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· Fachbeitrag · Haftungsfalle Insolvenzverfahren

Haftung von Geschäftsleitungsorganen nach neuem Recht (Stand 1.1.2021)

von Rechtsanwalt Markus van Marwyk, Essen

| Seit dem 1.1.21 ist durch den neuen § 15b InsO eine zentrale Haftung des Geschäftsführers neu geregelt worden. § 15b InsO tritt anstelle der bisherigen Regelungen, die sich insbesondere in § 64 S. 1 GmbHG und in § 130a HGB fanden. Inhaltlich gibt es wenige Veränderungen: Der Geschäftsführer hat Zahlungen zu ersetzen, die nach Eintritt der Insolvenzreife noch veranlasst worden sind. Der neu gefasste § 15b InsO spricht korrekt von der Person, die verpflichtet war, den Insolvenzantrag zu stellen. Der folgende Beitrag soll einen kurzen Überblick über das Haftungspotenzial in Regelinsolvenzverfahren geben. |

 

MERKE | Die Haftungsnorm setzt Folgendes voraus:

  • Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und
  • danach vorgenommene Zahlungen.
 

1. Materielle Insolvenz

§ 15b InsO bezieht sich nach wie vor auf die beiden zwingenden Insolvenzgründe bei juristischen Personen. Diese sind:

 

 

Richtig ist, dass es sich für die Haftung aus § 15b InsO immer um einen Fall der verzögerten Antragstellung handeln muss. Stellt der antragspflichtige Geschäftsführer den Insolvenzantrag rechtzeitig, kann es keinen Anspruch aus § 15b InsO gegen ihn geben.

 

Die Insolvenzgründe werden sogleich im Überblick dargestellt. In der Sache stellen sich an wesentlichen Punkten durchaus relevante Fragen, auf die jedoch aus Platzgründen hier nicht eingegangen werden kann.

 

1.1 Überschuldung

Nach § 19 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die Prüfung der Überschuldung erfolgt daher auf zwei Ebenen.

 

Zunächst sollte eine Liquiditätsplanung für den Zeitraum von zwölf Monaten aufgestellt werden. Zeigt sich innerhalb dieses Zeitraums, dass ein Zustand der Zahlungsunfähigkeit erreicht wird, ist die Prüfung mit den weiteren Prämissen fortzusetzen. Zeigt sich dies nicht, verbleibt die Schuldnerin also in den kommenden zwölf Monaten in einem Zustand der Zahlungsfähigkeit, liegt keine Überschuldung vor.

 

Auf der zweiten Ebene ist sodann eine Bilanz aufzustellen, in der die Vermögenswerte des Unternehmens den Verbindlichkeiten gegenübergestellt werden. Dabei wirkt sich nach neuerer Rechtsprechung die negative Fortführungsprognose maßgeblich aus. Zugrunde zu legen ist insoweit der erzielbare Liquidationswert und nicht der Fortführungswert.

 

Beachten Sie | Dies hat zur Folge, dass die negative Fortführungsprognose in vielen Fällen die Überschuldung der juristischen Person durch die Wertveränderung herbeiführen dürfte.

 

1.2 Zahlungsunfähigkeit

Nach § 17 Abs. 2 S. 1 InsO liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Diese offene Formulierung wurde durch die Rechtsprechung dahingehend ausgeformt, dass eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wenn zu einem bestimmten Stichtag eine Liquiditätsunterdeckung von 10 % oder mehr festzustellen ist, die sich nicht innerhalb von drei Wochen schließen lässt. Zwar wurden Ausnahmen ausdrücklich zugelassen, diese dürften jedoch nur für ganz wenige Fälle in Betracht kommen.

 

Aufzustellen ist daher eine Liquiditätsbilanz, in der die fälligen Verbindlichkeiten den liquiden Mitteln gegenüberzustellen sind.

 

  • Beträgt die sich ergebende Liquiditätslücke weniger als 10 %, ist die juristische Person regelmäßig zahlungsfähig, sie befindet sich nur in einem Zustand der Zahlungsstockung.

 

  • Beträgt dagegen die Liquiditätslücke 10 % oder mehr, muss eine Planung für die kommenden drei Wochen aufgestellt werden.

 

Im Ergebnis muss die Planung abbilden, dass die sich zeigende Liquiditätslücke vollständig geschlossen werden kann. Dies ist realistischerweise nur durch die Zuführung von Drittmitteln oder der Realisierung von ganz beträchtlichen Erlösen erreichbar. Bei der Planungsbetrachtung sind nämlich nicht nur die prognostizierbaren eingezahlten Beträge zu berücksichtigen, sondern auch die im gleichen Zeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten (Aktiva II; Passiva II).

 

Dabei sind alle kurzfristigeren Forderungen gegebenenfalls in die Planung mit einzubeziehen, genauso wie kurzfristig veräußerbare Vermögensgegenstände, insbesondere Vorratsvermögen.

