässig, sofern nichts anderes vereinbart wurde.
Wichtig | Im Agenturvertrag werden oft längere Kündigungsfristen vereinbart. Teilweise belaufen sich diese auf zwölf Monate zum Quartalsschluss. Dazu müssen Sie wissen: Eine Verlängerung der Kündigungsfrist ist zulässig, sofern sie für Vertreter und Versicherer einheitlich ist. Unzulässig und daher angreifbar ist die Verkürzung der gesetzlichen Kündigungsfristen oder die Bestimmung einer uneinheitlichen Frist, die für den Versicherer kürzer ist als für den Vertreter (§ 89 Abs. 2 HGB). Dann gilt die kürzere gesetzliche Frist. Allerdings können Sie gegen sich auch immer die längere Frist gelten lassen, wenn Ihnen das zu pass kommt. Sie haben dann also die Wahl.
Ordentliche Kündigung ‒ kann das VU Sie freistellen?
Der Versicherer möchte nach der Kündigung des Agenturvertrags häufig nicht mehr, dass Sie noch weiter für ihn tätig sind. Da das Vertragsverhältnis aber noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist besteht, spricht der Versicherer daher mit der Kündigung die Freistellung aus. Doch ganz so einfach geht das nicht. Der BGH macht die Wirksamkeit einer Freistellung ‒ zum Schutz des Vertreters ‒ von drei Voraussetzungen abhängig (BGH, Urteil vom 29.03.1995, Az. VIII ZR 102/94, Abruf-Nr. 102319):
- 1. Ausdrückliche Regelung: Der Versicherer darf Sie nur freistellen, wenn dies im Agenturvertrag ausdrücklich vertraglich vereinbart ist. Zulässig sind auch vorformulierte Regelungen mittels AGB. Umgekehrt gilt: Ohne ausdrückliche Regelung ist eine Freistellung unzulässig.
- 2. Angemessene Vergütung: Der Versicherer muss Ihnen ab dem Zeitpunkt der Freistellung bis zum Vertragsende eine Vergütung zahlen. Diese richtet sich grundsätzlich nach dem Durchschnitt des bisherigen Provisionsverdienstes. Folgende Klausel im Agenturvertrag hält der BGH für zulässig:
- Klausel
Bis zur Beendigung des Vertrags erhält der Vertreter die ihm zustehenden Folgeprovisionen sowie eine monatliche Ausgleichszahlung. Die Folgeprovisionen bemessen sich aus dem Bestand im Zeitpunkt der Freistellung. Die Ausgleichszahlung bemisst sich nach dem monatlichen Durchschnitt der in den letzten zwölf Monaten vor der Freistellung verdienten erstjährigen Provisionen.
- 3. Dauer: Die Freistellung darf zusammen mit einem evtl. nachvertraglichen Wettbewerbsverbot die Höchstgrenze von zwei Jahren nicht überschreiten. Denn sie ist nichts anderes als ein vorgezogenes Wettbewerbsverbot im Sinne des § 90a HGB. Wird die Höchstgrenze überschritten, ist die Vereinbarung unwirksam.
PRAXISTIPP | Prüfen Sie Ihre Freistellungsklausel. Die Erfahrung zeigt, dass Freistellungsvergütungen häufig zu niedrig bemessen sind und Sie einen Ergänzungsanspruch haben. Bringen Sie diesen zur Sprache, wenn Sie mit dem Versicherer über die vorzeitige Beendigung des Agenturvertrags verhandeln; etwa weil die Freistellung aufgrund langer Kündigungsfristen ein dreiviertel Jahr und länger dauert, und Sie die Kappung Ihrer Kundenverbindungen befürchten. |
Fristlose Kündigung ‒ ist sie überhaupt berechtigt?
Die fristlose Kündigung ist das einschneidendste Ereignis für Vertreter. Dreh- und Angelpunkt ist hier die Frage, ob der Versicherer dazu überhaupt berechtigt war.
War dem Versicherer eine vorherige Abmahnung zumutbar?
Prüfen Sie zuerst, ob der Kündigung eine Abmahnung vorausgegangen ist und, wenn nein, ob eine solche dem Versicherer zumutbar gewesen wäre. Dazu müssen Sie wissen: Die Rechtsprechung geht mehr und mehr dazu über, dass der Versicherer nicht nur bei Verstößen im Leistungs-, sondern auch im Vertrauensbereich eine Abmahnung aussprechen muss, bevor er kündigt (Hintergrund ist § 314 BGB). Tut er das nicht, fehlt es am wichtigen Grund; die Kündigung ist unwirksam. Eine Abmahnung ist nur verzichtbar bei krassen Vertragsverstößen, bei denen das Vertrauen derart gestört ist, dass es nicht wiederhergestellt werden kann.
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Wichtig | Der Versicherer kann die fristlose Kündigung nur innerhalb einer relativ kurzen Frist nach Bekanntwerden des Kündigungsgrundes aussprechen. Als Faustregel gilt hier eine Frist von zwei Wochen. Hat sich der Versicherer in Ihrem Fall daran gehalten?
Liegt ein wichtiger Kündigungsgrund vor?
Die fristlose Kündigung steht und fällt mit dem wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 89a HGB. Hier stellt sich die Frage, ob dem Versicherer die Vertragsfortsetzung und das Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar sind.
