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· Fachbeitrag · Mehrvergleich

Mehrvergleich: So rechnen Sie mehrere Rechtsstreite bzw. gerichtliche Verfahren ab

von Wolf Schulenburg, geprüfter Rechts- und Notarfachwirt, Berlin

| Wird im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs ein weiterer bereits anhängiger Rechtsstreit oder ein gerichtliches Verfahren mitverglichen, muss der Rechtsanwalt darauf achten, dass die für den Mehrvergleich entstehenden Gebühren auf die im einbezogenen Verfahren entstandenen Gebühren anzurechnen sind. Werden jedoch mehrere Rechtsstreite oder andere gerichtliche Verfahren verglichen, kommt es in der Praxis bei der Abrechnung immer wieder zu Fehlern, die zu Gebührenverlusten führen. Der folgende Beitrag hilft, diese Fehler zu vermeiden. | 

1. Gebührenansprüche

Kommt es zu einem Mehrvergleich unter Einbeziehung anderweitig bereits gerichtlich anhängiger Gegenstände, entsteht neben der Verfahrensgebühr aus dem Wert des Verfahrens, in dem der Vergleich geschlossen wird, zusätzlich eine gesonderte Differenzverfahrensgebühr nach Teil 3 VV aus dem Wert des mitverglichenen Verfahrens.

 

Die Höhe dieser Differenzverfahrensgebühr (0,8 gemäß Nr. 3101 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG; 1,1 gemäß Nr. 3201 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG) richtet sich stets danach, in welcher Instanz der Vergleich geschlossen wird und nicht danach, in welcher Instanz (in höherer oder niedrigerer) die einbezogenen Ansprüche anhängig sind (Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., 3101 VV Rn. 97).

 

MERKE | Da in diesem Fall im Vergleichsverfahren mehrere Verfahrensgebühren mit unterschiedlichen Gebührensätzen entstehen, ist § 15 Abs. 3 RVG zu beachten. Dabei darf der Gesamtbetrag der gleichartigen Gebühren nicht höher sein als der Betrag, der sich aus dem höchsten Gebührensatz der Gebühren aus deren Gesamtwert ergibt.

 

Weiterhin entsteht bei der Verhandlung über die Gesamteinigung eine gesonderte Differenzterminsgebühr. Diese fällt aber nur in dem Verfahren an, in dem der Vergleich geschlossen wird (Gerold/Schmidt, a. a. O., 3104 VV Rn. 98; OVG Münster AGS 16, 269; OLG Frankfurt AGS 08, 224; OLG Stuttgart AGS 05, 256; a. A. OLG Rostock JurBüro 07, 137).

 

MERKE | Da die Terminsgebühr auch hier nicht doppelt entstehen kann (§ 15 Abs. 2 RVG), kann diese im Vergleichsverfahren nur einmal berechnet werden. Hierbei ist zu beachten, dass der Wert der Terminsgebühr sich um die Werte der mitverglichenen Ansprüche erhöht.

 

Schließlich entsteht für den an der Einigung mitwirkenden Rechtsanwalt eine gesonderte Einigungsgebühr. Ihre Höhe (1,0 oder 1,3) richtet sich danach, in welcher Instanz die jeweils mitverglichenen Ansprüche anhängig sind.

 

Folge: Soweit die in den Vergleich einbezogenen Gegenstände in einer höheren oder niedrigeren Instanz anhängig sind, führt dies stets zum mehrfachen Anfall der Einigungsgebühr in dem Verfahren, in dem der Vergleich geschlossen wird.

 

Auch hier gilt: Soweit mehrere Einigungsgebühren mit unterschiedlichen Gebührensätzen entstehen, muss der Rechtsanwalt § 15 Abs. 3 RVG beachten. Bei gleichem Gebührensatz erhöht sich dagegen der Gegenstandswert der Einigungsgebühr um die einbezogenen Ansprüche.

 

MERKE | Auch die Einigungsgebühr entsteht nur in dem Verfahren, in dem der Vergleich geschlossen wird und nicht etwa in den anderweitigen Verfahren, die durch den Vergleich einverständlich geregelt werden.

