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· Fachbeitrag · Corona-Krise

Probleme bei der Zwangsräumung und ihre Lösung

von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz

| Auch in Corona-Krisenzeiten muss die Bundesrepublik als Rechtsstaat ihren Pflichten gegenüber Bürgern und Rechtsuchenden nachkommen. Sie muss z. B. weiterhin gerichtliche Entscheidungen durchsetzen, also als Inhaber des Gewaltmonopols Zwangsvollstreckungen durchführen. Der folgende Beitrag beschreibt die derzeitigen praktischen Probleme hierbei bezüglich der Räumungsvollstreckung und bietet Lösungen an. |

1. Hier muss der Gerichtsvollzieher abwägen

So darf ein Gerichtsvollzieher, wenn die Räumungsvollstreckung ansteht, nicht einfach den Räumungstermin ausschließlich deshalb verschieben oder aufheben, weil die Corona-Pandemie besteht (AG Fulda 18.6.20, 51 M 1342/20, Abruf-Nr. 216962). Er muss vielmehr den Gesundheitszustand der an der Räumungsvollstreckung beteiligten Personen (z. B. Schuldner, Mitarbeiter einer Spedition, er selbst) gegen das Erlangungsinteresse des Gläubigers abwägen (Streyl in: Schmidt, COVID-19, § 3 Rn. 110, 111).

 

MERKE | Die Person des Gläubigers kann dabei grundsätzlich außer Betracht bleiben. Denn er darf zwar an der Vollstreckung teilnehmen, muss es aber nicht. Gleiches gilt für den Schuldner. Ob die Vollstreckung letztlich durchgeführt wird, hängt damit im Wesentlichen davon ab, ob

  • an ihr bereits infizierte Personen teilnehmen, oder
  • ob durch die Durchführung der Vollstreckung mit einer Infizierung gerechnet werden muss.
 

2. Besonderheiten der Bundesländer beachten

In sämtlichen Bundesländern gibt es unterschiedlich ausgestaltete Corona-Kontakt- bzw. Betriebsbeschränkungsverordnungen. Danach sind beim Aufenthalt im öffentlichen Raum u. a. Gruppen von höchstens zehn Personen zulässig (vgl. z. B. CoronaVKBBeschrV HE). Bei Begegnungen mit anderen Personen ist i. d. R. ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.

 

Beachten Sie | Dieses Verbot gilt i. d. R. nicht für Zusammenkünfte von Personen, die aus geschäftlichen, beruflichen, dienstlichen, schulischen oder betreuungsrelevanten Gründen unmittelbar zusammenarbeiten müssen, sowie Sitzungen und Gerichtsverhandlungen (vgl. AG Fulda, a. a. O.).

 

So sollen z. B. im Bundesland Hessen Sitzungen und Verhandlungen an Gerichten sowie andere richterliche Amtshandlungen unter Beachtung des Mindestabstands von 1,5 Metern durchgeführt werden (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 CoronaVKBBeschrV HE). In den Fällen, in denen zur Sicherstellung des Sitzungsbetriebs, der Amtshandlung oder aus verfahrensrechtlichen Gründen eine Unterschreitung des Mindestabstands erforderlich ist, soll dem Risiko einer Infektion durch eine andere geeignete Schutzmaßnahme begegnet werden.

 

Folge: Der Gerichtsvollzieher kann nicht allein unter Hinweis auf die vorgeschriebenen Maßnahmen und ohne sich mit den entsprechenden Regelungen im Einzelnen auseinanderzusetzen, Vollstreckungsmaßnahmen ablehnen.

 

PRAXISTIPP | Die meisten Länderverordnungen lassen Ausnahmen vom Kontaktverbot für ein erforderliches berufliches Zusammenarbeiten sowie für gerichtliche Verhandlungen zu. Dies dient insbesondere dazu, die Funktionsfähigkeit der Gerichte zu erhalten. Soll er gerichtliche Vollstreckungsmaßnahmen durchführen, z. B. bei Räumung, muss der Gerichtsvollzieher daher u. a. auch solche länderspezifischen Regelungen berücksichtigen:

 

  • Zum einen muss er versuchen, die Räumung unter Beachtung des Mindestabstands von 1,5 Metern durchzuführen. Das ist im Regelfall möglich.

