· Konfliktmanagement
Wut und Tränen am Arbeitsplatz ‒ wie viel Emotion darf es sein?

von Angelika Schreiber, Hockenheim
| Julia knallt wutentbrannt das Telefon auf den Tresen der Anmeldung: „So eine Unverschämtheit!“, ruft sie lautstark und macht damit ihrer Verärgerung über das geführte Gespräch Luft. Ihre Kollegin Selda steht wie versteinert im Hintergrund, unfähig die Anmeldung zu übernehmen. Der erste Eindruck, den die gerade eintretende Patientin gewinnt, ist kein Aushängeschild für die Praxis. Emotionen haben eben nichts am Arbeitsplatz zu suchen ‒ oder vielleicht doch? |
Kontrollverlust ‒ ein Zeichen von Schwäche
Zunächst einmal werden derartig negative Gefühlsausbrüche mit Kontrollverlust und Inkompetenz gleichgesetzt. Es taucht die Frage auf: Ist Julia ihrer Aufgabe wirklich gewachsen? In der Außenwirkung einer Praxis geht es vorrangig um zufriedene Patienten, reibungslose Abläufe und eine perfekte Organisation. Gerade im Umgang mit Patienten ist Souveränität gefragt. Kommunizieren Sie besonnen und freundlich mit einem natürlichen Maß an Distanz. Für Gefühlsausbrüche und Leidenschaft ist hier kein Platz. Doch menschliches Handeln ohne jegliche Gefühle ist nicht möglich. Gefühle verdrängen und sich verstellen ‒ das kann es auch nicht sein.
Abstand gewinnen
Wenn also die Wut aufsteigt, erst einmal kurz durchatmen, die eigenen Gefühle wahrnehmen, aber nicht laut und unsachlich werden. Konflikte lassen sich nicht spontan durch unreflektiertes Handeln und unkontrollierte Wutausbrüche lösen. Wenn möglich, vielleicht kurz den Raum verlassen, damit man nicht zum Störfaktor wird. „Eine Nacht darüber schlafen“, auch das kann helfen zu überprüfen, ob die eigenen Emotionen angemessen sind. Dann hat man auch die Zeit, nach besseren Argumenten zu suchen und Abstand zu gewinnen, um die Lage zu klären.
PRAXISTIPP | Kommt es dann zu einem klärenden Gespräch, vermeiden Sie Allgemeinplätze wie „alle“ oder „jeder“ und Reizworte wie „immer“, „nie“ etc. |
Professionelle und private Ebene nicht vermischen
Emotionen gehören untrennbar zum menschlichen Handeln und können im weiteren Sinn als Gegenpart des rationalen Denkens gesehen werden. Gefühle werden vielfach verdrängt. Aufregung, Stolz, Wut und Ärger können jedoch nicht dem Privatleben vorbehalten sein. Gefährlich wird es nur dann, wenn private Probleme ins Berufsleben mit hineingetragen werden. Auch diese beeinträchtigen die Arbeitskraft.
Die Einzelheiten von Trennung und Scheidung gehören nicht ins Berufsleben. Bitte nicht die sprichwörtlich „schmutzige Wäsche“ in der Praxis waschen. Hier genügt ein kurzer Hinweis zur Information der Kolleginnen und Kollegen: „Wir lassen uns scheiden.“ Das bringt Klarheit, doch die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben bleiben gewahrt.
Die Grenzen sollten nicht überschritten werden
Liegt der Frust im Job begründet, werden Sie zu wenig gefördert trotz ständiger Überstunden, gibt es Ärger mit der Kollegin oder haben Sie stressige Patienten, dann heißt es wohlüberlegt handeln. Auch sind Überreaktionen zu vermeiden, um das Arbeitsverhältnis nicht nachhaltig zu belasten. Immerhin lösen der Job und die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen Reaktionen bei Ihnen aus. Beides ist Ihnen nicht gleichgültig, auch wenn es nicht immer positive Emotionen sind. Ihr Beruf interessiert Sie und Sie setzen sich aktiv mit den Kolleginnen auseinander.
Gerade deshalb gilt es, starke Gefühle zu regulieren und angemessen zu formulieren. Überdenken Sie Ihr Auftreten! Prüfen Sie zunächst die Fakten. Bitten Sie den Chef erst am Folgetag ‒ ggf. auch später ‒ um ein klärendes Gespräch. Bringen Sie Lösungsvorschläge ein. Auch wenn es um die Kollegin geht, suchen Sie möglichst das offene Gespräch ‒ aber erst, wenn sich die Wogen geglättet haben. Wägen Sie nach Möglichkeit die Standpunkte ab, versuchen Sie sich in Ihr Gegenüber hineinzuversetzen, eventuelle Missverständnisse zu klären und möglichst gemeinsam eine Lösung zu finden.
„Emotionen sind unprofessionell“ ‒ stimmt das?
Diese Aussage stimmt so nicht, auch wenn in der Arbeitswelt nicht so offen mit den Emotionen umgegangen wird wie im privaten Umfeld. Unprofessionell sind nicht die Emotionen, sondern „Handeln im Affekt“. Tatsache ist: Wer seinen Beruf mit Freude und Leidenschaft ausübt, hat in der Regel mehr Erfolg. Dienst nach Vorschrift ‒ mit einer gehörigen Portion Unlust ‒ führt selten zur Beförderung und schafft sicher keine Zufriedenheit. Gerade in Gesundheitsberufen sind Sozialkompetenzen gefragt. Der Umgang mit den unterschiedlichsten Patienten erfordert viel Einfühlungsvermögen. Sich geschickt in sozialen Kontexten zu verhalten, setzt die Fähigkeit voraus, Emotionen zu erkennen.
Darüber hinaus erhalten bzw. geben wir durch Emotionen ein Feedback. Die Enttäuschung des Chefs über den dritten abgesagten Termin innerhalb einer Woche lässt uns Handlungsbedarf erkennen. Systematische Terminerinnerungen ‒ zeitnah vor dem jeweiligen Termin ‒ in Verbindung mit einer Patientenwarteliste, um kurzfristige Behandlungstermine anzubieten, könnten eine Lösung darstellen.
FAZIT | Gefühle sind menschlich und machen uns authentisch. Außerdem wirken sie ansteckend. Die Begeisterung für den Beruf kann durchaus auf Kollegen und Kolleginnen überspringen. Erfolgreiche Kommunikation braucht Empathie für das Gegenüber und die Fähigkeit, Emotionen zu erkennen. |