 

Da das RVG vom Grundsatz beherrscht wird, dass der Rechtsanwalt für dieselbe Tätigkeit „nicht doppelt“ honoriert werden soll, hat der Gesetzgeber in solchen Fällen allerdings Anrechnungsvorschriften geschaffen, die eine solche „doppelte“ Honorierung verhindern sollen (s. u., 2. bis 3.):

2. Verfahrensgebühr: Anrechnungsbetrag ist zu ermitteln

Im Rahmen eines Mehrvergleichs über anderweitig gerichtlich anhängige Ansprüche ist in den einbezogenen Verfahren dem Rechtsanwalt, der in diesen Verfahren tätig ist, bereits mindestens jeweils die Verfahrensgebühr entstanden. Da er in dem Verfahren, in dem der Vergleich geschlossen wird, ebenfalls eine Differenzverfahrensgebühr über diese Ansprüche erhält, regeln die Anmerkungen

  • Abs. 1 zu Nr. 3101 VV RVG (I. Instanz),
  • Abs. 1 S. 2 zu Nr. 3201 VV RVG (II. Instanz) und
  • zu Nr. 3207 und 3209 VV RVG (III. Instanz)

 

die Anrechnung auf eine wegen desselben Gegenstands entstandene weitere Verfahrensgebühr.

 

Soweit der sich nach § 15 Abs. 3 RVG ergebende Gesamtbetrag der Verfahrensgebühren im Vergleichsverfahren die dort entstandene Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG (I. Instanz), Nr. 3200 VV RVG (II. Instanz) oder die Nr. 3206 VV RVG oder 3208 VV RVG (III. Instanz) übersteigt, wird der die Verfahrensgebühr übersteigende Betrag angerechnet, und zwar auf die in den einbezogenen anderweitigen Rechtsstreiten bzw. gerichtlichen Verfahren entstandenen Verfahrensgebühren.

 

  • So lautet die Anrechnungsformel

Betrag der Differenz- und Verfahrensgebühr nach § 15 Abs. 3 RVG ./. Betrag der Verfahrensgebühr

 

MERKE | Dabei ist es für die Anrechnung unerheblich, welche Verfahrensgebühr früher entstanden ist (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a. a. O., 3101 VV Rn. 106; Riedel/Sußbauer/Ahlmann, RVG, 10. Aufl., 3104 VV Rn. 19; Bischof/Jungbauer/Bischof, RVG, 8. Aufl., 3101 VV Rn. 76; a. A. Mock, AGS 04, 45, 47; Mayer/Kroiß/Mayer, RVG, 6. Aufl., 3101 VV Rn. 71).

 
  • Beispiel 1

Im erstinstanzlichen Verfahren A über 20.000 EUR schließen die Parteien einen Mehrvergleich, in dem die ebenfalls im erstinstanzlichen Verfahren B anhängigen Ansprüche über 30.000 EUR mit einbezogen werden. Zuvor wurde das Verfahren B nach Klageerwiderung ruhend gestellt.

 

Lösung (ohne Termins- und Einigungsgebühr)

Die Verfahrensgebühr ist wie folgt ab-/anzurechnen:

1. Verfahren A

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (aus 20.000 EUR)

964,60 EUR

0,8-Differenzverfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG (aus 30.000 EUR)

   690,40 EUR

1.655,00 EUR

höchstens gemäß § 15 Abs. 3 RVG: 1,3 aus 50.000 EUR

1.511,90 EUR

2. Verfahren B

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (aus 30.000 EUR)

1.121,90 EUR

Anrechnungsbetrag

- 547,30 EUR

574,60 EUR

Ermittlung des Anrechnungsbetrags:

1,3-Verfahrensgebühr gemäß § 15 Abs. 3 RVG (aus 50.000 EUR) = 1.511,90 EUR ./. 1,3-Verfahrensgebühr (aus 20.000 EUR) = 964,60 EURsomit anzurechnen 547,30 EUR.

 

3. Terminsgebühr ‒ Anrechnungsbetrag ist zu ermitteln

Bei der Terminsgebühr gilt vom Grundsatz her dasselbe wie bei der Verfahrensgebühr. Hier regeln die Anmerkungen

  • Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG (I. Instanz),
  • Abs. 1 zu Nr. 3202 VV RVG (II. Instanz) und
  • zu Nr. 3210 VV RVG (III. Instanz),

 

dass der Betrag, der die Terminsgebühr ohne die einbezogenen Ansprüche übersteigt, auf die in dem einbezogenen Verfahren ebenfalls entstandene Terminsgebühr anzurechnen ist.

