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· Fachbeitrag · Arbeitszeugnis

Aktuelles zur Darlegungs- und Beweislast bei der Zeugnisberichtigung

von RA und Notar Armin Rudolf, FA für Arbeitsrecht, Ritter Gent Collegen, Hannover

| Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht ein Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses. Der Abschied wird meist mit guten oder sehr guten Noten versüßt. Ist das nicht der Fall, kann sich die Suche nach einer adäquaten Anschlussbeschäftigung schwierig gestalten. |

1. Die Beweislast im Zeugnisrechtsstreit nach dem BAG

Das BAG hat in einem Urteil vom 18.11.14 (9 AZR 584/13, Abruf-Nr. 143640) entschieden, dass ArbN im Zeugnisrechtsstreit die Darlegungs- und Beweislast für von ihnen erbrachte überdurchschnittliche Leistungen trifft, wenn sie in Anlehnung an das Schulnotensystem eine bessere Schlussbeurteilung als die Note „befriedigend“ beanspruchen. Dies gelte auch, wenn in der einschlägigen Branche überwiegend gute oder sehr gute Endnoten vergeben werden. Dreh- und Angelpunkt ist nach Auffassung des BAG die Note „befriedigend“ als mittlere Note der Zufriedenheitsskala. Begehrt der ArbN eine Benotung im oberen Bereich der Skala, muss er darlegen, dass er den Anforderungen gut oder sehr gut gerecht geworden ist.

2. Prinzip der Zufriedenheitsskala

Zeugnisformulierungen müssen dem Grundsatz der wohlwollenden Beurteilung genügen, aber auch wahr sein. Beurteilungen erfolgen meist unter Verwendung der Formulierungen aus der zwischenzeitlich allgemein anerkannten Zufriedenheitsskala. Deren Art der Benotung lässt sich so umschreiben, dass das Beurteilungsspektrum der Schulnoten von „sehr gut“ bis zu „mangelhaft“ und „unzureichend“ insgesamt positiv formuliert wird. Dem Leser des Zeugnisses wird anhand der Abschichtung des Lobes klar, welche Bewertung vorgenommen wurde. Es kommt also darauf an, in welchem Umfang und mit welcher Intensität das Lob ausgesprochen wird.

 

Checkliste / Abstufungen der Noten in Arbeitszeugnissen

Sehr gute, weit überdurchschnittliche Leistungen werden regelmäßig wie folgt zusammengefasst: „Er hat die ihm übertragenen Aufgaben stets (jederzeit, immer, durchweg) zur vollsten Zufriedenheit erfüllt.“ (vgl. BAG 23.9.92, 5 AZR 573/91).

 

Gute, überdurchschnittliche Arbeitsleistungen werden wie folgt bewertet: „Er hat die ihm übertragenen Aufgaben stets (jederzeit, immer, durchweg) zu unserer vollen Zufriedenheit erfüllt.“

 

Eine befriedigende Beurteilung der Leistung wird wie folgt formuliert: „Er hat die ihm übertragenen Arbeiten zu unserer vollen Zufriedenheit (stets zu unserer Zufriedenheit) erledigt.“ (BAG 14.10.03, 9 AZR 12/03).

 

 

3. Rechtsprechungsentwicklung zur Leistungsbeurteilung

Ursprünglich vertrat das BAG die Ansicht, als Aussteller des Zeugnisses müsse der ArbG die tatsächlichen Grundlagen seiner Beurteilung vortragen und ggf. beweisen. Seit 2003 vertritt das BAG die Auffassung, der ArbN, der „eine überdurchschnittliche Beurteilung“ erstrebe, müsse die hierfür erforderlichen Tatsachen beibringen (BAG 14.10.03, 9 AZR 12/03). Auch im „Berichtigungsprozess“, in dem der ArbN eine überdurchschnittliche Beurteilung anstrebe, verbleibe es bei der allgemeinen Regel, dass der ArbN, der eine konkrete Zeugnisformulierung geltend mache, die hierfür erforderlichen Tatsachen vorzutragen habe. § 109 GewO begründe keinen Anspruch auf ein „gutes“ oder „sehr gutes“ Zeugnis, sondern „nur“ auf ein leistungsgerechtes wahres Zeugnis. Erst wenn der ArbN dargelegt habe, leistungsgerecht und damit wahr sei ausschließlich eine überdurchschnittliche Beurteilung, habe der ArbG Tatsachen vorzutragen, die dem entgegenständen.

 

Entgegen dieser Rechtsprechung hatte das LAG Berlin-Brandenburg entschieden, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass es sich bei einer Leistungsbewertung mit „befriedigend“ nach dem heutigen Verständnis des Wirtschaftslebens um eine durchschnittliche Beurteilung handele (LAG Berlin-Brandenburg 21.3.13, 18 Sa 2133/12, Abruf-Nr. 142091). Eine Leistungsbewertung mit „gut“ könne daher nicht mehr als überdurchschnittlich angesehen werden. Hieraus folge, dass die Darlegungs- und Beweislast für die seiner Beurteilungen mit „befriedigend“ zugrunde liegenden Tatsachen dem ArbG als Schuldner des Zeugnisanspruchs aufzuerlegen sei. Das BAG hat dieser Auffassung mit seinem Urteil vom 18.11.14 eine klare Absage erteilt und den Rechtsstreit an das LAG Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

