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· Fachbeitrag · Directive-Shopping

Durchleitungsgesellschaften sind missbräuchlich: Keine Entlastung für EU-Zwischenholdings

von StB Dr. Christian Kahlenberg, LL.M./M.Sc., Flick Gocke Schaumburg, Bonn/Berlin

| Der EuGH hat in zwei Urteilen zu der Frage Stellung genommen, wann missbräuchliches Verhalten bei der Inanspruchnahme von Vorteilen aus der Mutter-Tochter-Richtlinie oder der Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie vorliegt. Danach stellen sog. Durchleitungsgesellschaften eine missbräuchliche Gestaltung dar, weshalb Steuervorteile, die das EU-Sekundärrecht vorsieht, nicht gewährt werden dürfen, selbst wenn dafür keine nationale Rechtsgrundlage existiert ( EuGH 26.2.19, C-116/16, C-117/16, IStR 19, 266 und C-115/16, 118/16, 119/16, 299/16, IStR 19, 308). Der vorliegende Beitrag ordnet die abstrakten Entscheidungsgründe in den deutschen Kontext ein und gibt praktische Hinweise. |

1. Hintergrund

Global agierende Unternehmen sind bestrebt, ihre Struktur derart zu gestalten, dass Quellensteuern entweder nur geringfügig anfallen oder vollständig vermieden werden. Mangels Anrechenbarkeit werden Quellensteuern oftmals zu einem echten Kostenfaktor. Holdinggesellschaften werden daher in Staaten errichtet, die über ein günstiges DBA-Netz verfügen und möglichst keine Quellensteuern auf Outbound-Zahlungen erheben. Die ausschließlich steuermotivierte Einschaltung solcher Einheiten zu unterbinden, ist Gegenstand sog. Anti-Treaty/-Directive-Shopping-Regelungen, wie z. B. § 50d Abs. 3 EStG.

 

Die Regelung versagt einer ausländischen Gesellschaft den Erstattungsanspruch von deutschen Quellensteuern auf Kapitalerträge (§§ 43 ff. EStG) oder aufgrund von § 50a EStG, soweit

  • 1. an einer ausländischen Gesellschaft nicht begünstigungsfähige Personen beteiligt sind, die selbst nicht unmittelbar zur Entlastung berechtigt sind,
  • 2. die Gesellschaft selbst nicht wirtschaftlich tätig ist und
  • 3. für die Zwischenschaltung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder die ausländische Gesellschaft nicht mit einem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

 

Darüber hinaus ist nach § 50d Abs. 3 S. 2 EStG ausschließlich auf die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft abzustellen (sog. Stand-Alone-Betrachtung).

 

MERKE | Die Missbrauchsbekämpfung ist im deutschen Steuerrecht an zahlreichen Stellen normiert. Die prominenteste Vorschrift dürfte § 42 AO darstellen, die aber als allgemeine Missbrauchsabwehrnorm gegenüber spezielleren Missbrauchsabwehrnormen zurücktritt (z. B. BFH 19.1.00, I R 94/97, BStBl II 01, 222); auch gegenüber § 50d Abs. 3 EStG.

 

Nachdem der EuGH in den Rs. Deister/Juhler Holding die Altfassung des § 50d Abs. 3 EStG für EU-rechtswidrig erklärt hatte (EuGH 20.12.17, C-504/16, C-613/16, DStZ 18, 93; s. Kahlenberg, PIStB 18, 279), reagierte die deutsche Finanzverwaltung mit Schreiben vom 4.4.18 (IV B 3 - S 2411/07/10016-14, BStBl I 18, 589) und erklärte die Altfassung darin für nicht mehr anwendbar, wenn der Erstattungsanspruch auf § 43b EStG (Mutter-Tochter-Richtlinie) gestützt wird. Die Finanzverwaltung möchte also in allen anderen Fällen (z. B. § 50g EStG, DBA oder § 44a EStG) auch § 50d Abs. 3 EStG a. F. weiterhin anwenden.

