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· Fachbeitrag · Berufsunfähigkeitsversicherung

Teilzeitklauseln in der Berufsunfähigkeitsversicherung ‒ Fluch oder Segen?

von Susanne Aydinlar, LL.M. (Versicherungsrecht), Rechtsanwältin und Fachanwältin für Versicherungsrecht, Berlin

| Auch Teilzeit ist vom Schutz der Berufsunfähigkeitsversicherung umfasst. Um Leistungen beanspruchen zu können, muss der Teilzeitbeschäftigte aber grundsätzlich stärker gesundheitlich beeinträchtigt sein als der Vollzeit-Beschäftigte. Dem begegnen einige Versicherer mit einer Teilzeitklausel. |

Grundsatz: Zuletzt in gesunden Tagen ausgeübter Beruf

Ob bedingungsmäßige Berufsunfähigkeit vorliegt, hängt nach der gesetzlichen Definition des § 172 Abs. 2 VVG und den üblichen Versicherungsbedingungen von dem Beruf ab, der zuletzt in gesunden Tagen ausgeübt wurde.

 

  • Dabei meint „Beruf“ nicht ein typisches Berufsbild, sondern die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung. Es kommt also entscheidend darauf an, welche (Einzel-)Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Häufigkeit nach konkret mit der beruflichen Tätigkeit verbunden sind (BGH, Urteil vom 30.09.1992, Az. IV ZR 227/91).

 

  • Hat sich die berufliche Tätigkeit verändert, ist abzustellen auf die Tätigkeit, die zuletzt ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeübt wurde. Außer Betracht bleiben somit alle leidensbedingten Veränderungen. Dies sind Veränderungen, die ausschließlich den gesundheitlichen Beeinträchtigungen geschuldet sind, die später zur Berufsunfähigkeit führen (hierzu grundlegend BGH, Urteil vom 14.12.2016, Az. IV ZR 527/15, Abruf-Nr. 191023).

 

Wichtig | Dies gilt auch für die leidensbedingte Reduzierung der Arbeitszeit. Abzustellen ist in dem Fall auf Art und Umfang der Tätigkeit, die der Versicherte vor der Arbeitszeitreduzierung ausgeübt hat. Verringert der Versicherte seine Arbeitszeit hingegen aus anderen Gründen, gilt als „Beruf“ die (neue) Tätigkeit mit verringerter Arbeitszeit, und zwar spätestens dann, wenn sie für die Lebensstellung „prägend“ geworden ist. Dies soll einzelfallbezogen zu bewerten sein und ab einer Ausübungsdauer von drei bis sechs Monaten angenommen werden können (Mangen, in: Marlow/Spuhl, BeckOK, VVG, 5. Edition, § 172 Rz. 10).

Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Teilzeitklauseln

§ 172 Abs. 2 VVG ist nicht zwingend. Vielmehr besteht die Möglichkeit, mit den Versicherungsbedingungen von der gesetzlichen Definition der Berufsunfähigkeit (im Rahmen der allgemeinzivilrechtlichen Schranken) abzuweichen. Hiervon haben die Condor und die Württembergische mit ihren Teilzeitklauseln Gebrauch gemacht.

 

  • Die Teilzeitklausel der Condor lautet

Reduziert die versicherte Person während der Versicherungsdauer ihre vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit, bleibt für die Beurteilung einer Berufsunfähigkeit die während der Versicherungsdauer höchste vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit maßgebend (Teilzeitklausel). Nachweise über die jeweiligen Arbeitszeiten sind uns vorzulegen. Entsprechendes gilt, wenn die Arbeitszeitreduktion vom Arbeitgeber angeordnet wird (z. B. Kurzarbeit).

 
  • Die Teilzeitklausel der Württembergischen lautet

Wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit von Vollzeit auf Teilzeit reduziert, gilt in den nächsten 12 Monaten Folgendes: Wenn Sie einen Antrag auf Berufsunfähigkeit stellen, legen wir die berufliche Tätigkeit in Art und Umfang vor Reduzierung der Arbeitszeit zugrunde.

 

„Vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit“ bzw. „Vollzeit“

Ausgangspunkt für die Anwendbarkeit der Klauseln ist eine Tätigkeit mit „vertraglich oder gesetzlich fixierter wöchentlicher Arbeitszeit“ (Condor) bzw. eine Tätigkeit in „Vollzeit“ (Württembergische). Dies lässt darauf schließen, dass der Versicherte abhängig beschäftigt sein muss. Denn anderen Formen der Erwerbstätigkeit ‒ wie etwa der selbstständigen Erwerbstätigkeit ‒ sind geregelte Arbeitszeiten fremd.

