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· Fachbeitrag · Reparaturkosten

Desinfektionskosten: Viele Urteile zu Haftpflichtschäden

| Die Erstattung der Desinfektionskosten ist weiterhin eine lebhaft umstrittene Schadenposition. Überwiegend werden diese Kosten zugesprochen. Einige Gerichte ordnen das ganz schlank unter dem „Werkstattrisiko“ (0„WR“) ein, weil der Geschädigte die Entstehung der Kosten nicht beeinflussen kann. Andere Gerichte bejahen explizit den Sinn der Desinfektion. |

Weitere zusprechende Urteile zu Haftpflichtschäden

  • AG Koblenz, Urteil vom 09.12.2020, Az. 151 C 1571/20, Abruf-Nr. 219609, eingesandt von Rechtsanwälte Pflüger, Köln (WR)
  • AG Köln, Urteil vom 14.01.2021, Az. 261 C 157/20, Abruf-Nr. 219977, eingesandt von Rechtsanwalt Thomas Engelberg, Siegburg
  • AG Köln, Urteil vom 10.12.2020, Az. 272 C 133/20, Abruf-Nr. 219621, eingesandt von Rechtsanwalt Ralph Burkard, Meckenheim (WR)
  • AG Rüsselsheim, Urteil vom 10.12.2020, Az. 3 C 670/20 (33), Abruf-Nr. 219547, eingesandt von Rechtsanwalt Joachim Lamp, Ingelheim (WR)
  • AG Siegburg, Urteil vom 19.11.2020, Az. 107 C 82/20, Abruf-Nr. 219237 (WR), eingesandt von Rechtsanwalt Ralph Burkard, Meckenheim

Halbe/Halbe wegen rein und raus

Einen Sonderweg geht das AG Wolfratshausen: Die Desinfektion bei der Hereinnahme sei Arbeitnehmerschutz und könne nicht berechnet werden, die bei der Herausgabe aber doch, denn die sei Kundenschutz. Damit hat es die geltend gemachten Kosten schlankerhand halbiert (AG Wolfratshausen, Urteil vom 15.12.2020, Az. 1 C 687/20, Abruf-Nr. 219821, eingesandt von Rechtsanwalt Patrick Plückthun, Augsburg).

 

Ablehnendes Urteil

Das AG Pforzheim lehnt die Erstattung der Kosten für die Desinfektion ab, denn das sei nur Schutz der Mitarbeiter der Werkstatt (AG Pforzheim, Urteil vom 17.11.2020, Az. 4 C 208/20, Abruf-Nr. 219951, eingesandt von Rechtsanwalt Dr. Christian Heyn, Freiburg).

 

PRAXISTIPP | Es ist wichtig, in der Rechnung (wahrheitsgemäß!) klarzustellen „Desinfektion vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Kunden.“ Dann ist das Problem aus Pforzheim und Wolfratshausen entschärft.

 

AG Osnabrück: Die Desinfektion ist erforderlich

In einem Verfahren vor dem AG Osnabrück hat der Versicherer eine „Handlungshilfe für den Service-Bereich im Kfz-Gewerbe, Ergänzung der Gefährdungsbeurteilung im Sinne des SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandards ‒ Branche Holz und Metall“ der BGHM Berufsgenossenschaft Holz und Metall vorgelegt. Diese dient zwar dem Schutz des Mitarbeiters. Doch das Virus unterscheidet da sicher nicht. Was bei der Hereinnahme nötig ist, muss es auch bei der Herausgabe sein.

 

In der Handlungsempfehlung heißt es, dass das Fahrzeug bei der Übergabe vom Kunden gründlich durchgelüftet werden solle. Das soll auch gelten, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sich noch infektiöse Tröpfchen im Fahrzeuginnenraum befinden, gering ist. Darüber hinaus gibt sie Hinweise zur Reinigung von Kontaktflächen im Fahrzeuginnenraum: „Bei einer Fahrzeugaufbereitung (z. B. im Rahmen einer Übernahme von Leasing-Fahrzeugen, Leihwagen, Jahres- und Vorführwagen) die Oberflächen wie Lenkrad, Armaturenbrett, Schalthebel, Lenksäulenhebel oder Türgriffe mit handelsüblichem Reiniger abwischen. Ein Einsatz von Desinfektionsmitteln ist nicht erforderlich.“

 

Aus dem letzten Satz schließt der Versicherer, dass die Desinfektionsmaßnahmen der Werkstatt überflüssig seien. Das ist eindeutig zu kurz gesprungen: Auch wenn handelsüblicher Reiniger benutzt wird, muss dennoch die 20-Sekunden-Regel pro Oberfläche (zweimal „Happy Birthday“ singen…) angewendet werden. Kurz drüber wischen reicht nicht.