 

Das BMF-Schreiben enthält darüber hinaus auch Erläuterungen, wie die Finanzverwaltung die aktuelle Regelung anwenden möchte, um einen EU-Rechtsverstoß vorzubeugen. Mit seinem Urteil in der Rs. GS stufte der EuGH aber auch die gegenwärtige Fassung von § 50d Abs. 3 EStG als EU-rechtswidrig ein (EuGH 14.6.18, C-440/17, DB 18, 1712). Damit war das Schreiben zumindest insoweit überholt. Dennoch veröffentlichte das BMF bisher kein aktualisiertes Schreiben. Man hatte offenbar die Hoffnung, aus den zu diesem Zeitpunkt kurz bevorstehenden Entscheidungen zum dänischen Recht (vgl. sogleich) ableiten zu können, dass die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG weitestgehend doch EU-rechtskompatibel ist. Doch der EuGH ist standhaft geblieben und bestätigte in der Rs. GS seine zur Altfassung getroffene Ansicht nahezu wortgleich (EuGH 14.6.18, C-440/17, s. PIStB 18, 177). Der Gesetzgeber kommt m. E. um eine Überarbeitung des § 50d Abs. 3 EStG nicht umhin. Die Vorschrift unterstellt den Missbrauch, ohne die Möglichkeit wirtschaftliche Gründe für die gewählte Gestaltung vorzubringen (Motivtest); abzustellen ist dabei auf die gesamte Struktur und nicht isoliert nur auf die ausländische Gesellschaft.

 

PRAXISTIPP | Die festgestellte EU-Rechtswidrigkeit betrifft ‒ anders als die Finanzverwaltung meint ‒ neben § 43b EStG - auch weitere Entlastungsnormen, wie z. B. § 50g, § 44a Abs. 9 EStG oder DBA-Bestimmungen (Schönfeld, IStR 18, 326; Kahlenberg, FR 18, 500).

 

2. Aktuelle EuGH-Verfahren

In verschiedenen, in zwei Rechtssachen zusammengefassten Entscheidungen musste sich der EuGH mit der Frage der Missbrauchsabwehr im Bereich der Mutter-Tochter-Richtlinie (Richtlinie 2011/96/EU, kurz: MTR) sowie der Zins-Lizenzgebühren-Richtlinie (RL 2003/49/EG, kurz: ZLR) befassen.

 

2.1 Quellensteuerbefreiung im Rahmen der Mutter-Tochter-Richtlinie (EuGH 26.2.19, C-116/16, C-117/16)

 

  • (Ausgewählte) Sachverhalte

In beiden Fällen wurden dänische Unternehmen über verschiedene EU-Unternehmen gehalten, die erst kürzlich (vor Gewinnausschüttung) zwischen diese und den in Drittstaaten (USA u. a.) ansässigen Anteilseignern geschaltet wurden. Im Rahmen der Dividendenausschüttungen begehrten die dänischen Unternehmen die Quellensteuerbefreiung auf Grundlage der MTR. Diese wurde mit der Begründung versagt, dass N Lux 2 (C-116/16) bzw. Y Cyprus (C-117/16) nicht als Nutzungsberechtigte angesehen werden könnten; eine Anti-Missbrauchs-Regelung hatte Dänemark nicht implementiert.

 

 

 

2.2 Quellensteuerbefreiung im Rahmen der Zins-Lizenz-Richtlinie (EuGH 26.2.19, C-115/16, C-118/16, C-119/16, C-299/16)

 

  • Ausgewählte Sachverhalte

Dänische Unternehmen waren jeweils Untergesellschaften des europäischen Teils eines Konzerns, dessen ultimative Anteilseigner in den USA ansässig waren. Die kurzfristig zwischengeschalteten schwedischen Gesellschaften reichten Darlehen an die dänischen Unternehmen aus. Das zugrunde liegende Kapital hatten die Drittstaatengesellschafter als Einlage zur Verfügung gestellt, das anschließend als Darlehen der schwedischen Obergesellschaft überlassen wurde. Die schwedische Untergesellschaft reichte dieses dann zu nahezu identischen Konditionen und fast taggleich weiter, sodass in Schweden äußerst geringe Margen verblieben. Auch hier verwehrte die dänische Steuerverwaltung die Quellensteuerfreiheit mit der Begründung, dass die schwedische Untergesellschaft nicht Nutzungsberechtigte für die Darlehenszinsen sei.

 

 

 

3. Beurteilung durch den Gerichtshof

Die diversen Vorlagefragen verdichtet der Gerichtshof auf die folgenden zentralen Kernfragen:

 

  • 1. Ist eine mitgliedstaatliche Rechtsgrundlage für die Verwehrung der Steuervergünstigung der MTR bzw. ZLR (Quellensteuerbefreiung) erforderlich?
  • 2. Bejahendenfalls, was sind die Tatbestandskriterien für Rechtsmissbrauch und wie sind diese nachzuweisen?
  • 3. Steht die Verwehrung der im nationalen Recht verankerten Quellensteuerbefreiung den in Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) bzw. Art. 63 AEUV (Kapitalverkehrsfreiheit) garantierten Grundfreiheiten entgegen?

