· Fachbeitrag · Corona-Krise
Gutscheinlösung auch bei Pauschalreisen
| Veranstaltern und Betreibern von Freizeit- und Kultureinrichtungen hat der Gesetzgeber bereits im Mai 2020 mit der sog. „Gutscheinlösung“ unter die Arme gegriffen, um die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie abzumildern (FMP 20, 117). Auch die deutsche Reisebranche fürchtet erhebliche Liquiditätsabflüsse, die zahlreiche Unternehmen in die Insolvenz treiben können. Seit dem 11.7.20 können sie daher auch für abgesagte Pauschalreisen Gutscheine anbieten. Reiseveranstalter und ihre Rechtsdienstleister sollten wissen, welche Möglichkeiten sich öffnen, um ihre Liquidität zu verbessern und Reisende, welche Rechte sie haben. |
1. Die Covid-19-Pandemie Regelungen
In Art. 240 §§ 1 bis 5 EGBGB finden sich bereits Sonderregelungen anlässlich der Covid-19-Pandemie in Form
- eines Leistungsverweigerungsrechts für Verbraucher und Kleinunternehmen bei wesentlichen Dauerschuldverhältnissen,
- eines Kündigungsschutzes für Mieter und Pächter,
- einer Stundung und Verhandlungslösung für Darlehensnehmer sowie
- einer Gutscheinlösung für Veranstalter und Betreiber von Freizeiteinrichtungen.
Die ersten drei dieser Regelungen waren bis zum 30.6.20 zeitlich begrenzt und sind nicht verlängert worden. In Art. 240 § 6 EGBGB wird nun eine weitere Covid-19-Pandemie-Sonderregelung für Pauschalreisen getroffen (s. u., 5. ff.).
2. Warum ist eine Sonderregelung erforderlich?
Im Reisevertragsrecht des BGB ist eine Gutscheinlösung nicht vorgesehen. Nach § 651h Abs. 1 BGB kann der Reisende im Fall einer Pauschalreise vor Reisebeginn jederzeit vom Vertrag zurücktreten. Dadurch verliert der Reiseveranstalter zwar den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis, kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Diese Entschädigung bleibt dem Reiseveranstalter aber nach § 651h Abs. 3 BGB versagt, wenn
- am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten,
- die das Durchführen der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
MERKE | Solche Umstände können in der Qualifizierung des Reiseorts als Risikogebiet oder auch eine hierauf bezogene Reisewarnung des Auswärtigen Amts darstellen. |
3. Was ist eine Pauschalreise?
Die Regelung gilt nur für Pauschalreisen. Nach § 651a Abs. 2 BGB handelt es sich um eine Pauschalreise, wenn mindestens zwei verschiedene Reiseleistungen (z. B. Flug, Unterbringung im Hotel oder Ferienhaus, Mietwagen oder sonstige touristische Leistung) für den Zweck derselben Reise gebucht werden. Unerheblich ist, ob der Reisende Verbraucher oder Unternehmer ist.
Eine Einzelreiseleistung, z. B. Flug oder Hotelunterkunft, ist grundsätzlich eine Individualreise und unterliegt nicht dem Pauschalreiserecht, sondern den allgemeinen Regeln des BGB: Wenn die Unterkunft nicht verfügbar ist oder der Flug ausfällt, handelt es sich um den Fall einer Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 BGB). Der Anspruch auf die Leistung ist dann ausgeschlossen und der Reisende wird von seiner Zahlungspflicht frei, ohne dass es einer Kündigung bedarf (§§ 275, 326 BGB).
MERKE | Dies ist die gesetzliche Ausgangslage. Vor dem Hintergrund der besonderen Situation der Corona-Pandemie werden aber auch andere Lösungsmöglichkeiten diskutiert, etwa der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB oder eine ausgleichende Minderung nach § 536 BGB (vergleiche etwa Weller/Thomale, BB 20, 962). |
4. Unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände, erhebliche Beeinträchtigung
Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände liegen vor, wenn sie nicht der Kontrolle der Vertragspartei unterliegen, die sich darauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären (§ 651h Abs. 3, S. 2 BGB). Eine erhebliche Beeinträchtigung wird angenommen, wenn im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bei objektiver Betrachtung eine sichere Reisedurchführung unmöglich ist, der Reisezweck also insgesamt infrage steht. Dabei sprechen folgende Indizien für das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung:
- Warnhinweis des Auswärtigen Amts vor Reisen in das betreffende Zielgebiet,
- Quarantänemaßnahmen, Hotelschließungen und Flugausfälle,
- Warnungen der Weltgesundheitsorganisation (WTO),
- Reisende gehören zum Personenkreis mit erhöhtem Infektionsrisiko und
- unzureichende Sicherheitsmaßnahmen während der Reise im Bus, beim Flug oder in der Unterkunft.