 

  • Beispiel 2

Wie Beispiel 1; im Verfahren B hat vor Anordnung des Ruhens bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden und es ist eine Terminsgebühr entstanden.

 

Lösung (ohne Verfahrens- und Einigungsgebühr)

Die Terminsgebühren sind wie folgt ab-/anzurechnen:

1. Verfahren A

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (aus 50.000 EUR)

 

1.395,60 EUR

2. Verfahren B

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (aus 30.000 EUR)

 

1.035,60 EUR

Anrechnungsbetrag

- 505,20 EUR

530,40 EUR

Ermittlung des Anrechnungsbetrags:

1,2-Terminsgebühr (aus 50.000 EUR) = 1.395,60 EUR ./. 1,2-Terminsgebühr (aus 20.000 EUR) = 890,40 EURsomit anzurechnen 505,20 EUR.

 

 

4. Einigungsgebühr: Keine Anrechnung erforderlich

Eine Anrechnungsbestimmung für die Einigungsgebühr existiert nicht. Das liegt daran, dass eine einheitliche Einigung grundsätzlich nur zu einer Einigungsgebühr in dem Verfahren führt, in dem der Vergleich geschlossen wird.

 

MERKE | Es spielt keine Rolle, ob über die geregelten Ansprüche verschiedene Rechtsstreite oder gerichtliche Verfahren anhängig sind oder wo die Einigung erfolgt (Gerold/Schmidt, a. a. O., 1003, 1004 VV Rn. 71). Denn mit einer einheitlichen Einigung zeigen die Parteien, dass sie betr. die Einigungsgebühr alles als eine Angelegenheit behandeln wollen (OLG Düsseldorf AGS 09, 269; OLG Hamburg JurBüro 91, 1065).

 

Eine Ausnahme besteht, wenn die einbezogenen Ansprüche in einer anderen Instanz (höherer oder niedrigerer) anhängig sind. Folge: Neben der 1,0-Einigungsgebühr Nr. 1003 VV RVG entsteht auch eine 1,3-Einigungsgebühr Nr. 1004 VV RVG, wobei dann ebenso § 15 Abs. 3 RVG zu beachten ist.

 

  • Beispiel 3

Wie Beispiel 1; das mitverglichene Verfahren B befindet sich in der Berufungsinstanz.

 

Lösung (ohne Verfahrens- und Terminsgebühr)

Die Einigungsgebühren sind wie folgt abzurechnen:

1. Verfahren A

1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1003 VV RVG (aus 20.000 EUR)

742,00 EUR

 

1,3-Einigungsgebühr, Nr. 1004 VV RVG (aus 30.000 EUR)

 

1.121,90 EUR

 

höchstens gemäß § 15 Abs. 3 RVG

1.511,90 EUR

2. Verfahren B

keine Einigungsgebühr

 

 

Werden in einen Mehrvergleich nicht nur ein, sondern mehrere Rechtsstreite bzw. gerichtliche Verfahren einbezogen, ergibt sich das Problem, dass der einheitliche Anrechnungsbetrag auf mehrere Verfahren verteilt werden muss. Die Verteilung muss in diesem Fall im Verhältnis der Werte der einbezogenen Ansprüche zum Mehrwert erfolgen (so für die Anrechnung bei der Terminsgebühr: Gerold/Schmidt, a. a .O.; 3104 VV Rn. 104; für die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf mehrere Verfahrensgebühren: BGH RVGprof 15, 39).

 

  • Beispiel 4

Im erstinstanzlichen Verfahren A wegen Ansprüchen über 10.000 EUR wird ein Mehrvergleich geschlossen. Mit diesem werden weitere, anderweitig gerichtlich anhängige Ansprüche über 20.000 EUR (Verfahren B) und 50.000 EUR (Verfahren C) geregelt. Das Verfahren B befindet sich bereits in der Berufungsinstanz. In den Verfahren B und C ist jeweils eine 1,3-Verfahrensgebühr für den RA angefallen.