 

  • Im Übrigen gilt nach der Klausel der Württembergischen Folgendes:
    • Der Versicherte muss (spätestens zwölf Monate vor Eintritt der Berufsunfähigkeit) in „Vollzeit“ tätig gewesen sein. Eine konkrete Stundenangabe bzw. einen Hinweis auf eine bestimmte Arbeitszeitregelung enthält die Klausel nicht, weshalb der durchschnittliche Versicherungsnehmer (VN) unter „Vollzeit“ die in seinem Betrieb von Vollzeitkräften regelmäßig zu leistende Arbeitszeit (vgl. § 2 Abs. 1 TzBfG) verstehen wird. Diese kann ‒ je nach Branche ‒ 35 bis 48 Wochenstunden betragen.
    • Wie lange der Versicherte in Vollzeit gearbeitet haben muss, ist der Klausel nicht zu entnehmen. Deshalb dürfte ihr Anwendungsbereich auch eröffnet sein, wenn der Versicherte die Tätigkeit nur vorübergehend in Vollzeit ausgeübt und sie seine Lebensstellung nicht geprägt hat.

 

  • Im Gegensatz hierzu regelt die Condor-Klausel Folgendes:
    • Sie stellt auf die „vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit“ ab. Damit ist die konkret für das Arbeitsverhältnis der versicherten Person („ihre“) geltende Arbeitszeit gemeint. Ganz gleich ist, ob diese sich aus dem Arbeitszeitgesetz, einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung, dem Arbeitsvertrag oder einer anderen gesetzlichen oder vertraglichen Grundlage ergibt.
    • Irrelevant ist der Umfang der Arbeitszeit. Im Gegensatz zur Klausel der Württembergischen ist die Klausel der Condor auf alle (angestellten) Versicherten anwendbar, also auch auf solche, die immer schon in Teilzeit beschäftigt waren.

 

Reduzierung der Arbeitszeit bzw. der beruflichen Tätigkeit

Beide Klauseln setzen voraus, dass die Arbeitszeit reduziert wird. Damit ist ihre Anwendung vor allem in den Fällen ausgeschlossen, in denen der Versicherte von Beginn des maßgeblichen Zeitraums an unverändert in Teilzeit gearbeitet hat. Anwendbar sein dürften die Klauseln dagegen, wenn der Versicherte seine Arbeitszeit mehrfach ändert, er seine Arbeitszeit also mehr als ein Mal reduziert oder sie zwischenzeitlich wieder erhöht.

 

Warum der Versicherte seine Arbeitszeit reduziert, scheint nach dem Wortlaut der Klauseln irrelevant zu sein. Gleichwohl ist zu unterscheiden:

 

  • Reduziert der Versicherte seine Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen, finden die Klauseln keine Anwendung.
    • Würde die Klausel der Württembergischen auch bei leidensbedingter Reduzierung der Arbeitszeit angewendet werden, wäre auf die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit nicht mehr zeitlich unbegrenzt, sondern nur zwölf Monate lang abzustellen. Damit ginge eine erhebliche Verkürzung des Versicherungsschutzes einher, die für den VN nicht eindeutig erkennbar und mit der Klausel offenbar nicht bezweckt ist. Sie dient vielmehr dazu, Versicherte, die ihre Arbeitszeit aus anderen als leidensbedingten Gründen reduzieren, besser zu stellen, und ist deshalb als (Ausnahme-)Regelung nur für solche Fälle zu begreifen.
    • Entsprechend ist die Klausel der Condor auszulegen. Ihre Anwendung auf Fälle leidensbedingter Arbeitszeitreduzierung wäre nachteilig, wenn die tatsächlich geleistete Arbeitszeit in gesunden Tagen oberhalb der vertraglich vereinbarten oder gesetzlich vorgesehenen Arbeitszeit lag, der Versicherte also regelmäßig Überstunden ableistete. Maßstab der Berufsunfähigkeit wäre dann ‒ abweichend von § 172 VVG ‒ (nur) die gesetzlich vorgesehene bzw. vertraglich vereinbarte Arbeitszeit. Dies dürfte ebenso wenig erkennbar und bezweckt sein, weshalb auch die Condor-Klausel nur bei nicht leidensbedingter Arbeitszeitreduzierung gelten dürfte.