Wenn der Reiseveranstalter infolge eines Rücktritts zur Rückerstattung des Reisepreises verpflichtet ist, muss er nach § 651h Abs. 5 BGB unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt leisten. Überschreitet er diesen Zeitpunkt, gerät er auch ohne Mahnung in Verzug.
MERKE | Dem Reisenden stehen bei nicht fristgemäßer Zahlung zusätzlich ein Anspruch auf Schadenersatz nach § 280 Abs. 1, 2 BGB, § 286 BGB sowie auf Zahlung einer Verzugspauschale in Höhe von 40 EUR nach § 288 Abs. 5 BGB zu, sofern er Verbraucher ist. |
Dies basiert auf der EU-Pauschalreiserichtlinie 2015/2302 und kann daher auch nur vom Richtliniengeber verändert werden. Die Europäische Kommission hat eine Empfehlung abgegeben, welche Anforderungen an Gutscheine zu stellen seien, die als freiwillige Alternative zu einer Rückzahlung angeboten werden können (Empfehlung der Kommission vom 13.5.20, C (2020) 3125 final).
5. Neue gesetzliche Regelung
Auf der Grundlage dieser Empfehlung der EU-Kommission ist unter Art. 240 § 6 EGBGB eine weitere Covid-19-Pandemie-Sonderregelung für Pauschalreiseverträge eingefügt worden. Nach der neuen gesetzlichen Regelung (BGBl I, 1643) müssen die Reiseanbieter ihren Kunden das Geld zurückzahlen (§ 651h BGB). Alternativ können sie einen gegen Insolvenz abgesicherten Gutschein anbieten, den die Kunden aber nicht annehmen müssen.
6. Gutscheinlösung
Tritt der Reisende oder der Reiseveranstalter wegen der Covid-19-Pandemie nach § 651h Abs. 1, 3 und 4 BGB von einem Pauschalreisevertrag zurück, der vor dem 8.3.20 geschlossen wurde, kann der Reiseveranstalter dem Reisenden statt der Rückerstattung des Reisepreises einen Reisegutschein anbieten. Diese Möglichkeit besteht auch, wenn der Reisende oder der Reiseveranstalter den Rücktritt vor dem Tag erklärt hat, an dem diese Vorschrift in Kraft getreten ist.
MERKE | Dies gilt nur für Verträge, die vor dem 8.3.20 geschlossen wurden. Für spätere Verträge gelten die allgemeinen Regelungen nach § 651h BGB (s. o.). |
7. Wahlrecht des Reisenden
Der Reisende hat die Wahl, ob er das Angebot des Reiseveranstalters annimmt oder sein Recht auf Rückerstattung des Reisepreises. Auf dieses Wahlrecht muss der Reiseveranstalter ihn bei seinem Angebot hinweisen.
MERKE | Diese Frage war lange umstritten und entwertet die Lösung aus Sicht der Veranstalter. Das versucht der Gesetzgeber durch die Insolvenzsicherung zu mildern (s. u., 10.). |
8. Wert des Gutscheins
Der Wert des Reisegutscheins muss den erhaltenen Vorauszahlungen entsprechen. Für Ausstellen, Übermitteln und Einlösen des Gutscheins dürfen dem Reisenden darüber hinaus keine Kosten in Rechnung gestellt werden.
9. Gültigkeit und Erstattung nach dem 31.12.21
Der Reisegutschein verliert spätestens am 31.12.21 seine Gültigkeit. Danach muss der Reiseveranstalter dem Reisenden die geleisteten Vorauszahlungen unverzüglich, spätestens innerhalb von 14 Tagen erstatten, wenn der Gutschein nicht bis zu diesem Zeitpunkt eingelöst wurde oder eingelöst werden konnte.
10. Insolvenzsicherung
Nach § 651r BGB ist der gezahlte Reisepreis im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters durch eine Insolvenzsicherung abgesichert, soweit aus diesem Grund Reiseleistungen ausfallen. Art 240 § 6 Abs. 6 EGBGB knüpft an diese Regelung an und begründet ein Recht des Reisenden gegenüber dem das Insolvenzrisiko sichernden Unternehmens (sog. Kundengeldabsicherer). Danach kann der Reisende die unverzügliche Erstattung der geleisteten Vorauszahlungen von dem Kundengeldabsicherer verlangen, wenn der Reiseveranstalter zahlungsunfähig wird, über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder ein Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen wird.
