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· Fachbeitrag · Leserforum

Zugangsvereitelung bei verzugsbegründender Mahnung

| Eine Leserin berichtete uns folgenden Fall: Gläubiger G steht gegen Schuldner (Verbraucher) S eine Forderung von 1.000 EUR zu. G hatte zwar eine Rechnung gestellt, aber ohne den notwendigen Hinweis nach § 286 Abs. 3 BGB. Nachdem S nicht zahlte, mahnte G ihn. Die Mahnung erreichte S aber nicht, da er umgezogen war und G seine neue Adresse nicht mitgeteilt hatte. G übergab die Angelegenheit Inkassodienstleister X unter vertraglicher Vereinbarung einer Vergütung entsprechend dem RVG. X holte umgehend eine Meldeauskunft ein und ermittelte so die neue Adresse des S. Er forderte S nun unter seiner neuen Adresse erneut auf, zu zahlen. S erklärte u. a., er sei nicht bereit, die Inkassokosten zu übernehmen, da der Schuldnerverzug erst durch die Zahlungsaufforderung des X begründet worden sei. Die Mahnung des G habe ihn nicht erreicht. Zu Recht? Und: Ergäbe sich etwas anderes, wenn G statt X den Rechtsanwalt R beauftragt hätte? |

1. Wann entsteht der Anspruch auf Erstattung der Inkassokosten?

Ist der Gegner mit seiner Leistung nach § 286 BGB im Schuldnerverzug, gehören die Inkassokosten regelmäßig zum Verzögerungsschaden (§ 280 Abs. 2 BGB).

 

Beachten Sie | Setzt der Inkassodienstleister den Schuldner erst durch sein Schreiben in Verzug, können die bis dahin angefallenen Kosten nicht als Verzugsschaden erstattet werden, da es sich nicht um einen kausalen Schaden handelt, der infolge des Verzugs entstanden ist. Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG entsteht nämlich schon mit der ersten auf die Informationsbeschaffung gerichteten Tätigkeit des Rechtsdienstleisters. Die Ersatzfähigkeit kann also erst begründet werden, wenn der Inkassodienstleister nach Eintritt des Verzugs eingeschaltet wird. Die Verzugsvoraussetzungen des § 286 müssen bereits vor der Beauftragung des Inkassodienstleisters erfüllt sein. Aus der rechtlichen Systematik ergibt sich, dass sich der Sachverhalt nicht anders darstellt, wenn ein Rechtsanwalt beauftragt worden wäre.

2. Mahnung entbehrlich?

Regelmäßig kommt der Schuldner einer fälligen und durchsetzbaren Leistung nach § 286 Abs. 1 BGB durch die Mahnung in Verzug. Die Mahnung kann aber entbehrlich sein. Hier sind die Fälle nach § 286 Abs. und Abs. 3 zu beachten. So kann z. B. eine Mahnung entbehrlich sein, wenn der Leistungstermin im Vertrag bereits kalendermäßig bestimmt ist (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB; zu den einzelnen Voraussetzungen FMP 20, 33, 52).

 

Hier könnte die Notwendigkeit einer Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB entbehrlich sein. Das ist zu bejahen, wenn der sofortige Verzug aus besonderen Gründen und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt erscheint. Das wird regelmäßig in folgenden Konstellationen angenommen:

 

Checkliste / Hier ist die Mahnung entbehrlich

Drei Alternativen können im Fall unserer Leserin in Betracht gezogen werden:

 

  • Evidente Eilbedürftigkeit: Sie liegt vor, wenn offensichtlich ist, dass nach dem Inhalt des Vertrages eine sofortige oder pünktliche Leistung zu erbringen ist. Das ist z. B. der Fall, wenn ein Kunde den Handwerker beauftragt, einen Wasserrohrbruch in seiner Wohnung zu reparieren.
  • Selbstmahnung durch den Schuldner: Der Schuldner erklärt nach dem Vertragsschluss nochmal gesondert, dass er die Leistung zu einem nahen Zeitpunkt erbringen wird.
  •  
  • Deliktischer Herausgabe- oder Schadenersatzanspruch: Der Schuldner ist zur Herausgabe einer durch eine deliktische Handlung entzogenen Sache (z.B. Diebstahl) verpflichtet. In diesen Fällen bedarf es keiner besonderen Aufforde-rung an den Schuldner; er ist nicht schutzwürdig, da sich die sofortige Herausgabepflicht von selbst versteht.
 