 

3.1 Missbrauchsabwehr als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts

Mit bemerkenswert klaren Ausführungen weist der EuGH darauf hin, dass eine missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht möglich ist und auch den Richtlinienzielen widerspricht. Folglich dürfen steuerbegünstigende Vorschriften (hier: Quellensteuerbefreiung) nicht angewandt werden. Gestaltungen, die nur oder hauptsächlich auf die Erzielung von Steuervorteilen abzielen, sind missbräuchlich. Sofern aber wirtschaftliche Gründe vorliegen, können Steuerpflichtige die für sie günstigsten Steuersysteme frei wählen (EuGH 24.11.16, C-464/14, SECIL, Rn. 60 m. w. N). Mit anderen Worten sind die Mitgliedstaaten nach dem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts verpflichtet, Steuerhinterziehung oder Rechtsmissbrauch abzuwehren, selbst wenn dafür keine nationale Rechtsgrundlage existiert.

 

Beachten Sie | Übertragen auf den deutschen Rechtskreis wäre demnach eine Vorschrift zur Abwehr von Directive-Shopping, wie in § 50d Abs. 3 EStG angelegt, überflüssig. Vielmehr wäre es ausreichend, die nationalen Regelungen (§ 43b EStG bzw. § 50g EStG) richtlinienkonform auszulegen. Bei missbräuchlichen Gestaltungen besteht faktisch kein Anspruch auf Steuerentlastung. Gleichwohl ist eine Anti-Missbrauchs-Norm im Lichte der Rechtssicherheit sicher hilfreich, wenn hierin klar zum Ausdruck gebracht würde, wann steuerliche Gestaltungsmissbrauch vorliegt.

 

Was die Frage der Person des Nutzungsberechtigten i. S. d. Art. 1 Abs. 1 ZLR angeht, so kommt es auf den tatsächlichen Nutznießer an, an den die Zinsen gezahlt werden. Bei Auslegungsfragen kann nach Ansicht des EuGH auch auf den Nutzungsberechtigten i. S. d. Art. 11 OECD-MA sowie die Ausführungen im OECD-MK zurückgegriffen werden. Dabei soll auch der dynamische Auslegungsmodus zulässig sein (EuGH 26.2.19, C-115/16 u. a., Rn. 90; s. a. Lampert, ISR 19, 260 [263]).

 

PRAXISTIPP | In der Rs. C-116/16, C-117/16 ließ der EuGH bei der MTR den zulässigen Rückgriff auf das OECD-MA dahinstehen, weil diese Frage nur relevant gewesen wäre, wenn es zur Missbrauchsabwehr einer nationalen Rechtsgrundlage bedurft hätte. In den Verfahren C-118/16 und C-119/16 dürfte der BFH m. E. bereits anzweifeln, ob überhaupt die Einordnung als Fremdkapital in Betracht kommt, wenn die Mittel lediglich zur Weitergabe bestimmt waren (BFH 27.2.19, I R 73/16, BStBl II 19, 394); dann wäre auch der Zinsabzug fraglich gewesen. Anstelle von Zinsen wäre dann die Quellenbesteuerung für Dividenden zu prüfen gewesen.

 

3.2 Tatbestandskriterien und Nachweise für missbräuchliche Gestaltungen

Im zweiten Themenkomplex befasst sich der Gerichtshof mit der praxisrelevanten Frage, welche konkreten Anforderungen bzw. Nachweise für missbräuchliche Gestaltungen verlangt werden. Nach der EuGH-Entscheidung vom 12.9.06 (C-196/04, Cadbury Schweppes) setzt eine missbräuchliche Gestaltung ein objektives und ein subjektives Element voraus:

 

  • Objektiv muss das Ziel der fraglichen Regelung verletzt sein, weil nach Gesamtwürdigung der objektiven Umstände die Tatbestandsmerkmale lediglich formal erfüllt sind.

 

  • Subjektiv muss hinzutreten, dass die gewählte Gestaltung allein oder hauptsächlich der Erzielung eines Steuervorteils diente.

