· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Unternehmensnachfolge: Die zehn häufigsten Probleme aus arbeitsrechtlicher Sicht
von Dr. Guido Mareck, stellv. Direktor des Arbeitsgerichts Dortmund
| Gibt man bei Google „Unternehmensnachfolge“ ein, erscheinen über 1,5 Mio. Links. Eindeutiger Schwerpunkt sind hierbei Vorschläge zu steuerrechtlichen Fragestellungen. Arbeitsrechtliche Themen sind eher Mangelware. Dabei geht es bei der Unternehmensnachfolge doch wohl auch um die Arbeitnehmer. Hier setzt die Rubrik „Unternehmensnachfolge aus arbeitsrechtlicher Sicht“ an, damit Sie als Steuerberater und erster Ansprechpartner handfeste Tipps und Hinweise für den/die „neuen Inhaber/in“ auch zu diesem Thema bereithalten. |
1. Welche Arbeitnehmer sind vom Übergang betroffen?
Bevor es überhaupt mit dem „Übergang“ losgeht, muss festgestellt werden, welche Arbeitnehmer betroffen sind. Dabei kann sich die Zuordnung zum Veräußererbetrieb objektiv aus dem Arbeitsvertrag, aus der tatsächlichen Arbeitspraxis bzw. aus der Eingliederung des Arbeitnehmers in den betroffenen Betrieb oder Betriebsteil ergeben. Darüber hinaus lassen sich der Übergang des Arbeitsverhältnisses und die Anrechnung der Betriebszugehörigkeit auch durch Einigung zwischen dem Veräußerer, dem Erwerber und dem Arbeitnehmer erreichen. Die Zustimmung des Arbeitnehmers zu einer solchen Einigung ist wegen des Schutzcharakters des § 613a BGB zwingend. Der Arbeitnehmer muss sich gegen seinen Willen nicht auf einen anderen Vertragspartner als seinen ursprünglichen Arbeitgeber einlassen.
Vom Schutz des § 613a BGB erfasst sind Personen, die in einem Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer des Betriebs stehen. Das sind nicht automatisch alle im Betrieb Tätigen.
- Nicht erfasst sind z. B. Selbstständige und freie Mitarbeiter, die auf Honorarbasis auf Grundlage von Dienst- oder Werkverträgen für ein Unternehmen tätig sind.
- Geschützt sind aber Auszubildende, leitende Angestellte, in Teilzeit oder befristet Beschäftigte sowie Angestellte, deren Arbeitsverhältnisse vorübergehend ruhen, z. B. während der Elternzeit.
Beim Übergang eines separaten Betriebsteils kann es schwierig sein zu beurteilen, welcher Arbeitnehmer der betroffenen Organisationseinheit angehört. Dies wird zum Problem, wenn Arbeitnehmer mehrfach die Abteilungen gewechselt oder aber Aufgaben für mehrere Bereiche wahrgenommen haben. Die Zuordnung muss dann im Einzelfall genau geprüft werden. Maßgeblich sind unter anderem die Ausübung des Direktionsrechts durch den alten Arbeitgeber und die Form der Einbindung des Mitarbeiters in die Strukturen des Unternehmens. Zulässig kann eine Einigung des Betriebsveräußerers und des Erwerbers unter Einbeziehung der betroffenen Arbeitnehmer über die konkrete Zuordnung zu einem Betriebsteil sein.
2. Vertraglicher Ausschluss der Erwerberhaftung
Ist es möglich, die Haftung des Erwerbers „per Vertrag“ auszuschließen?
§ 613a Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB sehen als entscheidende Folge des Betriebsübergangs den Eintritt des Erwerbers des übergehenden Betriebs in die bestehenden Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer des Veräußererbetriebs vor. Der Erwerber übernimmt damit alle Rechte und Pflichten des bisherigen Arbeitgebers. Er ist gegenüber den Arbeitnehmern weisungsbefugt und haftet umfassend für sämtliche Verbindlichkeiten, wie Vergütung, Kompensation von Überstunden, Urlaubsansprüche und ggf. Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung.
