· Fachbeitrag · Apothekenrecht
Wann sind Apotheker berufsunfähig?
von RA Tim Hesse, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund/Münster
| Eine Apothekerin, die unter einer schweren Zwangsstörung, bestehend aus Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, sowie unter Depressionen und einer Krebserkrankung leidet, muss nicht unbedingt berufsunfähig sein (Verwaltungsgericht [VG] Stuttgart, Urteil vom 14.01.2021, Az. 4 K 6874/19, Urteil unter dejure.org ). |
Sachverhalt
Die Apothekerin beantragte bei der Bayerischen Apothekerversorgung die Zahlung von Ruhegeld wegen dauernder Berufsunfähigkeit (BU). Dem Antrag waren verschiedene Unterlagen, ärztliche Stellungnahmen und Beurteilungen ihrer Belastbarkeit und ihres Leistungsvermögens beigefügt. Darin wurde die Fortsetzung ihrer früheren Tätigkeit in einer konventionellen Apotheke mit Kundenkontakt ausgeschlossen; insoweit galt die Apothekerin als arbeitsunfähig. Einem Sachverständigengutachten zufolge sollten ihr jedoch leichte Tätigkeiten z. B. ohne direkten Kundenkontakt, Infektionsgefahr oder besondere Stressbelastung möglich sein. In ihrem Berufsfeld kämen für sie etwa Tätigkeiten am Schreibtisch (Recherchen, schriftliche Beratung) oder in Online-Apotheken infrage.
Die Versorgungskammer lehnte den Antrag ab. Für die Feststellung der BU sei eine langfristige Prognose erforderlich. Die weitere Behandlung der Apothekerin sei notwendig und Erfolg versprechend. Die Apothekerin versuchte, die Bewilligung der Ruhegeld-Zahlung auf dem Klageweg durchzusetzen. Das VG gab jedoch der Apothekerversorgung recht und bestätigte deren Entscheidung.
Entscheidungsgründe
BU in der berufsständischen Pflichtversorgung sei eigenständig, also unabhängig vom Begriff der BU bzw. der Erwerbsminderung in der gesetzlichen Rentenversicherung zu beurteilen, hieß es zur Begründung. Sie sei anhand der jeweiligen berufsspezifischen Tätigkeit unter Berücksichtigung der Entwicklung des Berufsbilds sowie der Vorschriften über die Kammermitgliedschaft und die Teilnahme am Versorgungswerk zu bestimmen.
Ruhegeld-Zahlung wegen BU: die Voraussetzungen
Ein Anspruch auf Ruhegeld bei BU bestehe für jedes Mitglied der (Bayerischen) Apothekerversorgung, das
- vor dem Zeitpunkt, zu dem es erstmals vorgezogenes Altersruhegeld beziehen kann, berufsunfähig geworden ist,
- einen Antrag auf Ruhegeld stellt und
- die berufliche Tätigkeit einstellt,
befand das Gericht. Die BU sei durch ärztliche Atteste, Befunde, Gutachten und ähnliche Unterlagen nachzuweisen.
MERKE | Die Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer BU liegt bei dem Versorgungswerk-Mitglied, das den Ruhegeld-Antrag stellt. |
Wann liegt eine BU vor?
Nach Maßgabe der einschlägigen Satzung sei ein Mitglied berufsunfähig, das infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder einer Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit im Apothekerberuf auszuüben, so das VG. BU liege (allerdings erst) dann vor, wenn im Einzelfall eine die Existenz sichernde Berufstätigkeit (zumindest für einen längeren Zeitraum) nicht mehr ausgeübt werden kann. Eine festgestellte Arbeitsunfähigkeit spiele dabei keine Rolle, da sie sich lediglich auf die zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit beziehe und einen (vorübergehenden) Leistungsausschluss für diese belege.
Können Antragsteller auf alternative Tätigkeiten verwiesen werden?
Bei einer BU-Prüfung sind alle Tätigkeitsbereiche, in denen Apotheker ihren Beruf ausüben, und alle Tätigkeiten, zu deren Ausübung sie von ihrer Ausbildung her im Einzelfall berechtigt und befähigt sind, in den Blick zu nehmen. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 2 Bundes-Apothekerordnung (BApO) umfasst der Apothekerberuf u. a. folgende pharmazeutische Tätigkeiten:
- Herstellung der Darreichungsform von Arzneimitteln
- Arzneimittelforschung, -entwicklung, -herstellung, -prüfung
- Tätigkeiten in Laboratorien, Krankenhäusern oder der pharmazeutischen Industrie, in Behörden, Körperschaften des öffentlichen Rechts, Berufs- und Fachverbänden sowie in Lehre und Forschung
- Lagerung, Qualitätserhaltung und Vertrieb von Arzneimitteln im Großhandel
- Information und Beratung über Arzneimittel
- Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen an Behörden
- Personalisierte Unterstützung von Patienten bei Selbstmedikation
- Beiträge zu gesundheitsbezogenen Kampagnen
Allerdings können Antragsteller nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden, die nur in Einzelfällen nach besonderen Anforderungen eines bestimmten Betriebs geschaffen oder auf spezielle Bedürfnisse eines bestimmten Mitarbeiters zugeschnitten worden sind (sogenannte Nischen- oder Schonarbeitsplätze), sowie auf Tätigkeiten, die nur in so geringer Zahl bereitstehen, dass von einem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr die Rede sein kann.
FAZIT | Die klagende Apothekerin konnte nicht nachweisen, dass ihre gesundheitlichen Einschränkungen einen Ausschluss jedweder pharmazeutischer Tätigkeit bedingen. Dabei spielten auch die für sie bestehenden Erfolg versprechenden und zumutbaren Therapiemöglichkeiten eine Rolle.
Die Ausführungen des VG sind auf andere Kammerbezirke grundsätzlich übertragbar. Unter welchen Voraussetzungen eine BU zu bejahen ist, welchen Grad sie erreichen muss und in welchem Umfang ggf. eine Verweisung auf andere Tätigkeiten infrage kommt, ist allerdings immer einzelfallbezogen nach dem jeweils geltenden Landesrecht zu beurteilen. |