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· Fachbeitrag · Kanzleimietvertrag

Vermieter kann bei Beleidigungen des Mieters den Kanzleimietvertrag kündigen

von RA Dr. Hans Reinold Horst, Hannover/Solingen

| Nicht mehr eine zulässige Meinungsäußerung, sondern eine beleidigende Schmähkritik liegt vor, wenn die Äußerung als persönliche Kränkung das sachliche Anliegen und den Anlass eines entstandenen Streits völlig in den Hintergrund drängt. Dann droht dem Mieter eine fristlose Kündigung. Da dies auch für Kanzleimietverträge gilt, gibt der Beitrag einen Überblick. |

 

  • Sachverhalt

Rechtsanwalt R streitet sich als Mieter mit seinem Vermieter VQ, dieser vertreten durch seinen Bruder, Rechtsanwalt Q. Im Zuge des Mietrechtsstreits bescheinigt R dem VQ in einem Schriftsatz an das Gericht „eine verdorbene charakterliche Natur“, ebenso dem prozessbevollmächtigten Bruder, Rechtsanwalt Q. VQ stellt Strafantrag gegen R, insbesondere wegen Beleidigung. R wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen wendet er sich mit einer Revision zum OLG Hamm.

 

1. So entschied das OLG Hamm

Das OLG Hamm verwirft die Revision (7.5.15, 5 RVs 55/15, Abruf-Nr. 145990, MK 16, 1). Die Äußerung des R sei eine ehrverletzende Äußerung, die eine persönliche Kränkung und Schmähung des Verletzten zum Ausdruck bringe und damit eine Beleidigung (§ 185 StGB). Sie habe mit der Auseinandersetzung in der Sache nichts mehr zu tun, sondern beabsichtige nur noch, die angesprochene Person zu diffamieren. Es liege das wesentliche Merkmal der Schmähung vor, nämlich eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung.

 

Zwar könne im Rahmen anwaltlicher Tätigkeit vor Gericht eine scharfe Sprache „im Kampf um das Recht“ angebracht sein. Deshalb seien auch durchaus starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte hinzunehmen. Gleichwohl dürfe damit aber keine zusätzliche Abwertung des Betroffenen einhergehen (ebenso: OLG Düsseldorf NStZ-RR 96, 5). Die Grenzen einer sachlichen Auseinandersetzung vor Gericht dürften nicht überschritten werden. Vorliegend bestehe kein Zusammenhang zwischen der Äußerung zu den miet- oder vollstreckungsrechtlichen Fragen.

2. Folgen einer Beleidigung

Beleidigungen, in welcher Art auch immer, gegenüber dem Vertragspartner oder seinen Mitarbeitern, gegenüber dem Hausverwalter oder den Hausbewohnern können den Vermieter zur fristlosen Kündigung des Mietvertrags berechtigen.

 

  • Rechtsprechungsübersicht: Kündigung wegen Beleidigung

Gezeichnete

Beleidigungen

BGH 19.8.10, 3 StR 301/10, WuM 10,754: Als Zeichen des Unmuts über die Entwicklung des nachbarschaftlichen Verhältnisses zeichnete der Mieter mit dem Gummiendstück seines Krückstock an die Wand des Hausflurs Hakenkreuze, die von den Mitbewohnern des Hauses wahrgenommen werden konnten; OLG Düsseldorf 19.1.10, III 4 RVs 193/09: zum beleidigenden Charakter einer Fotomontage (Oberbürgermeisterin „beim Pinkeln“).

Schriftliche

Beleidigungen

LG Berlin 6.10.09, 65 S 121/09, Grundeigentum 09, 1623.

Wörtliche oder

Beleidigungen durch obszöne Gesten

Zum Beispiel durch einen abgespreizten Mittelfinger: AG Brühl 21.12.07, 22 C 40033/07, WuM 08, 596; AG Hamburg 40A C 273/10, NZM 10, 760.

Per SMS

LG Berlin 22.2.05, 63 S 410/04, Grundeigentum Berlin 05, 675.