 

Lösung (ohne Termins- und Einigungsgebühr)

Die Verfahrensgebühren sind wie folgt ab-/anzurechnen

1. Verfahren A

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (aus 10.000 EUR)

725,40 EUR

0,8-Differenzverfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG (aus 70.000 EUR)

 

1.066,40 EUR

1.791,80 EUR

höchstens gemäß § 15 Abs. 3 RVG: 1,3 aus 80.000 EUR

 

1.732,90 EUR

2. Verfahren B

1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG (aus 20.000 EUR)

 

1.187,20 EUR

Anrechnung*

- 287,84 EUR

899,36 EUR

3. Verfahren C

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (aus 50.000 EUR)

 

1.511,90 EUR

Anrechnung*

-719,66 EUR

792,24 EUR

Ermittlung des (gesamten) Anrechnungsbetrags (wie in Beispiel 1):

1.732,90 EUR ./. 725,40 EUR = 1.007,50 EUR

 

  • * Der gesamte Anrechnungsbetrag muss auf beide Verfahrensgebühren in den dortigen Verfahren verteilt (angerechnet) werden. Um den jeweiligen Anrechnungsbetrag zu erhalten, müssen die Werte der Ansprüche B und C jeweils ins Verhältnis zum Mehrwert des Verfahrens A gesetzt und mit dem gesamten Anrechnungsbetrag multipliziert werden. Das geschieht durch die Formel(n):

 

20.000 EUR (Wert Verfahren B)

x 1.007,50 EUR (Anrechnungsbetrag) = 287,84 EUR

70.000 EUR (Mehrwert Verfahren A)

 

50.000 EUR (Wert Verfahren C)

x 1.007,50 EUR (Anrechnungsbetrag) = 719,66 EUR

70.000 EUR (Mehrwert Verfahren A)

 

 

 

Ist in dem Vergleich mit einbezogenen Verfahren keine oder eine geringere Verfahrens- bzw. Terminsgebühr entstanden, kann es passieren, dass der Anrechnungsbetrag nicht vollständig verbraucht wird. Denn eine Anrechnung kann die Gebühr, auf die anzurechnen ist, lediglich auf null reduzieren (Gerold/Schmidt, a. a. O., Vorb. 3 VV Rn. 277 für die Anrechnung der 1,3-Geschäfts- auf eine 0,3-Verfahrensgebühr).

 

MERKE | Ein etwaiger Anrechnungsrest führt aber niemals zu einer „negativen“ Gebühr. Allgemein anerkannt ist dabei aber, dass ein nicht verbrauchter Anrechnungsrest bei einer weiteren möglichen Anrechnung zu berücksichtigen ist (Gerold/Schmidt, a. a. O., Vorb. 3 VV Rn. 315 für den Fall der Mehrfachanrechnung bei außergerichtlicher Vertretung, nachfolgendem Mahn- und Klageverfahren; OLG Hamburg JurBüro 77, 375; OLG Köln AGS 09, 476).

 
  • Beispiel 5

Wie Beispiel 4; im Berufungsverfahren B war nur in I. Instanz eine 1,2-Terminsgebühr und im erstinstanzlichen Verfahren C nur eine verminderte 0,5-Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV entstanden.

 

Lösung (ohne Verfahrens- und Einigungsgebühr)

Die Terminsgebühren sind wie folgt ab-/anzurechnen:

1. Verfahren A

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (aus 80.000 EUR)

 

1.599,60 EUR

2. Verfahren B

I. Instanz:

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (aus 20.000 EUR)

 

890,40 EUR

Anrechnung*

-265,70 EUR

624,70 EUR

II. Instanz

keine Terminsgebühr

3. Verfahren C

0,5-Terminsgebühr, Nr. 3105 VV RVG (aus 50.000 EUR)

 

581,50 EUR

Anrechnung (664,30 EUR, max. aber)*

-581,50 EUR

0,00 EUR

Ermittlung des (gesamten) Anrechnungsbetrags:

1,2-Terminsgebühr (aus 80.000 EUR) = 1.599,60 EUR

./. 1,2-Terminsgebühr (aus 10.000 EUR) = -669,60 EUR

somit anzurechnen: 930,00 EUR

* Ermittlung des jeweiligen Anrechnungsbetrags:

20.000 EUR (Wert Verfahren B)

x 930,00 EUR (Anrechnungsbetrag) = 265,71 EUR

70.000 EUR (Mehrwert Verfahren A)

 

50.000 EUR (Wert Verfahren C)

x 930,00 EUR (Anrechnungsbetrag) = 664,29 EUR

70.000 EUR (Mehrwert Verfahren A)

 

 

 
Quelle: Seite 61 | ID 45125248