· Fachbeitrag · Bilanzierung
Muss für unberechtigt erhaltene Corona-Hilfen eine Rückstellung gebildet werden?
von WP StB Lukas Graf, Meißen
| Bund und Länder haben im Zuge der Corona-Pandemie eine große Bandbreite von Hilfsangeboten für Wirtschaftsunternehmen verabschiedet. Viele dieser Hilfsangebote sind mit heißer Nadel gestrickt und mit auslegungsbedürftigen oder unklaren Antragsvoraussetzungen versehen. Deshalb kann auch den ehrlichen Kaufmann ‒ und nicht nur den Subventionsbetrüger ‒ die Frage betreffen: Was tun, wenn sich die Inanspruchnahme der Corona-Hilfe nachträglich als unzulässig erweist? Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob und in welchem Umfang dafür Rückstellungen zu bilden sind. |
1. Vorbemerkungen
Der Beitrag beschäftigt sich mit bilanziellen Fragen. Strafrechtliche Fragestellungen (z. B. Subventionsbetrug oder Kreditbetrug) werden nicht thematisiert.
2. Allgemeine Hinweise zur Bilanzierung von Corona-Hilfen
Für die Frage der Bilanzierung öffentlicher Hilfen ist zunächst zu prüfen, ob die Grundsätze der Bilanzierung öffentlicher Zuschüsse des IDW in HFA 1/1984 i. d. F. von 1990 „Bilanzierungsfragen bei Zuwendungen, dargestellt am Beispiel finanzieller Zuwendungen der öffentlichen Hand“ gelten (vgl. hierzu auch BBP 12, 234). Soweit dies zutrifft, können diese Regelungen herangezogen werden.
Beachten Sie | Im Übrigen hat das IDW zahlreiche Bilanzierungshinweise im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie veröffentlicht, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll (vgl. u. a. IDW, Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung zum Stichtag 31.12.19 und deren Prüfung, Fachlicher Hinweis, Teil 1 sowie Fachlicher Hinweis, Teil 2).
Die beispielsweise von der KfW ausgereichten Darlehen sind als Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten zu bilanzieren. Soweit aber Corona-Hilfen ertragswirksam vereinnahmt werden dürfen ‒ und dies ist in der überwiegenden Zahl der Fälle zulässig ‒, ist die Entdeckung einer unberechtigten Inanspruchnahme mit einer Rückzahlungspflicht verbunden, sodass die vereinnahmten Erträge aufwandswirksam zu stornieren sind.
Aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage von krisenbetroffenen Unternehmen kann die Rückzahlungspflicht die Fragen aufwerfen, ob weiter gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB unter dem Grundsatz der Unternehmensfortführung zu bilanzieren ist oder ob sich Insolvenzantragspflichten ergeben.
3. Rückstellungen für die unberechtigte Inanspruchnahme nicht-rückzahlbarer Corona-Hilfen?
Eine unberechtigte Inanspruchnahme von Corona-Hilfen liegt vor, wenn der Kaufmann eine Corona-Hilfe beantragt, aber die Förderbedingungen nicht erfüllt hat. Viele Förderungen wurden ohne materielle Prüfung der Anträge durch die Behörden ausgereicht ‒ allerdings nur unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Deshalb war es für Subventionsbetrüger relativ einfach, unberechtigt Corona-Hilfen zu erhalten. In den weitaus meisten Fällen dürften die Rückforderungsfälle aber ehrliche Kaufleute betreffen, die z. B.
- wegen unklarer Antragsbedingungen,
- Auslegungsunsicherheiten,
- einer ungeplant schnellen wirtschaftlichen Erholung oder
- durch ein Versehen bei der Antragstellung
ohne Betrugsabsicht Corona-Hilfen unberechtigt beantragt haben.
