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· Fachbeitrag · Freigabe der selbstständigen Tätigkeit

Neue Probleme für Schuldner und ihre Lösung

von Dipl.-Rechtspfleger (FH) Stefan Lissner, Konstanz

| Seit dem 1.10.20 ist das „Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht“ in Kraft (BGBl I 20, 3328). In diesem Zusammenhang ändert sich die Problematik der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit eines Schuldners nach § 35 InsO. Der folgende Beitrag klärt auf. |

1. Zweck der Freigabe

Mit Insolvenzeröffnung übernimmt der Insolvenzverwalter für den Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO). Übt der natürliche Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus, gehören die Einnahmen hieraus komplett zur Insolvenzmasse. Im Gegenzug übernimmt der Verwalter aber auch die Verantwortung hinsichtlich der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners. Fallen daher z. B. Auslagen an (etwa Beauftragung eines Steuerberaters, Handwerkers usw.), bilden diese sog. Masseverbindlichkeiten, die vor Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO) zu befriedigen sind.

 

  • Beispiel

Schuldner S. betreibt einen Kurierdienst. Ursprünglich erlernt hat er aber den Beruf des Malers. Sein Kurierdienst war nicht nur bei ihm wenig erfolgreich, sondern auch schon bei seinem Vater V. und seiner Frau F., die ebenfalls in die Insolvenz gerieten. Insolvenzverwalter X. ist sich anhand der Zahlen sicher, dass eine Betriebsfortführung nur zu einer Schuldenmehrung, nicht aber zu Gewinn beitragen wird. Gleichzeitig fallen Kosten für Transportmittel, Benzin u. Ä. an. Diese müsste X. als Betriebsausgaben im Rahmen der Fortführung „unter seiner Regie“ vorab, also noch vor allen Insolvenzgläubigern zahlen. X. möchte die Masse durch voraussichtlich nicht wirtschaftliche Kosten zulasten der Insolvenzgläubiger schmälern und gibt den Betrieb daher frei.

 

Im Grunde stellt die Ausübung der selbstständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter quasi eine sog. „Betriebsfortführung“ dar. Folge: Beim selbstständigen Schuldner sind die Regelungen der Pfändungsfreigrenzen nach §§ 850a ff. ZPO nicht anzuwenden. Ein pfandfreies Einkommen muss daher entweder monatlich über § 850i ZPO durch gerichtlichen Beschluss erwirkt oder mittels Beschlusses der Gläubigerversammlung (§ 100 InsO: notwendiger Unterhalt für den Schuldner) beschlossen werden. Letzteres bildet den Regelfall.

 

Beachten Sie | Häufig liegt die Verursachung von Masseverbindlichkeiten eines (bisher) erfolglosen Schuldners und die dadurch verursachte Haftung der Masse aber nicht im Interesse des Insolvenzverwalters. Dies verursacht letztlich nur Kosten, für die die Masse geradestehen muss, die dadurch aufgezehrt wird. Um diesem „Dilemma“ zu entkommen, gibt § 35 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter und den Gläubigerorganen die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, ob das Vermögen aus der selbstständigen Erwerbstätigkeit der (gilt nur für natürliche Personen!) natürlichen Person (Berger, ZInsO 08, 1101) zur Insolvenzmasse oder nicht dazugehören soll (Gehrlein, ZInsO 16, 825; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 4. Aufl., § 35 InsO, Rn. 132).

 

Entscheidet sich der Verwalter für eine Zugehörigkeit zur Masse, kann er ‒ wie beschrieben ‒ Gewinne für die Masse verbuchen (muss aber auch Pflichten aus der selbstständigen Tätigkeit erfüllen).

 

Gibt der Verwalter hingegen die Tätigkeit aus der Masse frei, wird diese dauerhaft und unwiederbringlich „ex nunc“ aus der Masse entlassen. Folge:

 

  • Es können zulasten der Masse keine weiteren Masseverbindlichkeiten mehr entstehen (Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, a. a. O., Rn. 164a). Im o. g. Beispiel könnte S. den Betrieb dann auf eigene Kosten fortführen. Die Risiken ‒ Benzin, Transportmittel ‒, also alle „laufenden Kosten“, würden dann nicht mehr der Masse angelastet werden können.

 

  • Im Gegenzug kann der Insolvenzverwalter auf die selbstständige Tätigkeit des Schuldners keinen Einfluss mehr nehmen. Insofern kann er u.a. auch die Geschäftsunterlagen nicht einsehen oder Informationen zum Gewinn hieraus verlangen.