 

Eine dieser Konstellationen ist im vorliegenden Fall allerdings nicht erkennbar.

3. Zugang der Mahnung als Verzugsvoraussetzung

Somit bedarf es hier also einer Mahnung nach § 286 Abs. 1 BGB, um den Schuldnerverzug zu begründen. Die Mahnung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit Zugang beim Empfänger wirkt. Eine Willenserklärung ist zugegangen, wenn die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist und dieser unter regelmäßigen Umständen davon Kenntnis nehmen kann.

 

Beachten Sie | Ist der Empfänger - wie im Fall unserer Leserin - unter seiner bisherigen Adresse nicht mehr erreichbar, kann die Mahnung nicht zugehen und daher grundsätzlich auch keinen Schuldnerverzug begründen. An einer ausdrücklichen Mahnung fehlt es dann also.

4. Fiktiver Zugang bei Zugangsvereitelung durch den Schuldner?

In der Praxis kommt es häufig vor, dass der Zugang und damit das Wirksamwerden einer Erklärung verhindert oder vereitelt wird. Dabei werden drei Fallkonstellationen unterschieden.

 

a) Berechtigte Zugangsvereitelung

Zunächst ist denkbar, dass das Fehlschlagen des Zugangs zumindest auch auf Gründen beruht, die in der Sphäre des Gläubigers liegen. Dies ist etwa der Fall, wenn der Brief mit der Mahnung falsch adressiert wurde und deshalb nicht klar ist, an wen sich die Erklärung überhaupt richtet oder wenn der zuzustellende Brief unfrankiert oder unterfrankiert ist und der Empfänger mit einem Strafporto belastet würde. In diesen Fällen darf der Empfänger die Entgegennahme verweigern. Der Zugang ist fehlgeschlagen und nicht erfolgt. Man spricht von einer berechtigten Zugangsvereitelung.

 

b) Fahrlässige Zugangsvereitelung

Anders ist es, wenn der Zugang aufgrund von Umständen fehlschlägt, die der Sphäre des Schuldners als Empfänger zuzurechnen sind. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der, der aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen zu rechnen hat, geeignete Vorkehrungen treffen, dass ihn derartige Erklärungen auch erreichen (BGH 26.11.97, VIII ZR 22/97, BGHZ 137, 205). Das gilt u.a. für den Fall, dass jemand mit unbekannter Anschrift umgezogen ist. Teilt er seine neue Anschrift dem Vertragspartner nicht mit, ist ihm eine Sorgfalts- oder Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen. Das Verschulden des Adressaten (gegen sich selbst) wird bei diesen Obliegenheitsverletzungen entsprechend § 280 Abs. 1 S. 2 vermutet (MüKo/Einsele, BGB, 8. Aufl., § 130 Rn. 34).

 

Beachten Sie | Dies hat zur Folge, dass der Zugang der Erklärung für den Zeitpunkt fingiert wird, zu dem der Adressat ohne diese schuldhafte Obliegenheitsverletzung von dem Inhalt der Erklärung hätte Kenntnis nehmen können. Der Absender wird also so gestellt, als ob die Erklärung tatsächlich zugegangen ist.

 

Der Absender kann nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) aus seiner nicht zugegangenen Willenserklärung die für ihn günstigen Rechtsfolgen aber nur ableiten, wenn er alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hat, damit seine Erklärung den Adressaten erreichen konnte. Dazu gehört in der Regel, dass er nach Kenntnis von dem nicht erfolgten Zugang unverzüglich einen erneuten Versuch unternimmt, seine Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers zu bringen, dass diesem ohne Weiteres eine Kenntnisnahme ihres Inhalts möglich ist (BGH, a. a. O.). Nur ausnahmsweise kann auf den wiederholten Versuch der Zustellung verzichtet werden. Ein wiederholter Zustellungsversuch des Erklärenden ist dann nicht mehr sinnvoll und deshalb entbehrlich, wenn der Empfänger die Annahme einer an ihn gerichteten schriftlichen Mitteilung grundlos oder gar arglistig verweigert, obwohl er mit dem Eingang rechtserheblicher Mitteilungen seines Vertrags- oder Verhandlungspartners rechnen muss (s. u., 4. c).