 

1.3 Praxiserfahrungen

In der Praxis zeigt sich, dass der gestellte Insolvenzantrag die (absolute) Ausnahme darstellt. Eine verschleppte Insolvenz ist selbst bei größeren und großen Unternehmen anzutreffen und stellt die Regel dar. Deshalb kommt es außerhalb des Eigenverwaltungsverfahrens in fast allen Fällen auch zu einer Inanspruchnahme der Geschäftsführer wegen noch veranlasster Zahlungen.

2. Zahlungen i. S. d. § 15b InsO

Weil sich der neu geschaffene § 15b InsO inhaltlich von den bisher geltenden Regeln, die in verschiedenen Gesetzen verstreut waren, in wesentlichen Punkten nicht unterscheidet, wird die bislang ergangene Rechtsprechung zu dem Begriff der „Zahlung“ fortgesetzt werden können. Unter „Zahlung“ im Sinne dieser Vorschrift fallen alle Handlungen der späteren Insolvenzschuldnerin, die zu einem Abfluss der Insolvenzmasse geführt haben. Daher betrifft die „Zahlung“ i. S. d. § 15b InsO nicht nur Geldverkehr, sondern insbesondere Tauschgeschäfte. Der Verwalter wird sich indes in den meisten Fällen den Kassenbüchern und den Kontoauszügen widmen.

 

Hier ist zu beachten, dass trotz entgegengebrachter Kritik der BGH an seiner bisher aufgestellten Rechtsprechung festhält. Jede Zahlung ist für sich genommen zu betrachten, ob sie der Haftung unterfällt oder nicht. Man wird der Zahlung daher nicht pauschal entgegenhalten können, dass sie für die Erzielung von weiteren Umsätzen notwendig war, die „unter dem Strich“ zu einer deutlichen Reduzierung der Insolvenzverbindlichkeiten geführt hätte. Zu denken ist auch an eine Vorleistung der späteren Insolvenzschuldnerin in erheblicher Höhe im Zustand der Zahlungsunfähigkeit, wenn die daraus resultierende erhebliche Forderung erst der Insolvenzverwalter einziehen konnte. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Geschäftsführerhaftung auch nach der neuen Regelung für den Geschäftsführer grundsätzlich existenzbedrohend ist. Auch in kleinen Unternehmen werden siebenstellige Beträge zurückgefordert.

 

2.1 Keine Zahlung bei Aktivtausch

 

  • Folgender Fall

Der Insolvenzverwalter begehrt die Zahlung eines Betrags von 1.000 EUR zurück, die im Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit an einen Warenlieferanten geleistet worden sind.

 

Es wird darauf ankommen,

  • ob der Lieferant sich das Eigentum an der Ware bis zur vollständigen Zahlung vorbehalten hat und
  • die Ware im Zeitpunkt der Zahlung noch vorhanden war.

 

Ersteres wird im heutigen Geschäftsleben regelmäßig der Fall sein. Es wird sich kaum ein Lieferant finden lassen, der bereit wäre, ohne Absicherung Ware zu liefern. Dies ist von Bedeutung, weil durch die Zahlung des vereinbarten Preises die spätere Insolvenzschuldnerin Eigentum erwirbt. Nach neuerer Rechtsprechung hat dies einen masseneutralen Aktivtausch zur Folge, weil der in das Vermögen der Schuldnerin gelangte Gegenstand in Gestalt der jetzt unbelasteten Ware den Wert der gezahlten 1.000 EUR entspricht. Anders gesagt können die Gläubiger nach wie vor auf eine Insolvenzmasse mit dem gleichen Wert zugreifen. Dies kann sich jedoch ändern, wenn die Ware bereits abverkauft war und sich der Lieferant die daraus resultierenden Forderungen nicht im Vorfeld hat abtreten lassen, wie etwa beim verlängerten und erweiterten Eigentumsvorbehalt. Hier wäre nämlich das Sicherungsrecht vor der Zahlung des Kaufpreises erloschen.

 

2.2 Debitorisch geführtes Bankkonto

Das größte Risiko des Geschäftsführers besteht dann, wenn die Gesellschaft unter Ausnutzung einer Kontokorrentlinie ihr Geschäft betreibt. Denn insoweit sind nicht die Zahlungsausgänge maßgeblich, sondern die Zahlungseingänge:

 

 

Hier zeigt sich, dass nach Zahlung des Lieferanten der Wert der hypothetischen Insolvenzmasse keine Veränderung erfahren hat. Die Rechtsprechung spricht hier von einem Passivtausch. Die Forderung des Lieferanten wird gegen eine Forderung der Bank eingetauscht, die in ihrer Höhe der Forderung des Lieferanten entspricht. Eine masseschmälernde Zahlung liegt nicht vor. Demgemäß wird bei Ausnutzung einer Kontokorrentlinie regelmäßig nicht auf die Zahlungsausgänge, sondern auf die Zahlungseingänge abgehoben:

 

 

Durch den Einzug einer Forderung in das Kontokorrent verringern sich die Verbindlichkeiten der späteren Schuldnerin gegenüber dieser Bank, sie verliert eine werthaltige Forderung gegen ihren Drittschuldner. Der Pflichtenkreis des Geschäftsführers wird letztendlich so ausgestaltet, dass er, wenn er schon nicht den Insolvenzantrag pünktlich stellt, zumindest Sorge dafür tragen muss, dass die Insolvenzmasse beisammenbleibt. Im Zuge dessen hat er ein neues Bankkonto einzurichten und darauf den Forderungseinzug zu organisieren, damit bei Antragstellung die Gläubiger auf eine höhere Masse zugreifen können.