 

Im o. g. Beispiel müsste also S. nur das von ihm theoretisch erzielbare Einkommen in seinem gelernten Beruf abführen. Wäre der Kurierdienst nun wirtschaftlich und brächte z. B. monatlich tausende Euro Gewinn, wäre dies zunächst unerheblich. Abzuführen hätte S. nur den Betrag, den er pfändbar abführen müsste, wenn er in seinem erlernten Beruf (hier: Maler) verdienen würde. Würde er in seinem erlernten Beruf z. B. nur „knapp“ über der Pfändungsgrenze verdienen, wäre nur dieser Betrag „abzuführen.“ Der restliche Gewinn bliebe dem S.

 

So wird der Schuldner nach § 295a InsO also nur verpflichtet, die Gläubiger so zu stellen, als wäre er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen, und die hieraus fiktiv erwirtschafteten potenziellen pfändbaren Beträge abzuführen. Maßgeblich bleibt dabei weiter die Pflicht des Schuldners, nach Freigabe das fiktiv pfändbare Einkommen zum Ausgleich abzuführen, das er nach seiner beruflichen Qualifikation aufgrund seiner Ausbildung, seiner Erfahrungen und seines beruflichen Werdegangs in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis hätte verdienen können. Nicht relevant ist das tatsächlich erzielte Einkommen.

2. Gesetzliche Neuerungen seit 1.10.20

Wie zuvor auch, regelt das Gesetz die nähere Ausgestaltung der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit nicht im Detail. Die Freigabe ist aber gewohnheitsmäßig anerkannt und findet daher im Grundsatz seine Normierung in § 32 Abs. 3, § 35 Abs. 2 InsO (Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, a. a. O., Rn. 28). Die Folge der Freigabe ‒ nämlich die Pflicht zum Abführen von fiktiv pfändbarem Einkommen zum Ausgleich ‒ findet sich nun in § 295a InsO.

 

Während bis zum 1.10.20 die Freigabe weitestgehend im Ermessen des Insolvenzverwalters lag, regelt die Novelle nun zweierlei neu: Zum einen regelt sie, dass dem Schuldner nun eine unverzügliche Anzeigepflicht für die beabsichtigte oder bereits ausgeführte selbstständige Tätigkeit gegenüber dem Insolvenzverwalter obliegt. Auf diese Informationen über die selbstständige Tätigkeit des Schuldners, für die bisher § 35 Abs. 2 und 3 InsO a. F. keine konkrete Vorgabe enthielt, ist der Insolvenzverwalter nach der Begründung des Rechtsausschusses angewiesen, um abschätzen zu können, ob eine Freigabe der Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO im Interesse der Insolvenzmasse geboten ist (BT-Drucksache 19/25322, S. 18). Kommt er dieser nicht nach, ist daher der Verwalter „ahnungslos“, sollte hieraus keine Haftung mehr hergeleitet werden können.

 

Zum anderen hat der Schuldner nun einen Rechtsanspruch auf Entscheidung i„binnen angemessener Zeit“ (vier Wochen!) durch den Insolvenzverwalter, dem dieser folgen muss (§ 35 Abs. 3 S. 2 InsO). Der Schuldner soll so die erforderliche Rechts- und Planungssicherheit erlangen. Neu ist auch, dass die Vorschrift nun gegenüber der Lage vor dem 1.10.20 einen Zeitpunkt für die Zahlungen des selbstständig tätigen Schuldners festlegt. Danach müssen die Zahlungen für das Vorjahr jeweils bis zum 31. Januar des Folgejahrs erbracht werden (§ 295a Abs. 1 S. 2 InsO n. F.).

3. Gerichtliche Feststellungsentscheidung möglich

Eine weitere Neuerung betrifft die gerichtliche Feststellungsregelung in § 295a Abs. 2 InsO. Danach kann der Schuldner die Berechnungsgrundlage für seine Zahlungen gerichtlich (Rechtspfleger, § 3 Nr. 2e RpflG) feststellen lassen. Hierzu muss er zunächst die Höhe der Bezüge glaubhaft machen, die er aus einem angemessenen Dienstverhältnis erzielen könnte.