Unabhängig von einem persönlichen Verschulden stellt sich bilanziell in allen Fällen die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Rückstellung für unberechtigt erlangte Corona-Hilfen zu bilden ist. Diese Frage beschränkt sich nicht auf die erlangte Corona-Hilfe allein, sondern betrifft auch eventuelle Nebenkosten des Verfahrens wie z. B.
- Rechtskosten,
- Zinsen,
- Strafzahlungen oder
- sonstige damit verbundene Nachteile.
Eindeutig ist der Fall, wenn den Behörden „die Tat“ bekannt ist, Rückforderungsbescheide erlassen wurden oder bereits Gerichtsurteile ergangen sind. Ist „die Tat“ erkannt, ist eine Rückstellung zwingend anzusetzen.
Beachten Sie | Soweit endgültige Rückforderungsbescheide oder Urteile vorliegen, liegt eine sonstige Verbindlichkeit ‒ und nicht mehr nur eine Rückstellung ‒ vor.
Wie ist jedoch eine unberechtigte Inanspruchnahme zu behandeln, wenn „die Tat“ den zuständigen Behörden nicht bekannt ist, also eine Prüfung noch nicht vorgenommen wurde? Hier gelten die allgemeinen Bilanzierungsgrundsätze für Rückstellungen.
Rückstellungen sind nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB für ungewisse Verpflichtungen zu bilden. Eine ungewisse Verpflichtung liegt vor, wenn die Verpflichtung dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewiss ist. Nach den Kriterien der Rechtsprechung des BFH sind Rückstellungen anzusetzen, wenn alle folgenden Passivierungskriterien erfüllt sind:
- Es liegt eine Außenverpflichtung vor.
- Die Inanspruchnahme ist überwiegend wahrscheinlich ‒ es müssen also mehr Gründe für als gegen eine Rückstellung sprechen.
- Die Verpflichtung ist rechtlich voll entstanden oder eine vor diesem Zeitpunkt liegende wirtschaftliche Verursachung ist eingetreten.
Eine Außenverpflichtung ‒ also eine Verpflichtung gegenüber Dritten w‒ ist bei unberechtigten Corona-Hilfen nicht zweifelhaft. Zudem ist eine Inanspruchnahme überwiegend wahrscheinlich; soweit eine Behörde von unberechtigt empfangenen Corona-Hilfen Kenntnis erlangt, steht ihr bezüglich einer Rückforderung regelmäßig kein Ermessen zu. Für die Frage der rechtlichen Vollentstehung oder der wirtschaftlichen Verursachung ist festzuhalten, dass die unberechtigte Inanspruchnahme einen Rechtsverstoß darstellt und die rechtliche Vollentstehung mit Tatvollendung formalrechtlich nicht fraglich ist.
Bei der Verpflichtung zur Rückzahlung von Corona-Hilfen handelt es sich jedoch um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung. Und für deren Ansatz gelten nach ständiger Rechtsprechung des BFH (u. a. 19.10.93, VIII R 14/92) strengere Regelungen als bei den Rückstellungen allgemein. Der Beck’sche Bilanz-Kommentar (12. Auflage, § 249 HGB, Rz. 33) bringt dies wie folgt auf den Punkt: Danach soll eine ungewisse öffentlich-rechtliche Verpflichtung unmittelbar durch das Gesetz nur dann hinreichend konkretisiert sein, wenn
- das Gesetz ein inhaltlich genau bestimmtes Handeln vorsieht,
- ein Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums fordert und
- Sanktionen vorsieht.
Soweit die zuständige Behörde jedoch von einer unberechtigten Inanspruchnahme keine Kenntnis hat, sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt und eine Rückstellungsbildung ist nicht möglich.