 

Die oben angesprochenen Einwendungen gegen den Anspruch greifen bei Zahlungseingängen auf einem debitorisch geführten Konto nur bedingt. Sie sind zwar möglich, jedoch deutlich schwieriger nachzuweisen. Insofern muss der Geschäftsführer darlegen, dass aus der neu eingeräumten Kreditlinie exemplarisch vorbehaltsfreie Ware angekauft worden ist. Ferner kehrt sich der soeben skizzierte Grundsatz um, wenn die Gesellschaft selbst Sicherheiten gestellt hat. Denn durch eine Erhöhung der Kontokorrentlinie durch Auszahlungen werden gegebenenfalls noch freie Sicherheiten in Anspruch genommen. In einem solchen Fall sind dann wieder die Zahlungsausgänge maßgeblich.

3. Zahlungen eines ordentlichen Geschäftsmannes

Auch der neue § 15b Abs. 1 S. 2 InsO sieht vor, dass Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, auch nach Insolvenzreife zulässig sind. Daraus sollte man jedoch nicht den Schluss ziehen, dass alles weitergehen kann wie bisher. Diese Einschränkung betrifft Ausnahmefälle. Die Rechtsprechung hat sich hier in der Vergangenheit eindeutig positioniert, soweit das Zahlungsverbot von z. B. § 64 S. 1 GmbHG mit Zahlungsgeboten kollidiert. Insofern würde sich nämlich der Geschäftsführer selbst der Strafbarkeit wegen § 266a StGB aussetzen, wenn er die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht zahlt. Eine ähnliche Pflichtenkollision bestand auch bei der Nichtzahlung von Steuern, weil der Geschäftsführer über § 69 AO durch die Finanzverwaltung selbst in Haftung genommen werden konnte. Diese Kollisionen wurden zulasten der Insolvenzmasse gelöst, der Geschäftsführer durfte sie nach wie vor erbringen. Indes ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass es hierbei nicht bleiben soll. Eindeutig stellt sich der Gesetzgeber vor, dass der Geschäftsleiter die Pflichtenkollision durch rechtzeitige Antragstellung aufzulösen hat (BT-Drs. 619/20, S. 226). Deshalb sieht § 15b Abs. 3 InsO vor, dass alle Zahlungen, die nach Eintritt der materiellen Insolvenz noch geleistet wurden, in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar sind.

4. § 15b InsO und Steuerberater

Die Entscheidung des BGH (26.1.17, IX ZR 285/14), nachdem der Steuerberater seine Pflichten verletzt, wenn er fälschlicherweise einen Jahresabschluss unter Fortführungswerten aufstellt und ihn auch eine Hinweispflicht auf eine mögliche Insolvenzreife trifft, hat große Kreise gezogen. Das Risiko mag zum einen darin bestehen, dass dem Steuerberater wegen des unterlassenen Hinweises auf eine tatsächlich vorgelegene Insolvenzreife ein Schadenersatzanspruch treffen kann. Dessen Folge wäre der Ersatz der Quotenverschlechterung, wenn im Zeitpunkt der tatsächlichen Antragstellung eine geringere Quote zu erwarten war als im Zeitpunkt der Hinweispflicht. Dieser Anspruch ist schwer nachzuweisen und bedarf einer gründlichen Aufarbeitung.

 

Indes wird der Steuerberatervertrag zwischen der Gesellschaft und dem Steuerberater als ein solcher ausgelegt, der einen schutzwürdigen Dritten, nämlich den Geschäftsführer selbst, mit einbezieht. In der Praxis existieren daher Fälle, in denen der Geschäftsführer etwaige Schadenersatzansprüche an den Insolvenzverwalter abzutreten beabsichtigt, um seiner Haftung zu entgehen. Deshalb sollte der Steuerberater umso genauer beobachten, wie es sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft verhält.

 

PRAXISTIPP | Zeigt sich eine unternehmerische Krise, sollte der Geschäftsleiter unverzüglich eine Liquiditätsplanung aufstellen und diese fortlaufend überwachen. Nur auf Grundlage einer solchen Liquiditätsplanung lassen sich Aussagen zu einer möglicherweise schon eingetretenen Insolvenzreife treffen. Zeigt die Liquiditätsplanung, dass ein Zustand der Zahlungsunfähigkeit nicht eintritt, zu einem späteren Zeitpunkt das Insolvenzverfahren allerdings gleichwohl eröffnet wird, kann sie jedenfalls dem Insolvenzverwalter entgegengehalten werden. Es ist daher dringend anzuraten, schon bei frühen Anzeichen einer Krise die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.

 
Quelle: Seite 181 | ID 47131861