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· Fachbeitrag · Lph 7

Produktneutrale Ausschreibungen: Antworten auf wichtige Praxisfragen

| Das Thema „produktneutrale LV-Positionen oder Ausschreibungen“ ist omnipräsent. PBP geht deshalb den Fragen nach, ob Ausschreibungsunterlagen bei öffentlichen Projekten zwingend produktneutral erstellt werden müssen (Gleichbehandlungsgrundsatz) und wer das final entscheidet. |

HOAI regelt zu Vergaberechtsfragen nichts

Zunächst ist festzuhalten, dass die Frage der Produktneutralität in den Grundleistungen der HOAI nicht explizit geregelt ist. Die Grundleistungen der HOAI sind außerdem unberührt von der Frage, ob es sich um einen öffentlichen oder privaten Auftrag handelt. Wie spielt aber das Vergaberecht bei öffentlichen Projekten da hinein?

Vergaberecht wird in der Praxis unterschiedlich ausgelegt

Das Tagesgeschäft lehrt zunächst, dass das Vergaberecht im Hinblick auf die Produktneutralität unterschiedlich ausgelegt wird. Festzuhalten bleibt deshalb: Bei entsprechender Begründung nach VOB/A ist es durchaus möglich, einzelne LV-Positionen oder die Ausschreibung an bestimmte Produkte zu binden. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist es auch möglich, die technischen Spezifikationen im Positionstext der LV so tief zu gliedern, dass dadurch bestimmte Produkte präferiert werden.

 

PRAXISTIPP | Vergaberrechtsfragen sind Sache des Auftraggebers, nicht des Planers. Stimmen Sie deshalb bereits in Lph 3 oder Lph 5 mit dem Auftraggeber ab, welche Ermessensspielräume er in punkto „produktspezifischer LV-Positionen“ sieht. Machen Sie dazu Vorschläge und fragen Sie bei ihm ab, bei welchen Positionen er von der Produktneutralität abweichen möchte (z. B. aus Gründen der Bauunterhaltung, des Betriebs von Technischen Anlagen im Zusammenhang mit bestehenden Anlagen).

 

Entscheidungsfälle aus der Praxis

In den folgenden Fällen kann u. U. von einer produktneutralen Ausschreibung abgewichen werden. Das muss ‒ als Vergaberechtsfrage ‒ aber immer vom Auftraggeber entschieden werden:

 

  • In vorhergehenden Bauabschnitten sind Produkte verwendet worden, die auch beim aktuellen Ausschreibungspaket berücksichtigt werden müssen, um Einheitlichkeit bei Betrieb und Wartung zu ermöglichen (insbesondere bei der technischen Ausrüstung relevant).

 

  • Gestalterische Anforderungen (z. B. bei Beleuchtungen innen und außen) lassen sich nur mit bestimmten Produkten angemessen umsetzen.

 

  • Es gibt spezielle technische Anforderungen, die nur bestimmte Produkte erfüllen.

 

  • Es gibt funktionelle Zwangspunkte bei Ausstattungen und Einrichtungen, die nur von bestimmten Produkten erfüllt werden können.

 

  • Es gibt Zwangspunkte bei Regel- bzw. Anlagentechnik, betrieblichen Einbauten oder späterer Wartung, die eine produktspezifische Ausschreibung erfordern.

 

  • Gleiches kann bei elektrischen Schließanlagen, Zutrittskontrollanlagen, Rauchmeldesystemen etc. gelten

 

Der öffentlichen Auftraggeber muss diese Vergaberechtsfragen rechtzeitig klären. Das ist u. a. auch deshalb erforderlich, um Planungssicherheit zu erreichen. Ein weiterer Vorteil der rechtzeitigen Klärung besteht nämlich darin, dass spätere Planungsänderungen und Terminverzögerungen vermieden werden können.

Lph 7 ‒ Vergaberechtliche Vereinfachungen sind möglich

Unnötige produktneutrale Ausschreibungen haben u. U. auch „systemimmanente“ Nachteile. Nämlich die, dass im Zuge der Angebotsauswertung

  • eine Vielzahl von Aspekten zusätzlich auszuwerten ist,
  • ggf. nicht der ursprünglich gewollte Qualitätsstandard bei der Angebotsprüfung durchsetzbar erscheint, weil die Frage der Gleichwertigkeit auch mit Ermessensspielräumen zusammenhängt,
  • angebotene Produkte zwar nach VOB/A als annehmbarste gelten, aber zu Planungsänderungen führen können.

 

Die Fragestellungen tauchen auch beim Bauen im Bestand auf, wenn bestimmte Produkte mit den zur Verfügung stehenden Installationsflächen (Schächte, Schachteinfädelungen, Deckenhohlräumen, Durchführungen durch Brandabschnitte…) nicht kompatibel sind. Deshalb ist es erforderlich, die vergaberechtliche Klärung möglichst früh herbeizuführen.