Die Haftung des Erwerbers erstreckt sich nach § 613a Abs. 1 und 2 BGB uneingeschränkt auch auf Verbindlichkeiten aus der Zeit vor dem Betriebsübergang. Neben dem Erwerber haftet auch der Veräußerer eingeschränkt weiterhin gegenüber dem Arbeitnehmer für Forderungen und Ansprüche, die vor dem Betriebsübergang entstanden sind und vor Ablauf eines Jahres nach dem Übergang fällig werden, als Gesamtschuldner. Die Haftung für solche Forderungen ist hingegen für den Veräußerer zeitanteilig bezogen auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs beschränkt.
3. Unterrichtungspflicht des Veräußerers oder Erwerbers und Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer
Nach einer ordnungsgemäßen Unterrichtung vom Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach § 613a Abs. 5 BGB in Textform auf einen Dritten als Erwerber kann der betroffene Arbeitnehmer gegenüber dem Erwerber oder dem Veräußerer schriftlich innerhalb eines Monats dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen.
Bei ordnungsgemäßem Widerspruch bleibt dann das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und dem Veräußerer zunächst bestehen. Ohne einen solchen Widerspruch geht es auf den Erwerber über. Veräußerer und Erwerber müssen beachten, dass bei der Formulierung des Informationsschreibens besondere Sorgfalt gefordert ist. Nur eine den Anforderungen des § 613a Abs. 5 Nr. 1 bis 4 BGB entsprechende Unterrichtung setzt die Widerspruchsfrist in Gang.
Die Anforderungen der Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Unterrichtung sind dabei hoch. Die Umstände und Folgen des Übergangs sind konkret und unternehmensbezogen darzustellen, nur so wird der Arbeitnehmer in die Lage versetzt, über die Ausübung des Widerspruchsrechts zu entscheiden. Fehler bei der Unterrichtung führen neben etwaigen Schadenersatzansprüchen dazu, dass die Widerspruchsfrist nicht zu laufen beginnt und die betroffenen Arbeitnehmer u. U. sehr lange Zeit dem Betriebsübergang mit allen daraus resultierenden rechtlichen und tatsächlichen Konsequenzen widersprechen können.
Nach § 613a Abs. 5 BGB müssen die betroffenen Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang schriftlich über den geplanten Zeitpunkt des Übergangs, den Grund dafür, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen sowie über die für die Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang geplanten Maßnahmen unterrichtet werden.
Diese Angaben kann sowohl der bisherige als auch der neue Betriebsinhaber erteilen. Die sorgfältige Erfüllung dieser Pflicht sollte in jedem Fall ernst genommen werden, da die Gerichte dem Arbeitgeber in der Praxis sehr ausführliche Informationen abverlangen. Hierbei fordert das BAG (23.7.09, 8 AZR 541/08) unter anderem, dass bei der Angabe des Rechtsgrundes des Betriebsübergangs auch diejenigen unternehmerischen Gründe offenzulegen sind, die sich beim Betriebserwerber bzw. im Fall des Widerspruchs beim Betriebsveräußerer auf den Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers auswirken. Hinsichtlich der Folgen und der geplanten Maßnahmen für die Arbeitnehmer umfasst die Informationspflicht auch die Erläuterung geplanter Umstrukturierungen, Qualifizierungsmaßnahmen, etwaiger Sozialpläne usw.
Erfüllen Betriebsveräußerer oder -erwerber ihre Informationspflicht nur unvollständig oder fehlerhaft, so kann diese Pflichtverletzung zum einen Schadenersatzansprüche nach § 280 BGB rechtfertigen, wenn Beschäftigten hierdurch ein konkret nachweisbarer Schaden entsteht.
Zum anderen beginnt die einmonatige Widerspruchsfrist für die Arbeitnehmer nicht zu laufen. Das bedeutet, dass ein Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht noch Monate oder gar Jahre nach dem Betriebsübergang ausüben kann und dadurch rückwirkend wieder Arbeitnehmer seines alten Arbeitgebers wird. Letzterer hat dann ggf. die Möglichkeit der betriebsbedingten Kündigung, wenn er den Arbeitnehmer in seinem Unternehmen nicht mehr beschäftigen kann.
Das Widerspruchsrecht kann verwirken, wenn sich ein Arbeitnehmer zunächst auf das Bestehen seines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber beruft, dieses einvernehmlich beendet, später dann jedoch einen Widerspruch gegen den Betriebsübergang erklärt (BAG 17.10.13, 8 AZR 974/12).