Im Internet

AG Bergisch Gladbach 16.6.11, 60 C. 37/11, NJW-aktuell Heft 45/2011, 10.

Sonstiges

LG Berlin Grundeigentum Berlin 86, 56; LG Köln DWW 88, 325; AG Dortmund DWW 96, 82; LG Leipzig NZM 02, 247 zu Presseangriffen eines Mieters gegen den Vermieter als Anlass für eine fristlose Mietvertragskündigung; verneint aber von AG Nürnberg 11.5.94, 26 C 4676/93, DWW 96, 87 in einem Fall, in dem der gekündigte Mieter dem Vermieter gegenüber Dritten als „Arschloch“ und „Drecksau“ bezeichnet hatte; vgl. näher: Horst, Nachbarliche Rechte aus der Verletzung des Persönlichkeitsrechts, DWW 01, 122.

 

Bei einer Kündigung aufgrund einer Beleidigung sind immer die Einzelfallumstände entscheidend, insbesondere

  • die Abgrenzung zwischen Meinungsäußerung und Beleidigung,
  • der soziale Hintergrund der Äußerungen in Bezug auf ihr Verständnis als (schwere) Beleidigung,
  • ein gesteuertes und planmäßiges Verhalten, oder
  • ein Schimpfen oder Fluchen im Affekt,
  • eine einmalige Entgleisung,
  • ein momentaner Kontrollverlust in situationsbedingter Erregung,
  • provozierte Äußerungen oder Verhaltensweisen, sowie
  • wechselseitig erfolgte Äußerungen oder Verhaltensweisen.

 

  • Beispiele: keine Kündigung, bzw. Grenzfälle

Eine situationsbedingte Entgleisung des Mieters, die auf ein vorheriges Verhalten des Vermieters zurückzuführen ist, rechtfertigt noch keine fristlose Kündigung.

LG Hamburg ZMR 05, 867

Eine einmalige erregte Auseinandersetzung, in der der Vermieter die Äußerung selbst mit verursacht hat, reicht nicht aus.

LG Aachen WuM 02, 427

Generell lassen die Richter Milde walten, wenn es sich um eine einmalige Entgleisung mit (nachvollziehbarem) Kontrollverlust handelt.

AG Gelsenkirchen 20.9.94, 3b C 621/94, WuM 97, 556

Bloße Unhöflichkeiten wie Verweigerung eines Grußes oder Briefe ohne Anrede oder Grußformel reichen ebenso nicht.

Herrlein, in: Herrlein/Kandelhard, § 569 BGB Rn. 20

Haben sich die Beteiligten wechselseitig beleidigt, ist eine Kündigung regelmäßig unzulässig.

LG Mannheim WM 81, 17;

AG Kassel WM 84, 199

Hinsichtlich der Schwere des Kündigungsgrundes differenziert die Rechtsprechung danach, ob es sich um spontane Beleidigungen, um provozierte oder um kalkulierte Beleidigungen handelt. Dabei werden spontane Beleidigungen, die insbesondere in einem Zustand großer Erregung abgegeben worden sind, als weniger schwerwiegend eingestuft als kalkulierte.

LG Köln WM 93, 349;

AG Rosenheim WM 80, 186;

AG Hanau WM 80, 136

Auch das soziale Umfeld wird für den beleidigenden Charakter der Äußerungen als Bewertungskriterium herangezogen.

zu Recht ablehnend: LG Coburg 17.11.08, 32 S 85/08

So soll es auf die soziale Herkunft des Beleidigers sowie sein Sprach- und Ausdrucksvermögen und auch auf den in den beteiligten Kreisen oder im Haus üblichen Umgangston ankommen. Es hat zum Beispiel keine mietrechtlichen Konsequenzen, wenn ein Mieter in Hamburg den feuerroten Chevrolet Corvette Stingray des Vermieters als „Zuhälterwagen“ bezeichnet. Dort ist die Bezeichnung für diesen Kfz-Typ üblich.