 

Diese Möglichkeit wird neue Probleme mit sich bringen. Festzusetzen sind dabei nur die Bruttobeträge. Nach einem entsprechenden Antrag besteht die Amtsermittlungspflicht nach § 5 Abs. 1 InsO. Auf der Grundlage dieser Feststellung soll der Schuldner den pfändbaren Anteil am Nettoeinkommen und damit die Höhe der ihn treffenden Abführungsobliegenheit errechnen können (BT-Drucksache 19/25322 S. 18). Problematisch dabei ist, dass diese Bestimmung mit anderen Bestimmungen konkurriert und letztlich einer Einschränkung der Gläubigerrechte gleichkommt. In der bisherigen Praxis wurde der fiktiv abzuführende Betrag zumeist zwischen Verwalter und Schuldner „ausgehandelt.“ Diese Vereinbarungen sind aber nicht als rechtlich bindend anzuerkennen und bilden für die Frage, ob die Beträge, die abgeführt wurden, angemessen sind, auch keine Grundlage.

 

„Stattdessen“ entscheidet sich die Frage der angemessenen Abführung gegenwärtig im Zusammenhang mit zwei Vorgehensweisen:

 

Zum einen hat der Insolvenzverwalter die Möglichkeit, die Frage des angemessenen Abführens im Rahmen einer prozessualen Leistungsklage zu klären, zum anderen (wesentlich häufiger und auch zusätzlich in der sog. Wohlverhaltensphase denkbar) entscheidet sich diese Frage auch im Rahmen eines Versagungsantragsverfahrens durch einen Gläubiger, der meint, der Schuldner habe zu wenig abgeführt, und damit eine Obliegenheitsverletzung sieht. Macht ein Gläubiger daher in einem Versagungsverfahren geltend, der Schuldner führe zu geringe Beträge ab, kann das Insolvenzgericht (Richter) die Restschuldbefreiung nach alter Rechtslage versagen, wenn es von einem Obliegenheitsverstoß ausgeht.

 

Diese Vorgehensweise ‒ wie auch die prozessuale Leistungsklage des Verwalters im eröffneten Verfahren ‒ wird durch die neue Möglichkeit des § 295a Abs. 2 InsO ad absurdum geführt. Zwar werden die bisherigen beiden beschriebenen Vorgehensweisen nicht aufgehoben, gleichwohl dürften sie zukünftig ausfallen oder jedenfalls sehr viel schwerer zu begründen sein, wenn der Rechtspfleger auf Antrag bereits den Abführungsbetrag bestimmt hat. Künftig wird daher keine Versagung in solchen Konstellationen mehr erfolgen können, da sich der Obliegenheitsanspruch gemäß § 295a Abs. 1 InsO nach dem gemäß § 295a Abs. 2 InsO festgesetzten Betrag richten wird.

 

Erschwerend kommt hinzu, dass nach § 295a Abs. 2 InsO für die gerichtliche Festsetzung der Berechnungsgrundlage nur der Schuldner selbst darlegungslastig ist, die Gläubiger sind hierbei nicht einmal eingebunden. Im Ergebnis wird also durch § 295a Abs. 2 InsO die Versagung durch die Gläubiger betreffend die Erwerbsobliegenheit in gewissem Umfang ad absurdum geführt.

4. Hierauf muss sich die Praxis einrichten

Wollen Schuldnerberater für ihre Mandanten künftig ein Stück weit mehr „Rechtssicherheit“ erlangen, was die perspektivische Erteilung der Restschuldbefreiung betrifft, wäre im Fall der selbstständigen, freigegebenen Tätigkeit auf einen Antrag nach § 295a Abs. 2 InsO hinzuwirken.

 

Musterformulierung / Antrag nach § 295a Abs. 2 InsO

Schuldner ...

 

An das (zuständige) Amtsgericht ‒ Insolvenzgericht

 

Mit Erklärung vom ... (Datum) hat der Insolvenzverwalter ... mir gegenüber erklärt, dass er das Vermögen aus meiner selbstständigen Tätigkeit (hier: Kurierdienst) mit Wirkung zum ... (Datum) aus der Insolvenzmasse freigegeben hat und Ansprüche aus dieser Tätigkeit daher im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden können (§ 35 Abs. 2 InsO).

 

Die Freigabe hat das Insolvenzgericht am ... (Datum) bekanntgemacht.

 

Gemäß § 295a Abs. 2 InsO stelle ich hiermit den Antrag,

 

  • den im Gegenzug von mir an den Insolvenzverwalter ... gemäß § 295a InsO abzuführenden Betrag von ... EUR als angemessen zu beschließen.

 

Gründe:

Ich habe den Beruf des Malers erlernt. In diesem Beschäftigungsverhältnis wird ausweislich beigefügter Statistik im Durchschnitt ... EUR verdient. Folglich wäre ohne Unterhaltsberechtigte nach der Tabelle zu § 850c ZPO ein Betrag von ... EUR abzuführen/pfändbar.

 

Unterschrift

 
Quelle: Seite 27 | ID 47339372