Checkliste / Informationspflichten nach § 613a Abs. 5 BGB |
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4. Bereinigung des Arbeitnehmerstamms um Minderleister
In bestimmten Fällen fordert der Unternehmensnachfolger vom Veräußerer, dass dieser die größten Low-Performer, die Mitarbeiter mit minderer Leistung, noch vor dem Übergang kündigt. Ist das möglich?
In § 613a Abs. 4 BGB ist das Kündigungsverbot für den früheren und den neuen Betriebsinhaber normiert. Kündigungen aus anderen Gründen, die mit dem Betriebsübergang nichts zu tun haben, bleiben erlaubt. Insbesondere personen- oder verhaltensbedingte Kündigungen sind nach wie vor möglich.
Bei betriebsbedingten Kündigungen kommt es darauf an, ob sie gerade wegen des Übergangs ausgesprochen werden sollen, dieser also objektiv der wesentliche Grund für die Kündigung ist. Die Unwirksamkeit einer Kündigung nach § 613a Abs. 4 BGB „wegen“ des Betriebsübergangs erfordert nicht zwingend einen nahen zeitlichen Zusammenhang zu dem Betriebsübergang selbst. Stets muss aber der Betriebsübergang der eigentliche Grund für die Kündigung sein, damit die Unwirksamkeit nach § 613a Abs. 4 BGB eingreift.
Eine Kündigung ist daher sowohl dem Veräußerer als auch dem Erwerber möglich, wenn neben dem Betriebsübergang ein die Kündigung sozial rechtfertigender Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 1 KSchG besteht. Im oben genannten Beispiel kommt es daher darauf an, ob der Veräußerer für die Kündigung der „Low-Performer“ tatsächlich einen personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgrund vor Gericht darlegen und beweisen kann, oder ob er nur den Willen des potenziellen Erwerbers erfüllen wollte.
5. Individuelle Vereinbarungen mit Mitarbeitern abseits der Norm
Der Veräußerer hat mit einem Mitarbeiter Besonderheiten zum früheren Ausscheiden abgemacht. Der Unternehmensnachfolger ist damit nicht einverstanden. Und was jetzt?
Generell bleiben Regelungen und Vereinbarungen, die der alte Arbeitgeber vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs mit seinen Arbeitnehmern trifft, auch gegenüber dem Betriebserwerber wirksam. Eine Grenze ist allerdings im Fall des kollusiven Zusammenwirkens von Arbeitnehmer und Betriebsveräußerer zulasten des Betriebserwerbers erreicht. Darüber hinaus gelten für den Übergang eines Betriebs in der Insolvenz die besonderen Regeln der InsO.
6. Individuelle Eigenheiten der betrieblichen Altersvorsorge
Es soll vorkommen, dass der Veräußerer vergisst zu erwähnen, dass es Eigenheiten im Unternehmen bei der betrieblichen Altersvorsorge gibt.
Auch die Verpflichtungen des bisherigen Arbeitgebers aus der betrieblichen Altersvorsorge gehen vom Veräußerer auf den Erwerber über. Dabei sind insbesondere bereits entstandene Anwartschaften, für die der Arbeitnehmer schon Leistungen erbracht hat, geschützt. Der Erwerber hat lediglich die Möglichkeit, den Durchführungsweg der betrieblichen Altersvorsorge zu ändern, wenn er z. B. die bestehende Altersversorgung aufgrund der Besonderheiten des Versorgungswerks nicht unverändert fortführen kann. In diesem Fall muss der neue Arbeitgeber den Arbeitnehmern bzw. den Betriebsrentnern eine gleichwertige Altersversorgung verschaffen.
7. Aufhebungsverträge in der Betriebsübergangsphase
Aufhebungsverträge mit den Mitarbeitern sind in der Phase des Betriebsübergangs ausgeschlossen. Grundsätzlich können sowohl der Betriebsveräußerer als auch der -erwerber Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern treffen, durch die das Arbeitsverhältnis einvernehmlich durch Aufhebungsvertrag beendet wird. Allerdings ist auch hier der gesetzliche Schutzzweck des § 613a BGB zu beachten. Es darf keine Umgehungsabsicht vorliegen oder zu befürchten sein.
8. Auflösung des Betriebsrats bzw. Anordnung einer Neuwahl
Kann der Erwerber nach der Übernahme des Betriebs einen vorhandenen Betriebsrat auflösen oder Neuwahlen erzwingen?