AG Hamburg-Harburg 14.6.95, 647 C 96/95, WuM 97, 266

Auch wechselseitige Beleidigungen oder Beleidigungen als Reaktion auf bereits erfolgte entsprechende Missachtungsbekundungen des anderen Teils werden von der Rechtsprechung als Kriterien für die Schwere vertraglicher Verfehlungen herangezogen. So soll eine weitere Missachtung nur zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen, wenn der bisherige Tonfall aus einer schon gewechselten Korrespondenz mit der Prägung gegenseitiger Missachtung in einem Maße überschritten wird, der der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses entgegensteht.

LG Berlin 13.6.08, 63 S 30052/07, Grundeigentum 08, 1197: in einem solchen Fall fristlose Kündigung abgelehnt bei der schriftlichen Anrede „Sehr geehrtes Verwalterlein“.

Für den Vermieter soll die Fortsetzung des Mietverhältnisses jedenfalls dann zumutbar bleiben, wenn der Mieter als Reaktion auf das eigene Verhalten des Vermieters ein beleidigendes und bedrohendes Verhalten zeigt. Der auf Räumung erfolglos verklagte Mieter hatte den klagenden Vermieter am Kragen seiner Jacke gepackt und ihn mit „Schweinehund“ und „blödes Arschloch“ betitelt. Ferner drohte er, den Vermieter umzubringen. Im Vorfeld wurde der Vermieter wegen erheblicher Drohungen und Nötigungen einzelner Mieter im Haus zum Auszug wegen fortgesetzter versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt.

AG Hamburg 1.3.94, 47 C 1926/03, WuM 94, 382

Allgemein soll es für die Eigenschaft als beleidigende Äußerung darauf ankommen, in welchem Sachzusammenhang sie getan wurde und welche Wertungen ‒ Schmähkritik oder am Persönlichkeitsrecht des Angesprochenen gemessen noch zulässige Meinungsäußerung ‒ sich der Äußernde danach zurechnen lassen muss.

BVerfG 5.12.08, 1 BvR 1318/07: Bezeichnung eines Ratsmitglieds als „Dummschwätzer“;

BVerfG 12.5.09, 1 BvR 2272/04, NJW 09, 3016: „durchgeknallter“ Staatsanwalt ist nicht zwingend eine Beleidigung.

Mietern von Eigentumswohnungen kann nicht fristlos gekündigt werden, wenn sie im Hausflur mit Zetteln auf Konflikte mit den Eigentümern und dem Vermieter hinweisen. Das soll auch gelten, wenn die Zettel so ausliegen, dass Kaufinteressenten sie bei einer Objektbesichtigung sehen und daraufhin vom Kauf Abstand nehmen. Nach Auffassung des Gerichts hätten die Mieter im Rahmen ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung und nicht gesetzeswidrig gehandelt.

VGH Berlin 22.1.08, 70/06,

 NJW 08, 2244

Hat der Mieter berechtigte Interessen gemäß § 193 StGB wahrgenommen oder ist seine Äußerung im Rahmen von Art. 5 GG noch als Meinungsäußerung zu werten, ist eine Kündigung ausgeschlossen.

LG Leipzig NZM 02, 247

Das Recht des Mieters auf freie Meinungsäußerung schließt es mit ein, sein Mietverhältnis in der Presse öffentlich behandeln zu lassen. Die vom Journalisten gewählte Darstellungsweise ist dem Mieter nicht als Pflichtverletzung im Mietverhältnis zuzurechnen.

AG Hamburg WuM 06, 526

Kein Pardon wird gegenüber Beleidigungen mit derb diskriminierendem und sexuellem Bezug gegeben. Auch hier wird die fristlose Kündigung wegen schwerer Störungen des Hausfriedens gemäß § 569 Abs. 2 BGB gerichtlich akzeptiert.

AG Coburg 25.9.08, 11 C 1036/08, ZMR 09, S. 373;

AG Tempelhof-Kreuzberg 23.2.10, 13 C 142/09,

Grundeigentum 10, 697

Innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft ist auch ein Schmerzensgeldanspruch aus § 21 Abs. 2 S. 3 AGG begründet, wenn man das AGG auf die schuldrechtliche Sonderverbindung der Wohnungseigentümer untereinander für anwendbar hält.