 

Konkret ist der gesamte Sachverhalt danach zu untersuchen, ob eine künstliche Transaktion vorliegt, die hauptsächlich auf die Erlangung eines ungerechtfertigten (Steuer-)Vorteils abzielt, ohne wirtschaftlich gerechtfertigt zu sein (EuGH 14.4.16, C-131/14, Cervati und Malvi, Rn. 47 m. w. N.). Für die Beurteilung sind die mitgliedstaatlichen Gerichte zuständig.

 

Besonders bedeutsam für die Praxis sind die anschließend vom Gerichtshof ‒ soweit ersichtlich ‒ erstmalig aufgezählten Indizien, die auf eine missbräuchliche Gestaltung hindeuten können:

 

  • Künstliche Gebilde könnten z. B. ein geschaffener Konzern sein, der nur eine Pro-forma-Struktur ohne wirtschaftliche Realität aufweist und dessen Hauptzweck in der Erlangung eines Steuervorteils liegt (EuGH 26.2.19, C-116/16 u. a., a.a.O., Rn. 100).

 

  • Als künstlich können auch sog. Durchleitungsgesellschaften angesehen werden, die Einkünfte (z. B. Zinsen oder Dividenden) nahezu vollumfänglich und kurz nach deren Erzielung an Gesellschafter weiterleiten, die ‒ z. B. aufgrund ihrer Drittstaatenansässigkeit ‒ selbst nicht unmittelbar von steuerlichen Vorzügen (ZLR oder MTR) profitieren würden.

 

  • Die Missbrauchsvermutung kann auch dadurch gestärkt werden, wenn die die Steuervergünstigung begehrende Gesellschaft letztlich kein nennenswertes zu versteuerndes Einkommen aufweist, weil sie die vereinnahmten Dividenden unmittelbar weiterleiten muss.

 

PRAXISTIPP | Die vorstehenden Indizien sind für die praktische Handhabung durchaus hilfreich; insbesondere die Benennung einer Durchleitungsgesellschaft als künstlich. Sofern eine Gesellschaft über ihre Einkommensverwendung selbst entscheiden kann und ihre Anteilseigner nahezu identische Konditionen genießen würden ‒ z. B. EU- oder DBA-Fälle ‒ dürfte der Verdacht einer missbräuchlichen Gestaltung ausscheiden. Der Hinweis auf das zu versteuernde Einkommen sollte auch für Holdinggesellschaften, die ausschließlich steuerfreie Beteiligungserträge erzielen, nicht zum Stolperstein werden, wenn deren Einschaltung wirtschaftlich begründbar ist (z. B. Bündelung strategischer Beteiligungen, Kostenreduktion etc.).

 

Der Missbrauchsverdacht kann aber durch wirtschaftliche Gründe widerlegt werden, die anhand folgender Merkmale zu bestimmen sind:

 

  • Geschäftsführung
  • Bilanz
  • Kostenstruktur
  • tatsächliche Ausgaben
  • Beschäftigten
  • Geschäftsräume
  • Ausstattung der betreffenden Gesellschaft

 

Weitere Indizien können sein:

 

  • Verschiedene Verträge zwischen an der Finanztransaktion beteiligten Rechtsträgern, die zum Geldtransfer führen (z. B. Darlehensverträge, Umstrukturierungen oder konzerninterne Veräußerungen, die auf eine Gewinnverlagerung abzielen)

 

  • Modalitäten der Finanzierung einer Transaktion

 

  • Die Bewertung des Eigenkapitals der Zwischengesellschaften

 

  • Die fehlende Befugnis der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über Erträge

 

Beachten Sie | In der Rs. Juhler Holding (EuGH 20.12.17, C-613/16, DStZ 18, 93; s. Kahlenberg, PIStB 18, 279) hatte der EuGH auch die Substanz anderer Konzerngesellschaften als ausreichend erachtet; d. h. die Gesellschaft muss die notwendige Substanz ggf. nicht selbst vorhalten. Der erforderliche Umfang sollte zudem durch die Tätigkeit bestimmt werden, sodass bei bloßer Vermögensverwaltung die Substanzanforderungen entsprechend herabzusetzen sind (BFH 29.1.08, I R 26/06, BStBl II 08, 978; s. a. Kahlenberg/Weiss, IStR 18, 878).