Hier kommt es auf die konkrete Konstellation des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs an:
- Wechselt ein Betrieb nur den Inhaber, ohne seine organisatorische Struktur zu verändern, bleibt der Betriebsrat des übergehenden und gleichzeitig weiter bestehenden Betriebs im Amt.
- Wird aus einem bestehenden Betrieb ein Betriebsteil ausgegliedert und geht auf einen neuen Inhaber über, bleibt der Betriebsrat des Restbetriebs im Amt. Ihm kommt dabei ein sogenanntes Übergangsmandat nach § 21a BetrVG auch für den ausgegliederten Betriebsteil zu, um Zeiten ohne Vertretung der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat zu vermeiden. Der Betriebsrat hat in diesem Fall für die Einleitung von Betriebsratswahlen im ausgegliederten Teil zu sorgen.
- Entsteht durch Zusammenlegung von Veräußerer- und Erwerberbetrieb ein neuer Betrieb, endet die Amtszeit des bzw. der Betriebsräte in den ursprünglichen Betrieben. In diesem Fall erhält der Betriebsrat des Betriebs oder Betriebsteils mit der zuvor größeren Anzahl von Arbeitnehmern das Übergangsmandat nach § 21a BetrVG. Auch hier verpflichtet dieses Mandat zur unverzüglichen Einleitung von Betriebsratswahlen zur Bildung eines neuen Betriebsrats.
9. Kündigung von Tarifverträgen
Der Unternehmensnachfolger möchte alle bestehenden Tarifverträge kündigen, um die Löhne zu senken. Darf er das?
Das LAG Berlin-Brandenburg (3.12.14, 24 Sa 1126/14) hat entschieden, dass eine arbeitsrechtlich vereinbarte unbedingte Bezugnahme auf einen Tarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung einen Unternehmenskäufer bindet. Der Tarifvertrag gelte auch nach Übergang des Betriebs weiter. Diese Rechtslage ändere sich nicht, wenn es Haustarifverträge gebe, die nicht kraft Tarifbindung oder einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis anwendbar seien.
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Im entschiedenen Fall wurde ein nicht tarifgebundener Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber (Land Brandenburg) als Krankenpfleger beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag wurde auf den BAT-O und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung Bezug genommen. Das Arbeitsverhältnis ging auf einen privaten Krankenhausträger über, der später mit ver.di mehrere Haustarifverträge schloss und anwendete. Der neue Arbeitgeber weigerte sich, dem Arbeitnehmer die für den öffentlichen Dienst vereinbarten Gehaltserhöhungen zu zahlen. |
Das LAG vertritt die Auffassung, dass keine Ablösung der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst durch den Betriebsübergang erfolgt sei. Auch eine Berücksichtigung des EU-Rechts ergebe keine andere Bewertung. Der im EU-Recht verankerte Schutz der Erwerberinteressen und die garantierte Unternehmerfreiheit führten zu keinem anderen Ergebnis.
10. Haftung des Erwerbers für nicht gezahlte Löhne
Es kommt vor, und das nicht selten, dass der Veräußerer seit geraumer Zeit mit den Löhnen im Rückstand ist. Haftet der Erwerber in diesem Fall?
Nach § 613a Abs. 2 BGB haftet der bisherige Arbeitgeber neben dem neuen Inhaber für bestimmte Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis weiter. Voraussetzung ist, dass die Ansprüche vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und entweder vor dem Betriebsübergang oder zumindest vor Ablauf eines Jahres danach fällig werden. Zu diesen Ansprüchen gehören offene Lohnforderungen, die der alte Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch nicht erfüllt hatte. Alter und neuer Arbeitgeber haften als sogenannte Gesamtschuldner im Sinne von § 421 BGB. Der Arbeitnehmer kann sein Geld wahlweise von dem einen oder dem anderen einfordern.
Für Forderungen, die nicht schon vor, sondern erst nach dem Betriebsübergang fällig werden, haftet der alte Arbeitgeber nur zeitanteilig. Dies gilt z. B. für Prämien, Gratifikationen oder andere Ansprüche, die über das Jahr hinweg (monatlich) entstehen, aber erst am Jahresende in einem Betrag zu zahlen sind. Geht ein Betrieb also zum 1.7. des Jahres über, hat der alte Inhaber nur für den Anteil der Gesamtsumme mit einzustehen, der rechnerisch auf die Zeit vor dem Betriebsübergang entfällt.