BGH 28.9.07, V ZR 276/06,

NJW 07, 3636;

BGH 10.11.06, V ZR 62/06,

WuM 07, 33;

BayObLG 26.5.04, 2 Z BR 63/04, ZMR 04, 841

Unflätige und üble Beschimpfungen unter Mitmietern sind ohne vorherige Abmahnung wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens kündigungsauslösend. So setzte das LG Coburg den pöbelnden Mieter fristlos an die Luft und befand, eine fristlose Kündigung wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens sei rechtmäßig auch ohne Abmahnung erfolgt. Vor Gericht versuchte der gekündigte Mieter vergeblich, sich mit dem Hinweis darauf zu verteidigen, in seinen sozialen Kreisen sei das gezeigte Verhalten durchaus üblich. Die Coburger Richter: Auch in sozialen Brennpunkten sind allgemein gültige Rechtsnormen zu beachten. Gegen sie dürfe nicht verstoßen werden.

LG Coburg 17.11.08, 32 S 85/08, Abruf-Nr. 083920; ebenso AG Coburg 25.9.08, 11 C 1036/08, ZMR 09, 373: wiederholte Bezeichnung der Kinder der Mitmieterin mit Kraftausdrücken wie „Schlampen“ und „Dreckskinder“

Die Äußerung gegenüber neu eingezogenen Mietern, dass Nebenkosten grundsätzlich nicht bezahlt würden, sondern vorher erst prozessiert werde, ist noch nicht kündigungsauslösend.

AG Unna 18.5.88, 4 C 163/88-70, DWW 90, 53

 

3. Cyber-Mobbing ‒ Beleidigungen in Internetplattformen

Mit fortschreitender Etablierung und Verbreitung von Internetkommunikationssystemen und -Plattformen hat das Cyber-Mobbing in den vergangenen Jahren besonders unter Jugendlichen stark zugenommen (Dazu näher: Ladeur/Gostomzyk, Der Schutz von Persönlichkeitsrechten gegen Meinungsäußerungen in Blogs, NJW 12, 710; Heckmann, Persönlichkeitsschutz im Internet, NJW 12, 2631). Solche „Sitten und Gebräuche“ nehmen nicht den Charakter einer Beleidigung. Deshalb gelten die vorstehenden Grundsätze und Wertungen im „traditionellen“ Mietrecht im Falle des Cyber-Mobbings analog; dies zumindest, wenn das sogenannte „posting“ öffentlich und nicht nur im privaten Bereich einzelner Foren erfolgt ist (so VGH München 29.2.12, 12 C 12.164 zu Facebook). Neben den mietrechtlichen Sanktionen führt dies insbesondere zu einem Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der Anwaltskosten (AG Bergisch Gladbach 16.6.11, 60 C. 37/11, NJW-aktuell Heft 45/2011, S. 10).

 

Auch die üble Nachrede durch den Mieter führt zur Möglichkeit der fristlosen Kündigung des Mietvertrags; so im Fall des Mieters eines Einfamilienhauses, der sich mit seinem Vermieter über die Nutzbarkeit des Gartens stritt und im Zuge der Auseinandersetzungen seinen Vermieter bei dessen Finanzinstitut anschwärzte (LG Potsdam 17.08.11, 4 S 193/10, Grundeigentum Berlin 12, 64). Mit diesem Verhalten hat der Mieter grundlos und ohne nähere Gewissheit über die Vermögenslage seinen Vermieter bei dessen Bank in Verruf bringen wollen.

 

Weiterführende Hinweise

  • Kanzleimietvertrag: Das müssen Sie bei der Umsatzmiete beachten: AK 17, 90
  • Kanzleimietvertrag: In diesen Fällen liegt bei einem Flächendefizit ein Mietmangel vor: AK 17, 50
  • Kanzleimietvertrag: Heizkostenabrechnung darf nicht wegen anderer Mängel gemindert werden: AK 17, 10
  • Kanzleimietvertrag: Betrieb einer Wohnzimmerkanzlei als Kündigungsgrund: AK 16, 172
Quelle: Seite 157 | ID 44775508