Ob die Voraussetzungen vorliegen, ist regelmäßig Streitthema ‒ und es kann sich hinziehen, bis Sie Klarheit haben. Erschwerend kommt hinzu, dass der fristlose Kündigungsgrund von dem Versicherer in der Kündigung nicht genannt werden muss, damit diese wirksam ist. Sie tappen somit erst einmal im Dunkeln. Das Motto heißt: Flucht nach vorn, und zwar wie folgt:
PRAXISTIPPS |
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Von diesen Maßnahmen raten wir ab
Folgende Wege führen dagegen nicht zum Ziel:
- Widerspruch: Es reicht nicht, nur Widerspruch gegen die fristlose Kündigung des Versicherers zu erheben und den Versicherer unter Fristsetzung zur Rücknahme der Kündigung aufzufordern. Denn erstens wird der Versicherer die Kündigung nicht zurücknehmen. Zweitens beseitigen Sie mit dem Widerspruch den Schwebezustand nicht: Ungeklärt bleibt die Frage, ob Sie noch länger an den Versicherer gebunden oder ob Sie schon frei sind. Werden Sie in dieser Situation für ein Konkurrenzunternehmen tätig, kann Ihnen der Versicherer wegen Konkurrenztätigkeit nochmals fristlos kündigen; diesmal aber dürfte an der Berechtigung der Kündigung nicht zu zweifeln sein. Sie würden Ihren Ausgleichsanspruch und etwaige Schadenersatzansprüche nur deswegen verlieren, weil Sie nicht gleich adäquat reagiert haben.
- Klage: Selbst wenn Sie nach erfolglosem Widerspruch gegen die Kündigung klagen, haben Sie nur die Hoffnung, irgendwann Recht zu bekommen, dass die fristlose Kündigung unwirksam ist. Damit ist Ihnen aber nicht geholfen. Das Gericht wird die Kündigung in eine ordentliche umdeuten. Sie zögern das Vertragsende also nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist hinaus und können die laufende Provision bis dahin retten. Doch Ihre Kundenbeziehungen gehen nach und nach verloren, weil Sie sich während des Prozesses an das Wettbewerbsverbot halten müssen.
Fristlose Kündigung ‒ was ist mit dem Ausgleichsanspruch?
Ist die fristlose Kündigung des Versicherers berechtigt und beruht diese auf einem schuldhaften Verhalten Ihrerseits, verlieren Sie Ihren Ausgleichsanspruch (§ 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB). Hier gibt es nun eine interessante neue Rechtsprechung: Der Ausgleichsanspruch ist nur dann ausgeschlossen, wenn die wichtigen Gründe auch Ursache der Kündigung waren. So entschied jedenfalls nun in richtlinienkonformer Auslegung von § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB das LG Köln (Urteil vom 20.11.2020, Az. 89 O 21/20, Abruf-Nr. 223201) bestätigt durch Berufungsrücknahme nach bestätigendem Hinweisbeschluss des OLG Köln vom 01.03.2021 (Az. 19 U 148/20, Abruf-Nr. 222834).
Folge: Wenn der Versicherer die wichtigen Gründe nicht in der Kündigung oder deren unmittelbaren Zusammenhang ausdrücklich benennt (sondern erst später), hat er ein erhebliches Problem nachzuweisen, dass seine Kündigung genau auf diesen wichtigen Gründen beruhte. D. h. im Klartext: Die fristlose Kündigung wäre zwar berechtigt, der Ausgleichsanspruch würde aber trotzdem bestehen.
Wettbewerbsverbot ‒ sind die Bedingungen eingehalten?
Sollte der Versicherer auf ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot pochen, sehen Sie auch hier genauer hin. Sie müssen wissen: Damit das nachvertragliche Wettbewerbsverbot wirksam ist, müssen Sie es explizit vereinbart haben ‒ meist im Agenturvertrag. Zum Schutz des Vertreters müssen zwei Voraussetzungen eingehalten werden:
- Das Verbot darf längstens für die Dauer von zwei Jahren ab Beendigung des Vertragsverhältnisses vereinbart werden.
- Der Versicherer muss während dieser Zeit eine Karenzentschädigung zahlen, die sich an den bisherigen Provisionseinnahmen orientieren muss. Ist eine Karenzentschädigung nicht vertraglich vereinbart, so wird die Wettbewerbsabrede aber nicht unwirksam. Das Wettbewerbsverbot bleibt bestehen. Aber Sie haben Anspruch auf eine angemessene Karenzentschädigung.
Bis zum Ende des Vertragsverhältnisses kann der Versicherer einseitig auf das Wettbewerbsverbot verzichten. Das muss er schriftlich tun. Damit wird er aber nicht von der Pflicht frei, eine Karenzentschädigung zu zahlen. Dazu ist er sechs Monate lang verpflichtet, gerechnet ab dem Verzicht (§ 90a Abs. 2 HGB).
PRAXISTIPP | Haben Sie eine Wettbewerbsabrede im Vertrag und wollen Sie nach Ende des Vertragsverhältnisses nicht mehr im Versicherungsgewerbe tätig sein, können Sie nach Vertragsende auf Karenzentschädigung bestehen. Dann haben Sie aber auch eine gute Position für Verhandlungen mit dem Versicherer hinsichtlich einer Abgeltung und vorzeitigen Beendigung der Wettbewerbsverbotszeit. |
Zuletzt: Achten Sie darauf, dass Ihnen ab der Übertragung Ihrer Bestände auf einen Nachfolger (= ab Vertragsende bzw. Freistellung) keine Provisionsstornierungen ins Soll geschrieben werden, die Ihren Nachfolger betreffen.