 

  • Sofern dies jedoch ausnahmsweise nicht möglich ist, muss er geeignete Schutzmaßnahmen prüfen und ggf. anordnen, mit denen das Risiko einer Infektion vermieden werden kann. Hierzu gehört z. B. das Anordnen des Tragens eines Mund-/Nasenschutzes. Diese allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen, soweit sie öffentlich-rechtlich angeordnet sind, müssen beachtet werden. Das Abstandsgebot und die Pflicht, einen Mundschutz zu tragen, gelten auch bei der Vollstreckung.
 

Beachten Sie | Allein der Hinweis auf die Zahl der bei einer Räumung beteiligten Personen führt daher nicht dazu, dass diese nicht unter Beachtung der jeweiligen Länderverordnungen durchgeführt werden kann. Auch der generelle Hinweis auf die allgemeine Problematik und Konfliktsituation bei der Durchführung von Räumungsaufträgen ist hierfür nicht ausreichend. Sofern bei einzelnen Personen zusätzliche Risikofaktoren bestehen, könnte dem auch durch die Möglichkeit einer Vertretung begegnet werden.

3. Sittenwidrigkeit und Unzumutbarkeit erforderlich

Das LG Frankfurt/Main hat in einem Vollstreckungsverfahren entschieden, dass aufgrund der Covid-19-Pandemie eine Räumungsvollstreckung angesichts der akuten Gesundheitsgefahr für die zu räumenden Mieter und die Bevölkerung keine sittenwidrige Härte gemäß § 765a ZPO darstellt. Sie muss daher nicht eingestellt werden (26.3.20, 2-17 T 13/20, Abruf-Nr. 216414).

 

Im Streitfall hatte der Gläubiger den zuständigen Gerichtsvollzieher mit der Räumung und Herausgabe beauftragt. Der Räumungstermin wurde auf den 27.3.20 festgelegt. Der nach § 765a ZPO gestellte Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners wurde zunächst vom Vollstreckungsgericht als unbegründet zurückgewiesen (AG Königstein i. Ts. 20.3.20, 91 M 537/20). Hiergegen wandte sich der Schuldner mit der sofortigen Beschwerde und begründete seinen Antrag neu. Er berief sich nun auf die von Covid-19 ausgehenden Gefahren. Insbesondere gehöre der Schuldner aufgrund mehrerer diagnostizierter Erkrankungen (u. a. Pflegegrad 4) zur Risikogruppe, die besonders gefährdet für eine Infektion mit Covid-19 sei. Daher bestehe Lebensgefahr. Darüber hinaus bestehe ein umfassendes Kontaktverbot, das der Räumungsvollstreckung entgegenstehe. Selbst die staatliche Zwangseinweisung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit beseitige nicht die gegenwärtige Infektionsgefahr des Schuldners. Vielmehr würde der Schuldner einer Vielzahl von infektiösen Personen ausgesetzt werden. Das AG Königstein i. Ts. half daraufhin der sofortigen Beschwerde ab und stellte die Zwangsräumung zunächst bis zum 30.6.20 einstweilen ein (25.3.20, 91 M 537/20). Der hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde des Gläubigers half das LG Frankfurt/Main (a. a. O.) ab und hob die Entscheidung des AG auf.

 

MERKE | Die Entscheidung ist richtig. In der Praxis ist zu beobachten, dass im Rahmen des § 765a ZPO oft nur einseitig die Interessen des Schuldners berücksichtigt werden, ohne auch die Rechte des Gläubigers genügend zu beachten. Denn § 765a ZPO verlangt als absolute Ausnahmeregelung, dass die Vorschrift nur bei ganz besonders gelagerten Fällen angewendet wird. Dabei muss das Vorgehen des Gläubigers zu einem ganz untragbaren Ergebnis für den Schuldner führen.

