· Fachbeitrag · Akteneinsicht
Zweite Entscheidung eines VerfGH zur Akteneinsicht im „standardisierten Messverfahren“
| In Sachen Einsichtnahme in Messdaten im standardisierten Messverfahren liegt nun auch eine Entscheidung des VerfGH Rheinland-Pfalz vor. Der Beitrag erläutert, wie weit die Entscheidung geht und ob jetzt Bewegung in die Diskussion kommt. |
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Dem Betroffenen war vorgeworfen worden, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften überschritten zu haben. Gemessen wurde mit dem in einem Enforcement Trailer eingebauten Messgerät des Typs PoliScan FM1. Im Laufe des Verfahrens, zuletzt noch in der mündlichen Verhandlung vor dem AG, beantragte die Verteidigerin des Betroffenen die Überlassung verschiedener Messdaten sowie der Auf- und Einbauvorschriften für die Verwendung des Gerätes in einem Enforcement Trailer, ferner die Aussetzung des Verfahrens sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Fehlerhaftigkeit der Geschwindigkeitsmessung.
Das AG hat die Anträge abgelehnt und den Betroffenen zu einer Geldbuße von 120 EUR verurteilt. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat der Betroffene u. a. geltend gemacht, hinsichtlich der Aufbauvorschriften könne auf die Rechtsprechung mehrerer OLG zu Bedienungsanleitungen zurückgegriffen werden, die ein Einsichtsrecht des Betroffenen bejahe. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde durch den Einzelrichter des Bußgeldsenats (§ 80a Abs. 1 OWiG) als unbegründet verworfen. Sämtliche im Zulassungsantrag aufgeworfenen Rechtsfragen verfahrens- und materiell-rechtlicher Art seien ‒ so das OLG ‒ geklärt. |
1. Verfassungsbeschwerde vor dem VerfGH Rheinland-Pfalz
Mit seiner Verfassungsbeschwerde hat der Betroffene geltend gemacht, die Nichtüberlassung der Messdaten und weiterer Dokumente verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren, die Ablehnung des beantragten Sachverständigengutachtens zudem gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Der Beschluss des OLG sei mit den Garantien des gesetzlichen Richters und effektiven Rechtsschutzes unvereinbar.
Die Verfassungsbeschwerde hatte vor dem VerfGH Rheinland-Pfalz teilweise Erfolg (15.1.20, VGH B 19/19, Abruf-Nr. 214095). Die Entscheidung des OLG Koblenz verletzt die Rechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 der Landesverfassung Rheinland-Pfalz) und den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 S. 1 LV). Der Beschwerdeführer hat in seinem Zulassungsantrag ausdrücklich auf die Rechtsprechung mehrerer OLG hingewiesen. Danach besteht ein Recht auf Einsichtnahme in die mit der hier geforderten Aufbauanleitung vergleichbare Gebrauchsanweisung eines Messgeräts, wenn diese sich nicht bei der Gerichtsakte befinde. Vor diesem Hintergrund ist objektiv kein Gesichtspunkt erkennbar, der die Verwerfung des Zulassungsantrags als unbegründet rechtfertigt. Besteht zu derselben Rechtsfrage bereits eine abweichende Rechtsprechung anderer OLG, ist die Rechtsbeschwerde vielmehr zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, um eine Divergenzvorlage an den BGH zu ermöglichen.
Hinsichtlich der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen ist die Verfassungsbeschwere hingegen zurückzuweisen. Wegen des verfassungsprozessualen Grundsatzes materieller Subsidiarität ist dem OLG durch die Zurückverweisung zunächst Gelegenheit zu geben, erneut über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu befinden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die an der jüngeren Rechtsprechung des VerfGH Saarland (5.7.19, Lv 7/17) zu den Gewährleistungen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs orientierte Argumentation des Betroffenen keineswegs zwingend ist. Gerade im Ordnungswidrigkeitenverfahren, das sich in wesentlichen Punkten vom Strafverfahren unterscheidet, ist neben den Rechten des Betroffenen auch die Erfordernisse einer funktionierenden Rechtspflege in den Blick zu nehmen. Es würde die Bußgeldstellen zu stark belasten, wenn jeder Verkehrsteilnehmer die Messung überprüfen und Einspruch gegen seinen Bußgeldbescheid einlegen würde.