 

  • Weniger eindeutig ist hingegen, ob die Klauseln auch anwendbar sind, wenn der Versicherte nicht nur den Umfang seiner bisherigen Tätigkeit ändert, sondern auch die Art seiner Tätigkeit. Eine solche Änderung kann innerhalb ein- und desselben Arbeitsverhältnisses erfolgen, etwa indem der Versicherte Aufgaben abgibt oder sich die Gewichtung seiner Aufgaben ändert. Eine Änderung kann sich aber auch daraus ergeben, dass der Versicherte seinen Arbeitsplatz wechselt und einen neuen Arbeitsvertrag mit geringerer Arbeitszeit abschließt.
    • Die Klausel der Condor stellt ihrem Wortlaut nach allein auf die Reduzierung der Arbeitszeit ab. Wie und warum diese erfolgt, erscheint irrelevant. Deshalb wird der VN jede Fallgestaltung, die zu einer Reduktion seiner ursprünglichen Arbeitszeit führt, von der Klausel erfasst sehen.
    • Nach der Klausel der Württembergischen muss die versicherte Person „ihre berufliche Tätigkeit“ reduzieren. Hiermit wird der VN keine konkrete Tätigkeit in Verbindung bringen. Er wird vielmehr davon ausgehen, dass jede Änderung seiner Tätigkeit bis hin zum Berufswechsel von der Klausel erfasst wird. Wollte der Versicherer deren Anwendungsbereich begrenzen, müsste er dies klar und deutlich zum Ausdruck bringen. Die in Vollzeit ausgeübte Tätigkeit dürfte deshalb auch dann Maßstab für die Berufsunfähigkeit bleiben, wenn der Versicherte einer gänzlich neuen Tätigkeit in Teilzeit nachgeht.

 

„Während der Versicherungsdauer“ bzw. „in den nächsten 12 Monaten“

Beide Klauseln enthalten ein Zeitmoment.

 

  • Die Klausel der Condor sieht vor, dass die Arbeitszeit (irgendwann) während der Versicherungsdauer reduziert werden muss.

 

  • Eine solche Voraussetzung enthält die Klausel der Württembergischen nicht. Sie findet auch Anwendung, wenn der Versicherte seine Arbeitszeit vor Versicherungsbeginn reduziert. Allerdings wird auf die Vollzeit-Tätigkeit nur abgestellt, wenn der Versicherte die versicherten Leistungen innerhalb von zwölf Monaten nach der Arbeitszeitreduktion beantragt. Hat er diese nicht (rechtzeitig) beantragt, wird die Teilzeittätigkeit Maßstab für die Berufsunfähigkeit. Versteht man die Frist als Ausschlussfrist, kommt es zusätzlich darauf an, ob der Versicherte deren Versäumung verschuldet hat.

 

Rechtsfolgen der Teilzeitklauseln

Liegen die Voraussetzungen der jeweiligen Teilzeitklausel vor, stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen sie nach sich zieht.

 

  • Die Klausel der Condor bestimmt, dass bei Beurteilung der Berufsunfähigkeit die „während der Versicherungsdauer höchste vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit“ heranzuziehen ist. Hiermit gemeint sein dürfte die höchste Arbeitszeit, die während der Versicherungsdauer jemals galt, und zwar unabhängig davon, ob sie sich aus dem Gesetz oder einer vertraglichen Abrede ergibt. Auf die höchste tatsächlich geleistete Arbeitszeit kommt es nicht an. Unerheblich ist auch die Art der seinerzeit verrichteten (Teil-)Tätigkeiten. Insoweit verbleibt es bei dem Grundsatz, wonach es auf das Tätigkeitsbild zuletzt in gesunden Tagen ankommt. Die Teilzeitklausel trennt folglich die Art der Tätigkeit von ihrem zeitlichen Umfang und erschafft einen tatsächlich nicht existierenden (fingierten) Beruf, der sich zusammensetzt aus neuer Tätigkeit und alter Arbeitszeit, und der nunmehr den Maßstab für die Berufsunfähigkeit bildet.