MERKE | Angesichts der fortschreitenden Reisebeschränkungen ist die Gefahr von Insolvenzen ganz real. Dies gilt auch, wenn die Insolvenzantragspflicht noch bis zum 30.9.20 ausgesetzt ist und eine Verlängerung dieser Regelung zumindest bis zum Jahresende, möglicherweise sogar darüber hinaus, wahrscheinlich ist. |
Nach § 651r Abs. 2 BGB kann diese Haftung für die in einem Jahr von dem Versicherer zu erstattenden Beträge auf 110 Mio. EUR begrenzt werden.
MERKE | Diese Insolvenzabsicherung ist regelmäßig, vor allem in der aktuellen Situation vor dem Hintergrund vieler betroffener Kunden unzureichend. So wurde den Reisenden im Zuge der Thomas-Cook-Insolvenz nur eine Quote von 17,5 Prozent erstattet. |
Deshalb hat der Gesetzgeber hier eine weitergehende Insolvenzsicherung begründet. Soweit der Kundengeldabsicherer seine Haftung begrenzt hat und den Anspruch des Reisenden nur anteilig befriedigt, kann der Reisende auf der Grundlage des Reisegutscheins von der Bundesrepublik Deutschland die restliche Erstattung der Vorauszahlungen verlangen (Art. 240 § 6 Abs. 6 S. 2 EGBGB).
MERKE | Die Insolvenzsicherung erfasst nur die Ansprüche auf Rückzahlung des bereits gezahlten Reisepreises. Darüber hinausgehende Leistungsversprechen des Reiseveranstalters werden von der Insolvenzsicherung nicht umfasst. |
Zuständige Stelle für das Erstattungsverfahren ist zunächst das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Ein Delegieren auf das Bundesamt für Justiz ist möglich. Die Einzelheiten des Erstattungsverfahrens kann die Bundesregierung in einer gesonderten Rechtsverordnung regeln (Art. 240 § 6 Abs. 8 EGBGB). Diese ist bislang noch nicht erlassen.
11. Was der Reiseveranstalter tun muss
Das Gesetz normiert, wie schon bei der Gutscheinlösung für Freizeiteinrichtungen und Kulturveranstalter, formelle Anforderungen an den Gutschein
Checkliste / Inhalt des Gutscheins |
Aus dem Reisegutschein muss sich ergeben:
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Der Reisegutschein kann formlos gegenüber dem Kunden ausgestellt werden.
Musterformulierung / Formloses Kundenanschreiben |
Sehr geehrte ...
die Maßnahmen und Beschränkungen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie haben mit Blick auf die von Ihnen gebuchte Pauschalreise zu unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umständen geführt. Damit waren erhebliche Beeinträchtigungen für Ihre Reise zu erwarten. Bedauerlicherweise mussten wir uns daher entscheiden, Ihre Reise … (genaue Bezeichnung der Pauschalreise) vom ... bis zum ... 2020 zu stornieren.
Alt.: Sie haben daraufhin die bei uns gebuchte Pauschalreise … (genaue Bezeichnung der Pauschalreise) vom ... bis zum ... 2020 storniert.
Statt der Rückzahlung des Reisepreises überreichen wir Ihnen in der Anlage einen Wertgutschein in Höhe von ... EUR (Höhe der geleisteten Vorauszahlungen einsetzen). Diesen Gutschein können Sie bis zum 31.12.21 für eine Buchung bei uns einlösen. Soweit Ihnen die Einlösung des Gutscheins bis dahin nicht möglich ist, werden wir Ihnen die geleisteten Vorauszahlungen unverzüglich, spätestens innerhalb von 14 Tagen, erstatten.
Ihre Ansprüche auf Erstattung des Reisepreises sind auch gegen eine mögliche Insolvenz des Reiseveranstalters abgesichert. Zunächst sind Ihre Ansprüche von einer abgeschlossenen Versicherung erfasst. Sollte die Versicherungsleistung nicht ausreichen, um Ihre Ansprüche zu erfüllen, können Sie von der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die weiteren Erstattungszahlungen verlangen. Die Insolvenzsicherung erfasst nur die Ansprüche auf Rückzahlung des bereits gezahlten Reisepreises. Darüber hinausgehende Leistungsversprechen werden von der Insolvenzsicherung nicht umfasst. |