· Fachbeitrag · Leserforum
Kostengünstige Beendigung des gerichtlichen Mahnverfahrens nach Abgabe an das Streitgericht?
| Der Fall einer Leserin zeigt eine immer wieder vorkommende Konstellation: Der Gläubiger beantragt einen Mahnbescheid über eine erhebliche Summe. Nachdem der Schuldner Widerspruch eingelegt hat, wird die Sache auf den schon mit dem Mahnbescheidsantrag gestellten Antrag des Gläubigers an das Streitgericht abgegeben. Beide Anträge waren etwas voreilig: Noch bevor die Klage begründet wird, soll das Verfahren möglichst kostengünstig beendet werden. Ein Fall der Erledigung der Hauptsache liegt nicht vor, sondern der verfolgte Anspruch kann jedenfalls nicht nachgewiesen werden. Beide Parteien sind vorsteuerabzugsberechtigt, sodass die Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG außer Betracht bleibt. Was nun? |
1. Ein Lösungsansatz: Rücknahme des Mahnantrags?
Die Problematik des Falls liegt darin, dass das Verfahren bereits an das Streitgericht abgegeben wurde. Nach einer solchen Abgabe ist eine kostengünstige Rücknahme des Mahnantrags nicht mehr möglich (BGH NJW 05, 512; OLG Frankfurt a. M. OLGR 06, 699; OLG Köln OLGR 98, 170; OLG München AnwBl 84, 371 und VersR 1989, 408; dazu auch Fellner, MDR 10, 128; Ruess, NJW 06, 1915; Wolff, NJW 03, 553; Fischer, MDR 94, 124). Das ergibt sich aus der unmittelbaren Abgabe des Verfahrens an das Streitgericht nach § 696 Abs. 1 ZPO bzw. § 700 Abs. 3 ZPO und der damit begründeten Rechtshängigkeit (vgl. hierzu OLG Hamm MDR 14, 617).
MERKE | Wäre noch keine Abgabe an das Streitgericht erfolgt, könnte der Mahnantrag ohne Begründung zurückgenommen werden. Sofern der Antragsgegner schon einen Bevollmächtigten beauftragt hätte, verfielen dann die bereits gezahlten Gerichtskosten nach Nr. 1100 KV KGK in Höhe einer 1,0-Gerichtsgebühr und dem Bevollmächtigten des Antragstellers stünde maximal eine 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 zuzüglich der Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG zu. |
Vielmehr wäre ein Antrag auf Rücknahme des Mahnantrags als Klagerücknahme zu werten (MüKo/Schüler, ZPO, 5. Aufl., § 690 Rn. 55). § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO gilt nach der Abgabe an das Streitgericht dann unmittelbar.
Durch die Rücknahme der Klage reduzieren sich allerdings die Gerichtskosten nach Nr. 1211 KV GKG auf eine 1,0-Gerichtsgebühr. Der Bevollmächtigte des Antragsgegners erhält für die Einlegung des Widerspruchs zunächst eine 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 VV RVG, die nach der Anmerkung allerdings voll auf die nachfolgende Verfahrensgebühr für das Streitverfahren anzurechnen ist. Es verbleibt damit für das gerichtliche Mahnverfahren nur die Post- und Telekommunikationspauschale von maximal 20 EUR nach Nr. 7002 VV RVG. Im anhängigen Streitverfahren erhält der Antragsteller nun eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG erstattet, weil sich der Auftrag erledigt hat, bevor ein Schriftsatz eingereicht werden musste, der Sachanträge enthielt, da die Klage nach dem Sachverhalt noch nicht begründet war. Gegebenenfalls muss noch eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG angerechnet werden. Dabei ist allerdings § 15a RVG zu beachten. Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur unter den dort genannten Voraussetzungen berufen.
MERKE | Dem liegt die Annahme zugrunde, dass dem Bevollmächtigten des Antragsgegners auch ein Auftrag zur Rechtsverteidigung im Streitverfahren erteilt wurde. Das wird regelmäßig anzunehmen sein, ist aber von dem Antragsgegner zumindest glaubhaft zu machen, § 104 Abs. 2 S. 1 ZPO. Ohne Auftrag fällt auch keine Vergütung im Streitverfahren an, die zu erstatten wäre. |
Im Verhältnis zur Rücknahme des Mahnantrags liegt der „Schaden“ also in der zusätzlichen 0,5-Gerichtsgebühr (eine 0,5-Gebühr wurde bereits für den Mahnantrag nach Nr. 1100 KVGKG entrichtet) sowie in einer zusätzlichen Differenz in Höhe einer 0,3-Verfahrensgebühr zwischen 3307 und 3101 VV RVG sowie einer Auslagenpauschale, ggf. vermindert um einen Anrechnungsbetrag. Bei hohen Streitwerten kann allerdings auch dieser Schaden empfindlich sein.