So agieren Sie im Tagesgeschäft

PBP empfiehlt Ihnen dringend, diese vergaberechtlichen Fragen mit dem Auftraggeber im Zuge der Lph 5 (rechtzeitig vor der Lph 6) so zu besprechen und zu klären, dass die Ausschreibungsunterlagen dies würdigen können. Auch deshalb, weil die Vergaberechtsfragen bei falscher Behandlung zu entsprechenden Rügen führen können. Frühzeitige Hinweise sind auch deshalb erforderlich, um im Ablauf keine unnötigen Verzögerungen hinnehmen zu müssen. Verzögerungen können nicht nur durch Rügen entstehen, sondern auch durch zusätzlichen Zeitaufwand bei der Angebotsauswertung.

 

PRAXISTIPP | PBP hat deshalb ein Musterschreiben formuliert. Passen Sie das an Ihren Fall an und sorgen Sie so dafür, dass das Thema „produktneutrale Ausschreibung ja oder nein“ vorausschauend gut gelöst wird.

 

 

Musterschreiben / Produktspezifische Ausschreibung bei Um- und Erweiterungsbau

Betreff: Um- und Erweiterungsbau der … Schule in …

Planungsfestlegungen als Vorbereitung für die weiteren Planungsvertiefungen

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

in o. g. Projekt bearbeiten wir die Entwurfsplanung. In dem Zusammenhang befassen wir uns auch mit den geometrischen und funktionalen Anforderungen, den technischen Abhängigkeiten, den späteren wirtschaftlichen Betriebsbedingungen und Wartungen sowie übergreifenden wirtschaftlichen Planungslösungen. Dabei sind verschiedene vergaberechtliche Fragen in Bezug auf die späteren Ausschreibungen bereits jetzt zu klären, damit die notwendige Planungssicherheit besteht und spätere Änderungen, Terminverschiebungen oder Kostenerhöhungen vermieden werden. Das liegt daran, dass verschiedene Produkte oder Bauteile zu unterschiedlichen Einbaubedingungen, Platzbedarfen und unterschiedlichen wirtschaftlichen Betriebsabläufen im späteren Gebäudebetrieb führen können. Deshalb ist es erforderlich, schon jetzt als Grundlage für eine entsprechende Ausführungs- und Kostenplanung (und nicht erst im Zuge der Ausschreibung) zu klären, ob und welche Bauteile produktspezifische Eigenschaften haben müssen.

 

Wir schlagen für folgende Bauteile bzw. Produkte eine produktbezogene Aufnahme in den Ausschreibungsunterlagen vor und möchten das aus Gründen der Planungs- und Terminsicherheit bereits der Ausführungsplanung zugrunde legen:

 

  • ...
  • ...

 

Wir bitten um vergaberechtliche Prüfung, ob Sie dem zustimmen können. Ist das der Fall, würden wir unsere weitere Planung darauf basierend vertiefen. Soweit Ihrerseits weitere Produktfestlegungen vorgesehen sind, bitten wir ebenfalls um entsprechende Mitteilung, damit wir auch diesbezüglich Planungssicherheit haben. Erfahrungsgemäß können so Terminverzögerungen, Planungsänderungen, nicht gewollte Kompromisse oder Mehrkosten vermieden werden. Ein Verschieben dieser Festlegungen in den Zeitraum der Ausschreibungserstellung kann dagegen Nachteile bei der Ausführungsplanung und Koordination zur Folge haben, sodass wir davon abraten.

 

Beachten Sie bitte, dass ein Beibehalten der völligen Produktneutralität (in Abweichung unserer obigen Vorschläge) auch die nach Ausschreibung anstehende Angebotsauswertung terminlich verzögern kann. Innerhalb der Bindefristen können erfahrungsgemäß nicht alle Einzelheiten hinsichtlich der Gleichwertigkeit ausgewertet werden, insbesondere wenn die Gleichwertigkeitsnachweise der Bieter nachzufordern sind.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Wichtig | Will der öffentliche Bauherr Ihren Vorschlägen nicht folgen, müssen Sie sich im Hinblick auf die Planungsinhalte von vornherein auf eine entsprechende Angebotsvielfalt einrichten. Das bedeutet aber auch, dass Sie entsprechende Ermessensspielräume (z. B. Reserven wegen produktneutraler Planung bei Schachtquerschnitten, Deckenhohlräumen, Wartungsflächen) nutzen dürfen. Und zwar nicht nur bei den zeichnerischen Lösungen, sondern auch bei Kosten und Terminen (z. B. gewerkeorientierte Planungsfortschreibung). Auch späteren Vorwürfen, dass alles „etwas kompakter“ hätte geplant werden können, können Sie dann gelassener entgegensehen.

 

Weiterführender Hinweis

  • Das Musterschreiben finden Sie zur individuellen Anpassung auf pbp.iww.de → Downloads → Abruf-Nr. 48119459
Quelle: Seite 3 | ID 48082423