· Fachbeitrag · Händlerverträge
Berechnung des Ausgleichsanspruchs (Teil 2): Die Rohertragsmethode des OLG Köln
von Rechtsanwalt Christoph Boeminghaus, Osborne Clarke, Köln
| Kündigt ein Hersteller den Händlervertrag, spielt die Frage nach dem Ausgleichsanspruch eine wesentliche Rolle. ASR erläutert Ihnen in einer Beitragsserie, wie Sie beim Ausgleichsanspruch das Maximum für sich herausholen. In Teil zwei lernen Sie die Berechnungsmethode kennen, die das OLG Köln anwendet. Auch wenn die nachfolgende Berechnung komplex anmuten mag, stellt sie doch bloß eine verkürzte und vereinfachte Übersicht dar. Sie soll Ihnen als Richtschnur dienen, um eine ungefähre Größenordnung zu ermitteln und zu verstehen, welche Daten Sie dafür aufbereiten müssen. |
Darum hat die Methode des OLG Köln ein solches Gewicht
Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs beschäftigt seit Jahrzehnten die Gerichte. Viele Einzelfragen sind im Laufe der Zeit geklärt worden. Das ändert allerdings nichts daran, dass sich bei den Berechnungsmethoden an den verschiedenen Gerichtsständen der Kfz-Hersteller und Importeure in Deutschland einige regionale Besonderheiten herausgebildet haben. Am OLG Köln (Gerichtsstand u. a. für Peugeot, Citroën, Mazda, Toyota oder Nissan) hat sich z. B. eine modifizierte Form der sog. Rohertragsmethode durchgesetzt (OLG Köln, Urteil vom 17.10.2014, Az. 19 U 81/11, Abruf-Nr. 223560).
Die Komponenten der Rohertragsmethode
ASR schildert Ihnen die Schritte, in denen der Ausgleichsanspruch nach der Rohertragsmethode berechnet wird:
1. Ausgangspunkt: Neuwagenverkäufe des letzten Vertragsjahrs
Ausgangspunkt für die Berechnung sind stets sämtliche Verkäufe von Neuwagen und Tageszulassungen (keine Vorführwagen) der letzten zwölf Monate vor Vertragsbeendigung. Diese Daten müssen Sie besonders genau erfassen.
Wichtig | Es kommt nicht auf das Datum der Auslieferung oder Rechnungsstellung an. Entscheidend ist der Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses. Das ist üblicherweise das Datum, in dem Sie die verbindliche Bestellung des Kunden bestätigen. Die Auslieferung des Neufahrzeugs kann also noch nach Vertragsende liegen.
PRAXISTIPP | Ist das letzte Vertragsjahr im Vergleich zu Vorjahren atypisch verlaufen, besteht innerhalb gewisser Grenzen die Möglichkeit, auf einen längeren und repräsentativeren Zeitraum abzustellen. Corona war so ein denkbarer Grund. Ähnliches gilt bei Händlerinsolvenzen oder wenn Ihre Vertriebsaktivitäten im letzten Vertragsjahr stetig nachgelassen haben, weil Sie vom Hersteller nicht mehr gut betreut und beliefert worden sind. |
2. Ermittlung der Rohertragsquote
Im ersten Rechenschritt müssen Sie die Summe aller Neuwagenverkäufe (einschl. Tageszulassungen) im letzten Vertragsjahr auf Basis der unverbindlichen Preisempfehlung (UPE) ermitteln. Auf der Basis errechnen Sie den individuellen Rohertrag aus diesen Neuwagenverkäufen im letzten Vertragsjahr. Der individuelle Rohertrag besteht aus der Differenz zwischen
- dem den Endkunden in Rechnung gestellten Verkaufspreis;
- abzüglich des an den Hersteller gezahlten Einkaufspreises;
- zuzüglich sämtlicher vom Hersteller gewährter variabler Marge, Boni oder sonstiger Verkaufshilfen.
Diesen Rohertrag setzen Sie ins Verhältnis zum UPE-Umsatz im letzten Vertragsjahr und erhalten so die Rohertragsquote.
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UPE-Umsatz: zehn Mio. Euro; Rohertrag 650.000 Euro Rohertragsquote 650.000,00 Euro : UPE-Umsatz zehn Mio. Euro = 6,5 Prozent |
3. Bereinigung der Rohertragsquote
Die Rechtsprechung geht davon aus, dass Sie nicht die gesamte vom Hersteller gewährte Vergütung in Form von Grundmarge, variabler Marge, Boni und Verkaufshilfen für die werbende Tätigkeit erhalten. Ein Teil davon entfällt immer auch auf Ihre verwaltenden Tätigkeiten. Da der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB allerdings nur für Ihre werbende Tätigkeit (= Schaffung eines loyalen Kundenstamms) gezahlt wird, müssen Sie die verwaltenden und händlertypischen Anteile ermitteln und herausrechnen.