In zahlreichen vergleichbaren Rechtslagen, die nachfolgend im Überblick dargestellt sind, hat der BFH eine Rückstellungsbildung abgelehnt:
3.1 Betriebsprüfungsrisiken, hinterzogene Mehrsteuern oder Sozialabgaben
Der BFH hat die Bildung einer pauschalen Rückstellung für Steuern auf der Grundlage der Vergangenheitserfahrung grundsätzlich abgelehnt, weil es sich dabei um ein allgemeines Unternehmerrisiko handelt. Eine Rückstellung ist nur für konkrete, nachprüfbare Einzelsachverhalte zulässig, wenn sich das Risiko einer Inanspruchnahme hinreichend verdichtet hat (vgl. Moxter, Bilanzrechtsprechung, 5. Auflage, S. 101). Eine Rückstellung kommt laut BFH erst in Betracht, wenn der Steuerpflichtige mit einer Entdeckung der Steuer- oder Abgabenverkürzung ernstlich rechnen muss (BFH 22.8.12, X R 23/10).
Der BFH vertritt dabei die Auffassung, dass Rückstellungen „wegen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen erst gebildet werden (dürfen), wenn derjenige, der Inhaber des gegen den Steuerpflichtigen gerichteten Anspruchs ist, von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis hat oder eine solche Kenntniserlangung unmittelbar bevorsteht, sodass eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist.“ Zwar entstehen bei Straftaten zivil- und strafrechtliche Schadenersatzansprüche bereits mit der Tat. Solange der Steuerpflichtige aber davon ausgehen kann, dass die Tat unentdeckt bleibt, fehlt es an einer wirtschaftlichen Last.
3.2 Bußgelder
Auch für Bußgelder dürfen Rückstellungen erst angesetzt werden, wenn deren Festsetzung ernsthaft droht, also mehr Gründe für als gegen eine Inanspruchnahme sprechen (vgl. BFH 15.3.00, VIII R 34/96). Ein Ansatz kommt deshalb regelmäßig erst in Betracht, wenn ein entsprechendes Verfahren eröffnet ist bzw. wenn konkrete Hinweise bestehen, dass ein solches Verfahren eröffnet werden wird (z. B. aufgrund von Vorermittlungen).
Beachten Sie | Zum steuerlichen Abzugsverbot für Geldbußen, Ordnungs- und Verwarnungsgelder vgl. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 8 EStG sowie die Rechtsprechung des BFH (u. a. 22.5.19, XI R 40/17).
3.3 Altlasten bei Grundstücken
Bei einer Grundstücksbelastung mit Schadstoffen ist eine Rückstellung nur in engen Grenzen zulässig. Zunächst ist nicht jeder Grundstücksschaden beseitigungspflichtig, solange von den im Grund und Boden gebundenen Schadstoffen keine Gefahr für die Öffentlichkeit oder das Grundwasser ausgeht.
Der BFH (19.11.03, I R 77/01) hat entschieden, dass in den Fällen, in denen die zuständige Behörde von der Schadstoffbelastung eines Grundstücks und der dadurch bedingten Sanierungsverpflichtung Kenntnis erlangt, ernsthaft mit der Inanspruchnahme aus dieser Verpflichtung gerechnet werden muss. Eine mögliche Teilwertabschreibung ist unabhängig von der Bildung einer Rückstellung für die Sanierungsverpflichtung zu prüfen.
MERKE | Die Finanzverwaltung ist hier sogar noch restriktiver: Erst mit Bekanntgabe der behördlichen Anordnung ist auch mit der Inanspruchnahme aus der Verpflichtung ernsthaft zu rechnen (BMF 11.5.10, IV C 6 - S 2137/07/10004). Diese noch engere Auffassung hat aber nur Bedeutung für die Steuerbilanz, nicht jedoch für die Handelsbilanz. |
3.4 Übertragung der BFH-Rechtsprechung auf die Corona-Hilfe
Nach den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung ist eindeutig festzuhalten, dass eine Rückstellung für unberechtigte Corona-Hilfen ausscheidet, wenn die zuständige Behörde von der unberechtigten Inanspruchnahme noch keine Kenntnis hat. Dies gilt in gleicher Weise für die im Rahmen des Rückforderungsverfahrens anfallenden
- Rechtskosten,
- Zinsen,
- Strafzahlungen oder
- sonstige damit verbundene Nachteile.