 

Beachten Sie | In solchen Fällen wird nur die Rechtzeitigkeit des Zugangs fingiert, nicht jedoch der Zugang selbst. Erst mit dem tatsächlichen Zugang ist dieser erfolgt, der Absender wird aber so gestellt, als ob der Zugang bereits zum Zeitpunkt des ersten Zustellungsversuchs zugegangen wäre.

 

c) Arglistige Zugangsvereitelung

Oft ist es nicht Fahrlässigkeit des Empfängers, die den Zugang einer Willenserklärung vereitelt, sondern Absicht. Er will eine ihm nicht genehme Willenserklärung einfach nicht entgegennehmen. Diese Fälle werden als „arglistige Zugangsvereitelung“ bezeichnet. In diesen Fällen hält der BGH auch einen wiederholten Zustellversuch des Erklärenden für entbehrlich, wenn der Empfänger die Annahme einer an ihn gerichteten schriftlichen Mitteilung grundlos zielgerichtet verweigert oder verhindert, obwohl er mit dem Eingang rechtserheblicher Mitteilungen seines Vertrags- oder Verhandlungspartners rechnen muss (BGH NJW 83, 929 und NJW 98, 976).

 

Beachten Sie | Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Empfänger tatsächlich die Annahme grundlos verweigert, einen Einschreibebrief bei der Post nicht abholt oder seinen Briefkasten abmontiert, um den Zugang zu verhindern.

 

Stellt sich im Rahmen des Wirksamwerdens einer Willenserklärung das Problem der Zugangsvereitelung, ist zu unterscheiden, ob der Erklärungsempfänger den Zugang arglistig (vorsätzlich) vereitelt oder das Zugangshindernis aufgrund einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Empfängers verursacht wird.

 

  • Fall 1: Arglist (Vorsatz): Zugangsfiktion

Beruhen Zugangshindernisse auf einem vorsätzlichen Handeln des Erklärungsempfängers, greift eine Zugangsfiktion. Der Zugang wird zu dem Zeitpunkt als bewirkt angesehen, zu dem die Erklärung den Empfänger normalerweise erreicht hätte. Dies folgt aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB.

 
  • Fall 2: Fahrlässige Zugangsvereitelung

Aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen sind die Beteiligten verpflichtet, geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit rechtserhebliche Erklärungen sie auch erreichen. Kommt ein Beteiligter dieser Pflicht nicht nach, greift zunächst zwar keine Zugangsfiktion. Wenn der Erklärende die Erklärung jedoch erneut versendet und diese dann zugeht, dann gilt sie schon zum ersten gescheiterten Zeitpunkt als zugegangen (Rechtzeitigkeitsfiktion).

 

5. Lösung der Leseranfrage

Im vorliegenden Fall unserer Leserin hat der Empfänger die Adressänderung seinem Gläubiger nicht mitgeteilt, obwohl er damit rechnen musste, von diesem eine Mahnung zu erhalten. Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner vorsätzlich gehandelt hat, sind nicht ersichtlich. Dass er sich beim Einwohnermeldeamt umgemeldet hat, spricht dagegen. Das begründet mithin (nur) eine fahrlässige Zugangsvereitelung.

 

Die Mahnung des Gläubigers ist zunächst nicht zugegangen, wurde aber durch die Zahlungsaufforderung des Inkassounternehmens wiederholt. Dies hat zur Folge, dass der Zugang der Mahnung auf den Zeitpunkt fingiert wird, zu dem der Schuldner erstmals von dem Inhalt der Erklärung hätte Kenntnis nehmen können. Somit ist der Schuldnerverzug bereits zum Zeitpunkt begründet worden, als der Gläubiger das erste Schreiben an den Schuldner gerichtet hat.

 

Die Folge: Der Einwand des Schuldners ist unbegründet. Der Schuldnerverzug ist bereits vor Beauftragung des Inkassounternehmens begründet worden, die Inkassokosten sind als Schadenersatz nach §§ 280, 286 BGB zu erstatten. Gleiches gilt, hätte der Gläubiger einen Anwalt eingeschaltet.

Quelle: Seite 209 | ID 46972788