Im Lauf der Zeit hat sich in der deutschen Rechtsprechung eine feste Schätzgröße entwickelt, die von nahezu allen OLG und auch vom BGH anerkannt ist und angewendet wird. Danach betragen die verwaltenden Anteile 2,5 Prozent des UPE-Umsatzes. Um diesen Wert müssen Sie also die Rohertragsquote bereinigen. Das hat im Beispiel zur Folge, dass sich die bereinigte Rohertragsquote auf 4,5 Prozent vom UPE-Umsatz reduziert.
4. Anwendung der bereinigten Quote auf Umsatz mit Mehrfachkunden
Der Ausgleichsanspruch wird nur für den Anteil des Kundenstamms gezahlt, von dem man prognostisch davon ausgehen kann, dass er auch in Zukunft für den Hersteller einen Wert durch Folgebestellungen darstellt. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass Sie identifizieren, welchen Anteil Mehrfachkunden bei Ihrem Kundenstamm ausmachen.
Als Mehrfachkunde gilt grundsätzlich, wer
- sowohl im letzten Vertragsjahr als auch tagesgenau in einem Zeitraum von fünf Jahren zuvor ein Neufahrzeug oder eine Tageszulassung bei Ihnen erworben hat;
- innerhalb des letzten Vertragsjahrs (möglicherweise sogar am selben Tag) mehr als ein Fahrzeug kauft. In dem Fall zählen alle Geschäfte dieses Mehrfachkunden im letzten Vertragsjahr als Mehrfachkundenumsätze.
Leasinggeschäfte, die über die markengebundenen Leasinggesellschaften abgewickelt werden, sind den Neufahrzeugkäufen gleichzustellen (ASR 7/2021, Seite 12 → Abruf-Nr. 47471845).
Haben Sie sämtliche ausgleichsrelevanten Mehrfachkundengeschäfte des letzten Vertragsjahrs ermittelt, wenden Sie die bereinigte Rohertragsquote auf den UPE-Umsatz mit Mehrfachkunden an.
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Sie haben mit Mehrfachkunden einen UPE-Umsatz in Höhe von zwei Mio. Euro erzielt. Diesen UPE-Umsatz müssen Sie mit der bereinigten Rohertragsquote von 4,5 Prozent multiplizieren. Es ergibt sich die Zwischensumme I in Höhe von 90.000 Euro. |
5. Der Prognosezeitraum
Diese Zwischensumme I stellt die jährlichen Unternehmervorteile dar, den der von Ihnen geworbene Kundenstamm in der Zukunft für den Hersteller abwerfen dürfte. Im nächsten Schritt ermitteln Sie, über welchen Zeitraum sich diese Unternehmervorteile als werthaltig erweisen. Die Dauer dieses sogenannten Prognosezeitraums wird seit geraumer Zeit in der Rechtsprechung einhellig auf fünf Jahre festgelegt. Für den Fall, dass Sie in der Vergangenheit von Vertragsjahr zu Vertragsjahr Ihre Quote von Mehrfachkundengeschäften am Gesamtumsatz konstant halten oder stetig steigern konnten, erlaubt die Rechtsprechung seit dem „Renault-Urteil“ des BGH (Urteil vom 26.02.1997, Az. VIII ZR 272/95, Abruf-Nr. 97292) eine simple Multiplikation der Zwischensumme I mit dem Prognosezeitraum (x 5).
Gibt es dagegen abfallende Tendenzen bei den Mehrfachkundengeschäften in den Jahren vor der Vertragsbeendigung, müssen Sie eine „Abwanderungsquote“ ansetzen und über den Prognosezeitraum von fünf Jahren fortschreiben.
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Hier gehen wir davon aus, dass Ihre Mehrfachkundenquote konstant geblieben ist. Zwischensumme II errechnet sich also als Produkt aus Zwischensumme I (90.000 Euro) und dem Prognosezeitraum (fünf Jahre) = 450.000 Euro. |
6. Die Billigkeitserwägungen aus § 89 HGB
Der Wortlaut des § 98b HGB sieht die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs nur vor, wenn der Hersteller aus den von Ihnen geworbenen Kunden auch nach Vertragsende erhebliche Vorteile zieht und „die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände … der Billigkeit entspricht“. Im Rahmen dieser Billigkeitsprüfung können verschiedene Umstände aus der Vertragsbeziehung Berücksichtigung finden und den Ausgleichsanspruch positiv als auch negativ beeinflussen.