Bestehen ernsthafte Zweifel an der berechtigten Inanspruchnahme, ist in Erwägung zu ziehen, diese Zweifel der zuständigen Behörde mit der Bitte um Klärung anzuzeigen. Sollte sich in der Folge eine unberechtigte Inanspruchnahme ergeben, hat die Behörde regelmäßig kein Ermessen und wird die zu Unrecht erlangten Corona-Beihilfen zurückfordern.
Erfolgt die Anzeige dieser Umstände vor dem Abschlussstichtag, stellt ein nach dem Abschlussstichtag ergehender Rückforderungsbescheid unstreitig ein wertaufhellendes Ereignis dar und die Rückstellung ist bereits am Abschlussstichtag verpflichtend anzusetzen.
Fraglich ist aber, ob eine Rückstellung auch möglich ist, wenn die Anzeige bei der zuständigen Behörde erst nach dem Abschlussstichtag erfolgt, aber noch vor der Aufstellung des Jahresabschlusses. Auch in diesen Fällen ist die Anwendbarkeit des Wertaufhellungsprinzips zu prüfen.
Zunächst ist eindeutig, dass der Rechtsverstoß vor dem Abschlussstichtag liegt. Insofern spricht zunächst vieles dafür, dass in der Anzeige nach dem Abschlussstichtag und die sich daraus ergebende Rückzahlungspflicht bzw. ‒ bei noch nicht abgeschlossenem Prüfungsverfahren ‒ die wahrscheinliche Rückzahlungspflicht vor dem Abschlussstichtag verursacht ist.
Der BFH (22.8.12, X R 23/10) hat zu einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung entschieden, dass für den Steuerpflichtigen keine wirtschaftliche Last vor der Entdeckung der Tat besteht und es an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme fehlt. Für die Beurteilung einer Wertaufhellung sind folgende Aussagen des BFH hervorzuheben:
- Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme „richtet sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags unter Berücksichtigung der bis zur Bilanzaufstellung ‒ oder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Bilanz im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (§ 243 Abs. 3 HGB) aufzustellen gewesen wäre ‒ bekannt werdenden wertaufhellenden Umstände.“
- „Folglich darf für Bilanzstichtage, die ‒ vorbehaltlich einer etwaigen Wertaufhellung bis zur Bilanzaufstellung ‒ vor dem Zeitpunkt liegen, zu dem die Aufdeckung der Tat unmittelbar bevorsteht, keine Rückstellung gebildet werden.“
MERKE | Somit ist festzuhalten, dass eine Wertaufhellung grundsätzlich zulässig ist. Allerdings ist die Wertaufhellung auf den Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs beschränkt. Dies bedeutet, dass bei verspäteter Bilanzaufstellung eine dann noch erlangte Kenntnis nicht berücksichtigt werden darf. |
Abschließende Klarstellung: Die Nichtzulässigkeit einer Rückstellung wegen fehlender Kenntnis der zuständigen Behörde ist kein Freibrief für den Kaufmann. Denn eine fehlende Rückstellung führt meist zu einer falschen Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, sodass der Jahresabschluss schwerwiegend fehlerhaft sein kann. Soweit ein Berufsträger bei der Jahresabschlusserstellung oder -prüfung etwaige Rechtsverstöße feststellt, hat er den Kaufmann zur Richtigstellung aufzufordern. Es ist zumindest eine entsprechende Anhangsangabe erforderlich. Faktisch ist damit aber eine Anzeigepflicht bei der zuständigen Behörde verbunden, da ein Verschweigen strafrechtlich relevant sein dürfte.
Weiterführende Hinweise
- Die Bilanzierung von Zuwendungen nach Handels- und Steuerrecht - Teil 1 (Graf, BBP 12, 204)
- Die Bilanzierung von Zuwendungen nach Handels- und Steuerrecht - Teil 2 (Graf, BBP 12, 234)