PRAXISTIPP | Es empfiehlt sich deshalb, entgegen § 696 Abs. 1 S. 2 ZPO zunächst nur den Mahnantrag zu stellen, und den gleichzeitigen Antrag auf Abgabe an das Streitgericht nach einem Widerspruch zu unterlassen. Das gibt Gelegenheit, nach einem Widerspruch zunächst noch einmal die Gründe dafür sowie ausgehend davon die eigene Rechtsposition zu prüfen und dann mit dem Mandanten zu entscheiden, ob das streitige Verfahren tatsächlich durchgeführt werden soll. |
2. Besserer Lösungsansatz: Rücknahme des Streitantrags?
Eine bessere Lösung könnte die Rücknahme des Streitantrags nach § 696 Abs. 4 S. 1 ZPO sein, die grundsätzlich bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem Streitgericht möglich ist. Mit der Zurücknahme ist die Streitsache nicht als rechtshängig anzusehen.
MERKE | Dies gilt allerdings nur, wenn der Antragsgegner nicht seinerseits mit dem Widerspruch sogleich einen Antrag auf Abgabe an das Streitgericht gestellt hat. |
Ungeachtet dessen führt dies nach der Anm. zu Nr. 1211 KVGKG nicht zu einer Privilegierung bei den Gerichtskosten. Auch in diesem Fall tritt lediglich eine Ermäßigung von 3,0-Gerichtsgebühren nach Nr. 1210 KVGKG auf 1,0-Gerichtsgebühr nach Nr. 1211 KVGKG ein (MüKo/Schüler, ZPO, 5. Aufl., Vor § 688 Rn. 33).
Inwieweit bereits die 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VVRVG beim Bevollmächtigten des Antragsgegners entstanden ist, ist eine Problem des Einzelfalls und muss infrage gestellt werden, wenn eine Bestellung gegenüber dem Streitgericht noch nicht erfolgt ist. Die einmal entstandene Gebühr entfällt jedenfalls nicht dadurch, dass das Verfahren vor dem Streitgericht erledigt wurde.
Damit ist allerdings nicht zugleich auch eine Rücknahme des Mahnantrags verbunden. Deshalb kann keine Entscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO ergehen (Zöller/Seibel, ZPO, 32. Aufl., § 696 Rn. 2; MüKo/Schüler, a. a. O., § 696 Rn. 32; Dörndorfer, in BeckOK ZPO, 30. Edition Stand 15.9.18, § 696 Rn. 7). Allerdings besteht die Gefahr, dass der Antragsgegner nun unmittelbar die Abgabe an das Streitgericht beantragt.
In dieser Konstellation fehlt es dann an einer Rechtsgrundlage für eine Kostengrundentscheidung über die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten des Antragsgegners und Beklagten. Das Mahnverfahren ist weiter anhängig. Diese kann der Antragsgegner nur über einen eigenen Antrag zur Abgabe der Sache an das Streitgericht nach Maßgabe des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO vor Rücknahme des Mahnantrags erreichen.
MERKE | Das bedeutet allerdings nicht, dass der Beklagte keinen Kostenerstattungsanspruch hat. Er bestimmt sich nur nach dem materiellen Recht und muss ggf. klageweise verfolgt werden. |
3. Vorsicht: Hier besser keine Rücknahme des Mahnantrags
Die Rechtsposition des Antragstellers ist in dieser Situation allerdings mehr von Hoffnung geprägt, dass der Antragsteller den Abgabeantrag nicht selbst stellt. Nimmt der Antragsteller nun auch den Mahnantrag zurück, will der BGH den Weg zu einer Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO durch das Streitgericht eröffnet sehen (BGH NJW-RR 06, 201, Rn. 18 ‒ zitiert nach juris; Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., § 696 Rn. 5).
Die Situation ist dann nicht abweichend von der Rücknahme der Klage zu sehen. Sie können natürlich darauf hoffen, dass der Abgabeantrag nicht gestellt wird. Mag die Hoffnung auch nicht groß sein, ist sie besser als nichts. Im Fall der Rücknahme des Mahnantrags ist die Kostentragungspflicht sicher.
Weiterführende Hinweise
- Vorsicht mit dem Antrag auf Abgabe an das Streitgericht, FMP 18, 185
- Antragsgegner beantragt mit dem Widerspruch die Abgabe: Wer trägt die Gerichtskosten?, FMP 18, 79
- Anwaltswechsel zwischen Mahn- und streitigem Verfahren: Anrechnung der Verfahrensgebühr, FMP 18, 60