 

  • Beispiel

Ein Koch ist täglich sechs Stunden mit organisatorischen Angelegenheiten im Büro und zwei Stunden mit der Beaufsichtigung und Anleitung von Mitarbeitern in der Küche betraut. Nachdem er seine Arbeitszeit reduziert hat, ist er eine Stunde lang mit der Beaufsichtigung von Mitarbeitern beschäftigt und drei Stunden lang mit der Zubereitung von Mahlzeiten. Büroarbeiten verrichtet er nicht mehr.

 

Basis für die Prüfung von Ansprüchen aus der Versicherung bilden die nunmehr seine Teilzeittätigkeit prägenden Teiltätigkeiten (Beaufsichtigung von Mitarbeitern und Zubereitung von Mahlzeiten) und deren Zeitanteile. Diese sind auf die ursprüngliche Arbeitszeit von acht Stunden hochzurechnen. Das maßgebliche (und fiktive) Tätigkeitsbild setzt sich damit zusammen aus zwei Stunden Beaufsichtigung und sechs Stunden Zubereitung von Mahlzeiten.

 
  • Die Klausel der Württembergischen stellt hingegen nicht nur auf den Umfang, sondern auch auf die Art der beruflichen Tätigkeit vor Reduzierung der Arbeitszeit ab. Sie weicht damit in zweifacher Hinsicht von § 172 VVG und den Bedingungswerken ab. Das gereicht dem Versicherten zum Vorteil, wenn die Gewichtung seiner Teiltätigkeiten sich nicht ändert oder er im Zuge der Arbeitszeitreduktion anspruchsvolle, mit hohen Anforderungen verbundene Aufgaben, die er später nicht mehr ausüben kann, abgibt bzw. reduziert. Greift die Teilzeitklausel, bilden diese Teiltätigkeiten weiter den Maßstab für die Berufsunfähigkeit. Es sind allerdings auch Fälle denkbar, in denen die Teilzeitklausel zu einer Schlechterstellung führt.

 

  • Beispiel

Ein Makler arbeitet täglich fünf Stunden beim Kunden vor Ort und drei Stunden im Büro. Nach der Reduzierung seiner Arbeitszeit ist er täglich drei Stunden beim Kunden und eine Stunde im Büro. Nun kann er krankheitsbedingt nur noch 30 Prozent der zuletzt in Teilzeit getätigten Kundenbesuche wahrnehmen.

 

Nach der Teilzeitklausel, die auf die Tätigkeit in Art und Umfang vor der Reduzierung abstellt, ist er nur zu 43,75 Prozent berufsunfähig (5/8 x 0,7). Ohne Teilzeitklausel wäre er zu 52,50 Prozent berufsunfähig (3/4 x 0,7) und anspruchsberechtigt.

 

Noch deutlicher wird dies, wenn der Versicherte nach der Arbeitszeitreduktion Aufgaben wahrnimmt, die im Rahmen seiner bisherigen Tätigkeit gar nicht angefallen sind und zu deren Ausübung er nicht mehr imstande ist.

 

  • Beispiel

Ein Koch ist täglich sechs Stunden lang mit organisatorischen Angelegenheiten im Büro und zwei Stunden lang mit der Beaufsichtigung und Anleitung von Mitarbeitern in der Küche betraut. Nach der Reduktion seiner Arbeitszeit hat er in einem Umfang von 60 Prozent seiner Arbeitszeit Mahlzeiten zubereitet.

 

Kann er diese Tätigkeit nicht mehr verrichten, ist er bei Geltung der Teilzeitklausel gleichwohl nicht berufsunfähig.

 

Bedeutung für die Praxis

Die Klausel der Condor dürfte Versicherten, die ihre Arbeitszeit während der Versicherungsdauer reduzieren, tatsächlich verbesserten Versicherungsschutz bieten. Weniger weitreichend ist die Klausel der Württembergischen. Sie kommt nur zum Tragen, wenn der Versicherte abhängig beschäftigt ist, ursprünglich in Vollzeit tätig war und zu einem Zeitpunkt berufsunfähig wird, in dem die (nicht leidensbedingt) reduzierte Arbeitszeit bereits seine Lebensstellung prägt, die Reduzierung jedoch nicht länger zurückliegt als zwölf Monate. Beide Teilzeitklauseln werfen viele Fragen auf und bieten Konfliktpotenzial. Ob bzw. in welcher Form sie sich am Markt etablieren und zum Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten werden, bleibt abzuwarten.

Quelle: Seite 16 | ID 46201612