· Fachbeitrag · Haftung des Testamentsvollstreckers
Nachlassverteilung: Vorempfänge nicht vergessen
von RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, Münster
| Das OLG München hat aktuell entschieden, dass die fehlerhafte Nachlassverteilung wegen der Nichtberücksichtigung von Vorempfängen zu einem Schadenersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung im Rahmen einer Testamentsvollstreckung führen kann. |
Sachverhalt
Die Klägerin (T) ist mit ihren vier Schwestern Miterbin nach ihrer Mutter (E) geworden. E hat vier Testamente errichtet. Mit dem ersten Testament wurden T und ihre Geschwister zu je 1/5 als befreite Vorerben eingesetzt. E hat die Beklagte mit drittem Testament zur Testamentsvollstreckerin (TV) ernannt. In diesem Testament hat E festgelegt, dass die den Miterbinnen F und S ausbezahlten Beträge als Vorempfänge zu beachten sind. Die TV hat nach dem Erbfall, wie von der E bestimmt, das Immobilienvermögen verkauft. Der Nachlass beschränkte sich primär auf das Kontoguthaben daraus. Hiervon überwies sie an alle Miterbinnen den gleichen Betrag, berücksichtigte also die Vorempfänge nicht. Die TV forderte vergeblich die Überzahlung von F zurück. Die T hat u. a. beantragt, die TV zu verurteilen, Schadenersatz zu leisten. Die Klage war im Wesentlichen erfolgreich. Die Berufung der TV ist nur im Hinblick auf die erst im Berufungsverfahren erhobene Einrede hinsichtlich des Zug-um-Zug-Vorbehalts erfolgreich (OLG München 13.3.19, 20 U 1345/18, Abruf-Nr. 208505).
Entscheidungsgründe
T hat einen Schadenersatzanspruch gegen die TV, § 2219 BGB. Die TV hat bei der Verteilung der durch den Verkauf der Immobilien erzielten Barmittel die testamentarischen Vorgaben nicht berücksichtigt, bereits erfolgte Zahlungen an die Miterbinnen F und S als Vorempfang anzurechnen. Dies ist eine Pflichtverletzung. Die darauf beruhende fehlerhafte Auszahlung war zumindest fahrlässig, § 276 BGB. Eine schuldhafte Pflichtverletzung der TV ist damit gegeben.
Durch die pflichtwidrig unterbliebene Anrechnung der Vorempfänge hat die TV den Bestand des Nachlasses falsch berechnet und den nicht mit Vorempfängen begünstigten Miterbinnen jeweils zu wenig ausbezahlt. Dadurch ist der T ein Schaden entstanden. Denn sie hat bei der von der TV vorgenommenen Nachlassverteilung nicht den vollen ihr zustehenden Betrag erhalten. Diesen allein ihr gebührenden Anspruch kann sie nach h.M. klageweise für sich geltend machen (MüKo/Zimmermann, BGB, 7. Aufl., § 2219 Rn. 6).
Zwar ist im Nachlass noch Barvermögen vorhanden. Dies ändert aber nichts daran, dass einer Miterbin dadurch ein Schaden entstanden ist, dass ihr wegen eines Berechnungsfehlers zu wenig ausbezahlt wurde und der Nachlass deshalb, weil zwei Miterbinnen zu viel ausbezahlt wurde, um diese Beträge (nach wie vor) vermindert ist. Zudem stehen die im Nachlass verbliebenen Barmittel der Miterbengemeinschaft und nicht der einzelnen Miterbin zu, zumal zwei weitere Miterbinnen vom selben Berechnungsfehler betroffen sind.
Dass wegen der Anordnung von Vor- und Nacherbschaft kein „Schaden“ entstanden sein könne, trifft schon deshalb nicht zu, weil die Vorerben unstreitig in größtmöglichem Umfang von der E befreit wurden und deshalb berechtigt sind, die zugewendeten Barmittel zu verbrauchen (Palandt/Weidlich, BGB, 78, Aufl., § 2136 Rn. 10). Dass die TV bereit ist, einen Betrag auszuzahlen und der Miterbin grundsätzlich einen Rückzahlungsanspruch einräumt, diesen aber in der geltend gemachten Höhe bestreitet, hindert einen Schadeneintritt bei der T ebenfalls nicht. Denn sie hat bei der Verteilung zu wenig erhalten.
Der Auszahlungsanspruch der T ist auch angesichts der von der TV ‒ wenn auch fehlerhaft ‒ vorgenommenen Auszahlung fällig.
Die von der TV behauptete Bereitschaft, zurückbezahlte Beträge auszuzahlen, steht dem Rechtsschutzbedürfnis nicht entgegen. Die Miterbin F hat die Überzahlung bisher nicht zurückgeführt. Daher besteht ein rechtliches Interesse der T daran, ihren Schadenersatzanspruch gegen die TV zu verfolgen.
Relevanz für die Praxis
Der TV ist persönlich zu verklagen und nicht als Amtsträger, weil nicht der Nachlass haften soll (Damrau/Tanck/Bonefeld, Praxiskommentar Erbrecht, 3. Aufl., § 2219 BGB Rn. 10). Sofern der TV noch im Amt ist, können die Erben den Schadenersatzanspruch selbst geltend machen, da der TV nicht Klage gegen sich selbst einzureichen braucht. Ist der TV aus dem Amt ausgeschieden, kann sein Nachfolger die Klage erheben (Damrau/Tanck/Bonefeld, a.a.O.).
Hat der einzelne Miterbe alleine einen Schadenersatzanspruch, kann er die Zahlung an sich fordern. Sonst muss die Leistung an den Nachlass gem. § 2039 BGB gefordert werden (Damrau/Tanck/Bonefeld, a.a.O.).
Die TV hat eine Zug-um-Zug-Verurteilung beantragt (Schadenersatz Zug um Zug gegen Abtretung des Zahlungsanspruchs der T gegen die Erbengemeinschaft). Damit soll verhindert werden, dass die T nach der Rückzahlung der zu viel ausgezahlten Beträge durch die Miterbinnen F und S an den Nachlass bereichert wird. Denn sie würde sowohl Schadenersatz erhalten als auch am restlichen Nachlass beteiligt. Die TV hat infolge der rechtsgrundlosen Freigabe von Geldmitteln an die Miterbin F und S i. S. v. § 2217 BGB einen Bereicherungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1 BGB gegen diese. Dieser ist darauf gerichtet, das Verwaltungsrecht der TV an diesen Geldbeträgen wiederherzustellen. Die Geldbeträge müssen in den Nachlass zurückfließen. Die TV hat persönlich darauf aber keinen Zugriff. Vielmehr könnte die T, sobald der Nachlass um diese Beträge wieder erhöht wurde, eine weitere Auszahlung an sich in Höhe ihrer Erbquote verlangen.
Ein Verschulden des TV fehlt aber bei Handlungen, die auf seiner Auslegung nicht eindeutiger letztwilliger Verfügungen des Erblassers beruhten, wenn er nach sorgfältiger Ermittlung aller erkennbaren erheblichen Anhaltspunkte zu einer immerhin vertretbaren Auslegung gelangt (BGH NJW-RR 92, 775).
Weiterführender Hinweis
- Muscheler, Die Haftung des Testamentsvollstreckers gegenüber dem Vermächtnisnehmer und bei der Auflage, ZEV 13, 229