4. Rechtsprechung und Zeugnispraxis

Das Arbeitszeugnis dient regelmäßig als Bewerbungsunterlage und damit gleichzeitig als Entscheidungsgrundlage für die Personalauswahl potenzieller neuer ArbG. Zur Beurteilung einer Formulierung ist auf die Sicht eines objektiven und damit unbefangenen ArbG mit Berufs- und Branchenkenntnissen abzustellen. Entscheidend ist, wie ein solcher Leser das Zeugnis insgesamt und die darin enthaltenen einzelnen Formulierungen auffassen muss. Benutzt der ArbG ein im Arbeitsleben übliches Beurteilungssystem, so ist das Zeugnis so zu lesen, wie es dieser Üblichkeit entspricht (BAG 15.11.11, 9 AZR 386/10, Abruf-Nr. 120211).

 

Es sprechen daher gute Argumente für die Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg bei der Darlegungs- und Beweislast darauf abzustellen, ob ein objektiv unbefangener ArbG mit Berufs- und Branchenkenntnissen die Leistungsbewertung „zu unserer vollen Zufriedenheit“ aktuell noch als durchschnittliche Leistungsbewertung ansieht. Das LAG Berlin-Brandenburg hat sich auf zwei Studien aus den Jahren 2010 und 2011 berufen. Danach erhielten 87,3 % der in 2011 bzw. 68,3 % der in 2010 ausgewerteten Zeugnisse gute oder sehr gute Leistungsbewertungen. Daher kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass ein potenzieller künftiger ArbG bei der Personalauswahl Zeugnisse mit einer schlechteren Bewertung als „gut“ oder „sehr gut“ als Ausschlusskriterium betrachtet und der betroffene ArbN Gefahr läuft, im Bewerbungsprozess allein deswegen schlechtere Chancen zu haben.

 

Das BAG scheint im Zeugnisrecht einem „Wettrüsten“ entgegenwirken zu wollen. In diese Richtung zielt auch die Rechtsprechung des BAG zur Dankes-Bedauern-Formel mit guten Zukunftswünschen. Die entsprechenden Schlusssätze sollen bloß üblicher Zeugnisinhalt sein (BAG 20.2.01 9 AZR 44/00), auf die kein Rechtsanspruch besteht. Schlussformeln wie der Satz „Wir bedauern sein Ausscheiden, danken für die geleisteten Dienste und wünschen ihm für seinen weiteren Lebensweg alles Gute.“ können ein Zeugnis nach der Auffassung des BAG abrunden, sind aber kein rechtlich notwendiger Bestandteil (BAG 11.12.12, 9 AZR 227/11, Abruf-Nr. 123826).

 

Die praktische Bedeutung der Schlussformeln ist aber nicht zu unterschätzen. Aus ihrem vollständigen oder teilweisen Fehlen werden in der Praxis negative Schlussfolgerungen gezogen. Deshalb wurde in der Instanzrechtsprechung die Auffassung vertreten, dass eine Schlussformel mit der Leistungs- und Führungsbeurteilung des ArbN übereinstimmen müsse, damit nicht etwa zuvor unterlassene negative Werturteile quasi „durch die Hintertür“ mit einer knappen, „lieblosen“ Schlussformel nachgeholt würden (LAG Hamm 21.12.93, 4 Sa 1077/93). Das soll der Fall sein, wenn einem ArbN bei einem im Übrigen überdurchschnittlichen Zeugnisinhalt nur für die Zukunft alles Gute gewünscht wird, ohne ihm Dank für die vergangene Zusammenarbeit auszusprechen (LAG Köln 29.2.08, 4 Sa 1315/07).

 

Auch dieser Rechtsprechung hat das BAG eine Absage erteilt: Ist der ArbN mit einer vom ArbG in das Zeugnis aufgenommenen Schlussformel nicht einverstanden, kann er nur die Erteilung eines Zeugnisses ohne diese Formulierung verlangen. Ein Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses mit einem vom ArbN formulierten Schlusssatz bestehe nicht (BAG 11.12.12, 9 AZR 227/11, a.a.O.).

5. Fazit

Die Intention des BAG ist es, zu verhindern, dass es irgendwann ausschließlich „gute“ und „sehr gute“ Zeugnisse gibt. Diese dürften nämlich vielfach nicht mehr mit dem Grundsatz der Zeugniswahrheit vereinbar sein. Schließlich schulden ArbN „nur“ Dienste mittlerer Art und Güte und keine „Spitzenleistungen“. Demzufolge erscheint es vom Grundsatz her sachgerecht, den ArbN die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen aufzuerlegen, die eine überdurchschnittliche Leistungsbeurteilung rechtfertigen, wenn der ArbG zuvor ein durchschnittliches Zeugnis erteilt hat.

 

Problematisch ist aber, dass es auch dem BAG nicht gelingen wird, den in der Praxis zu beobachtenden Trend aufzuhalten, nach dem ArbN verbreitet bessere Leistungen bescheinigt werden, als es der Wahrheit entspricht. Viele ArbG scheinen den oft schmalen Grat zwischen einer wohlwollenden Beurteilung und einem wahren Zeugnis zu lösen, indem sie ArbN „wegloben“, und sei es nur, um potenzielle Zeugnisrechtsstreitigkeiten von vornherein abzuwenden.

Quelle: Seite 33 | ID 43151219