 

Das AG Osnabrück geht noch weiter: „Zwar hat die Beklagte die Handlungsempfehlung für den Servicebereich im Kfz-Gewerbe von 20.05.2020 eingereicht, worin aufgeführt wird, dass ein Einsatz von Desinfektionsmitteln nicht erforderlich sei. Es sind jedoch zur Auffassung des Gerichts auch die Kosten für eine Fahrzeugdesinfektion zu erstatten. Eine solche ist in Zeiten der Corona-Pandemie nach erfolgter Reparatur eines Fahrzeugs, die ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordert, notwendig ... .

 

Die Handlungsempfehlung geht ebenso wie die Rechtsauffassung der Beklagten an der Lebenswirklichkeit vorbei. In jedem Geschäft oder Supermarkt, in der Kantine und im Foyer des Gerichts, nahezu überall sind im Alltag Desinfektionsspender anzutreffen, deren Benutzung zumindest empfohlen, teils sogar vor dem Betreten vorgeschrieben ist. In Anbetracht der Gesamtumstände, die allgemein bekannt sind, kann sich die Beklagte dann nicht auf den Standpunkt stellen, dass eine Desinfektion aber nicht erforderlich sei.“

Einige Auszüge aus den Urteilen

  • AG Bad Kissingen: „Dass eine Desinfektion allgemein erwartet und somit auch nicht als übervorsichtig und daher nicht ausgleichsfähig einzustufen ist, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass für alle öffentlichen Gebäude ‒ so auch beim Amtsgericht Bad Kissingen ‒ das Aufstellen von Desinfektionsspendern zum Hygienekonzept gehört, das auch zum Schutz der Besucher und nicht nur der Mitarbeiter des Amtsgerichts entwickelt worden ist.“

 

  • AG Schwäbisch Hall: „Soweit der Beklagtenvertreter darauf verweist, dass derartige Kosten in den üblichen Arbeitswerten und Stundensätzen für die Reparatur mitbeinhaltet wären, so mag dies vielleicht für die übliche Reinigung des Fahrzeuges für den Kunden gelten. Reinigung ist aber nicht gleichzusetzen mit ordentlicher Desinfektion; das sind zwei Paar Stiefel. Gerade die Desinfektion bei dem hochinfektiösen Coronavirus verlangt den Einsatz spezieller Mittel und hoher Sorgfalt, die üblicherweise bei einfachen Reinigungsarbeiten so nicht geleistet wird.“

 

  • AG Nürtingen: „Insbesondere waren die Corona-Reinigungsmaßnahmen auch kausal durch den Unfall verursacht. Sie stellen nicht lediglich Arbeitsschutzmaßnahmen dar, sondern sind gerade Teil des jeweiligen konkreten Reparaturauftrages und damit auch im Rahmen der Schadensbeseitigung vereinbart. Insbesondere wurde das Fahrzeug nämlich nicht nur vor, sondern auch nach der Reparatur desinfiziert, was (im Gegensatz zu den beispielhaft genannten Arbeitsschuhen) dem Schutz des Kunden dient. … Insbesondere ist gerichtsbekannt, dass seit dem Beginn der Corona-Pandemie überall sämtliche Oberflächen desinfiziert werden, um eine Schmierinfektion zu verhindern. Überdies werden diese Kosten seit der Corona-Pandemie auch von Ärzten in Rechnung gestellt (Hygienepauschale analog Nr. 245 GOA) und von den gesetzlichen wie privaten Krankenversicherungen bezahlt, sodass der Kläger davon ausgehen durfte, die Position sei geschuldet.“

 

  • AG Duisburg-Hamborn: „Welche behördlichen Auflagen die Werkstatt dabei im Einzelnen erfüllen musste, bedarf keiner Entscheidung, da der zusätzliche Aufwand an Zeit und ggf. an Arbeits-/Schutzmitteln sachgerecht und daher erforderlich ist. Das Reinigen von Oberflächen mit Desinfektionsmittel gehört jedenfalls zu den Standardhygienemaßnahmen im Rahmen der Pandemie.“

 

Weiterführende Hinweise

  • Textbaustein 511: Mit Desinfektionskosten ist zu rechnen (H/K) → Abruf-Nr. 47006610
  • Beitrag „Corona-bedingte Schadenpositionen: Erste Urteile zu Desinfektionskosten ‒ Ausfallschaden ‒ 20 km/Tag“ → Abruf-Nr. 46935222
Quelle: Seite 6 | ID 47068752