Wichtig | In der gerichtlichen Praxis dominieren bislang die Faktoren, die zu einer Reduzierung des bis dahin detailliert errechneten Ausgleichsanspruchs führen. Einer der anerkannten Abzugsposten, mit denen Sie disponieren müssen, ist die sogenannte Sogwirkung der Marke. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass nicht allein Ihre werbende Tätigkeit ursächlich für den Kaufentschluss Ihrer Kundschaft war, sondern auch die Bekanntheit und möglicherweise eine emotionale Verbundenheit von Kunden zu einer bestimmten Marke. Für die meisten gängigen Fabrikate setzt die Rechtsprechung einen Abschlag in Höhe von 25 Prozent für diese Sogwirkung der Marke an. Ein höherer Abzug ist höchstens bei echten Luxusmarken gerechtfertigt.
Führen Sie einen autorisierten Werkstattvertrag für dieselbe Marke fort, können weitere Abzüge in einer Größenordnung von ca. fünf bis zehn Prozent hinzutreten. Dieser soll berücksichtigen, dass Sie so jedenfalls teilweise in der Lage sind, den von Ihnen geworbenen Kundenstamm auch weiterhin für sich zu nutzen.
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Ausgehend von der Zwischensumme II (450.000 Euro) werden 25 Prozent für Sogwirkung der Marke und zehn Prozent für die unterstellte Fortführung des Servicevertrags abgezogen. Es ergibt sich ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 292.500 Euro netto. |
In der Vergangenheit ist der so ermittelte Nettoausgleich regelmäßig nach einer der gängigen Abzinsungsmethoden (Hoffmann oder Gillardon) abgezinst worden. Damit sollte dem Zins- und Kapitalisierungseffekt Rechnung getragen werden, da Sie den Ausgleichsanspruch als Einmalzahlung erhalten, während Sie diese Erträge ansonsten über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu erwirtschaften hätten.
PRAXISTIPP | In einem seit ca. zehn Jahren anhaltenden Niedrig- bzw. Negativzinsumfeld scheint diese Abzinsung nicht mehr gerechtfertigt. Sie ist deshalb in der Beispielrechnung außen vor gelassen worden. Ob sich diese Auffassung auch in der gerichtlichen Spruchpraxis durchsetzt, ist noch nicht absehbar. Üblicherweise führen die gängigen Abzinsungsmodelle zu einem weiteren Abschlag in Höhe von ca. fünf bis acht Prozent. |
Da der Ausgleichsanspruch rechtlich gesehen ein Entgelt für die Schaffung eines werthaltigen Kundenstamms darstellt, ist dem oben ermittelten Nettoausgleichsanspruch noch die Umsatzsteuer (19 Prozent) hinzuzusetzen.
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Nettoausgleich 292.500 Euro zzgl. 19 Prozent USt = zu zahlender Bruttoausgleich in Höhe 348.075 Euro. |
7. Höchstgrenze
In einem letzten Schritt ist zu überprüfen, ob die errechnete Ausgleichszahlung über oder unter der Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 HGB liegt. Denn das Gesetz schreibt dort vor, dass der Ausgleichsanspruch niemals höher als der durchschnittliche Jahresrohertrag der letzten fünf Jahre sein darf.
PRAXISTIPP | In diesen Rohertrag fließen allerdings sämtliche Neuwagengeschäfte ein. Also nicht nur die Erträge, die Sie mit Ihren Mehrfachkunden erwirtschaftet haben. Die Höchstgrenze entspricht deshalb dem durchschnittlichen Rohertrag, wie er unter Nr. 2 dargestellt ist. Übersteigt die gemäß Nr. 6 ermittelte Ausgleichszahlung diesen Betrag, ist der Anspruch auf den Höchstbetrag begrenzt. Das ist allerdings im markengebundenen Kfz-Handel selten der Fall. |
Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs im Überblick
Nachfolgend werden die Rechenschritte zur Ermittlung des Ausgleichsanspruchs noch einmal zusammengefasst:
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Bereiten Sie sich rechtzeitig auf den Tag X vor
Wenn Sie die Daten und Fakten für die Ermittlung des Ausgleichsanspruchs erst nach Vertragsende zusammenstellen, müssen Sie viel Zeit und Nerven investieren. Kommt das Vertragsende für Sie nicht überraschend, sollten Sie die Daten jeweils beim Fahrzeugverkauf direkt in einer Datenbank erfassen. Damit sind Sie im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung schnell und gut gerüstet, Ihren Anspruch jedenfalls grob zu skizzieren und etwaige Angebote des Herstellers zu bewerten.
Weiterführender Hinweis
- Beitrag „Ausgleichsanspruch (Teil 1): Wann wird er gezahlt und wie wird er berechnet?“, ASR 7/2021, Seite 12 → Abruf-Nr. 47471845