· Fachbeitrag · Informationspflichten
Die Kommunikation beim Fernabsatzvertrag im Spiegel der aktuellen Rechtsprechung
| Die Richtlinie 2011/83/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.11 ‒ auch als Verbraucherrechterichtlinie bekannt ‒ verfolgt das Ziel, die Informationspflichten gegenüber Verbrauchern im Fernabsatz oder bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und die derzeitigen nationalen Rechtsvorschriften zum Verbraucherschutz in den Mitgliedsstaaten zu harmonisieren. In Deutschland hat der Bundesgesetzgeber die Richtlinie am 20.9.13 mit Wirkung zum 13.6.14 umgesetzt. Aber wie weit gehen diese Informationspflichten? Der BGH hat dem EuGH dazu verschiedene Fragen zur Auslegung der Richtlinie vorgelegt, die nun beantwortet sind. Dabei geht es vornehmlich darum, welche Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten der Unternehmer dem Verbraucher bei Abschluss eines Fernabsatzvertrags zur Verfügung stellen muss. Der EuGH favorisiert eine pragmatische Lösung. Unternehmen müssen die Grundsätze beachten, Rechtsanwälte müssen sie in ihre Beratungspraxis einbeziehen. |
1. Der Fall und das Problem
Fernabsatzverträge sind nach § 312c Abs. 1, S. 1 BGB Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, wenn sie zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.
Die Verbraucherrechterichtlinie begründet dabei die Pflicht des Unternehmers bei Abschluss eines Fernabsatzvertrags oder eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags (§ 312b BGB), Verbraucher vor dem Abschluss des Vertrags über alle wesentlichen Aspekte des Vertrags zu informieren.

Die Pflichten des Unternehmers ergeben sich aus unterschiedlichen Rechtsgrundlagen des nationalen und des europäischen Rechts, die nicht so einfach im Zusammenspiel zu sehen sind.
|
|
Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgabe in § 312d Abs. 1 BGB umgesetzt und dazu geregelt: „Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Artikels 246a des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) zu informieren. Die in Erfüllung dieser Pflicht gemachten Angaben des Unternehmers werden Inhalt des Vertrags, es sei denn, die Vertragsparteien haben ausdrücklich etwas anderes vereinbart.“ Die detaillierten Pflichten ergeben sich dann aus Art 246a, § 1 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB:
... Der Unternehmer ist nach § § 312d Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Verbraucher folgende Informationen zur Verfügung zu stellen: …
|
Im konkreten Fall ging es um den Online-Shop der Firma Amazon EU, mit dem das Unternehmen verschiedene Waren im Internet offeriert. Die Fragestellung ist aber für alle Unternehmen von Relevanz, die Fernabsatzverträge schließen.
Beim Online-Bestellvorgang hat der Verbraucher vor Abschluss der Bestellung die Möglichkeit, einen mit „Kontaktieren Sie uns“ gekennzeichneten elektronischen Verweis (Link) zu betätigen. Dadurch gelangte der Verbraucher auf eine Internetseite, auf der er unter der Überschrift „Kontaktieren Sie uns“ und dem Hinweis „Wie möchten Sie uns kontaktieren?“ zwischen drei Optionen wählen konnte, nämlich dem Senden einer E-Mail, der telefonischen Kontaktaufnahme oder dem Beginnen eines Online-Austauschs per Sofortnachrichtenübermittlung (Chat). Weitere denkbare Möglichkeiten, wie etwa eine Faxnummer, waren dagegen auf dieser Seite nicht angegeben. Wählte der Verbraucher die Option der telefonischen Kontaktaufnahme, öffnete sich eine weitere Internetseite, auf der er die Möglichkeit erhielt, seine Telefonnummer anzugeben und sich anrufen zu lassen. Auf derselben Seite befand sich außerdem der Hinweis „Wenn Sie es vorziehen, können Sie auch unsere allgemeine Hilfenummer anrufen“. Über den Verweis „allgemeine Hilfenummer“ öffnete sich ein Fenster mit Telefonnummern von Amazon EU, das folgenden Text enthielt:
|
Allgemeine Hilfenummer Bitte beachten Sie: Wir empfehlen stattdessen die Verwendung der Funktion „Jetzt anrufen“, um schnell Unterstützung zu erhalten. Wir können Ihnen auf der Grundlage Ihrer bereits zur Verfügung gestellten Informationen sofort helfen. Sollten Sie es vorziehen, die allgemeine Hilfenummer anzurufen, beachten Sie bitte, dass Sie eine Reihe von Fragen zur Überprüfung Ihrer Identität beantworten müssen. Sollten Sie uns auf die herkömmliche Weise kontaktieren wollen, erreichen Sie uns auch unter folgenden Rufnummern: … |
Der klagende Bundesverband der Verbraucherzentralen hat gegen dieses Verfahren Unterlassungsklage erhoben. Nach seiner Auffassung verstößt der Onlinehändler damit gegen die gesetzliche Pflicht, dem Verbraucher effiziente Mittel zur Kontaktaufnahme zur Verfügung zu stellen, weil das Unternehmen die Verbraucher nicht in rechtlich ausreichender Weise über seine Telefon- und Telefaxnummer informiere. Darüber hinaus werde die Telefonnummer nicht klar und verständlich angegeben. Der Rückrufservice erfülle die Informationspflichten nicht, da für den Verbraucher eine Vielzahl von Schritten erforderlich sei, um mit einem Ansprechpartner des Unternehmens in Kontakt zu treten.