 

Entscheidend sollen nicht nur die vertraglichen, sondern die tatsächlichen Gegebenheiten sein. Gemeint ist wohl, dass es nicht darauf ankommt, ob die betreffende Gesellschaft ggf. gesellschaftsvertraglich zur Weiterleitung von Einkünften verpflichtet ist, sondern dies vielmehr tatsächlich so passiert. Bekräftigt werden können solche Indizien durch das zeitliche Zusammenfallen mit neuen Steuerregelungen einerseits (hier: Tax Holidays) und komplexen Finanztransaktionen sowie Darlehensvereinbarungen innerhalb des Konzerns andererseits.

 

PRAXISTIPP | Unerheblich soll wiederum sein, ob bestimmte Nutzungsberechtigte, die Dividenden bzw. Zinsen von einer Durchleitungsgesellschaft erhalten, in einem Drittstaat ansässig sind, mit dem der Quellenstaat ein DBA abgeschlossen hat. Indes kann ein DBA zwischen dem ursprünglichen Quellenstaat und dem Staat des endgültigen Nutzungsberechtigten dafürsprechen, dass eine Durchleitungsgesellschaft nicht missbräuchlich eingeschaltet wurde.

 

3.3 Beweislast

Die Beweislast für missbräuchliche Gestaltungen ist in den Richtlinien nicht geregelt. Nach Ansicht des EuGH hat die zuständige mitgliedstaatliche Steuerbehörde, die die Steuervergünstigung (Quellensteuerbefreiung) verwehren möchte, den Missbrauch nachzuweisen, wobei jedwede relevanten Umstände des Einzelfalls mitzuberücksichtigen sind. Sollte der Nutzungsberechtigte vom Zahlungsempfänger abweichen, muss nicht die Steuerbehörde, sondern der Steuerpflichtige den ultimativen Nutzungsberechtigten nachweisen.

 

PRAXISTIPP | Sollte die Finanzverwaltung den Zahlungsempfänger als missbräuchlich einstufen (1. Beteiligungsebene), ist es Sache des Steuerpflichtigen nachzuweisen, wer tatsächlich nutzungsberechtigt (auf höherer Beteiligungsstufe) ist, um ggf. einen vergleichbaren Entlastungsanspruch zu erlangen.

 

3.4 Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten

Abschließend weist der Gerichtshof darauf hin, dass im Falle einer missbräuchlichen Gestaltung die Nichtgewährung einer Quellensteuerbefreiung den in Art. 49 oder Art. 63 AEUV verankerten Grundfreiheiten nicht entgegenstehen kann. Denn in Fällen des Rechtsmissbrauchs kann sich der Steuerpflichtige nicht auf die garantierten Grundfreiheiten berufen (EuGH 26.2.19, C-116/16 u. a., a. a. O., Rn. 121).

4. Zusammenfassung

Den vorstehenden Entscheidungen liegen insgesamt sehr komplexe Sachverhalte zugrunde. Im Kern ging es aber darum, ob die Einschaltung einer (EU-)Gesellschaft, die erzielte Einkünfte nahezu vollständig und unmittelbar an ihre Anteilseigner weiterleitet, ggf. als missbräuchlich anzusehen ist. Das hätte zur Folge, dass Richtlinienvorteile (hier: Quellensteuerfreiheit) nicht zu gewähren sind, auch wenn der betreffende Mitgliedstaat hierfür keine Rechtsgrundlage (Missbrauchsabwehrnorm) normiert hat. Hierzu hält der EuGH Folgendes fest:

 

  • 1. Die Missbrauchsabwehr gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, d. h. eine nationale Anti-Missbrauchs-Norm (z. B. § 50d Abs. 3 EStG) wäre nicht einmal erforderlich.

 

  • 2. Neben Briefkasten- oder Strohfirmen sind auch sog. Durchleitungsgesellschaften als missbräuchliche Gestaltungen anzusehen. Eine Durchleitungsgesellschaft leitet die selbst erzielten Einkünfte nahezu vollumfänglich und kurz nach deren Erzielung an Gesellschafter weiter und hat selbst ein nur geringes zu versteuerndes Einkommen.

 

  • 3. Die Beweislast für eine missbräuchliche Gestaltung trägt die Finanzverwaltung.

 

  • 4. Sollte eine missbräuchliche Gestaltung von der Finanzverwaltung nachgewiesen werden, ist es Sache des Steuerpflichtigen, den tatsächlichen Nutzungsberechtigten nachzuweisen, um eine Quellensteuerentlastung doch noch zu erlangen.
Quelle: Seite 277 | ID 46066683