 

Diese Voraussetzungen lagen im Fall des LG Frankfurt/Main aber gerade nicht vor. Es waren nämlich richtigerweise auch die Interessen des 82-jährigen Gläubigers zu betrachten. Dieser hatte ebenfalls erhebliche gesundheitliche Gesichtspunkte angeführt, die für eine schnellstmögliche Räumung sprechen. Denn der Schuldner hatte einerseits nie Miete gezahlt und dadurch den Gläubiger in seiner finanziellen Existenz akut gefährdet. Andererseits war auch die körperliche Unversehrtheit der übrigen Hausbewohner akut gefährdet durch dauerhafte Bedrohungen, Beschimpfungen und körperliche Angriffe des Schuldners.

 

Die Besonderheit des Falls lag i. Ü. auch darin, dass mehrere Hausbewohner über 70 und zum Teil auch über 80 Jahre alt waren. Auch sie zählten daher nach Ansicht der Kammer zur Risikogruppe, die aufgrund des vom Schuldner in seiner Wohnung empfangenen Besuchs einer gesteigerten Gesundheitsgefahr ausgesetzt waren.

 

Beachten Sie | Es besteht gegenwärtig eine Ausnahmesituation, die aufgrund umfangreicher Stilllegung des sozialen Lebens Ansteckungs- und Existenzängste hervorruft. Dies rechtfertigt insgesamt aber nicht generell, Zwangsvollstreckungen einzustellen. Die Interessen eines zu räumenden Schuldners überwiegen daher nicht unbedingt die Interessen des Gläubigers. Da selbst Experten ein Ende der Pandemie nicht bestimmen können, muss daher auch im Einzelfall stets berücksichtigt werden, wie lange der Räumungstitel bereits existiert.

 

Folge: Liegen Kündigung und Urteil zeitlich deutlich vor Corona, hatte der Schuldner i. d. R. genügend Zeit, sich um eine neue Wohnung zu bemühen.

4. Gläubigerargumente gegen die Einstellung der Räumung

Im Rahmen von Zwangsräumungen wird derzeit immer wieder das Argument einer angeblich gesteigerten Infektionsgefahr als Begründung für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung vorgetragen. Diese Argumentation können Gläubiger allerdings wie folgt entkräften:

 

Checkliste / So entkräften Sie Schuldnerargumente

  • Es bleibt letztlich dem Schuldner selbst überlassen, ob er bei einer Zwangsräumung anwesend sein will oder nicht. Ggf. kann er sich vertreten lassen.

 

  • Die derzeit aktuellen Infektionszahlen des RKI weisen auf keine akute Ansteckungsgefahr hin.

 

  • Die Mitarbeiter eines vom Gerichtsvollzieher beauftragten Speditionsunternehmens tragen i. d. R. schon aus Gründen des Eigenschutzes Mundschutz und Handschuhe. Dasselbe gilt auch für den Gerichtsvollzieher.

 

  • Allein der Hinweis, dass der Schuldner einer Risikogruppe unterfällt, führt nicht zu einer Unzumutbarkeit der Zwangsräumung, da eine solche Frage nur im konkreten Einzelfall unter Abwägung sämtlicher Beteiligteninteressen geklärt werden kann (AG Frankfurt 8.4.20, 82 M 4390/20).
 

5. Lösungsmöglichkeit: beschränkter Räumungsauftrag

§ 885a ZPO enthält eine Bestimmung, mit der die Praxis der sog. Berliner Räumung auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wird. Hierbei beschränkt der Gläubiger seinen Vollstreckungsauftrag auf die bloße Besitzverschaffung an den Räumen und macht im Übrigen an den darin befindlichen beweglichen Gegenständen sein Vermieterpfandrecht geltend.

 

Die Vorschrift ermöglicht es dem Gläubiger somit, die mit der Räumungsvollstreckung gemäß § 885 ZPO verbundenen hohen Transport- und Lagerkosten zu vermeiden und damit den Kostenvorschuss für die Vollstreckung ganz erheblich zu reduzieren (BT-Drucksache 17/10485, S. 15; BGH NJW 15, 2126).

 

Der Vorteil einer solchen Beauftragung des Gerichtsvollziehers liegt klar auf der Hand: Da es um die bloße Besitzverschaffung, also das Austauschen von Türschlössern geht, muss niemand anwesend sein. Hierdurch kann die angeblich bestehende Infektionsgefahr vermieden werden.

Quelle: Seite 153 | ID 46725342