2. Kommt jetzt Bewegung in die Sache?
Na ja, teils teils. Einerseits kommt der mehr als deutliche Hinweis an das/die OLG, endlich dem BGH vorzulegen. Andererseits geht das VerfG Rheinland-Pfalz in der Sache nicht so weit wie der VerfGH Saarland. Jener ist davon ausgegangen, dass eine Geschwindigkeitsmessung für den Betroffenen überprüfbar sein muss. Man darf gespannt sein, ob das OLG Koblenz nun endlich diesen Hinweis aufgreift und dem BGH vorlegt. Hinsichtlich der Rohmessdaten und der Überprüfbarkeit der Messungen bleibt der VerfGH Rheinland-Pfalz eine Erklärung schuldig, warum es erlaubt sein soll, einen Betroffenen aufgrund von Feststellungen zu verurteilen, die geheim sind und von ihm nicht überprüft werden konnten. Das hat mit „funktionierender Rechtspflege nichts zu tun.
Die Diskussion wird also im Zweifel weitergehen. Daher haben wir für Sie die Rechtsprechung der letzten Zeit zusammengestellt (vgl. zuletzt VA 19, 185).
Übersicht / Einsicht in/Herausgabe von Messdaten | |
OLG Dresden 11.12.19, OLG 23 Ss 709/19 (B), Abruf-Nr. 213835 |
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OLG Karlsruhe 27.9.19, Abruf-Nr. 213839 | Es ist an der Rechtsprechung festzuhalten, wonach die Nichtüberlassung von Messdaten oder Messunterlagen, welche ein Betroffener zur Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, eine Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG) ist, wenn deshalb ein Antrag auf Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung gestellt wurde. |
OLG Schleswig 5.6.19, Abruf-Nr. 213842 | Wird der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens abgelehnt, um nicht bei den Akten befindliche Messunterlagen beizuziehen, die eine Überprüfung des Messergebnisses eines standardisierten Messverfahrens ermöglichen sollen, verletzt dies weder den Anspruch auf rechtliches Gehör noch den Grundsatz auf Gewähr eines fairen Verfahrens. |
LG Baden-Baden 6.12.19, Abruf-Nr. 213827 |
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LG Dortmund 29.11.19, Abruf-Nr. 213828 |
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LG Köln 11.10.19, Abruf-Nr. 213829 |
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LG Zweibrücken 4.9.19, 1 Qs 45/19, Abruf-Nr. 213831 | Bei standardisierten Messverfahren besteht kein Recht auf Einsicht in nicht bei der Akte befindliche Unterlagen. Die Rechte eines Betroffenen gehen nicht über den Umfang der gerichtlichen Aufklärungspflicht hinaus. |
AG Aurich 27.9.19, 60 OWi 1636/19, Abruf-Nr. 213821 | Ein Anspruch des Betroffenen auf Einsicht in die „Lebensakte“ und auf Übermittlung der unverschlüsselten Rohmessdaten besteht nicht. |
AG Baden-Baden 2.10.19, Abruf-Nr. 213822 |
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AG Koblenz 20.12.19, 34 OWi 2010 Js 56667/19, Abruf-Nr. 213823 |
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AG Landstuhl Beschluss vom 6.11.19, Abruf-Nr. 213825 | Der Betroffene bzw. seine Verteidigung hat ein Recht auf Einsicht in die Messreihe, Reparaturnachweise seit der letzten Eichung, Beschilderungsplan und verkehrsrechtliche Anordnung. |