2. Fragen des BGH
Das LG hatte die Klage abgewiesen. Auch die Berufung zum OLG blieb ohne Erfolg. Der BGH hat sich nicht in der Lage gesehen, unmittelbar zu entscheiden, sondern dem EuGH u. a. folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Können die Mitgliedstaaten eine Bestimmung vorsehen, die ‒ wie Art. 246a, § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGBGB ‒ den Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher im Rahmen des Abschlusses von Fernabsatzverträgen vor Abgabe von dessen Vertragserklärung (nicht nur gegebenenfalls, sondern) stets seine Telefonnummer zur Verfügung zu stellen?
- Bedeutet die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 verwendete Wendung „gegebenenfalls“, dass ein Unternehmer nur über in seinem Unternehmen bereits tatsächlich vorhandene Kommunikationsmittel informieren muss, er also nicht gehalten ist, einen Telefon- oder Telefaxanschluss bzw. ein E-Mail-Konto neu einzurichten, wenn er sich entschließt, in seinem Unternehmen auch Fernabsatzverträge abzuschließen?
- Ist die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 erfolgte Aufzählung der Kommunikationsmittel Telefon, Telefax und E-Mail abschließend, oder kann der Unternehmer auch andere, dort nicht genannte Kommunikationsmittel ‒ wie etwa ein Internet-Chat oder ein telefonisches Rückrufsystem ‒ einsetzen, sofern dadurch eine schnelle Kontaktaufnahme und eine effiziente Kommunikation sichergestellt ist?
3. Die Antworten des EuGH
Der EuGH (10.7.19, C-649/17, Abruf-Nr. 212211) räumt ein, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 mehrdeutig ist. Einerseits könne diese Bestimmung so verstanden werden, dass sie den Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher in jedem Fall über seine Telefonnummer und seine Telefaxnummer zu informieren, wenn der Unternehmer über solche Nummern verfüge. Andererseits könne die Vorschrift auch so verstanden werden, dass der Unternehmer hierzu nur verpflichtet sei, wenn er Telefon und Telefax regelmäßig im Kontakt mit den Verbrauchern benutze.
a) Auslegung des Art. 6 nach Sinn und Zweck
Die Richtlinie 2011/83 verfolgt den Zweck, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, indem die Information und die Sicherheit der Verbraucher bei Geschäften mit Unternehmern garantiert wird. Ziel sei die schnelle und effiziente Kontaktaufnahme durch den Verbraucher. Vor diesem Hintergrund solle Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie sicherstellen, dem Verbraucher vor Abschluss eines Vertrags sowohl die Informationen über dessen Bedingungen als auch die Folgen des Vertragsschlusses zu übermitteln, die dem Verbraucher die Entscheidung ermöglichen, ob er sich vertraglich an einen Unternehmer binden möchte.
b) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Nach dem EuGH ist es unverhältnismäßig, dem Verbraucher stets eine Telefonnummer bzw. einen Telefon- und/oder Faxanschluss zur Verfügung zu stellen oder ein E-Mail-Konto neu einzurichten, damit er mit dem Unternehmer in Kontakt treten kann.
MERKE | Schwierig ist das insbesondere für kleinere Unternehmen, die ihre Betriebskosten möglicherweise dadurch zu reduzieren suchen, dass sie den Vertrieb oder die Dienstleistungserbringung im Fernabsatz oder außerhalb ihrer Geschäftsräume organisieren. |
Daraus ergebe sich, dass Art. 6 der Richtlinie nicht die genaue Art des vom Unternehmer bereitzustellenden Kommunikationsmittels festlege, diesen jedoch verbindlich dazu verpflichte, jedem Verbraucher ein Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen, über das dieser schnell mit ihm in Kontakt treten und effizient mit ihm kommunizieren könne.
Daher sei die Wendung „gegebenenfalls“ in Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie dahin auszulegen, dass sie die Fälle erfasst, in denen der Unternehmer bereits über eine Telefon- oder Telefaxnummer verfügt und er diese nicht allein zu anderen Zwecken als dem Kontakt mit den Verbrauchern verwendet. Anderenfalls verpflichte ihn diese Bestimmung nicht, den Verbraucher über diese Telefonnummer zu informieren oder gar einen Telefon- oder Faxanschluss bzw. ein E-Mail-Konto neu einzurichten, damit die Verbraucher mit ihm in Kontakt treten könne.
Darüber hinaus stehe es dem Unternehmer frei, auch andere Kommunikationsmittel zur Verfügung stellen, als solche für die Kommunikation per Telefon, Telefax oder E-Mail, um die Kriterien einer direkten und effizienten Kommunikation zu erfüllen.
Checkliste / Denkbare Kommunikationsmittel |
Zusammengefasst lässt der EuGH eine Vielzahl von Kommunikationsmitteln zu, bei denen das gemeinsame Erfordernis nur die Schnelligkeit und die Effizienz ist:
Ob die Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Einzelfall festzustellen. Es steht dem Unternehmer frei, den Kunden/Schuldner zur Nutzung eines bestimmten Kommunikationssystems zu motivieren. |
Der EuGH beantwortet die Fragen des BGH i. S. e. pragmatischen Flexibilität:
|