· Fachbeitrag · Haftungsrecht
Urteil konkretisiert Anforderungen an Zählkontrolle: Alle Gegenstände müssen dokumentiert werden!
von Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Rainer Hellweg, Hannover
| Die Anforderungen an eine ordnungsgemäß durchgeführte und dokumentierte Zählkontrolle wurden vom Oberlandesgericht (OLG) Dresden mit Urteil vom 07.07.2020 noch einmal heraufgesetzt (Az. 4 U 352/20). Hiernach reicht es nicht aus, lediglich die Durchführung der Zählkontrolle mit „Ja“ zu bestätigen. Vielmehr müssen laut OLG Dresden die verwendeten Gegenstände vor und nach einer Operation einzeln gezählt und zahlenmäßig aufgeführt werden. Warum eine rechtssichere Dokumentation der Zählkontrolle bei Operationen so wichtig ist, zeigt der folgende Artikel. |
Der Fall des OLG Dresden
Bei dem vom OLG Dresden entschiedenen Fall ging es um eine Bauch-OP. Bei einem 53-jährigen Patienten war ein Adenokarzinom festgestellt worden, das im Wege einer Rektosigmoidresektion entfernt wurde. Im Rahmen der sich anschließenden, ambulant durchgeführten adjuvanten Chemotherapie kam es zum Auftreten von Fieber, einem Harnwegsinfekt und einer Pneumonie. Ein halbes Jahr später wurde der Patient wegen des Verdachts auf Darmverschluss erneut notfallmäßig aufgenommen und es erfolgte eine weitere Bauch-OP mit Stoma-Anlage. Im Rahmen des postoperativen CTs wurde ein 25 cm großes, zusammengepresstes grünes Bauchtuch aufgefunden ‒ und zwar in der Darmlichtung des Colon sigmoideum ‒, das am Folgetag in einer weiteren OP entfernt wurde.
Der Patient verklagte daraufhin die Klinik, in der die ursprüngliche Darmkrebs-OP durchgeführt worden war. Sein Vorwurf: Bei dieser OP sei das Bauchtuch in seinem Darm vergessen worden und habe später zu dem Darmverschluss geführt. Die Klinik verteidigte sich und bestritt im Prozess, dass das Tuch aus der Darmkrebs-OP stamme. Begründung: Die seinerzeit durchgeführte Zählkontrolle sei vollständig erfolgt und dokumentiert.
Die Entscheidung
In der Vorinstanz vor dem Landgericht (LG) Leipzig hatte die Klinik noch obsiegt (Urteil vom 27.01.2020, Az. 7 O 1506/19): Die Richter des LG hatten die Dokumentation der Zählkontrolle als ausreichend erachtet. Und da der Patient nicht beweisen könne, dass das Tuch tatsächlich aus der ursprünglichen OP stamme, sei die Klage abzuweisen.
Die Richter des OLG Dresden in der Berufungsinstanz hoben das Urteil jedoch auf und verwiesen es an das LG zurück. Ihre Rechtsansicht: Da die Zählkontrolle nur im Wege einer pauschalen Kurzbestätigung mit einem Kreuz bei „Ja“ dokumentiert worden sei, könne ihr keine für die Klinik positive Beweiswirkung zukommen.
Das unbemerkte Zurücklassen eines Fremdkörpers im Operationsgebiet sei dem voll beherrschbaren Bereich des Arztes bzw. der Klinik zuzuordnen. Hieraus folge, dass der Krankenhausträger bzw. die Ärzte die Darlegungs- und Beweislast für die Gewähr einwandfreier Voraussetzungen für eine sachgemäße und gefahrlose Behandlung trügen und nicht ‒ wie normalerweise im Arzthaftungsprozess ‒ der Patient.
Allerdings hänge es von den Besonderheiten des einzelnen Falls ab, ob den operierenden Ärzten ein Vorwurf daraus gemacht werden könne, dass sie im Operationsgebiet einen Fremdkörper zurückgelassen haben. Jedenfalls müssten sie aber alle möglichen und zumutbaren Sicherungsvorkehrungen treffen, wozu eine Kennzeichnung oder eine Markierung, das Zählen der verwendeten Materialien und andere mögliche Sicherheitsvorkehrungen gehörten. Im Einzelfall könne in der Außerachtlassung solcher gebotenen Maßnahmen nicht nur ein „normaler“ Behandlungsfehler, sondern sogar ein grober Behandlungsfehler liegen.
Pauschale Kurzbestätigung reicht nicht bei Zählkontrolle
Das OLG Dresden erläutert weiter in seiner Begründung: Die Zählkontrolle von Bauchtüchern vor und nach einer Operation sowie deren Dokumentation sei Ausfluss und Erfüllung einer aus medizinischen Gründen bestehenden Dokumentationspflicht. Dadurch solle bewirkt werden, dass eine Kontrolle tatsächlich stattfinde und ein Verbleib von Operationsmaterial von vornherein verhindert werde. Dieser Kontroll- und Selbstvergewisserungsfunktion könne die Dokumentation jedoch nur genügen, wenn sie sich nicht auf eine pauschale Kurzbestätigung beschränke, sondern die einzelnen zu zählenden Gegenstände vor und nach der Operation zahlenmäßig aufführe und die Übereinstimmung beider Zahlenwerte bestätige.
Im aktuellen Fall sei diesen Anforderungen nach Ansicht des OLG nicht genügt worden. Im verwendeten ‒ digital geführten ‒ Operationsbericht habe das OP-Personal unter „Zählkontrolle“ bei „Ja“ lediglich ein Kreuz gesetzt. Hieraus sei aber nicht ersichtlich, welche Materialien in welcher Anzahl bei der OP verwendet worden seien, deren Vorhandensein im Einzelnen bei Abschluss der OP mittels Zählens bestätigt werden solle. Somit sei nur das „ob“, nicht aber das ‒ positive ‒ Ergebnis der durchgeführten Zählkontrolle dokumentiert worden. Dies sei als Dokumentationsmangel zu werten. Dieser indiziere, dass die gebotene Maßnahme ‒ eine ordnungsgemäße Zählung ‒ unterblieben sei.
PRAXISTIPP | Führen Sie im Einzelnen auf, welche Materialien in welcher Anzahl bei der OP verwendet wurden. Das Vorhandensein der einzelnen Gegenstände und Materialien muss bei Abschluss der OP gegengezählt werden ‒ was ebenfalls dokumentiert werden muss! |
Weiterführender Hinweis
- Wer annimmt, dass Fälle wie der geschilderte nur äußerst selten bis praktisch gar nicht vorkommen, der irrt. Allein die Rechtsprechung aus den letzten Jahren weist eine Reihe von Beispielsfällen auf: So finden Sie Urteile aus den Jahren 2013, 2017 und 2018 im CB 02/2019, Seite 9 sowie einen Beschluss des OLG Dresden aus 2019 im CB 12/2019, Seite 9.